Unsere Wirtschaft

Unsere Wirtschaft / Iqtisaduna

Muhammad Baqir al-Sadr

Islamisches Verständnis von Handel

Aus einer Untersuchung der Textquellen, welche diesbezügliche Bestimmungen und Vorstellungen enthalten, und von deren allgemeiner gesetzgeberischer Tendenz geht hervor, dass nach der Sichtweise des Islam der Handel im Prinzip als ein Teilbereich der Produktion gilt, und nicht von deren allgemeinem Bereich abgesondert werden soll. Dieses Verständnis des Islam vom Handel, welches wir in einer Anzahl von Textquellen und Bestimmungen bemerken werden, befindet sich ganz im Einklang mit der historischen Entstehungsgeschichte des Handels und den objektiven Bedürfnissen, die ihn hervorbrachten. Denn höchstwahrscheinlich gab es in den Gesellschaften, in denen sich der Einzelne zur Befriedigung seiner einfachen Bedürfnisse gewöhnlich mit dem begnügte, was er selbst direkt erzeugte, keinen Handel in größerem Umfang, weil der Mensch, der in solcher Selbstgenügsamkeit lebte, im allgemeinen kein Bedürfnis nach den Erzeugnissen einer anderen Person empfand, so dass er mit dieser anderen Person eine Art von Handel oder Austausch hätte vornehmen sollen. Vielmehr entstand der Handel im Leben des Mensch als Ergebnis der Arbeitsteilung, die dazu führte, dass jeder Einzelne in einem bestimmten Teilbereich der Produktion tätig wurde, wobei er in diesem Bereich eine seinen eigenen Bedarf übersteigende Menge produzierte, und danach Waren seines Bedarfes von deren Produzenten auf dem Wege des Austausches erhielt, indem er ihnen deren Bedarf an seinen Erzeugnissen im Tausch gegen deren Erzeugnisse überließ. Die Differenzierung und Vervielfältigung der Bedürfnisse machte diese Form der Arbeitsteilung erforderlich, und führte daraufhin zur Ausbreitung des Handels und zu dessen weitverbreiteter Existenz im Wirtschaftsleben. So beschränkte sich z.B. der Erzeuger von Weizen auf dessen Produktion, und deckte seinen Bedarf an Wolle, indem er die seinen Eigenbedarf an Weizen übersteigende Menge zu dem Erzeuger von Wolle brachte, der seinerseits Weizen benötigte, und diesem dessen Bedarf an Weizen aushändigte, wofür er im Gegenzug die gewünschte Menge an Wolle erhielt. Wir bemerken an diesem Beispiel, dass sich der Erzeuger von Weizen direkt mit dem Verbraucher in Verbindung setzt, wie auch der Hirte, in seiner Eigenschaft als Erzeuger von Wolle, ohne Mittelsmann für den Austauschvorgang mit dem Verbraucher der Wolle zusammentrifft. Der Verbraucher ist also –entsprechend diesem Bild – immer auch als Produzent anzusehen.

Später entwickelte sich der Warentausch weiter, und es entstand ein Mittelsmann zwischen dem Produzenten und dem Verbraucher, was dazu führte, dass der Erzeuger von Wolle diese nicht mehr direkt an den Erzeuger von Weizen verkaufte, wie in unserem oben angeführten Beispiel, sondern dass eine dritte Person als Mittler zwischen beiden auftrat und die produzierte Menge von Wolle kaufte, nicht um sie für seinen Eigenbedarf zu verwenden, sondern um sie für die Verbraucher bereitzustellen und zugänglich zu machen. Der Erzeuger von Weizen begann, anstatt, wie ursprünglich, direkt mit dem Erzeuger von Wolle zusammenzutreffen, sich an diesen Mittelsmann zu wenden, der die Wolle auf dem Markt für den Verbraucher bereithielt, und sich mit ihm über den Kauf zu einigen. So entstanden die Handelstransaktionen, und der Mittelsmann ersparte den Produzenten und Verbrauchern bald viel Zeit und Mühe.

Anhand dieser Erläuterung erkennen wir, dass dem Warentausch oder der Eigentumsübertragung in beiden Fällen – sowohl im Falle des direkten Zusammentreffens der beiden Erzeuger, als auch, wenn ein Händler die Rolle des Mittelsmannes spielt – eine produktive Handlung desjenigen vorausgeht, der das Eigentumsrecht an dem Gut einem anderen überträgt und dafür den entsprechenden Preis erhält. Im ersteren Fall produziert eine Person selbst die Wolle und verkauft sie dann, d.h. sie überträgt deren Eigentum einer anderen Person gegen ein Entgelt. Und im zweiten Fall übernimmt ein Mittelsmann die Tätigkeit des Transports der Wolle zum Markt, deren Aufbewahrung und deren Bereitstellung für den Verbraucher, wann immer er sie zu kaufen wünscht. Dies ist eine Art von produktiver Tätigkeit, wie wir soeben festgestellt haben. Das bedeutet, dass die Vorteile, die dem Verkäufer durch die Übertragung des Eigentums an Gütern an einen anderen gegen Entgelt entstehen – wir wollen sie von nun an als “Gewinn“ bezeichnen – das Ergebnis einer produktiven Handlung sind, welche der Verkäufer ausführt, und nicht das Ergebnis der Eigentumsübertragung selbst. Aber die Dominanz egoistischer Antriebe über den Handel führte zu dessen Umwandlung und Abweichung von seiner natürlichen Funktion, die das Ergebnis eines objektiven und gesunden Bedürfnisses gewesen war, und dies geschah speziell im Zeitalter des modernen Kapitalismus. Daraus ergab sich in vielen Fällen eine Trennung des Handels und Warentausches von der Produktion, die Übertragung von Eigentum wurde zu einer Transaktion als Selbstzweck, ohne dass dieser irgendeine produktive Tätigkeit seitens des Händlers vorausging, und wurde nur ausgeführt, um Vorteile und Gewinne zu erlangen. Während zuvor der Handel in seiner Eigenschaft als Teilbereich der Produktion Quelle solcher Vorteile und Gewinne gewesen war, erhielt er nun schon als bloße juristische Transaktion der Eigentumsübertragung diese Funktion. Daher bemerken wir beim kapitalistischen Handel, dass sich die juristischen Vorgänge der Eigentumsübertragung bei einem einzigen Gut als Folge der zahlreichen Mittelsmänner zwischen dem Produzenten und dem Verbraucher vervielfachen, und zwar zu keinem anderen Zweck, als dass eine möglichst große Anzahl von kapitalistischen Händlern aus diesen Transaktionen Gewinne und Einkünfte bezieht. Natürlich lehnt der Islam diese kapitalistische Pervertierung der Handelstransaktionen ab, weil sie seinem Verständnis von Handel, welches diesen als Teil der Produktion ansieht, wie bereits gesagt wurde, widerspricht. Daher behandelt und regelt er die Fragen des Handels immer im Lichte seiner speziellen Einstellungen zum Handel, und tendiert bei seinen gesetzlichen Regelungen der Austauschvereinbarungen dazu, den Handel nicht eindeutig von der Produktion zu trennen.

© seit 2006 - m-haditec GmbH - info@eslam.de