Die Beschreibung der Ratlosigkeit
Ich
will den Schmerz, nicht die Droge.
Will die Angst des Stockens der Kehle,
keine angenehme Melodie.
Bin Liebhaber, ein Liebhaber, ich bin dein Patient;
Geheilt davon werden möchte ich nie.
Wäre auch bereit zu zahlen,
für deine Quälerei meiner Seele;
Trennen von dieser Quälerei möchte ich mich nie.
Quälerei von dir, mein Liebling, ist Treue,
ich will keine andere Treue,
Du bist beides, mein Saffa und mein Marwa;
doch will ich nicht Marwa mit Saffa.
Der Sufi hat keine Nachricht
über die Vereinigung mit dem Freund.
Möchte kein Sufi ohne Saffa.
Du bist mein Flehen und mein Gedenken;
Will weder Gedenken noch Einkehr noch Flehen.
In welche Richtung ich mich auch wende,
du bist meine Qibla.
Will keine Qibla noch das, was ihre Richtung zeigt.
Wer immer dich anschaut wird zu deinem Opfer.
Bin das Opfer, möchte nicht jegliches Opfer.
Jeder Horizont wird von deinem Gesicht erleuchtet,
Du bist greifbar, will nicht bloß Spur von Dir.
Ordibehescht 1366
[April-Mai 1987]
Erläuterung
Dieses Gedicht erinnert an die Zeilen von Baba Taher:
Einige wollen, Drogen, andere wollen den Schmerz,
Einige wollen Einheit, andere wollen die Spaltung.
Ich gehöre nicht zu jenen
die Drogen wollen, Schmerz, Einheit oder Spaltung.
Ich will, was der Geliebte will.
Die Idee, die in diesem Gedicht zum Ausdruck gebracht wird,
ist dass auch in der Verborgenheit Gottes, Er für den wahren
Liebhaber offenkundig ist. Die Verborgenheit selbst wird zu
einer Art der Manifestation. Der Schmerz, der in den ersten
Zeilen beschrieben wird, ist der Schmerz des Liebenden, die
Sehnsucht nach Vereinigung mit dem Göttlichen. Die
Quälerei
ist die Erfahrung der Sehnsucht, die das Verlangen nach
der Vereinigung verursacht.
Das persische Wort “dschafa“, hier mit
Quälerei
übersetzt, beschreibt die Art der Strafe, die eine Geliebte
über ihren Geliebten verhängt, wie von der Vorenthaltung ihrer
Gunst.
Der Liebhaber will diese
Quälerei,
denn er will die Vereinigung mit dem Göttlichen fühlen.
Er will keine andere Erfüllung aller Verheißungen von Gott, er
will begünstigt werden mit dem Verlangen nach der Vereinigung
von ihm.
Saffa und Marwa sind die beiden Hügel, zwischen denen Pilger
in Mekka als Ritus der Pilgerfahrt hin- und herlaufen müssen,
während der Hadsch-Zeremonie zum Gedenken an die Suche der
Hadschar, der Ehefrau von Abraham (a.), nach Wasser für sich
selbst und für ihren Sohn Ismail (a.).
Außerdem, so heißt es, als Adam und Eva aus dem Garten
herausgeworfen wurden, wurde Adam in Saffa und Eva in Marwa
ausgesetzt.
Diese zwei Hügel symbolisieren die Sehnsucht der Liebenden.
Es ist ein Wortspiel in den folgenden Zeilen mit dem Namen
Saffa, was Reinheit bedeutet.
In dem Satz:
du bist beides, mein Saffa und mein Marwa
erklärt er, dass er keine Notwendigkeit darin sieht, die Riten
der Pilgerfahrt zu erfüllen, weil er bereits die Mühsal des
Pilgerns praktisch in seiner Sehnsucht nach dem Geliebten
spürt. Mit
doch will ich nicht Marwa mit Saffa
ist gemeint, dass der Liebende die beiden Riten der Wallfahrt
für unnötig erklärt, er will keine Reinheit von diesem Ritus,
er will nicht vom Mühsal der Sehnsucht gereinigt werden.
Der Sufi ist jemand, der Vereinigung mit der Göttlichkeit
erreicht hat, doch in der Folgezeile wird erklärt, dass der
Sufi keine Nachricht von ihm hat. Die Aussage ermöglicht viele
Interpretationen. Es kann bedeuten, dass solch ein Sufi, ohne
eine Nachrichten der Vereinigung mit dem Göttlichen, und
demnach ohne die Reinheit, nicht gewollt ist, oder es kann
bedeuten, dass er kein Sufi sein will der ohne die
Schwierigkeiten, durch den Hügel von Saffa dargestellt, sein
will mit Anspielungen auf die Riten der Pilgerfahrt.
Der innere Reim in
will weder Gedenken noch Einkehr noch Flehen
besteht in der
Gedenken [dhikr]
und
Einkehr [fikr].
Diese gelten als die wichtigsten Methoden der Sufis um die
Vereinigung mit dem Göttlichen zu erreichen.
Gedenken
ist die Erinnerung an Gott im Herzen, in der Regel durch die
Wiederholung einer der Namen Gottes, oder ein kurzer Ausruf
des Lobes oder des Glaubens.
Einkehr [fikr]
ist die Idee und
Flehen
ist das Bittgebet. In diesen Zeilen heißt es, dass der
Liebende solche Methoden nicht benötige, weil seine Sehnsucht
ausreichend ist. Die
Qibla
ist die Gebetsrichtung in Richtung der Kaaba in Mekka.
Die Aussage
In welche Richtung ich mich auch wende, du bist meine Qibla
erinnert an den Vers im Heiligen Qur´an:
„...wo immer ihr euch hinwendet,
dort ist das Antlitz Allahs.“
(Heiliger Qur´an 2:115).
Es folgt die Steigerung der Hingabe
des Liebenden an den Geliebten mit dem Satz:
Bin das Opfer.
Die Aussage,
möchte nicht jegliches Opfer,
bedeutet, dass der Liebhaber nichts anderes opfern will, wie
zum Beispiel ein Tier, weil er selbst für Gott geopfert werden
möchte. Das opfern eines Tieres ist ein Teil der
Hadsch-Zeremonien.
Die Aussage
Jeder Horizont wird von deinem Gesicht erleuchtet
erinnert erneut an den oben zitierten Vers mit anderen
Nuancen. In der letzten Zeile
Du bist greifbar, will nicht bloß Spur von Dir,
erklärt der Liebhaber, dass Gott bereits so offenbar für ihn
ist, und er brauch weder eine
Spur
(wörtlich: Fußabdruck), noch Zeichen oder Symbole, die ihm
helfen, den Geliebten zu finden.
Für diejenigen die sich in der Tradition der islamischen
Mystik nicht auskennen, vor allem, da es im Iran entwickelt
wurde, mag dies etwas schockierend klingen. Allerdings kann
die Geste des Verwerfens der äußeren Rituale der Pilgerfahrt
zu Gunsten einer esoterischen Pilgerfahrt des Herzens in den
Schriften einer Reihe von Mystikern gefunden werden. Die
Ablehnung der exoterischen Formen der Religion selbst ist ein
Symbol für das Verlangen nach der inneren Dimension der
Religion.
Dennoch waren einige andere Gelehrte gegen solche symbolischen
Ablehnungen der äußeren Formen der Religion mit der
Begründung, dass sie missverstanden werden könnten als gegen
die Rituale gerichtet, was Imam Chomeini sicherlich nicht
bezweckt hat, der die Rituale in ihrer Vollkommenheit
versuchte zu praktizieren. Genauso sind jene anderen Gelehrten
gegen die Verwendung des dichterischen Weins in ihren Versen
weil sie befürchten, einige ließen sich täuschen und würden
den körperlichen Rausch dem spirituellen Rausch bevorzugen,
was ebenfalls sicherlich außerhalb jeglicher Intention Imam
Chomeinis ist.