Gedichte im Islam
Jesdegerd
Über Yazdegerd III.

von
Friedrich Rückert

Nach der Schlacht von Kadesia,
Wo die Araber gesiegt,
Floh der letzte seines Namens,
Und der letzte seines Stammes,
Jesdege
rd nach Ehorassan,
Fünfzehn Jahre war er alt,
Als sie auf den Thron ihn hoben,
Der, seit Parwis ihn verlassen,
Unter keinem von den sechsen,
Die ihm folgten, fest mehr stand;
Unter’m siebenten und letzten,
Jesdege
rd, zerfiel er ganz.
Fünfzehn Jahre war er alt,
Als sie auf den Thron ihn hoben;
Noch war er nicht zwanzig Jahre,
Als er floh nach Ehorassan.
Unstet wandert’ er von einer
Stadt zur andern. Erst in Rei
Weilt’ er, wo das heil’ge Feuer
Aus uralten Zeiten brannte,
Jener heil’gen Feuer eines,
Und das heiligste von allen,
Die jetzt all’ erlöschen sollten
Vor dem höher angefachten
Neuen Glaubensfeuereifer
Des arabischen Propheten.
Überall bis auf die letzte
Spur, bis auf den letzten Funken
Ausgetilgt, und ihre Aschen
Ausgestreut in die vier Winde,
Wurden sie, wohin nur siegreich.
Als aus Rei vor diesen Waffen
Jesdege
rd entweichen musste,
Trug er jenes Feuer mit,
Erst nach Espahan , von dannen,
Als er weiter floh, nach Kerman,
Und von da nach Nischabur,
Und von da zuletzt nach Merw.
Hier erbaut’ er seinem Feuer
Einen letzten Feuertempel,
Sammelte sein kleines Häuflein,
Doch die größre Zahl davon
Waren seines Harems Frauen,
Baute Häuser, baute Gärten,
Und begann in engster Grenze
Noch als König sich zu fühlen.
Aber an den großen Fagfur
Im entfernten Sina schrieb er
Die Verdrängtheit seiner Lage,
Art und Weise seiner Feinde,
Beistand sich von dort erflehend.
Einen nähern Bundesgenossen
Sucht’ er an der Türken Ehakan,
Jenseit von des Orus Wogen.
Und der Ehakan kam gezogen
Rasch mit kampfbereiter Macht.
Mit den Arabern geschlagen
Ward darauf nicht eine Schlacht,
Sondern an die sechzig Schlachten,
Eine Schlacht an jedem Tag
Durch zwei volle Monate.
Jesdege
rd in Merw am Flusse
Harret der Entscheidung bange,
Die solange zweifelnd schwankt.
Endlich aber gibt den Ausschlag
Eine nächt’ge Waffentat
Ahnaf’s, des arab’schen Feldherrn.
Denn vorm Türkenlager halten
Nacht um Nacht drei Brüder Wache,
Deren Tapferkeit der Kern
Ist des ganzen Türkenheeres.
Aber Ahnaf in der Nacht
Wappnet sich, und ruft den einen,
Der jetzt auf dem Posten steht,
Auf zum Zweitkampf. Und mit Ahnaf
Kämpft der Türk’ und fällt dem ersten gleich.
An die Stelle beider Brüder
Tritt der letzte und erliegt.
Als den Fall von den drei Helden
Sah das Türkenheer am Morgen,
Und der Ehakan, brachen sie
Schnell ihr Lager ab, und zogen
Übern Orus alle heim.
Jesdege
rd, in Merw verlassen,
Flieht dem Ehakan nach ins Land
Turkistan, wo er ihn einholt,
Und mit Müh ihn kaum beredet,
Neue Kraft zum Streite sammelnd,
Nochmals für ihn auszuziehn.
Aber als sie vorwärts zogen,
Kamen, nah der Orus Wogen,
Ihnen auf dem Weg entgegen
Die rückkehrenden Gesandten
Jesdege
rd's vom Fagfur Sina’s,
Die von diesem Antwort brachten
Schriftliche, die lautete:
Es ist recht, dass gegenseitig
Könige sich Beistand leisten.
Aber wie mir deine Feinde
Deiner Abgesandten Mund
Erschilderte, nach ihren Sitten,
Ihrem Mut und ihrem Glauben,
Seh’ ich, dass ein solches Volk
Muss die ganze Welt bezwingen;
Darum rat ich dir, mit ihnen
Dich im Frieden zu vertragen.
Als der Ehakan dieses hörte,
Säumt’ er nicht den Rath des Fagfur
Selber zu benützen; eilig
Kehrt’ er von des Orus Wogen
Wieder um nach Turkistan.
Irrend sucht nun eine Lande,
Das nicht mehr sein eigen war.
Einst an eines Flusses Rande,
Zitternd, denn auf seiner Spur
Sind Verfolger, findet er
Einen Fährmann, den er bittet
Schnell hinüber ihn zu führen,
Ihm zum Fährlohn eine goldne
Städtewerthe Spange bietend.
Doch der Fährmann spricht: Mit diesem
Dinge weiß ich nichts zu machen.
Gib mir drei Heller, die mein
Fährlohn sind, so fahr’ ich dich über,
Und wo nicht, so bleibst du hüben.
Jesdege
rd hat keinen Heller,
Und die Feinde sieht er kommen.
„Kannst du mich nicht überfahren,
Lass mich wenigstens im Schilfe
Deiner Hütte unterkriechen,
Bis vorüber jene sind.“
Ei, das magst du meinethalben.
Jene kommen nun und fragen:
Fährmann, hast du keinen hier
Überführen müssen, der
Hohen Lohn dafür dir bot? –
„Keinen solchen, sondern einen,
Der nicht die drei Heller hatte,
Die mein Fährlohn sind; darum
Liegt er noch dort in der Hütte
Unterm Schilf, und wartet wohl,
Bis hier einer kommt vorüber,
Der ihm die drei Heller borgt.“
Lachend spricht ein Araber,
Lachend, und zugleich der Armut
Sich erbarmend: Fährmann, hier
Sind drei Heller für den Armen,
Bring hinüber ihn dafür!
Also lachend gehen sie weiter,
Und der Fährmann für den Lohn,
Den die Feinde seines Königs
Ihm bezahlten, führt ihn über.
Drüben glaubt er sich gerettet,
Armer König Jesdege
rd!
Wenn dich dort die Schimmerreste
Deiner Königsherrlichkeiten
Nicht dem sichern Tod entrissen
Hätten ohne die drei Heller,
Die dir deine Feinde gaben;
Werden (also in den Sternen
Ist es dir geschrieben) hier nun
Diese falschen Herrlichkeiten
Selber dir den Tod bereiten.
Nacht wird’s, und ein Obdach sucht er;
Eine Mühle steht am Wasser,
Und er bittet aufzutun.
Mürrisch und verdrossen öffnet
Ihm der mörderische Müller;
Doch im Dunkel sieht er nicht
Seines Gastes Kleider schimmern;
Und so schläft er sicher bis zum
Morgen seinen letzten Schlaf.
Aber mit dem Strahl der Sonne
Wacht die Gier des Müllers auf,
Und des schlafenden Gewänder
Blenden ihn mit goldnem Glanz.
Und mit einem sichern Schlage
Auf das Haupt des schönen blassen
Todesmüden Königsjünglings,
Zu erwecken, in des Todes
Tieferen versenkt er ihn.
Friede sei mit Jesdege
rd!
Einem König, der vertrieben
Irrt in seinem eignen Lande,
Kann nichts sanfteres begegnen,
Als mit einem Schlag aufs Haupt
Aus dem Schlaf in Tod zu sinken.
Doch dem mörderischen Müller
Wird das königliche Kleid
Blitzend ein Verräter werden,
Und ein Zeuge seiner Schuld;
Dass er mit verräterischer
Hand des alten Königsstammes
Letzten Zweig, den welkend grünen,
Straflos nicht gebrochen habe.

von Friedrich Rückert aus
Sieben Bücher morgenländischer Sagen und Geschichten", Stuttgart 1837

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