Unsere Wirtschaft

Unsere Wirtschaft / Iqtisaduna

Muhammad Baqir al-Sadr

Unterschiedliche ideologische Standpunkte zur Verteilung der natürlichen Ressourcen

Der Islam unterscheidet sich bei der Behandlung der Frage, wie die Ressourcen der Natur verteilt werden, sowohl in den allgemeinen Prinzipien, als auch in den detaillierten Einzelfragen vom Kapitalismus und vom Marxismus. Der Kapitalismus macht das Eigentum an Produktionsmitteln und die Art und Weise ihrer Verteilung von den Individuen der Gesellschaft selbst abhängig, d.h. davon, wieviel Kraft und Energie jeder Einzelne von ihnen aufwendet – im Rahmen der wirtschaftlichen Freiheit, die allen gewährt wird – um einen möglichst großen Anteil an jenen Produktionsquellen zu erhalten ... So steht es jedem Einzelnen frei, sich so viele Schätze und Ressourcen der Natur anzueignen, wie ihm durch Glück und Erfolg in die Hände fallen. Hingegen glaubt der Marxismus, im Einklang mit seiner allgemeinen Methode die Geschichte zu interpretieren, dass die Form von Eigentum an Produktionsmitteln in unmittelbarem Zusammenhang mit der herrschenden Produktionsweise steht, so dass die jeweilige Produktionsweise – während ihrer historischen Phase – die Art und Weise der Verteilung der materiellen Produktionsfaktoren bestimmt, und auch, welche Gruppe von Menschen sie sich aneignen muss. Und das jeweilige Verteilungssystem bleibt angeblich bestehen, bis die Geschichte in eine neue Phase eingetreten ist und sich eine neue Produktionsweise verbreitet hat, die sich nicht mehr mit dem alten Verteilungssystem vereinbaren lässt und von diesem in ihrer Fortentwicklung behindert wird, bis die alte Verteilungsordnung sich aufgrund ihrer schweren Widersprüche zur neuen Produktionsweise desintegriert, und die Verteilung der Produktionsmittel derart neu organisiert wird, dass sie die gesellschaftlichen Voraussetzungen schafft, die die Weiterentwicklung der neuen Produktionsweise begünstigen.

Die Verteilung der Produktionsmittel soll sich also immer aus der Produktionsweise selbst ergeben und sich entsprechend den Erfordernissen von deren Entwicklung und Fortschritt verändern. So soll es die Produktionsweise während der historischen Phase der überwiegend landwirtschaftlichen Produktion zwingend notwendig gemacht haben, dass die Verteilung der Produktionsmittel auf der Grundlage des Feudalismus erfolgte, wogegen die historische Phase der maschinellen Industrieproduktion angeblich eine Neuordnung der Verteilung erforderlich machte, dergestalt, dass sich die Klasse der Kapitalisten alle Produktionsmittel aneignete; und wenn die maschinelle Produktion einen bestimmten Entwicklungsstand erreicht hat, soll es zwangsläufig zu einem Austausch der Kapitalistenklasse durch die Arbeiterklasse kommen, und die Verteilung auf dieser Grundlage neu geregelt werden.

Der Islam stimmt in seinem Konzept für die Verteilung der Produktionsmittel weder mit dem Kapitalismus noch mit dem Marxismus überein. Er glaubt nicht an die Konzepte des Kapitalismus von der wirtschaftlichen Freiheit, wie wir bereits in dem Abschnitt “Über den Kapitalismus“[1] ausgeführt haben, und ebenso bestätigt er nicht den angeblich deterministischen Zusammenhang, den der Marxismus zwischen der herrschenden Produktionsweise und dem Eigentum an Produktionsmittel konstruiert, wie wir das in dem Abschnitt “Unsere Wirtschaft in ihren wesentlichen Merkmalen“[2] gesehen haben. Darum beschränkt er die Freiheit der Individuen, sich natürliche Produktionsquellen anzueignen, und macht die Verteilung jener Produktionsquellen von der Produktionsweise unabhängig, denn aus der Sicht des Islam handelt es sich bei dem Problem nicht um die Frage der Produktionsinstrumente, die ein ihrem Entwicklungsstand angemessenes Verteilungssystem erforderlich machen, so dass sich an der Verteilung immer dann etwas ändern würde, wenn die Produktionsweise nach einer Änderung verlangt und deren Fortschritt von einem neuen Verteilungssystem abhängig wird; vielmehr ist es eine Frage des Menschen, der Bedürfnisse und Wünsche hat, die in einem Rahmen befriedigt werden müssen, der die Menschlichkeit wahrt und weiterentwickelt.

Der Mensch ist und bleibt Mensch, mit seinen allgemeinen Bedürfnissen und tief verwurzelten Neigungen, ob er nun das Land mit den Händen bearbeitet, oder die Energie von Dampf und elektrischen Strom nutzt; daher muss die Verteilung der produktiven Ressourcen der Natur in einer Art und Weise erfolgen, die die Befriedigung dieser Bedürfnisse und Wünsche gewährleistet, und in einem menschlichen Rahmen, der es dem Menschen ermöglicht, seine materielle Existenz und seine Menschlichkeit weiterzuentwickeln. Jeder hat – als Einzelperson – Bedürfnisse, die unbedingt befriedigt werden müssen, und dies ermöglicht der Islam den Individuen durch das Privateigentum, das er anerkennt, und dessen Voraussetzungen und Bedingungen er festsetzt. Und wenn sich zwischen den Individuen Beziehungen heranbilden und eine Gemeinschaft entsteht, dann hat auch diese Gemeinschaft allgemeine Bedürfnisse, die jeden Einzelnen in seiner Eigenschaft als Teil des sozialen Gebildes betreffen. Der Islam sichert der Gemeinschaft die Befriedigung dieser Bedürfnisse mit Hilfe des “Eigentums der Gemeinschaft“ an einigen Produktionsquellen. Und oft sind einige Personen nicht in der Lage, ihre Bedürfnisse mit Hilfe ihres privaten Eigentums zu befriedigen, und sind Entbehrungen ausgesetzt, so dass das allgemeine Gleichgewicht gestört wird. Hier setzt der Islam zur Abhilfe die dritte Form von Eigentum, nämlich das Eigentum des Staates, fest, damit der verantwortliche Befehlshaber [wali-ul-amr] mit diesem Mittel das allgemeine Gleichgewicht bewahren kann. Somit erfolgt die Verteilung der natürlichen Produktionsquellen indem sie jeweils dem Bereich des Privateigentums, des “Eigentums der Gemeinschaft“ oder des staatlichen Eigentums zugeordnet werden.

[1] Das Kapitel wurde in dem vorliegenden Buch nicht übersetzt.

[2] Siehe entsprechendes Kapitel

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