Natürliche Wasservorkommen
Es gibt zwei
Kategorien natürlicher Wasservorkommen: Einmal die offenen
Vorkommen, die Allah für den Menschen auf der Oberfläche der
Erde bereitgestellt hat, wie die Meere, Flüsse und natürliche
Quellen; und anderseits die in den Tiefen der Erde
gespeicherten Vorkommen, die sich der Mensch nur durch Mühe
und Arbeit zugänglich machen kann, wie das Wasser der Brunnen,
die der Mensch gräbt, um zu den Wasseradern in der Tiefe
vorzustoßen. Die erstere Kategorie von Wasservorkommen gehört
zu den Gütern, an denen alle Menschen Anteil haben, und
gemeinschaftliche Güter sind solche natürlichen Reichtümer,
deren ausschließliche Aneignung der Islam keiner Privatperson
gestattet. Er erlaubt lediglich jedem Einzelnen davon zu
profitieren, bei gleichzeitiger Bewahrung des prinzipiell
kollektiven Rechtsstatus des Gutes. Das Meer oder natürliche
Wasserläufe können also nicht zum privaten Eigentum Einzelner
werden, sondern stehen jedermann zur Nutzung frei, mithin
können wir feststellen, dass die offenen natürlichen
Wasservorkommen dem Prinzip des “Eigentums der Gemeinschaft“
unterliegen.
Wenn eine Person eine beliebige Menge in einem Gefäß, gleich
welcher Art, auffängt dann gehört ihr die aufgefangene Menge.
Ob sie es mit einem Gefäß aus dem Fluss schöpft, oder mit
einem Gerät diesem entzieht, oder in legitimer Art und Weise
eine Grube aushebt und diese mit dem Fluss verbindet, das
Wasser, welches das Gefäß aufnimmt, oder welches das Gerät dem
Fluss entzieht, oder welches sich in der Grube ansammelt, wird
durch die Inbesitznahme zum Eigentum der betreffenden Person.
Ohne das Auffangen und die dazu erforderliche Arbeit gehört
ihr dagegen nichts von dem Wasser, was Scheich Tusi in dem
Buch “al-Mabsut“ bestätigt, in dem er schreibt: „Das Wasser
des Meeres und der großen Flüsse, wie etwa des Tigris und des
Euphrat, oder das der Quellen, die auf dem Ödland des Gebirges
und der Ebene entspringen, steht alles jedermann frei, und
jeder Einzelne kann davon, soviel er will und wie er will,
verwenden, worüber es keine Meinungsverschiedenheiten der
Rechtsgelehrten gibt, denn man beruft sich auf den von Ibn
Abbas überlieferten Ausspruch von Allahs Gesandtem (s.): 'Den
Menschen gehören drei Dinge gemeinsam: Wasser, Feuer und
Weideland.': Und auch wenn dieses Wasser reichlich
vorhanden ist, so dass es auf die Besitztümer einzelner
Menschen überfließt und sich dort ansammelt, wird es nicht zu
deren Eigentum.“
Die Grundlage
der Aneignung von soviel Wasser, wie eine Person sich aus
diesen Quellen verschaffen kann, ist also die Arbeit; wenn
aber etwas von diesem Wasser in die Gewalt einer Person
gelangt, indem es ohne deren Zutun von einem Fluss auf ihr
Gebiet überfließt, so rechtfertigt das nicht, dass sie es
aneignet, vielmehr bleibt das Wasser solange jedermann
zugänglich, wie zu einer Inbesitznahme keine Arbeit
aufgewendet worden ist. Auch die natürlichen Wasservorkommen
der zweiten Kategorie, nämlich solche, die im Inneren der Erde
gespeichert und verborgen sind, kann niemand für sich
beanspruchen, der nicht Arbeit verrichtet, um sie zu erhalten,
bzw. um sie durch Ausgrabung von Brunnen zu erhalten. Dann
entsteht für ihn ein Anrecht auf die entdeckte Quelle, das ihm
erlaubt, sie zu nutzen und andere davon abzuhalten, ihn dabei
zu stören. Denn er ist es, der durch seine Arbeit die
Gelegenheit zur Nutzung dieser Quelle geschaffen hat, also hat
er das Recht, von dieser Gelegenheit zu profitieren, und ein
anderer, der an seiner Arbeit zur Schaffung dieser Gelegenheit
keinen Anteil hatte, darf ihm deren Nutzung nicht streitig
machen. Daher wird er vorrangig befugt, die Quelle zu nutzen,
und alles Wasser, was er daraus hervorholt, gehört ihm, denn
dies ist eine Art von aktiver Inbesitznahme. Aber ihm gehört
nicht die Quelle selbst in den Tiefen der Erde, bevor er deren
Wasser nicht durch seine Arbeit in seinen Besitz gebracht hat,
deshalb ist er verpflichtet, das überzählige Wasser anderen
zur Verfügung zu stellen, wenn er seinen Bedarf gedeckt hat,
und er darf von ihnen keinerlei materielle Vergütung dafür
verlangen, wenn sie es trinken oder ihre Tiere damit tränken;
denn das Wasser gehört auch dann zu den gemeinschaftlichen
Gütern, während derjenige, der es durch seine Arbeit entdeckt
hat, nur das vorrangige Nutzungsrecht erhält. Wenn er also
seinen Bedarf gedeckt hat, haben auch andere ein Recht auf
dessen Nutzung. So heißt es in einer Überlieferung, den Abu
Baschir unter Berufung auf Imam al-Sadiq (a.) überliefert hat,
dass Allahs Gesandter (s.) die Praktiken des “Nitaf“ und des
“Arba´a“ verboten und gesagt habe: „Verkaufe das Wasser
nicht, sondern stelle es deinem Nachbarn oder deinem Bruder
unentgeltlich zur Verfügung.“ Unter “Arba´a“ versteht man,
dass man ein Speicherbecken anlegt, welches das Wasser
aufnimmt, so dass man sein Land bewässert, und danach auf den
Überschuss verzichtet. Und “Nitaf“ bedeutet, dass der, der
eine Quelle erschlossen hat, davon trinkt, und dann auf den
Überschuss verzichtet. In einer anderen Überlieferung, die
ebenfalls auf Imam al-Sadiq (a.) zurückgeht, heißt es:
„“Nitaf“
bedeutet, von dem Wasser zu trinken; und wenn man nicht mehr
davon braucht, dann hat man nicht das Recht, es seinem
Nachbarn, dem man es überlässt, zu verkaufen. Und was das
gespeicherte “Arba´a“-Wasser betrifft, welches sein Besitzer
entbehren kann, so sagte der Prophet: 'Er soll es seinem
Nachbarn kostenlos überlassen und es ihm nicht verkaufen'.“
Auch Scheich
Tusi bestätigt in seinem “Mabsut“ was wir angeführt haben, und
erläutert, dass die Beziehung der Person zu der Wasserquelle,
die sie entdeckt hat, die eines Anrechtes und nicht des
Eigentums ist, obwohl ihr nach seiner Meinung der Brunnen,
d.h. die Ausgrabung, die sie vorgenommen hat, um damit das
Wasser zu erreichen, gehört. So schreibt er: „Immer wenn
wir sagen, dass jemandem ein Brunnen gehört, so bedeutet das,
er hat das Vorrecht auf soviel von dessen Wasser, wie er zum
Trinken, zum Tränken seines Viehs und für die Bewässerung
seiner Felder benötigt, und wenn danach etwas übrig bleibt,
ist er verpflichtet, es jedem, der es für sich selbst zum
Trinken und zum Tränken seines Viehs braucht, unentgeltlich
zur Verfügung stellen ... Aber von all dem Wasser, das er in
Besitz genommen und in seinen Gefäßen und Töpfen, in seinem
Teich oder Brunnen – d.h. einer Grube, die nicht der Förderung
des Rohstoffes Wasser dient – oder in seinem Speicherbecken
oder dergleichen gesammelt hat, braucht er nichts abzugeben,
auch wenn es seinen eigenen Bedarf übersteigt. Darüber gibt es
keine Meinungsverschiedenheit der Rechtsgelehrten, denn
solches Wasser gilt nicht mehr als Rohstoff.“ Der Rohstoff
Wasser in seiner Eigenschaft als natürliche Produktionsquelle
kann also von einem Einzelnen nicht anderen vorenthalten
werden, solange sich die Nutzung der anderen in Grenzen hält,
die sein eigenes Recht nicht beeinträchtigen, denn auch nach
der letztgenannten Auffassung wird er nicht zum Eigentümer des
gesamten entdeckten Rohstoffes, sondern hat nur ein
vorrangiges Anrecht darauf, weil er die Gelegenheit zur
Nutzung dieses Rohstoffes geschaffen hat. Er muss also den
anderen die Nutzung des Rohstoffes Wasser in dem Maße
gestatten, wie sein eigenes Recht nicht verletzt wird.