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Unsere Wirtschaft / Iqtisaduna

Muhammad Baqir al-Sadr

Nachträgliche Rechtfertigung der realen Praxis

Eine Manipulation zur Rechtfertigung der realen Praxis liegt vor, wenn der Interpret – absichtlich oder unabsichtlich – versucht, die Textquellen zu verdrehen, und sie auf eine besondere Weise zu verstehen, so dass sie die verwerfliche reale Praxis, die der Interpret in seiner Umgebung erlebt, rechtfertigen und als unvermeidliche Notwendigkeit erscheinen lassen. So verhalten sich manche islamische Denker, die sich mit der Realität, mit der sie leben, abgefunden haben, und sich bemühen, die für diese Frage relevanten islamischen Textquellen der Realität anzupassen, anstatt angesichts der Texte über eine Veränderung der realen Lage nachzudenken. Da werden z.B. Belegstellen für das Verbot von Zinsgeschäften uminterpretiert, und man kommt zu Ergebnissen, die sich mit der verwerflichen realen Praxis vereinbaren lassen, nämlich dass der Islam die Zinsnahme erlaube, solange sie nicht ein Mehrfaches des verliehenen Betrages ausmacht, dass sie also nur verboten sei, wenn sie eine exzessive Höhe erreicht, die jedes vernünftige Maß übersteigt, wie es in dem edlen Vers des Heiligen Qur´an heißt:

Oh ihr diejenigen, die überzeugt sind, verzehrt nicht den Mehrungszins in mehrfacher Verdoppelung, sondern fürchtet Allah; vielleicht werdet ihr erfolgreich sein.[1]

Dabei verstehen diese Interpreten unter “vernünftige Grenzen“ jenes Maß, an das sie aus dem realen Leben in ihrer Gesellschaft gewöhnt sind. Und ihre eigene Fixiertheit auf die Realität hält sie davon ab, die Absicht dieses edlen Verses richtig zu verstehen, der nicht darauf abzielt, das Nehmen von Zinsen zu gestatten, die nicht den verliehenen Betrag übersteigen, sondern der die Zinsnehmer darauf aufmerksam machen will, welch schlimme Folgen die Zinsgeschäfte haben können, nämlich dass der Schuldner mit einem Mehrfachen des ausgeliehenen Betrages belastet werden kann, weil sich Zins und Zinseszins anhäufen und das Zinskapital in abnormer Weise kontinuierlich anwächst, während gleichzeitig der Schuldner mehr und mehr ins Elend und schließlich in den Ruin getrieben wird. Wenn diese Interpretation aufrichtig nach den Prinzipien des Heiligen Qur´an leben wollten, und fern von den falschen Eingebungen der realen Umwelt und deren Versuchungen, würden sie bestimmtes Wort Allahs

Und wenn ihr von eurem Tun ablasst, so steht euch euer Grundkapital zu, und ihr tut weder Unrecht, noch wird euch Unrecht getan[2],

gelesen haben, und hätten verstanden, dass es bei dem Zinsverbot des Heiligen Qur´ans nicht darum geht, eine besondere Spielart von Zinsgeschäften der vorislamischen Zeit zu bekämpfen, durch die sich die Schuldner oft vervielfachten, sondern es handelt sich um eine Frage der wirtschaftlichen Ideologie und deren besondere Theorie über das Kapital.

Die islamische Wirtschaftsideologie setzt bestimmte Bedingungen fest, unter denen eine Vermehrung des Kapitals gerechtfertigt ist, und verurteilt jede noch so geringe Kapitalvermehrung unter anderen als diesen Voraussetzungen. Ebenso verpflichtet sie den Kreditgeber, sich mit der Rückzahlung seines verliehenen Kapitals zufriedenzugeben, so dass weder er jemandem Unrecht tut, noch ihm Unrecht geschieht.

[1] Heiliger Qur´an 3:130

[2] Heiliger Qur´an 2:279

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