Gedichte im Islam
Die Liebeslieder und der Koranvers

von
Friedrich Rückert

Von Bagdad wollt’ ich (Abu Haschim spricht)
Nach Basra, Raum im Schiffe fand ich nicht,
Weil schon das ganze Schiff ein reicher Mann
Um hohen Sold für sich allein gewann.

Mit meiner Bitte wies er kurz mich ab;
Doch eine Sklavin ihm zur Seite gab
Ein gutes Wörtchen ihm, um Gottes Lohn
Mich mitzunehmen, und er tat es schon.

Wir stießen ab und fuhren hin zu Tal;
Da ließ der Mann ein glänzend Mittagsmal
Auftragen, alsob er im Himmel sei,
Und rief: Holt auch den Bettler dort herbei,

Mit uns zu essen! Und, wiewohl ich war
Ein Bettler, aß ich mit des Reichen Schaar.
Als wir gegessen, rief er: Mädchen, hol’
Nun das Getränk auch, und kredenz’ es wohl!

Schenk’ einen Becher auch dem Armen ein!
Ich aber sprach: Erlasse mir den Wein!
Da ließ er mich, doch als zu Haupt der Dunst
Gestiegen war: nun zeige deine Kunst,

O Mädchen, rief er, bring das Saitenspiel,
Und sing ein Lied, das sonst mir wohlgefiel.
Da gab sie ihren Saiten sanften Klang,
Indem ein beduinisch Lied sie sang:

Ich stand und sang von denen, die ich lieb’, es war
Alsob mein Herz von Messern sei durchschnitten.
Und ihnen nachzufragen, trat ich ein ins Haus;
Das Haus war leer, und Niemand wohnt’ in Mitten.

Er rief: Sing etwas weniger betrübt!
Worauf sie so anstimmte kunstgeübt:
So ist es! Sobald ich sie erblicke von Ungefähr,
So staun’ ich, und weiß nicht meine Red’ snzufangen.

Es ist mir entfallen alles was ich zuvor bedacht,
Und beifällt mir’s wieder erst, nachdem sie gegangen.

Da wandt’ er sich, berauscht vom Wohlgetön,
Zu mir, und sprach: Ha, findest du das schön?
Ich sprach: Ich finde bessres schön als das.
Er fragte: was?

Doch ich aus dem Gedächtnis las ihm kein Gedicht,
Ich las die Verse vom Gericht:
Wann die Sonn’ ist erkaltet,
Und die Sterne veraltet,

Und die Berge gespaltet –
Da fing er an und weint’, und weinte fort,
Bis ich gelangte zu dem Wort:

Und das Schuldbuch ist entfaltet –

Da tat er einen Reueschrei,
Und rief: Geh, Mädchen, du bist frei,
In Gottes Namen, der’s begehrt,
Er hat zu sich mein Herz bekehrt.

Dann warf er Saitenspiel und Trank
Hinaus, wo es im Strom versank:
Bat mich, mit ihm ans Land zu gehen,
Und seinem Wandel vorzustehn;

Dann blieb er zehn Jahr mein Geselle,
Und starb vor mir in meiner Zelle.
Als er mir drauf im Traum erschien,
Da fragt’ ich ihn: Wohin bist du gekommen?

Er sprach: Der Garten hat mich aufgenommen.
Ich sprach: Und was hat so gewaltet
Mit Kraft, zum Heile dich gestaltet?
Er sprach: das Wort
Im Schiffe dort:

Und das Schuldbuch ist entfaltet.

Aus: Sieben Bücher Morgenländischer Sagen und Geschichten

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