Gedichte im Islam
Die Beschreibung der Ratlosigkeit

von Imam Chomeini

Die Beschreibung der Ratlosigkeit

 Ich will den Schmerz, nicht die Droge.

Will die Angst des Stockens der Kehle,

keine angenehme Melodie.

Bin Liebhaber, ein Liebhaber, ich bin dein Patient;

Geheilt davon werden möchte ich nie.

Wäre auch bereit zu zahlen,

für deine Quälerei meiner Seele;

Trennen von dieser Quälerei möchte ich mich nie.

Quälerei von dir, mein Liebling, ist Treue,

ich will keine andere Treue,

Du bist beides, mein Saffa und mein Marwa;

doch will ich nicht Marwa mit Saffa.

Der Sufi hat keine Nachricht

über die Vereinigung mit dem Freund.

Möchte kein Sufi ohne Saffa.

Du bist mein Flehen und mein Gedenken;

Will weder Gedenken noch Einkehr noch Flehen.

In welche Richtung ich mich auch wende,

du bist meine Qibla.

Will keine Qibla noch das, was ihre Richtung zeigt.

Wer immer dich anschaut wird zu deinem Opfer.

Bin das Opfer, möchte nicht jegliches Opfer.

Jeder Horizont wird von deinem Gesicht erleuchtet,

Du bist greifbar, will nicht bloß Spur von Dir.

Ordibehescht 1366

[April-Mai 1987]

Erläuterung

Dieses Gedicht erinnert an die Zeilen von Baba Taher[1]:

Einige wollen, Drogen, andere wollen den Schmerz,
Einige wollen Einheit, andere wollen die Spaltung.

Ich gehöre nicht zu jenen

die Drogen wollen, Schmerz, Einheit oder Spaltung.

Ich will, was der Geliebte will.

Die Idee, die in diesem Gedicht zum Ausdruck gebracht wird, ist dass auch in der Verborgenheit Gottes, Er für den wahren Liebhaber offenkundig ist. Die Verborgenheit selbst wird zu einer Art der Manifestation. Der Schmerz, der in den ersten Zeilen beschrieben wird, ist der Schmerz des Liebenden, die Sehnsucht nach Vereinigung mit dem Göttlichen. Die Quälerei ist die Erfahrung der Sehnsucht, die das Verlangen nach der Vereinigung verursacht. Das persische Wort “dschafa“, hier mit Quälerei übersetzt, beschreibt die Art der Strafe, die eine Geliebte über ihren Geliebten verhängt, wie von der Vorenthaltung ihrer Gunst. Der Liebhaber will diese Quälerei, denn er will die Vereinigung mit dem Göttlichen fühlen. Er will keine andere Erfüllung aller Verheißungen von Gott, er will begünstigt werden mit dem Verlangen nach der Vereinigung von ihm.

Saffa und Marwa sind die beiden Hügel, zwischen denen Pilger in Mekka als Ritus der Pilgerfahrt hin- und herlaufen müssen, während der Hadsch-Zeremonie zum Gedenken an die Suche der Hadschar, der Ehefrau von Abraham (a.), nach Wasser für sich selbst und für ihren Sohn Ismail (a.). Außerdem, so heißt es, als Adam und Eva aus dem Garten herausgeworfen wurden, wurde Adam in Saffa und Eva in Marwa ausgesetzt. Diese zwei Hügel symbolisieren die Sehnsucht der Liebenden.

Es ist ein Wortspiel in den folgenden Zeilen mit dem Namen Saffa, was Reinheit bedeutet. In dem Satz: du bist beides, mein Saffa und mein Marwa erklärt er, dass er keine Notwendigkeit darin sieht, die Riten der Pilgerfahrt zu erfüllen, weil er bereits die Mühsal des Pilgerns praktisch in seiner Sehnsucht nach dem Geliebten spürt. Mit doch will ich nicht Marwa mit Saffa ist gemeint, dass der Liebende die beiden Riten der Wallfahrt für unnötig erklärt, er will keine Reinheit von diesem Ritus, er will nicht vom Mühsal der Sehnsucht gereinigt werden.

Der Sufi ist jemand, der Vereinigung mit der Göttlichkeit erreicht hat, doch in der Folgezeile wird erklärt, dass der Sufi keine Nachricht von ihm hat. Die Aussage ermöglicht viele Interpretationen. Es kann bedeuten, dass solch ein Sufi, ohne eine Nachrichten der Vereinigung mit dem Göttlichen, und demnach ohne die Reinheit, nicht gewollt ist, oder es kann bedeuten, dass er kein Sufi sein will der ohne die Schwierigkeiten, durch den Hügel von Saffa dargestellt, sein will mit Anspielungen auf die Riten der Pilgerfahrt.

Der innere Reim in will weder Gedenken noch Einkehr noch Flehen besteht in der Gedenken [dhikr] und Einkehr [fikr]. Diese gelten als die wichtigsten Methoden der Sufis um die Vereinigung mit dem Göttlichen zu erreichen. Gedenken ist die Erinnerung an Gott im Herzen, in der Regel durch die Wiederholung einer der Namen Gottes, oder ein kurzer Ausruf des Lobes oder des Glaubens. Einkehr [fikr] ist die Idee und Flehen ist das Bittgebet. In diesen Zeilen heißt es, dass der Liebende solche Methoden nicht benötige, weil seine Sehnsucht ausreichend ist. Die Qibla ist die Gebetsrichtung in Richtung der Kaaba in Mekka.

Die Aussage In welche Richtung ich mich auch wende, du bist meine Qibla erinnert an den Vers im Heiligen Qur´an:

„...wo immer ihr euch hinwendet, dort ist das Antlitz Allahs.“ (Heiliger Qur´an 2:115).

Es folgt die Steigerung der Hingabe des Liebenden an den Geliebten mit dem Satz: Bin das Opfer. Die Aussage, möchte nicht jegliches Opfer, bedeutet, dass der Liebhaber nichts anderes opfern will, wie zum Beispiel ein Tier, weil er selbst für Gott geopfert werden möchte. Das opfern eines Tieres ist ein Teil der Hadsch-Zeremonien.

Die Aussage Jeder Horizont wird von deinem Gesicht erleuchtet erinnert erneut an den oben zitierten Vers mit anderen Nuancen. In der letzten Zeile Du bist greifbar, will nicht bloß Spur von Dir, erklärt der Liebhaber, dass Gott bereits so offenbar für ihn ist, und er brauch weder eine Spur (wörtlich: Fußabdruck), noch Zeichen oder Symbole, die ihm helfen, den Geliebten zu finden.

Für diejenigen die sich in der Tradition der islamischen Mystik nicht auskennen, vor allem, da es im Iran entwickelt wurde, mag dies etwas schockierend klingen. Allerdings kann die Geste des Verwerfens der äußeren Rituale der Pilgerfahrt zu Gunsten einer esoterischen Pilgerfahrt des Herzens in den Schriften einer Reihe von Mystikern gefunden werden. Die Ablehnung der exoterischen Formen der Religion selbst ist ein Symbol für das Verlangen nach der inneren Dimension der Religion.

Dennoch waren einige andere Gelehrte gegen solche symbolischen Ablehnungen der äußeren Formen der Religion mit der Begründung, dass sie missverstanden werden könnten als gegen die Rituale gerichtet, was Imam Chomeini sicherlich nicht bezweckt hat, der die Rituale in ihrer Vollkommenheit versuchte zu praktizieren. Genauso sind jene anderen Gelehrten gegen die Verwendung des dichterischen Weins in ihren Versen weil sie befürchten, einige ließen sich täuschen und würden den körperlichen Rausch dem spirituellen Rausch bevorzugen, was ebenfalls sicherlich außerhalb jeglicher Intention Imam Chomeinis ist.

[1] Baba Taher, auch Oryan (oder Aryan) genannt, war ein persischer Dichter des 10. bzw. 11. Jh. n.Chr..

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