Nachträgliche Rechtfertigung der realen Praxis
Eine
Manipulation zur Rechtfertigung der realen Praxis liegt vor,
wenn der Interpret – absichtlich oder unabsichtlich –
versucht, die Textquellen zu verdrehen, und sie auf eine
besondere Weise zu verstehen, so dass sie die verwerfliche
reale Praxis, die der Interpret in seiner Umgebung erlebt,
rechtfertigen und als unvermeidliche Notwendigkeit erscheinen
lassen. So verhalten sich manche islamische Denker, die sich
mit der Realität, mit der sie leben, abgefunden haben, und
sich bemühen, die für diese Frage relevanten islamischen
Textquellen der Realität anzupassen, anstatt angesichts der
Texte über eine Veränderung der realen Lage nachzudenken. Da
werden z.B. Belegstellen für das Verbot von Zinsgeschäften
uminterpretiert, und man kommt zu Ergebnissen, die sich mit
der verwerflichen realen Praxis vereinbaren lassen, nämlich
dass der Islam die Zinsnahme erlaube, solange sie nicht ein
Mehrfaches des verliehenen Betrages ausmacht, dass sie also
nur verboten sei, wenn sie eine exzessive Höhe erreicht, die
jedes vernünftige Maß übersteigt, wie es in dem edlen Vers des
Heiligen Qur´an heißt:
„Oh ihr
diejenigen, die überzeugt sind, verzehrt nicht den
Mehrungszins in mehrfacher Verdoppelung, sondern fürchtet
Allah; vielleicht werdet ihr erfolgreich sein.“
Dabei
verstehen diese Interpreten unter “vernünftige Grenzen“ jenes
Maß, an das sie aus dem realen Leben in ihrer Gesellschaft
gewöhnt sind. Und ihre eigene Fixiertheit auf die Realität
hält sie davon ab, die Absicht dieses edlen Verses richtig zu
verstehen, der nicht darauf abzielt, das Nehmen von Zinsen zu
gestatten, die nicht den verliehenen Betrag übersteigen,
sondern der die Zinsnehmer darauf aufmerksam machen will,
welch schlimme Folgen die Zinsgeschäfte haben können, nämlich
dass der Schuldner mit einem Mehrfachen des ausgeliehenen
Betrages belastet werden kann, weil sich Zins und Zinseszins
anhäufen und das Zinskapital in abnormer Weise kontinuierlich
anwächst, während gleichzeitig der Schuldner mehr und mehr ins
Elend und schließlich in den Ruin getrieben wird. Wenn diese
Interpretation aufrichtig nach den Prinzipien des Heiligen
Qur´an leben wollten, und fern von den falschen Eingebungen
der realen Umwelt und deren Versuchungen, würden sie
bestimmtes Wort Allahs
„Und
wenn ihr von eurem Tun ablasst, so steht euch euer
Grundkapital zu, und ihr tut weder Unrecht, noch wird euch
Unrecht getan“,
gelesen haben,
und hätten verstanden, dass es bei dem Zinsverbot des Heiligen
Qur´ans nicht darum geht, eine besondere Spielart von
Zinsgeschäften der vorislamischen Zeit zu bekämpfen, durch die
sich die Schuldner oft vervielfachten, sondern es handelt sich
um eine Frage der wirtschaftlichen Ideologie und deren
besondere Theorie über das Kapital.
Die islamische
Wirtschaftsideologie setzt bestimmte Bedingungen fest, unter
denen eine Vermehrung des Kapitals gerechtfertigt ist, und
verurteilt jede noch so geringe Kapitalvermehrung unter
anderen als diesen Voraussetzungen. Ebenso verpflichtet sie
den Kreditgeber, sich mit der Rückzahlung seines verliehenen
Kapitals zufriedenzugeben, so dass weder er jemandem Unrecht
tut, noch ihm Unrecht geschieht.