Gedichte im Islam
Der Erwachsene

von
Friedrich Rückert

Der Erwachsene

Als ich war ein Kind, ein kleines,
Wenn ein Unfall meines gleichen,
Meines eignen Schlags ein Unglück,
Noch so klein auch mich betraf;
Lief ich hin zu meiner Mutter,
Barg mein Haupt in ihrem Schooße,
Schmiegte mich an ihre Knie,
Ließ in ihren Arm mich schließen,
Suchte Trost in ihren Blicken,
Hülf’ in ihres Mundes Hauch.
Denn ein Kind kennt außer seiner
Mutter keinen Schutz auf Erden,
Keinen Rath und keine Macht.

Als ich größer ward, ein Knabe,
Und den Vater kennen lernte,
Konnt’ ich merken, dass der Vater
Stärker als die Mutter sei.
Und in meinen mit mir selber
Wachsenden Bekümmernissen,
Größer werdenden und ernster
Mich anfechtenden Verdrüßen,
Nahm ich Zuflucht zu dem Vater,
Voll Vertrauen, dass er allem,
Was er wollte, steuern könnte.
Denn die Kinder und die Weiber
Glauben, alles könnt’ ein Mann.
Nicht zu Schanden ließ er werden
Mein auf ihn gesetztes Zutraun,
Half mir, außer wo er wollte,
Daß ich selbst mir helfen sollte.

Nun bin ich ein Mann geworden,
Und das Zutraun, das ich setzte
Sonst auf Mutter und Vater,
Stärkt’ ich es mit Gottesvertrauen,
Und Bewusstsein meines Rechts.
Und so Helf’ ich selbst mir freudig,
Freudiger noch jedem Schwachen,
Vaterlosen, Mutterlosen,
Der sich selbst nicht helfen kann,
Und an Vater- Mutterstell
Meinen Beistand rufet an.

Aus: Sieben Bücher Morgenländischer Sagen und Geschichten

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