Unterschiedliche ideologische Standpunkte zur Verteilung
der natürlichen Ressourcen
Der Islam
unterscheidet sich bei der Behandlung der Frage, wie die
Ressourcen der Natur verteilt werden, sowohl in den
allgemeinen Prinzipien, als auch in den detaillierten
Einzelfragen vom Kapitalismus und vom Marxismus. Der
Kapitalismus macht das Eigentum an Produktionsmitteln und die
Art und Weise ihrer Verteilung von den Individuen der
Gesellschaft selbst abhängig, d.h. davon, wieviel Kraft und
Energie jeder Einzelne von ihnen aufwendet – im Rahmen der
wirtschaftlichen Freiheit, die allen gewährt wird – um einen
möglichst großen Anteil an jenen Produktionsquellen zu
erhalten ... So steht es jedem Einzelnen frei, sich so viele
Schätze und Ressourcen der Natur anzueignen, wie ihm durch
Glück und Erfolg in die Hände fallen. Hingegen glaubt der
Marxismus, im Einklang mit seiner allgemeinen Methode die
Geschichte zu interpretieren, dass die Form von Eigentum an
Produktionsmitteln in unmittelbarem Zusammenhang mit der
herrschenden Produktionsweise steht, so dass die jeweilige
Produktionsweise – während ihrer historischen Phase – die Art
und Weise der Verteilung der materiellen Produktionsfaktoren
bestimmt, und auch, welche Gruppe von Menschen sie sich
aneignen muss. Und das jeweilige Verteilungssystem bleibt
angeblich bestehen, bis die Geschichte in eine neue Phase
eingetreten ist und sich eine neue Produktionsweise verbreitet
hat, die sich nicht mehr mit dem alten Verteilungssystem
vereinbaren lässt und von diesem in ihrer Fortentwicklung
behindert wird, bis die alte Verteilungsordnung sich aufgrund
ihrer schweren Widersprüche zur neuen Produktionsweise
desintegriert, und die Verteilung der Produktionsmittel derart
neu organisiert wird, dass sie die gesellschaftlichen
Voraussetzungen schafft, die die Weiterentwicklung der neuen
Produktionsweise begünstigen.
Die Verteilung
der Produktionsmittel soll sich also immer aus der
Produktionsweise selbst ergeben und sich entsprechend den
Erfordernissen von deren Entwicklung und Fortschritt
verändern. So soll es die Produktionsweise während der
historischen Phase der überwiegend landwirtschaftlichen
Produktion zwingend notwendig gemacht haben, dass die
Verteilung der Produktionsmittel auf der Grundlage des
Feudalismus erfolgte, wogegen die historische Phase der
maschinellen Industrieproduktion angeblich eine Neuordnung der
Verteilung erforderlich machte, dergestalt, dass sich die
Klasse der Kapitalisten alle Produktionsmittel aneignete; und
wenn die maschinelle Produktion einen bestimmten
Entwicklungsstand erreicht hat, soll es zwangsläufig zu einem
Austausch der Kapitalistenklasse durch die Arbeiterklasse
kommen, und die Verteilung auf dieser Grundlage neu geregelt
werden.
Der Islam
stimmt in seinem Konzept für die Verteilung der
Produktionsmittel weder mit dem Kapitalismus noch mit dem
Marxismus überein. Er glaubt nicht an die Konzepte des
Kapitalismus von der wirtschaftlichen Freiheit, wie wir
bereits in dem Abschnitt “Über den Kapitalismus“
ausgeführt haben, und ebenso bestätigt er nicht den angeblich
deterministischen Zusammenhang, den der Marxismus zwischen der
herrschenden Produktionsweise und dem Eigentum an
Produktionsmittel konstruiert, wie wir das in dem Abschnitt
“Unsere Wirtschaft in ihren wesentlichen Merkmalen“
gesehen haben. Darum beschränkt er die Freiheit der
Individuen, sich natürliche Produktionsquellen anzueignen, und
macht die Verteilung jener Produktionsquellen von der
Produktionsweise unabhängig, denn aus der Sicht des Islam
handelt es sich bei dem Problem nicht um die Frage der
Produktionsinstrumente, die ein ihrem Entwicklungsstand
angemessenes Verteilungssystem erforderlich machen, so dass
sich an der Verteilung immer dann etwas ändern würde, wenn die
Produktionsweise nach einer Änderung verlangt und deren
Fortschritt von einem neuen Verteilungssystem abhängig wird;
vielmehr ist es eine Frage des Menschen, der Bedürfnisse und
Wünsche hat, die in einem Rahmen befriedigt werden müssen, der
die Menschlichkeit wahrt und weiterentwickelt.
Der Mensch ist
und bleibt Mensch, mit seinen allgemeinen Bedürfnissen und
tief verwurzelten Neigungen, ob er nun das Land mit den Händen
bearbeitet, oder die Energie von Dampf und elektrischen Strom
nutzt; daher muss die Verteilung der produktiven Ressourcen
der Natur in einer Art und Weise erfolgen, die die
Befriedigung dieser Bedürfnisse und Wünsche gewährleistet, und
in einem menschlichen Rahmen, der es dem Menschen ermöglicht,
seine materielle Existenz und seine Menschlichkeit
weiterzuentwickeln. Jeder hat – als Einzelperson –
Bedürfnisse, die unbedingt befriedigt werden müssen, und dies
ermöglicht der Islam den Individuen durch das Privateigentum,
das er anerkennt, und dessen Voraussetzungen und Bedingungen
er festsetzt. Und wenn sich zwischen den Individuen
Beziehungen heranbilden und eine Gemeinschaft entsteht, dann
hat auch diese Gemeinschaft allgemeine Bedürfnisse, die jeden
Einzelnen in seiner Eigenschaft als Teil des sozialen Gebildes
betreffen. Der Islam sichert der Gemeinschaft die Befriedigung
dieser Bedürfnisse mit Hilfe des “Eigentums der Gemeinschaft“
an einigen Produktionsquellen. Und oft sind einige Personen
nicht in der Lage, ihre Bedürfnisse mit Hilfe ihres privaten
Eigentums zu befriedigen, und sind Entbehrungen ausgesetzt, so
dass das allgemeine Gleichgewicht gestört wird. Hier setzt der
Islam zur Abhilfe die dritte Form von Eigentum, nämlich das
Eigentum des Staates, fest, damit der verantwortliche
Befehlshaber [wali-ul-amr] mit diesem Mittel das
allgemeine Gleichgewicht bewahren kann. Somit erfolgt die
Verteilung der natürlichen Produktionsquellen indem sie
jeweils dem Bereich des Privateigentums, des “Eigentums der
Gemeinschaft“ oder des staatlichen Eigentums zugeordnet
werden.