Unsere Wirtschaft

Unsere Wirtschaft / Iqtisaduna

Muhammad Baqir al-Sadr

Instrumente des Islam im gesetzgeberischen Bereich

Was den gesetzgeberischen Aspekt betrifft, so gibt es gesetzliche Bestimmungen des Islam in vielen Bereichen, die im Einklang mit dem Prinzip der Entwicklung der Produktion stehen, zu dem sich die islamische Wirtschaftslehre bekennt, und dessen Umsetzung in die Praxis sie fördert. Im Folgenden führen wir einige dieser Gesetzgebungen und Bestimmungen an:

1) Der Islam schreibt vor, dass das Land seinem Besitzer weggenommen wird, wenn er es brachliegen lässt und vernachlässigt, bis es verwahrlost, und sich weigert, es zu kultivieren. Demzufolge beschlagnahmt der verantwortliche Befehlshaber [wali-ul-amr] in so einem Fall das Land, und nutzt es so, wie er es für richtig hält, denn die aktive Rolle des Landes bei der Produktion darf nicht außer Kraft gesetzt werden, sondern es muss immer ein starker Faktor bleiben, der zum Wohlstand des Menschen und zur Erleichterung seines Lebens beiträgt. Wenn also ein persönliches Anrecht verhindert, dass es diese Aufgabe erfüllt, dann wird dieses Recht annulliert und in einer Weise modifiziert, dass das Land produktiv genutzt werden kann.

2) Der Islam verbietet Hima[1], d.h. die Beschlagnahmung einer Fläche vom Ödland und deren “Schutz“ mit Gewalt, ohne für dessen Erschließung und Nutzbarmachung eine Arbeit zu verrichten, und macht ein Anrecht auf Land von dessen Urbarmachung und vergleichbaren Tätigkeiten abhängig, unter Ausschluss von Handlungen der Gewalt, die nichts mit der Produktion und der Nutzung des Landes zum Wohle des Menschen zu tun haben.

3) Der Islam gewährt den Personen, die mit den Erschließungsarbeiten an natürlichen Produktionsquellen begonnen haben, nicht das Recht, jene Ressourcen zu blockieren und die Arbeit ihrer Erschließung zu unterbrechen, und erlaubt ihnen nicht, ihr dortiges Nutzungsrecht zu bewahren, falls sie die Fortsetzung der Arbeit zu diesem Zweck verzögern, denn deren anhaltende Verfügungsgewalt darüber würde in so einem Fall dazu führen, dass der Produktion die Potentiale und Möglichkeiten dieser Ressourcen vorenthalten werden. Daher ist im Islam der verantwortliche Befehlshaber [wali-ul-amr] gehalten, jene Produktionsquellen ihren Besitzern wegzunehmen, wenn sie ihre Arbeiten zu deren Erschließung unterbrechen, und sich nicht zur Weiterführung ihrer Arbeit bewegen lassen.

4) Der Islam gestattet es dem verantwortlichen Befehlshaber [wali-ul-amr] nicht, einer Person natürliche Produktionsquellen in größerem Umfang zuzuteilen, als diese Person nutzen und bearbeiten kann, denn eine Zuteilung über deren Arbeitskraft hinaus würde bedeuten, dass die Reichtümer der Natur und deren produktive Möglichkeiten verschwendet würden.

5) Der Islam verbietet Einkünfte ohne Arbeit, etwa indem eine Person Land pachtet und für eine höhere Gebühr weiterverpachtet, um die Differenz zwischen den beiden Gebühren einzubehalten, und ähnliche Möglichkeiten, die wir an früherer Stelle besprochen haben. Es leuchtet ein, dass die Verhinderung der Rolle eines solchen Mittelsmannes zwischen dem Landeigentümer und dem Landarbeiter, der die Kultivierung tatsächlich durchführt, der Produktion zugute kommt, denn der Mittelsmann spielt keinerlei positive Rolle bei der Produktion, sondern lebt nur auf Kosten der Produktion, ohne irgendeinen Beitrag zu leisten.

6) Der Islam verbietet die Zinsnahme und verhindert, dass Kapital für Zinsgeschäfte verwendet wird, womit er gewährleistet, dass in der islamischen Gesellschaft das vorhandene Kapital in produktives Kapital verwandelt wird, das an industriellen und Handelsunternehmen beteiligt ist. Diese Umwandlung hat zwei vorteilhafte Auswirkungen auf die Produktion:

Der eine Vorteil ist die Aufhebung des scharfen Gegensatzes zwischen den Interessen des Handels und der Industrie einerseits, und den Interessen des Zinskapitals anderseits. Denn in solchen Gesellschaften, die Zinsen legitimieren, warten die Kapitaleigner immer auf die goldene Gelegenheit, dass sich der Bedarf des Handels und der Industrie nach Kapital verschärft und deren Nachfrage zunimmt, um dann den Zinssatz zu erhöhen und ihr Kapital festzuhalten, bis sie den höchstmöglichen Preis dafür erzielen. Wenn aber die Nachfrage nach Kapital seitens der Geschäftsleute nachlässt und sich ihr Bedarf danach verringert, dann können wir beobachten, wie die Kapitaleigner ihre Gelder voller Freigebigkeit und zu den bescheidensten Zinssätzen anbieten. Es wird deutlich, dass die Abschaffung von Zinsen diesem Widerspruch, der in der kapitalistischen Gesellschaft zwischen der Klasse der Geldverleiher und der Klasse der Geschäftsleute besteht, ein Ende setzt, denn die Abschaffung der Zinsen wird naturgemäß die Kapitalisten, die ihr Geld gegen Zinsen zu verleihen pflegten, in Vertragspartner von Kapitalbeteiligungsvertrags-Abkommen [mudaraba] verwandeln, die auf der Grundlage von Gewinnbeteiligung in Industrie- oder Handelsunternehmungen investieren werden. Damit werden klare Verhältnisse geschaffen, und das Kapital wird in den Dienst von Handel und Gewerbe gestellt, es wird deren Bedarf decken und deren Aktivität fördern. Der andere Vorteil für die Produktion besteht darin, dass jene Gelder, die in die Bereiche von Industrie und Handel fließen, mit Entschlossenheit und Vertrauen für größere Projekte und langfristige Aktivitäten verwendet werden können. Denn dem Besitzer von Kapital bleibt nach der Abschaffung von Zinsen nur noch die Hoffnung auf Gewinn durch Investitionen, was ihn dazu bewegen wird, sich jenen größeren Projekten, die durch ihre zu erwartenden Gewinne und Ergebnisse Anreiz bieten, anzuschließen, im Gegensatz zu seiner Situation in einer Gesellschaft, wo das System der Zinsnahme herrscht, denn dort zieht er es vor, sein Kapital gegen Zinsen zu verleihen, anstatt es in solche Unternehmen zu investieren, weil ihm die Zinsen auf jeden Fall sicher sind. Weiterhin wird er es bevorzugen, das Kapital kurzfristig zu verleihen, und langfristige Kredite meiden, damit ihm nicht etwas von dem Zinsertrag entgeht, falls der Zinssatz in der ferneren Zukunft steigt, und die Kreditnehmer werden angesichts der baldigen Fälligkeit gezwungen sein, das Kapital für kurzfristige Projekte zu verwenden, um zur festgesetzten Zeit in der Lage zu sein, dem Kapitalgeber den Betrag zuzüglich der vereinbarten Zinsen zurückzuerstatten. Und im Übrigen werden sich in einem System der Zinswirtschaft die Geschäftsleute nicht entschließen, von den Kapitaleignern Geld zu leihen und für Handels- und Industrieunternehmungen zu verwenden, solange die Umstände nicht den Nachweis erbringen, dass sie damit Gewinne erzielen können, welche die von den Kapitalgebern verlangten Zinsen übersteigen. Das hält sie in vielen Fällen von der Durchführung vieler Arten von Aktivitäten ab, und blockiert das Geld in den Tresoren der Kapitalisten, womit es keinen Beitrag mehr zum Wirtschaftsleben leisten und für keinerlei produktive oder konsumptive Zwecke aufgewendet werden kann, was dazu führt, dass produzierte Waren nicht abgesetzt werden können, dass der Markt stagniert, dass Krisen entstehen und dass das wirtschaftliche Leben erschüttert wird. Wenn aber die Zinsen abgeschafft werden, dann werden aus zinsnehmenden Kapitalisten Geschäftsleute, die direkt an den verschiedenen Handels- und Industrieunternehmen beteiligt sind, und sie werden ihr Interesse auch dann gewahrt finden, wenn sie sich mit einem Gewinn geringeren Umfangs zufriedengeben, weil sie nicht gezwungen sein werden, einen Teil davon als Zinsen wegzugeben. Und es wird auch in ihrem Interesse liegen, solche Gewinne, die über ihren persönlichen Bedarf hinausgehen, in produktive und kommerzielle Projekte zu investieren, wodurch der ganze Ertrag für den Konsum oder für produktive Zwecke ausgegeben wird, anstatt dass ein Teil davon in den Tresoren der Zinsnehmer festliegt, obwohl es für den Handel und die Industrie gebraucht würde, und der Absatz eines Teils der produzierten Güter von dessen konsumptiver Verwendung abhängt.

7) Der Islam verbietet einige Tätigkeiten, die keinen produktiven Zweck erfüllen, wie Wetten und Glücksspiel, Zauberei und Taschenspielertricks, und gestattet keine Einkünfte durch derartige Tätigkeiten, indem man sich dafür bezahlen lässt, was aus dem Qur´an-Vers zu entnehmen ist:

Und verzehrt nicht euer Vermögen zwischen euch mit der Nichtigkeit. [2]

Denn solche Tätigkeiten bedeuten Vergeudung der nützlichen und produktiven Energien im Menschen, und die nichtswürdigen Belohnungen, die an diejenigen, die sie ausführen, bezahlt werden, sind eine Verschwendung jeder Mittel, die zu einem Faktor der Entwicklung und der Produktivität verwandelt werden könnten. Ein umfassender Blick auf die Geschichte und die gegenwärtige reale Praxis enthüllt uns den Umfang der Verschwendung, die durch derartige Tätigkeiten und dadurch bezogene Einkünfte entsteht, und der Verluste, welche die Produktion und alle vernünftigen Zielsetzungen aufgrund der Verschwendung jener Energien Mühen und Vermögen hinnehmen müssen.

8) Der Islam verhindert das Horten von Bargeld, dessen Herausnehmen aus dem Umlauf und dessen Blockierung, und zwar indem er dem gehorteten Gold- und Silbergeld eine Steuer auferlegt, die der islamische Staat einzieht, nämlich die Steuer der Allmosenabgabe [zakat], welche das gehortete Geld im Laufe der Zeit aufbraucht, da sie in jedem Jahr aufs neue erhoben und jedes Mal ein Vierzigstel des angehäuften Geldes eingezogen wird, und erst dann erlassen wird, wenn davon nur noch zwanzig Dinare verblieben sind. Daher kann man die Allmosenabgabe [zakat] als eine schrittweise Konfiszierung von Kapital, das gehortet wird und nicht arbeiten kann, ansehen, und durch dieses Verhindern von Hortung werden sämtliche Vermögen den Bereichen der wirtschaftlichen Aktivität zugeführt und spielen eine aktive Rolle im Wirtschaftsleben, womit viele solcher Vermögen für die Produktion gewonnen werden, die normalerweise, gäbe es keine Steuer auf gehortetes Kapital, in den Tresoren ihrer Besitzer verschwinden würden, anstatt für Industrie- und Landwirtschaftsprojekte und dergleichen investiert zu werden. Tatsächlich ist diese Verhinderung des Hortens von Geldern durch den Islam nicht bloß ein oberflächliches Phänomen in der islamischen Gesetzgebung, sondern Ausdruck eines wichtigen Aspekts der Gegensätzlichkeit zwischen der islamischen und der kapitalistischen Ideologie, und sie zeigt die Methode, mit der sich der Islam die Probleme des Kapitalismus erspart, welche aus der für den Kapitalismus typischen Verfremdung der Rolle von Geld entstehen, die zu den schwersten Komplikationen führen, die Dynamik der Produktion bedrohen, und die kapitalistische Gesellschaft ständig erschüttern.

Damit der grundlegende Gegensatz zwischen den beiden Ideologien in diesem Punkt deutlich wird, müssen wir zwischen der ursprünglichen Rolle des Geldes und der neuentstandenen Rolle, die es unter den Bedingungen des Kapitalismus spielt, unterscheiden, und die Gegensätzlichkeit dieser beiden Rollen hinsichtlich ihrer Ergebnisse und Auswirkungen auf die Dynamik der Produktion und andere Bereiche des Wirtschaftslebens erkennen. Das Geld ist seiner Natur nach ein Austauschmittel, und der Mensch setzte es beim Warentausch ein, um die Probleme des Tauschhandels zu vermeiden, die sich aus dem direkten Austausch der produzierten Güter ergaben. So hatten die ersten Produzenten nach der Einführung von Arbeitsteilung, und nachdem sie begonnen hatten, ihren Bedarf durch Tausch zu decken, erfahren, dass es für sie schwierig war, ihre Erzeugnisse direkt auszutauschen, denn wenn z.B. der Produzent von Weizen für sein Leben Wolle benötigte, konnte er sie nur dann von dem Erzeuger von Wolle für sein Weizen bekommen, wenn dieser seinerseits Weizen benötigte. Und wenn sich der Hirte seinen Tagesbedarf an Weizen beschaffen wollte, so war ihm das auf dem Wege des Tauschhandels nicht möglich, weil der Wert eines der von ihm aufgezogenen Schafe den Wert des Weizens, den er für seinen Tagesbedarf gewünscht hätte, überstieg, und er das Schaf nicht dafür zerteilen konnte. Weiterhin, war der direkte Austausch der Erzeugnisse mit der Schwierigkeit konfrontiert, den jeweiligen Wert der zum Tausch vorgesehenen Dinge einzuschätzen, denn um den Wert einer Ware zu kennen, musste man sie mit sämtlichen anderen Waren vergleichen, um ihren Wert im Verhältnis zu jeder davon zu erfahren. Die Erfindung des Geldes schuf Abhilfe für alle Schwierigkeiten, denn es nahm einerseits die Rolle des allgemeinen Wertmaßstabs wahr, und wurde anderseits zum Austauschmittel. In ersterer Eigenschaft diente es dazu, den jeweiligen Wert der Sachen zu definieren, denn durch den Vergleich der anderen Waren mit der Ware Geld wurde deren Wert bestimmt. Und in der zweiten Eigenschaft wurde das Geld als Austauschmittel verwendet, d.h. nachdem bisher der Warentausch auf dem Tauschhandel beruht hatte, und z.B. Weizen gegen Wolle verkauft worden war, brachte die Einführung von Geld die Umwandlung einer solchen Transaktion in zwei Transaktionen mit sich, nämlich den Verkauf und den Kauf. So verkaufte der Besitzer von Weizen z.B. für 100 Dirhams Weizen, und führte dann eine weitere Transaktion durch, indem er für dieses Geld seinen Bedarf an Wolle kaufte, womit der direkte Austausch der beiden Produkte durch zwei Austauschvorgänge ersetzt wurde, und gleichzeitig alle Schwierigkeiten, die der Tauschhandel mit sich brachte, überwunden wurden. Wir erkennen also, dass die ursprüngliche Rolle, für die das Geld geschaffen wurde, die eines allgemeinen Wertmaßstabes und Austauschmittels ist.

Aber später beschränkte sich das Geld nicht mehr darauf, seine angemessene Rolle zu spielen, und seine Aufgabe, die Schwierigkeiten und Probleme des Tauschhandels zu überwinden, wahrzunehmen, sondern wurde in einer anderen und neuen Eigenschaft verwandt, die in keinem Zusammenhang mit der Überwindung jener Schwierigkeiten und Probleme stand, nämlich zum Horten und Speichern. Denn die Einführung von Geld im Bereich des Warentausches machte aus einer Transaktion –z.B. dem Verkauf von Weizen gegen Wolle – zwei Transaktionen, und führte dazu, dass der Erzeuger von Weizen zunächst sein Produkt verkaufte, und dann die Wolle kaufte, während er früher in einem einzigen Tauschvorgang Weizen zu verkaufen und Wolle zu kaufen pflegte. Und diese Trennung der beiden Vorgänge, des Verkaufes von Weizen und des Kaufes von Wolle, ermöglichte es dem Verkäufer des Weizens, den Kauf der Wolle zu verzögern, bzw. versetzte ihn in die Lage, den Weizen nur mit dem Motiv, ihn gegen Geld einzutauschen, zu verkaufen, und dieses Geld aufzubewahren, bis er es für den Kauf irgendwelcher Güter benötigte. Daraus entstand die Rolle des Geldes als Mittel zum Speichern und Horten von Vermögen. Diese neue Rolle des Geldes als Mittel zum Horten zeigte ihre ernstesten Auswirkungen unter dem Kapitalismus, der das Horten ermunterte, und die Zinsen zur stärksten motivierenden Kraft für diese Praxis machte, was zu einer Störung des Gleichgewichts zwischen der Gesamtnachfrage und dem Gesamtangebot aller Investitions- und Verbrauchergüter führte, während dieses Gleichgewicht im Zeitalter des Tauschhandels, der auf dem direkten Austausch der Erzeugnisse basierte, gewährleistet war. Denn zu jenen Zeiten produzierte der Einzelne nur, um sein Produkt selbst zu verbrauchen, oder es gegen eine andere Ware für seinen Eigenverbrauch einzutauschen, die produzierte Ware gewährleistet also immer eine Nachfrage im gleichen Umfang, und die Produktion und der Verbrauch, oder das Gesamtangebot und die Gesamtnachfrage, wogen einander auf.

Dagegen ist es im Zeitalter des Geldes, nachdem die Vorgänge des Kaufes und des Verkaufes voneinander getrennt wurden, nicht mehr notwendig, dass bei einem Produzenten eine Nachfrage besteht, die der von ihm produzierten Ware ebenbürtig ist, denn er produziert vielleicht mit der Absicht, sie zu verkaufen und Geld zu verdienen, um es den von ihm gehorteten Geldern hinzuzufügen, und nicht um die Ware eines anderen Produzenten zu kaufen. In so einem Fall entsteht ein Angebot, dem keine Nachfrage gegenübersteht, womit das Gleichgewicht zwischen allgemeinen Angebot und allgemeiner Nachfrage gestört wird. Diese Störung wird immer ausgeprägter, je mehr der Wille zum Horten hervortritt und sich das Phänomen der Speicherung von Geld bei den Produzenten und Verkäufern ausbreitet, und sie führt dazu, dass ein großer Teil der produzierten Güter nicht abgesetzt werden kann, dass der kapitalistische Markt von dem Problem des Absatzes und der Krise seiner Übersättigung heimgesucht wird, und dass die Dynamik der Produktion, und in der Folge das Wirtschaftsleben allgemein, größten Gefahren ausgesetzt wird.

Die Anhänger des Kapitalismus haben lange Zeit die Realität dieser Probleme, welche sich aus der Verwendung des Geldes zum Horten ergeben, nicht verstanden, weil sie sich an der kapitalistischen Absatztheorie orientierten, welche besagt, dass die Person, die eine bestimmte Ware verkaufen will, nicht das Geld um seiner selbst willen begehrt, sondern um eine andere Ware zu erhalten, womit sie ein Bedürfnis befriedigt. Demnach soll die Produktion jeder beliebigen Ware die gleichwertige Nachfrage nach einer anderen Ware schaffen, und Angebot und Nachfrage würden einander immer entsprechen. Diese Theorie setzt voraus, dass jemand, der eine Ware verkauft, damit immer den Erwerb einer anderen Ware beabsichtigt, obwohl diese Annahme nur für das Zeitalter des Tauschhandels, als die Vorgänge des An- und Verkaufs zusammenfielen, richtig ist, aber nicht für das Zeitalter des Geldes zutrifft, wo der Händler die Möglichkeit hat, die Ware mit der Absicht zu verkaufen, mehr Geld zu erhalten, und dieses zu speichern und zu horten, um es dann für die Kreditvergabe gegen Zinsen zu verwenden.

Im Lichte dieser Erkenntnisse über das Geld und seine ursprüngliche sowie seine neu entstandene Rolle und deren Folgen können wir den prinzipiellen Gegensatz zwischen dem Islam und dem Kapitalismus verstehen. Denn während der Kapitalismus die Verwendung des Geldes als Mittel zum Horten billigt und sie mit der gesetzlichen Verankerung des Zinsen-Systems ermuntert, bekämpft der Islam diese Praxis, indem er dem gehorteten Geld eine Steuer auferlegt, und den Einzelnen dazu drängt, sein Vermögen für produktive Zwecke aufzuwenden. In einer Überlieferung wird sogar der Ausspruch von Imam Dschafar ibn Muhammad al-Sadiq (a.) überliefert: „Allah hat euch diesen Überschuss an Gütern nur gegeben, damit ihr sie so verwendet, wie er es vorbestimmt hat, und er gab sie euch nicht, damit ihr sie hortet.“ Indem der Islam das Horten von Geld bekämpft, überwindet er eines der größten Probleme für die Produktion, an dem der Kapitalismus krankt, wobei er von der Voraussetzung ausgehen kann, dass die islamische Gesellschaft, welche er ordnet, nicht gezwungen ist, Kapital zu speichern und zu horten, um ihre Produktion zu entwickeln und große Projekte durchzuführen, wie das bei der kapitalistischen Gesellschaft der Fall ist, der es auf dem Wege der Hortung und Anhäufung gelingt, gewaltige Kapitalmengen zu schaffen, indem sie mit Hilfe von Banken und dergleichen die angehäuften Gelder einzelner Personen vereinigt, und die in der Lage ist, jene gewaltigen gesammelten Geldmengen für die größten Produktionsunternehmen in den Dienst zu stellen. Denn da die kapitalistische Gesellschaft vom privaten Eigentum beherrscht wird, ist sie auf gewaltige private Vermögen angewiesen, um sich bei der Durchführung größerer Produktionsvorhaben darauf zu stützen. Und da solche Vermögen nur geschaffen werden können, indem die Anhäufung von Kapital ermutigt wird, und dann die angehäuften Gelder mit Hilfe der kapitalistischen Banken vereinigt werden, ist die kapitalistische Gesellschaft gezwungen, diesen Weg zu verfolgen, um die Produktion zu entwickeln und zu steigern. Dagegen kann sich die islamische Gesellschaft bei größeren Produktionsvorhaben auf die Bereiche des “Eigentums der Gemeinschaft“ und des staatlichen Eigentums stützen, und den privaten Vermögen solche Bereiche überlassen, für welche deren Möglichkeiten ausreichen.

9) Der Islam verbietet übertriebenes Amüsement [lahw] und schamlose Vergnügungen. So steht in verschiedenen Überlieferungen das Verbot solcher Beschäftigungen, die den Menschen von dem Gedanken an Allah ablenken, und solcher Arten von Amüsement, die zur Zerrüttung und Verflüchtigung der ernsthaften Persönlichkeit im Menschen, und in der Folge zu seiner Abwendung von wirklicher und sinnvoller Produktion und Arbeit führen, und ihn veranlassen, sich in gleichem Maße einem Leben der Spielerei und des Amüsements zu widmen, wie er die Voraussetzungen zu einem Leben der Ernsthaftigkeit und Arbeit und verschiedener Arten der materiellen und ideellen Produktivität hätte.

10) Der Islam versucht, gemäß dem Qur´an-Vers: „... damit es nicht nur unter den Reichen von euch umläuft ...“[3], zu verhindern, dass sich der Reichtum in den Händen Weniger konzentriert, was wir bei unserer Erörterung der Theorie des sozialen Gleichgewichts in der islamischen Wirtschaftordnung noch ausführen werden.[4] Wenn diese Verhinderung der Konzentration von Reichtum auch in direktem Zusammenhang mit der Verteilung steht, so ist sie doch indirekt für die Produktion von Bedeutung, welche andernfalls Schaden nehmen würde. Denn wenn sich der Reichtum in den Händen Weniger konzentriert, verbreitet sich bei der großen Mehrheit Elend und es verschlimmert sich die Bedürftigkeit, und in der Folge wird die Masse nicht mehr in der Lage sein, Waren ihres Bedarfes zu konsumieren, weil ihre Kaufkraft herabsinkt. Dann häufen sich die produzierten Waren, ohne Absatz zu finden, Industrie und Handel stagnieren, und die Produktion kommt zum Stillstand.

11) Der Islam schränkt die legalen Manöver beim Handel ein, wobei dieser hinsichtlich der dafür relevanten Prinzipien als ein Zweig der Produktion gilt, was in einem anderen Kapitel über die Theorie der Produktion noch ausgeführt wird.[5] Wir werden dort die Auswirkungen dieser Beschränkungen auf die Produktion und deren Entwicklung sehen.

12) Der Islam gewährt das Eigentumsrecht an dem Vermögen einer Person nach deren Tod ihren Verwandten. Dieses ist der positive Aspekt der Bestimmungen über die Vererbung, den man im persönlichen Bereich als einen Faktor ansehen kann, der den Menschen zur Arbeit und zur Ausübung verschiedener wirtschaftlicher Aktivitäten motivieren, ja sogar als den grundsätzlichen Motivationsfaktor während des letzten Lebensabschnitts eines Menschen, wenn seine Gedanken an die eigene Zukunft nachlassen, und an deren Stelle der Gedanke an die Nachkommen und Verwandten tritt. So ergibt sich aus den Bestimmungen über die Vererbung, denen zufolge sein Vermögen nach seinem Tode an seine nächsten Verwandten verteilt wird, Anreiz zur Arbeit, und ein Motiv, im Interesse der Familie, in deren Eigenschaft als Fortsetzung der eigenen Existenz, den Reichtum zu vermehren. Was den negativen Aspekt der Erbrechtsbestimmungen betrifft, welche die Verbindung des Eigentümers mit seinem Vermögen nach seinem Tode beenden, und ihm nicht gestatten, über die Verwendung seines Vermögens selbst zu bestimmen, so steht dieser im Zusammenhang mit der Theorie der Verteilung “dessen, was vor der Produktion existiert“, wie wir an früherer Stelle erfahren haben.[6]

13) Der Islam schafft die gesetzlichen Grundlagen für die soziale Sicherheit, wie wir in einem späteren Kapitel noch ausführen werden.[7] Und die soziale Garantie spielt eine große Rolle im persönlichen Bereich, denn das Gefühl des Einzelnen, dass er durch den Staat gesichert ist, und ihm ein ehrenvolles Leben auch dann verbürgt wird, falls er bei seinen Unternehmungen Verluste erleidet, ist ein großer psychologischer Vorteil, der ihm Mut macht, ihn zur Aktivität in verschiedenen Bereichen der Produktion motiviert, und das schöpferische Element in ihm fördert. Anders verhält es sich mit demjenigen, dem diese Sicherheit fehlt, und der sich nicht in dieser Weise geborgen fühlt, denn er schreckt in vielen Fällen vor gewissen Aktivitäten und Initiativen zurück, aus Angst vor einem möglichen Verlust, der nicht nur sein Vermögen bedroht, sondern auch sein Leben und seine Würde, da er niemanden finden wird, der für ihn bürgt, und ihm ein ehrenvolles Leben gewährleistet, falls er sein Vermögen verliert und den Wechselfällen des Glücks zum Opfer fällt. Daher werden ihm nicht dieser Mut und diese Entschlossenheit gegeben sein, welche die soziale Garantie bei den Personen erweckt, die unter ihrem Schutz leben.

14) Der Islam schließt diejenigen, die zur Arbeit und zur wirtschaftlichen Aktivität in der Lage sind, von der sozialen Garantie aus, und verbietet ihnen Bettelei, womit er ihnen die Schlupflöcher der Flucht vor produktiver Arbeit versperrt. Dies führt naturgemäß zur Mobilisierung ihrer Energien für die Produktion und nützliche Tätigkeiten.

15) Der Islam verbietet Extravaganz und Verschwendung, und dieses Verbot begrenzt die konsumptiven Bedürfnisse und setzt viele Vermögen für die produktive Verwendung frei, anstatt dass sie für extravaganten und verschwenderischen Konsum ausgegeben werden.

16) Der Islam verpflichtet die Muslime kollektiv, sämtliche Fertigkeiten und Techniken zu erlernen, mit denen das Leben organisiert wird.

17) Damit begnügt sich der Islam nicht, vielmehr verpflichtet er die Muslime, sich soviel wie möglich allgemeiner lebenswichtiger Kenntnisse in allen Bereichen und auf höchsten Niveau anzueignen, um der islamischen Gemeinschaft sämtliche ideellen, wissenschaftlichen und materiellen Mittel in die Hand zu geben, dir ihr helfen, ihre Führungsrolle in der Welt wahrzunehmen, wozu auch die Produktionsmittel und deren vielfältige Möglichkeiten gehören. Allah der Erhabene sprach: Und setzt ihnen entgegen, was ihr könnt, an Kraft...“.[8] In diesem Qur´an-Vers ist “Kraft“ in absolutem, nicht näher definiertem Sinne zu verstehen, und umfasst jede Art von Potenzial, das die Fähigkeit ... steigert, und zu den wichtigsten dieser Potentiale gehören die geistigen und materiellen Mittel zur Entwicklung von Reichtum und zur Dienstbarmachung der Natur für den Menschen.

18) Der Islam versetzt den Staat in die Lage, auf dem Wege seiner Handhabung des öffentlichen Sektors sämtliche Bereiche der Produktion zu führen. Und es leuchtet ein, dass die Tatsache, dass mit dem staatlichen und dem gemeinschaftlichen Eigentum ein großer Bereich als Experimentierfeld für den Staat zur Verfügung steht, aus dieser praktischen Erfahrung eine richtungweisende Kraft für die anderen Bereiche machen wird, und es vergleichbaren produktiven Unternehmen ermöglichen wird, sich an jener Erfahrung zu orientieren, und die besten Methoden zur Optimierung der Produktion und der Schaffung von Werten zu übernehmen.

19) Der Islam verleiht dem Staat die Fähigkeit, eine große Anzahl menschlicher Arbeitskräfte zu absorbieren und sie in den Bereichen des öffentlichen Sektors zu nutzen. Damit kann der Staat verhindern, dass das Arbeitskräftepotenzial, welches den Bereich des privaten Sektors übersteigt, vergeudet wird, und gewährleisten, dass sämtliche Potentiale am allgemeinen Produktionsprozess beteiligt werden.

20) Und schließlich wird dem Staat – auf der Grundlage spezieller Bestimmungen, die wir in einem späteren Kapitel über die Theorie der Produktion untersuchen werden[9] – das Recht der Aufsicht über die Produktion und ihrer zentralen Planung verliehen, um eine Umordnung zu vermeiden, welche die Dynamik der Produktion paralysieren und das wirtschaftliche Leben erschüttern würde.

[1] Sieh gesondertes Kapitel “Hima im Islam“.

[2] Heiliger Qur´an 2:188

[3] Heiliger Qur´an 59:7

[4] Siehe Kapitel “Soziales Gleichgewicht“.

[5] Siehe Kapitel “Zusammenhang zwischen Produktion und Handel“.

[6] Siehe Kapitel “Vergleichende Untersuchung der islamischen Wirtschaftstheorie mit anderen Ideologien“ und folgende Kapitel

[7] Siehe Kapitel “Soziale Sicherung“

[8] Heiliger Qur´an 8:60

[9] Siehe Kapitel “Zusammenhang zwischen Produktion und Verteilung“

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