Unterschied zwischen einem Entdeckungsprozess und einem
synthetischen Prozess
Unsere Vorgehensweise bei der
Untersuchung der Wirtschaftslehre des Islam unterscheidet sich
von der Arbeitsweise sonstiger Pioniere der Formulierung von
Ideologien, denn der islamische Forscher spürt von Beginn an
den grundsätzlichen Unterschied zwischen seinem Ansatz beim
Versuch, diese Aufgabe zu lösen, und dem Ansatz irgendwelcher
sonstiger (ideologischer) Forscher, die ideologische
Abhandlungen über Wirtschaftsfragen verfassen und eine
bestimmte Wirtschaftsideologie, wie den Kapitalismus oder
Sozialismus, propagieren. Dieser grundsätzlicher Unterschied
bestimmt für beide Arten der ideologischen Abhandlung, für die
islamische und die nichtislamische, die Methodik, die Art und
Weise, mit der die Abhandlung durchgeführt werden muss, und
deren charakteristische Merkmale, wie wir sogleich sehen
werden. Der islamische Denker hat es mit einer vollendeten
Wirtschaftsideologie zu tun, die bereits fertig festgesetzt
ist, und ist aufgerufen, sie in ihrer wahren Bedeutung zu
erkennen, ihre allgemeine Gestalt zu umreißen, ihre geistigen
Leitlinien herauszufinden, ihre ursprünglichen Merkmale zu
verdeutlichen, den Staub der Geschichte von ihrer
abzuschütteln, soweit wie möglich der Schwierigkeiten Herr zu
werden, die durch den angehäuften Schmutz der Zeit, die lange
geschichtliche Distanz und durch das falsche Bild entstehen,
das die unzulänglichen historischen Versuche, den Islam – wenn
auch nur dem Namen nach – zu praktizieren, vermitteln, und
sich schließlich aus dem Begriffsrahmen der nichtislamischen
Kulturen zu befreien, welche die Weltsicht entsprechend ihrem
Charakter und ihrer Denkweise beherrschen. Es gibt die Aufgabe
jedes islamischen Wirtschaftsdenkers, sich zu bemühen, all
dieser Schwierigkeiten Herr zu werden und sie hinter sich zu
lassen, um zu einem getreuen Bild der Wirtschaftslehre des
Islam zu gelangen. In diesem Sinne können wir sagen: Die
Tätigkeit, die wir durchführen, ist ein Entdeckungsprozess. Im
Gegensatz dazu führen die ideologischen Vordenker, die ihre
kapitalistische oder sozialistische Ideologie verkünden, die
Tätigkeit der kreativen Synthese und Erfindung der Ideologie
aus. Sowohl der Entdeckungsprozess als auch der synthetische
Prozess haben ihre Besonderheiten und Unterscheidungsmerkmale,
die sich in den ideologischen Untersuchungen widerspiegeln,
die von islamischen “Entdeckern“ bzw. von kapitalistischen
oder sozialistischen “Erfindern“ vorgenommen werden. Die
wichtigste dieser Besonderheiten und Unterscheidungsmerkmale
sind der Ansatz und der Verlauf des jeweiligen Prozesses der
Herausarbeitung der Ideologie. Beim Prozess der Synthese einer
Wirtschaftsideologie, wenn der Aufbau eines theoretischen
Lehrgebäudes für die Gesellschaftsordnung beabsichtigt wird,
ist der Gedankengang natürlich und kontinuierlich, die
allgemeinen Theorien der Wirtschaftsideologie werden direkt
formuliert und dienen dann als Grundlage für sekundäre
Abhandlungen und den Überbau von Gesetzen, die sich wie ein
nächsthöheres Stockwerk auf die Ideologie stützen, etwa das
Zivilgesetz, von dem wir bereits erläutert haben, dass es von
der Ideologie abhängig ist und auf deren Fundament aufbaut.
Das schrittweise Herausgearbeitete bei der Synthese des
Lehrgebäudes ist also ein natürliches Fortschreiten vom Stamm
zu den Zweigen, vom Fundament zum Überbau, oder mit anderen
Worten: von einem bereits vorhandenen Stockwerk des
allgemeinen theoretischen Gebäudes der Gesellschaftslehre zum
nächst höheren Stockwerk. Um eine Wirtschaftsideologie zu
“entdecken“, gehen wir von einem anderen Ansatzpunkt aus und
in umgekehrter Richtung vor, wobei wir vor die Aufgabe
gestellt sind, eine Wirtschaftsideologie herauszufinden, von
der wir insgesamt, bzw. von einigen ihrer Aspekte, keine klare
Vorstellung und keine umrissene Gestalt seitens dessen, der
sie aufgestellt hat, haben, ebenso wie wir nicht wissen, ob
die Ideologie an das Prinzip des kollektiven oder an das des
privaten Eigentums glaubt, und nicht, ob die theoretische
Grundlage für Privateigentum nach der Ideologie die
Bedürftigkeit, die Arbeit oder die freie Ausnutzung aller
Möglichkeiten der Bereicherung ist.
Unter diesen Umständen, solange wir nicht
im Besitz einer eindeutigen schriftlichen Quelle von den
Begründern der Ideologie sind, die deren Unklarheiten
beseitigt, müssen wir nach einer anderen Methode suchen, um
die Ideologie, bzw. deren undurchsichtige Aspekte zu
erforschen. Wir können diese Methode mit Blick auf das
Abhängigkeitsverhältnis zwischen Ideologie und Gesetz, das wir
bereits erläutert haben, näher umschreiben, denn da sich das
Zivilgesetz zur Ideologie wie ein höheres Stockwerk zu dem
Fundament, auf dem es aufbaut, verhält, und aus ihr seine
Tendenz herleitet, ist es möglich, die Ideologie über das
Gesetz herauszufinden, das sich auf jene unbekannte Ideologie
gründet. Beim “Entdeckungsprozess“ müssen also die
Ausstrahlungen der Ideologie im weiteren Umfeld erforscht
werden, d.h. die “Überbauten“ und Auswirkungen in verschiedene
Bereichen, in denen sie sich widerspiegelt, um über diese
Ausstrahlungen und Auswirkungen zu einer präzisen Einschätzung
von Denkweise und Theorie der Wirtschaftsideologie, die sich
hinter diesen Phänomenen verbirgt, zu gelangen. Somit hat der
“Entdeckungsprozess“ den umgekehrten Weg des “synthetischen
Prozesses“ zu verfolgen, vom Überbau ausgehend hin zum
Fundament, d.h. er beginnt mit der Bestandsaufnahme der
Auswirkungen, ordnet diese systematisch, und gewinnt
schließlich ein präzise umrissenes Bild von der Ideologie,
anstatt bei der Formulierung der Ideologie anzusetzen und dann
zur detaillierten Untersuchung von deren Auswirkungen
überzugehen. Genauso gehen wir vor, wenn wir die islamische
Wirtschaftsideologie herausfinden wollen, oder, richtiger
ausgedrückt, bei einem großen Teil davon, denn es gibt
durchaus einige Aspekte der Wirtschaftsideologie im Islam, die
sich direkt aus den Textquellen herauslesen lassen, aber es
gibt darüber hinaus eine Anzahl grundsätzlicher Theorien und
Konzepte, welche die Wirtschaftsideologie ausmachen, und die
nicht leicht aus den Textquellen zu erschließen sind. Letztere
lassen sich nur auf indirektem Wege herausarbeiten, d.h. mit
Hilfe der oberen Stockwerke des erhabenen Gebäudes des Islam,
und indem man den Bestimmungen nachgeht, mit denen der Islam
die wirtschaftlichen Pflichten und Rechte regelt. Wir gehen
also vom Überbau aus und gelangen stufenweise zum
nächsttieferen Stockwerk, weil wir etwas “entdecken“ wollen.
Wer dagegen eine kreative Synthese durchführt, versucht ein
Gebäude zu errichten, nicht es zu entdecken, und steigt vom
ersten zum zweiten Stockwerk auf, weil seine Tätigkeit die des
Aufbaus und der Gestaltung ist und beim Aufbauprozess das
zweite Stockwerk immer später als das erste entsteht. So
unterscheidet sich bereits unsere Ausgangsposition von der der
ideologischen Vordenker des Kapitalismus oder Sozialismus, ja
sie ist sogar anders als die Situation derjenigen, die die
kapitalistischen oder sozialistischen Ideologie studieren, um
deren Merkmale herauszufinden und zu definieren, denn jene
können die besagten Ideologien auf direktem Wege untersuchen,
indem sie sich an die allgemeinen Konzepte halten, wie sie von
den Vordenkern dieser Ideologien seinerzeit verkündet worden
sind. So brauchen wir nicht, um beispielsweise die
Wirtschaftslehre von Adam Smith zu verstehen, seine Gedanken
über das Zivilgesetz, oder die Methode, die für die Regelung
der Pflichten und Rechte bevorzugt, zu studieren, sondern
können uns von Anfang an mit seinen wirtschaftsideologischen
Gedanken befassen. Im Gegensatz dazu können wir bei vielen
Teilen der Wirtschaftsideologie, für die der Islam eintritt,
wenn wir sie verstehen wollen, keine präzisen Formeln dafür in
den islamischen kanonischen Quellen finden, wie im Falle der
kapitalistischen Lehrsätze bei Adam Smith, und sind von der
Natur der Sache her gezwungen, uns an die Auswirkungen der
Ideologie zu halten, und diese anhand ihrer Charakteristika,
die sich in den oberen Stockwerken des erhabenen Gebäudes des
Islam widerspiegeln, indirekt herausarbeiten.
Aus diesem Grund erscheint die Art und
Weise, mit der der islamische Denker die islamische
Wirtschaftsideologie erforscht, manchmal wie auf den Kopf
gestellt, oder es scheint, als ob er Ideologie und Zivilgesetz
nicht auseinander halte, wenn er islamische Bestimmungen als
Gegenstück eines Zivilgesetzes heranzieht, um die
Wirtschaftslehre des Islam zu untersuchen. Tatsächlich geht er
aber korrekt vor, solange er diese Bestimmungen als Überbau
der Ideologie anführt, mir deren Hilfe diese herausgefunden
werden kann, und nicht als die Wirtschaftsideologie oder die
wirtschaftlichen Theorien des Islam selbst präsentiert.