Islamisches Verständnis von Handel
Aus einer Untersuchung der Textquellen,
welche diesbezügliche Bestimmungen und Vorstellungen
enthalten, und von deren allgemeiner gesetzgeberischer Tendenz
geht hervor, dass nach der Sichtweise des Islam der Handel im
Prinzip als ein Teilbereich der Produktion gilt, und nicht von
deren allgemeinem Bereich abgesondert werden soll. Dieses
Verständnis des Islam vom Handel, welches wir in einer Anzahl
von Textquellen und Bestimmungen bemerken werden, befindet
sich ganz im Einklang mit der historischen
Entstehungsgeschichte des Handels und den objektiven
Bedürfnissen, die ihn hervorbrachten. Denn
höchstwahrscheinlich gab es in den Gesellschaften, in denen
sich der Einzelne zur Befriedigung seiner einfachen
Bedürfnisse gewöhnlich mit dem begnügte, was er selbst direkt
erzeugte, keinen Handel in größerem Umfang, weil der Mensch,
der in solcher Selbstgenügsamkeit lebte, im allgemeinen kein
Bedürfnis nach den Erzeugnissen einer anderen Person empfand,
so dass er mit dieser anderen Person eine Art von Handel oder
Austausch hätte vornehmen sollen. Vielmehr entstand der Handel
im Leben des Mensch als Ergebnis der Arbeitsteilung, die dazu
führte, dass jeder Einzelne in einem bestimmten Teilbereich
der Produktion tätig wurde, wobei er in diesem Bereich eine
seinen eigenen Bedarf übersteigende Menge produzierte, und
danach Waren seines Bedarfes von deren Produzenten auf dem
Wege des Austausches erhielt, indem er ihnen deren Bedarf an
seinen Erzeugnissen im Tausch gegen deren Erzeugnisse
überließ. Die Differenzierung und Vervielfältigung der
Bedürfnisse machte diese Form der Arbeitsteilung erforderlich,
und führte daraufhin zur Ausbreitung des Handels und zu dessen
weitverbreiteter Existenz im Wirtschaftsleben. So beschränkte
sich z.B. der Erzeuger von Weizen auf dessen Produktion, und
deckte seinen Bedarf an Wolle, indem er die seinen Eigenbedarf
an Weizen übersteigende Menge zu dem Erzeuger von Wolle
brachte, der seinerseits Weizen benötigte, und diesem dessen
Bedarf an Weizen aushändigte, wofür er im Gegenzug die
gewünschte Menge an Wolle erhielt. Wir bemerken an diesem
Beispiel, dass sich der Erzeuger von Weizen direkt mit dem
Verbraucher in Verbindung setzt, wie auch der Hirte, in seiner
Eigenschaft als Erzeuger von Wolle, ohne Mittelsmann für den
Austauschvorgang mit dem Verbraucher der Wolle zusammentrifft.
Der Verbraucher ist also –entsprechend diesem Bild – immer
auch als Produzent anzusehen.
Später entwickelte sich der Warentausch
weiter, und es entstand ein Mittelsmann zwischen dem
Produzenten und dem Verbraucher, was dazu führte, dass der
Erzeuger von Wolle diese nicht mehr direkt an den Erzeuger von
Weizen verkaufte, wie in unserem oben angeführten Beispiel,
sondern dass eine dritte Person als Mittler zwischen beiden
auftrat und die produzierte Menge von Wolle kaufte, nicht um
sie für seinen Eigenbedarf zu verwenden, sondern um sie für
die Verbraucher bereitzustellen und zugänglich zu machen. Der
Erzeuger von Weizen begann, anstatt, wie ursprünglich, direkt
mit dem Erzeuger von Wolle zusammenzutreffen, sich an diesen
Mittelsmann zu wenden, der die Wolle auf dem Markt für den
Verbraucher bereithielt, und sich mit ihm über den Kauf zu
einigen. So entstanden die Handelstransaktionen, und der
Mittelsmann ersparte den Produzenten und Verbrauchern bald
viel Zeit und Mühe.
Anhand dieser Erläuterung erkennen wir,
dass dem Warentausch oder der Eigentumsübertragung in beiden
Fällen – sowohl im Falle des direkten Zusammentreffens der
beiden Erzeuger, als auch, wenn ein Händler die Rolle des
Mittelsmannes spielt – eine produktive Handlung desjenigen
vorausgeht, der das Eigentumsrecht an dem Gut einem anderen
überträgt und dafür den entsprechenden Preis erhält. Im
ersteren Fall produziert eine Person selbst die Wolle und
verkauft sie dann, d.h. sie überträgt deren Eigentum einer
anderen Person gegen ein Entgelt. Und im zweiten Fall
übernimmt ein Mittelsmann die Tätigkeit des Transports der
Wolle zum Markt, deren Aufbewahrung und deren Bereitstellung
für den Verbraucher, wann immer er sie zu kaufen wünscht. Dies
ist eine Art von produktiver Tätigkeit, wie wir soeben
festgestellt haben. Das bedeutet, dass die Vorteile, die dem
Verkäufer durch die Übertragung des Eigentums an Gütern an
einen anderen gegen Entgelt entstehen – wir wollen sie von nun
an als “Gewinn“ bezeichnen – das Ergebnis einer produktiven
Handlung sind, welche der Verkäufer ausführt, und nicht das
Ergebnis der Eigentumsübertragung selbst. Aber die Dominanz
egoistischer Antriebe über den Handel führte zu dessen
Umwandlung und Abweichung von seiner natürlichen Funktion, die
das Ergebnis eines objektiven und gesunden Bedürfnisses
gewesen war, und dies geschah speziell im Zeitalter des
modernen Kapitalismus. Daraus ergab sich in vielen Fällen eine
Trennung des Handels und Warentausches von der Produktion, die
Übertragung von Eigentum wurde zu einer Transaktion als
Selbstzweck, ohne dass dieser irgendeine produktive Tätigkeit
seitens des Händlers vorausging, und wurde nur ausgeführt, um
Vorteile und Gewinne zu erlangen. Während zuvor der Handel in
seiner Eigenschaft als Teilbereich der Produktion Quelle
solcher Vorteile und Gewinne gewesen war, erhielt er nun schon
als bloße juristische Transaktion der Eigentumsübertragung
diese Funktion. Daher bemerken wir beim kapitalistischen
Handel, dass sich die juristischen Vorgänge der
Eigentumsübertragung bei einem einzigen Gut als Folge der
zahlreichen Mittelsmänner zwischen dem Produzenten und dem
Verbraucher vervielfachen, und zwar zu keinem anderen Zweck,
als dass eine möglichst große Anzahl von kapitalistischen
Händlern aus diesen Transaktionen Gewinne und Einkünfte
bezieht. Natürlich lehnt der Islam diese kapitalistische
Pervertierung der Handelstransaktionen ab, weil sie seinem
Verständnis von Handel, welches diesen als Teil der Produktion
ansieht, wie bereits gesagt wurde, widerspricht. Daher
behandelt und regelt er die Fragen des Handels immer im Lichte
seiner speziellen Einstellungen zum Handel, und tendiert bei
seinen gesetzlichen Regelungen der Austauschvereinbarungen
dazu, den Handel nicht eindeutig von der Produktion zu
trennen.