Unsere Wirtschaft

Unsere Wirtschaft / Iqtisaduna

Muhammad Baqir al-Sadr

Eine Diskussion der scheinbaren Belege für die Sanktionierung von Privateigentum am eroberten Land

Es gibt islamische Autoren – zeitgenössische und frühere – die zu der Auffassung tendieren, das gewaltsam eroberte Land müsse, ebenso wie andere Beutestücke, nach dem Prinzip des Privateigentums an die Kämpfer verteilt werden. Jene stützen ihre religiös-rechts­wissen­schaft­liche Argumentation auf zwei Belege: Erstens auf den sogenannten “Beute-Vers“ des Qur´an, und zweitens auf das, was in der Biographie von Allahs Gesandtem (s.) über die Verteilung der Beutegüter von Chaybar überliefert wird. Bei dem “Beute-Vers“ handelt es sich um das Qur´an-Zitat aus der Sure “Die Beute“ [al-anfal]:

Wisset, dass von allem was ihr erbeutet ein Fünftel für Allah und seinen Gesandten und den Verwandten und die Waisen und die Armen und den Reisenden ... usw. bestimmt ist ...“[1]

Nach der Ansicht jener Autoren verlangt dieser Qur´an-Vers eindeutig, dass von allem erbeuteten Gut jeweils ein Fünftel abgesondert und der Rest an die Kämpfer verteilt wird, ohne Unterscheidung zwischen Land und anderem Beutegut. In Wahrheit ist aber das Äußerste, was sich aus dem edlen Vers folgern ließe, die Verpflichtung, ein Fünftel der Beute als Steuer, die der Staat zugunsten “der Verwandten“, der Armen, der Waisen und “des Reisenden“ erhebt, abzusondern. Und nehmen wir an, diese Steuer würde auch vom Land abgezogen, so erklärt das in keiner Weise, was mit den übrigen vier Fünftel geschieht, und welche Art von Eigentum darauf angewandt werden muss. Denn dieses Fünftel – als eine Steuer zugunsten bestimmter Gruppen von Armen oder ähnlicher Personenkreise – könnte (zugunsten dieser Gruppe) ebenso gut von der beweglichen Beute, welche sich die Kämpfer privat aneignen dürfen, abgesondert werden, wie auch (zugunsten dieser Gruppe) von dem eroberten Land, das gemeinschaftliches Eigentum der Umma ist. Es besteht also überhaupt kein Zusammenhang zwischen dem Abzug eines Fünftels und der weiteren Aufteilung. So kann ein bestimmtes Gut zwar dem Prinzip der “Fünfteilung“ unterliegen, braucht deshalb aber nicht unbedingt nach dem Prinzip des Privateigentums an die Kämpfer verteilt werden. Der “Fünftelabgabe-Vers“[2] weist also nicht auf die Notwendigkeit der Verteilung von Land an die Kämpfer hin. Mit anderen Worten: Mit der Beute, von der im “Beute-Vers“ die Rede ist, ist entweder die gesamte Kriegsbeute gemeint, d.h. alles, dessen sich die Muslime im Krieg bemächtigt haben, oder die legitime Beute, d.h. diejenigen Güter, die sich der Mensch nach dem Urteil des Gesetzgebers aneignen darf. Nehmen wir die erstere Bedeutung des Wortes “Beute [anfal]“ an, so findet sich in dem edlen Vers keinerlei Beleg dafür, dass alles außer ein Fünftel auf jeden Fall als Eigentum der Kämpfer zu gelten hat, und wenn wir dem Wort die letztere Bedeutung zuschreiben wollten, dann müsste der Vers selbst das Eigentum der Angesprochenen zum Thema haben, also z.B. lauten: „Wenn ihr euch ein Gut aneignet, dann ist ein Fünftel davon als Abgabe festgesetzt.“ So wie er tatsächlich lautet, kann der Vers aber nicht als Beleg für das Eigentum der Kämpfer an der Beute angesehen werden, weil er zu diesem Thema nichts aussagt und die erforderlichen Bedingungen nicht erfüllt.

Der zweite Beleg, auf den sich diejenigen berufen, die glauben, dass die Beute als privates Eigentum an die Kämpfer verteilt werden müsse, ist die in der Biographie des Propheten (s.) überlieferte Verteilung des Beutegutes von Chaybar, wobei sie überzeugt sind, dass der Prophet auf die Ländereien von Chaybar das Prinzip des privaten Eigentums anwandte, und diese an die Kämpfer, die sie erobert hatten, verteilte. Aber wir stellen die Richtigkeit dieser Überzeugung ganz und gar in Zweifel, selbst wenn wir davon ausgehen, dass die historischen Überlieferungen, wonach der Prophet (s.) das Kulturland der Oase Chaybar an die Kämpfer verteilt haben soll, authentisch sind; denn die allgemeine Geschichtsschreibung berichtet auch noch von anderen Phänomenen aus der erhabenen Lebensgeschichte des Propheten (s.), welche die Prinzipien, die er hinsichtlich des Beutegutes von Chaybar anwandte, besser verstehen lassen. So fällt auf, dass der Prophet (s.) einen großen Teil der Ländereien von Chaybar für die Nutzung im Interesse des Staates und der Umma reservierte, denn es gibt in dem “Sunan“ des Abu Dawud[3] eine auf Sahl ibn Ali Haschama zurückgehende Überlieferung, in dem es heißt:

Allahs Gesandter teilte die Ländereien von Chaybar zunächst in zwei Hälften; die eine Hälfte war für seinen eigenen Bedarf für alle Fälle bestimmt, und die andere Hälfte wurde in achtzehn Teilen an die Muslime aufgeteilt.

Und Baschir ibn Yasar, ein Klient der Helfer [ansar][4], überliefert unter Berufung auf einige Prophetengefährten:

Nachdem Allahs Gesandter über die Bewohner von Chaybar gesiegt hatte, teilte er deren Land in sechsunddreißig Teile auf, wobei jeder Teil wiederum hundert Teile umfasste, und die Hälfte davon wurde an Allahs Gesandten und an einzelne Muslime persönlich verteilt, während die andere Hälfte für die Bewirtung von Delegationen, die bei ihm eintrafen, und sonstige Angelegenheiten im allgemeinen Interesse vorbehalten bliebt.

Der selbe Ibn Yasar überliefert:

Nachdem Allah seinem Propheten Chaybar in die Hände fallen gelassen hatte, teilte dieser es in sechsunddreißig Einheiten zu je hundert Teilen auf, und er behielt die Hälfte, nämlich die Ländereien um “al-Watiha“ und “al-Katiba“ und was dazugehörte für die Staatsausgaben vor, während er die andere Hälfte, nämlich die Ländereien um “Al-Schiqq“ und “al-Nat´a“, absonderte, und sie unter den einzelnen Muslimen verteilte, wobei der persönliche Anteil des Propheten unter die letztere Hälfte fiel.[5]

Weiterhin ist zu bemerken, dass Allahs Gesandter sich selbst die Verfügungsgewalt über die Ländereien von Chaybar vorbehielt, auch wenn er einen Teil davon an einzelne Personen verteilte, indem er mit den Juden einen Teilhaberpacht-Vertrag über das Land abschloss, worin er sich bestätigen ließ, dass er jederzeit und wann er wollte den Vertrag auflösen durfte. So heißt es in den “Sunan“ des Abu Dawud:

Der Prophet wollte die Juden von Chaybar vertreiben, da baten sie ihn: 'Oh Muhammad, lass uns auf diesem Land arbeiten, und gib uns von dessen Ertrag soviel, wie du für richtig hältst, und der Rest sei für euch!'

Weiterhin überliefert in den “Sunan“ des Abu Dawud Abdullah ibn Umar die folgende Überlieferung:

Umar sprach: 'Ihr Leute, der Gesandte Allahs hat mit den Juden von Chaybar vereinbart, dass wir sie ausweisen können, wann wir wollen, wer also dort Landbesitz hat, der soll sich dort niederlassen, denn ich werde die Juden von Chaybar vertreiben.' Und er vertrieb sie dann auch.[6]

Und Abdullah ibn Umar überlieferte ebenfalls:

Nachdem Chaybar erobert worden war, baten die Juden den Gesandten Allahs, dort bleiben zu dürfen, unter der Bedingung, dass sie auf der Hälfte der Ländereien, von denen sie vertrieben werden sollten, arbeiten würden, da sagte der Gesandte Allahs: 'Ich lasse euch dort weiterhin leben, aber zu unseren Bedingungen.' So kam man überein, und die Dattelernte der Hälfte des Oasenlandes von Chaybar wurde in zwei Teile aufgeteilt und der Gesandte Allahs erhielt darüber hinaus noch das Fünftel.

Auch Abu Ubaid überliefert im “Kitab al-Amwal“ unter Berufung auf Ibn Abbas:

„Der Gesandte Allahs überließ Chaybar – d.h. dessen Ländereien und Dattelpalmen – seinen bisherigen Besitzern, und zwar in zwei Hälften ausgeteilt.“

Wenn wir nun diese beiden aus der Biographie des Propheten (s.) ersichtlichen Handlungsweisen in Betracht ziehen, nämlich dass er einerseits einen großen Teil von Chaybar für die allgemeinen Interessen der Muslime und die Angelegenheiten des Staates reservierte, und anderseits in seiner Eigenschaft als verantwortlichen Befehlshaber [wali-ul-amr] über den anderen Teil frei verfügte, von dem wir annehmen wollen, dass er ihn tatsächlich an die Kämpfer verteilt hat ... wenn wir all das berücksichtigen, dann können wir die Prophetenbiographie in einer Weise interpretieren, die mit den zuvor erwähnten gesetzgeberischen Textquellen, welche das Prinzip des kollektiven Eigentums für das eroberte Land bestätigen, harmoniert; denn es besteht die Möglichkeit, dass Allahs Gesandter auf das Land von Chaybar dennoch das Prinzip des “Eigentums der Gemeinschaft“ angewandt hat, das verlangt der Umma die Kontrollen über das Land zuzuerkennen, und es für deren Interesse und allgemeine Bedürfnisse zu nutzen. Die allgemeinen Bedürfnisse der Umma waren seinerzeit zweierlei Art: Erstens, dass für die Regierung die Mittel bereitgestellt wurden, die sie für die Erfüllung ihrer Aufgaben in der islamischen Gemeinschaft aufwenden musste, und zweitens, dass ein soziales Gleichgewicht geschaffen und der allgemeine Lebensstandard angehoben wurde; letzterer war so herabgesunken, dass ihn die Frau des Propheten, Aischa[7], mit den Worten beschrieb:

Bevor Allah uns Chaybar erobern ließ, hatten wir nicht genug Datteln zu essen.

So ist Behebung der damaligen materiellen Notlage, die den Fortschritt des jungen Gemeinwesens und die Verwirklichung seines Ideals (im Leben) behinderte, als allgemeines Bedürfnis der Umma anzusehen. Und das in der Biographie des Propheten (s.) beschriebene Verfahren sorgte für die Befriedigung beider Arten von allgemeinen Bedürfnissen der Umma: Der Prophet (s.) gewährleistete die Befriedigung der ersteren Art von Bedürfnissen mit der Hälfte des eroberten Landes, von der uns die oben genannten Überlieferungen berichten, dass sie für die “Wechselfälle“, die Delegationen und ähnliche Zwecke bestimmt wurde; und für die zweite Art von Bedürfnissen wurde Sorge getragen, indem der Ertrag der anderen Hälfte des Landes Chaybar einer großen Anzahl von einzelnen Muslimen zuerkannt wurde, um damit die allgemeinen Energien der muslimischen Gemeinschaft mobilisieren zu helfen, und ihr den Weg zu einem höheren Lebensstandard zu bereiten. Dabei bedeutete die Verteilung der Hälfte von Chaybar an eine große Zahl einzelner Muslime nicht, dass ihnen das Eigentum der Kontrolle über das Land gewährt, und dieses dem Prinzip des privaten Eigentums unterworfen worden wäre, sondern nur der Ertrag und Nutzen des Landes wurde verteilt, während die Kontrolle darüber weiterhin der Allgemeinheit zustand. Dies erklärt uns die Maßnahmen, die der Prophet als verantwortlicher Befehlshaber [wali-ul-amr] im Zusammenhang mit dem Land von Chaybar traf, unter anderem auch dessen Verteilung an einzelne Personen; denn da die Kontrolle über das Land der Umma zustand, musste deren Befehlshaber mit dessen Angelegenheiten betraut werden. Ebenso erklärt er uns, dass auch einige Personen, die nicht an den Kämpfen um Chaybar teilgenommen hatten, einen Anteil erhielten, was von einer Anzahl von Überlieferungs-Sammlern und Geschichtsschreibern berichtet wird. Dies bestärkt unsere These, die Verteilung als Maßnahme zur Herstellung des Gleichgewichts in der Gemeinschaft zu interpretieren, und nicht als Anwendung des Prinzips der Beuteverteilung an die Kämpfer, denn in letzterem Fall hätten andere nicht beteiligt werden dürfen. Es gibt noch einen weiteren Qur´an-Vers, den einige Verfechter des Privateigentums an Land anführen, nämlich Allahs Wort:

Ich mache euch ihr Land, ihre Häuser und ihre Besitztümer zur Erbschaft, und Land, das ihr noch gar nicht betreten habt.“[8]

Auf dieser Grundlage glauben sie, das Land wäre als Erbe der angesprochenen Gruppe, nämlich der bei der Offenbarung des Verses anwesenden Gläubigen, anzusehen, womit das kontinuierliche Eigentum der Umma daran widerlegt wäre; weiterhin setzt der Vers das Land und sonstige Besitztümer gleich und nennt sie in einem Zusammenhang, und das soll bedeuten, der Erbe der Besitztümer sei auch der Erbe des Landes, und es wäre eindeutig, dass die erbeuteten Güter den Kämpfern zustünden, also auch das Land. Wir bemerken aber in diesem Zusammenhang, dass der edle Vers außer „ihrem Land“ und „ihren Besitztümern“ auch noch auf Land hinweist, das die Muslime noch gar nicht betreten haben. Damit ist entweder solches Land gemeint, dessen Bewohner aus Furcht vor den Muslimen geflohen sind, ohne dass es überhaupt angegriffen wurde, oder das Land, das im Kampf erobert werden konnte, etwa das Land der Perser oder Byzantiner, wie dies in den klassischen Werken über die Qur´an-Interpretation angeführt wird.

Gehen wir bei der Interpretation dieser Passage von der ersteren Annahme aus – was der expliziten Aussage entspricht, denn der Vers weist darauf hin, dass es tatsächlich den Muslimen zum Erbe gemacht wurde – dann bezeichnet es eine Art von “Beute [anfal]“, welche Allah und seinem Gesandten zustehen, und nicht allen Muslimen, was ein Indiz dafür ist, dass mit dem Erbe der Muslime an diesen Dingen die Übertragung der Macht und Gewalt darüber an sie, und nicht die Übertragung des Eigentums im juristischen Sinne gemeint ist; der Vers belegt also nicht eine bestimmte Art von Eigentum an dem besagten Land. Und wenn wir bei der Interpretation der Textstelle von der zweiten Annahme ausgehen, dann ist sie ein Indiz dafür, dass sich der Vers nicht nur an die Zeit seiner Offenbarung Anwesenden richtet, sondern an die gesamte Umma zu jeder Zeit, denn die Eroberung von Ländern in zukünftigen Kämpfen sollten die Anwesenden als Individuen vielleicht nicht mehr erleben, sondern nur insofern, als sie als die Umma, die historisch weiterexistiert, angesprochen wurden. Die “Vererbung“ des Landes in dem edlen Vers entspricht also dem kollektiven Eigentum der Muslime. Und wenn man sich darauf beruft, dass Land und sonstige Besitztümer in ein und dem selben Zusammenhang genannt werden, um zu beweisen, dass die Eigentümer des Landes dieselben Personen wie die Eigentümer der sonstigen eroberten Güter sein sollten – also speziell die Kämpfer – dann ist die Argumentation inkorrekt, denn sie würde den Vers zu einer Anrede speziell an die Kämpfer machen, obwohl sich der edle Vers offensichtlich an die gesamte zeitgenössische muslimische Gemeinschaft richtet. Wir müssen in diesem Zusammenhang die “Vererbung“ daher anders als “Zuneigung“ im wörtlichen Sinne, wie es für die Aneignung der erbeuteten beweglichen Güter durch die Kämpfer zutrifft, verstehen, also entweder als kollektive Macht der Muslime über das Land, oder als dessen Einbeziehung in den Bereich ihres Eigentums, sei es in Form von privatem oder kollektiven Eigentum. Der edle Vers könnte also im Sinne unserer Interpretation auch lauten: „Wir gaben euch Macht über ihr Land und ihre Besitztümer“, oder: „Wir überführten das Eigentumsrecht an ihrem Land und ihren Besitztümern in eure Domäne“, und der Vers würde dennoch nicht belegen, dass der Eigentümer, im buchstäblichen Sinne des Wortes, vom Land und von den sonstigen Gütern identisch wäre.

Als Ergebnis aus alledem folgt: Das eroberte Land gehört als kollektives Eigentum allen Muslimen, wenn es zum Zeitpunkt der Eroberung kultiviert war. Und als kollektives Eigentum der Umma und Stiftung [waqf] zur Nutzbarmachung für deren allgemeine Interessen unterliegt es nicht den Bestimmungen des Erbrechts, d.h. was dem einzelnen Muslim – als Mitglied der Umma – gehört, wird nicht an seine Erben übertragen, sondern jeder Muslim hat automatisch ein Anrecht darauf. Ebenso wie das Grundbesitzersatzabgabe-Land nicht vererbt werden kann, darf es auch nicht verkauft werden, denn der Verkauf einer Stiftung [waqf] ist nicht zulässig. So sagte Scheich Tusi[9] in seinem Werk “al-Mabzut“: „Es ist nicht zulässig, es zu verkaufen oder zu kaufen, zu verschenken, auszutauschen, sich anzueignen, zu verpachten oder zu vererben.“ Und Malik bin Anas sagte: „Das Land wird nicht verteilt, sondern wie eine Stiftung [waqf] behandelt, dessen Ertrag im Interesse aller Muslime verwendet wird. z.B. für die Versorgung der Kämpfer, den Bau von Bewässerungsanlagen und Moscheen, und ähnliche wohltätige Zwecke.“ Wenn das Land den Pächtern zur Nutzung übergeben wird, dann erwirbt der einzelne Pächter kein beständiges persönliches Anrecht auf die Kontrolle über das Land, sondern er ist nur der Mieter, der das Land bebaut und dafür eine Gebühr, d.h. die Grundbesitzersatzabgabe [charadsch] bezahlt, entsprechend den im Pachtvertrag vereinbarten Bedingungen. Und wenn die festgesetzte Frist abgelaufen ist, endet auch seine Beziehung zu dem Land, und es ist nur zulässig, dass er es weiterhin nutzt und darüber verfügt, wenn der Vertrag erneuert und wiederum mit dem verantwortlichen Befehlshaber [wali-ul-amr] ein Einvernehmen erzielt wird. Dies bekräftigt auch der Rechtsgelehrte al-Isfahani in seinem Kommentar zum Buch “al-Makasib“ in aller Deutlichkeit, indem er dem Einzelnen jedes persönliche Anrecht an dem Grundbesitzersatzabgabe [charadsch]-Land prinzipiell abspricht, und weiterhin auf die Grenzen verweist, innerhalb derer der Einzelne mit Erlaubnis des verantwortlichen Befehlshaber [wali-ul-amr] das Land nutzen und verwenden darf, in Form eines Pachtvertrages, der eine angemessene Gebühr während einer bestimmten Frist festsetzt. Und wenn das Grundbesitzersatzabgabe [charadsch]-Land vernachlässigt wird, so dass es verwahrlost und nicht als kultiviert gelten kann, bleibt es trotzdem kollektives Eigentum der Umma; darum darf es niemand ohne Erlaubnis des verantwortlichen Befehlshaber [wali-ul-amr] erneut kultivieren, und für denjenigen der es wiederbelebt, entsteht kein persönliches Recht der Kontrolle über das Land, denn das besondere Recht aufgrund der Neukultivierung entsteht nur bei Staatsländereien, über die wir später noch sprechen werden, und nicht bei dem Grundbesitzersatzabgabe-Land, das der gesamten Umma als “Eigentum der Gemeinschaft“ gehört, wie das der Verfasser der “Bulgat al-Faqih“, der Muhaqqiq “Bahar al-Ulum“, in seinem Buch darlegt. Diejenigen Flächen vom Grundbesitzersatzabgabe-Land, die der Verwahrlosung anheimgefallen sind, bleiben trotzdem Grundbesitzersatzabgabe-pflichtig und Eigentum aller Muslime, und werden dadurch, dass sie neu erschlossen und kultiviert werden, nicht zum privaten Eigentum irgendeiner Person.

Wir können aus dem bisher dargelegten zusammenfassen, dass auf alles Land, das durch Anstrengung [dschihad] dem Territorium des Islam angegliedert wird, und das durch eine der Eroberung vorangehende menschliche Arbeiten kultiviert worden ist, die folgenden Bestimmungen des islamischen Rechts [scharia] angewandt werden:

·       Erstens: Es gilt als gemeinschaftliches Eigentum der Umma, und niemand darf es sich aneignen oder es ausschließlich für sich beanspruchen.

·       Zweitens: Jedem Muslim steht als Mitglied der Umma ein Recht an dem Land zu, und es gibt keine besonderen Anteile aufgrund von Verwandtschaftsbeziehungen und Erbe.

·       Drittens: Niemand darf das Land selbst zum Objekt von Transaktionen wie Verkauf, Schenkung oder dergleichen machen.

·       Viertens: Der verantwortliche Befehlshaber [wali-ul-amr] gilt als Verantwortlicher für die Aufsicht über das Land, für seine Nutzung, und für die Erhebung der Grundbesitzersatzabgabe [charadsch], wenn es an Pächter übergeben wird.

·       Fünftens: Die Grundbesitzersatzabgabe [charadsch], den der Pächter an den verantwortlichen Befehlshaber [wali-ul-amr] zahlt, richtet sich in der Art seines auf ihn angewandten Eigentums nach dem Land, er ist also ebenso wie das Land selbst Eigentum der Umma.

·       Sechstens: Die Verbindung des Pächters zu dem Land endet mit Ablauf der Pachtfrist, und danach steht ihm kein ausschließlicher Anspruch auf das Land mehr zu.

·       Siebtens: Wenn das Grundbesitzersatzabgabe-Land nicht mehr kultiviert und zum Ödland wird, verliert es nicht seinen Status als “Eigentum der Gemeinschaft“, und niemand darf es sich aneignen, weil er es von neuem erschließt und kultiviert.

·       Achtens: Die Kultiviertheit des Landes zum Zeitpunkt der Eroberung durch die Anstrengungen seiner bisherigen Besitzer stellt die Grundbedingung für seine Überführung in das “Eigentum der Gemeinschaft“ und die Gültigkeit der oben erwähnten Bestimmungen dar, und wenn es nicht durch eine bestimmte menschliche Arbeit kultiviert war, finden diese Bestimmungen keine Anwendung.

Auf dieser Grundlage bedürfen wir heutzutage für den Bereich der Praxis umfassende historische Kenntnisse über die islamischen Ländereien und den damaligen Stand ihrer Kultivierung, um in deren Licht die Gebiete, die zur Zeit der Eroberung bereits kultiviert waren, von anderen eroberten Gebieten unterscheiden zu können; und angesichts der Schwierigkeiten, definitive Erkenntnisse zu diesem Bereich zu gewinnen, begnügen sich viele Rechtsgelehrte mit Vermutungen, und alles Land, das mit großer Wahrscheinlichkeit zur Zeit der islamischen Eroberung kultiviert war, wird als Eigentum aller Muslime angesehen. Wir wollen als Beispiele die Bemühungen einiger Rechtsgelehrter erwähnen, den Bereich des Grundbesitzersatzabgabe-Landes, das allen Muslimen als “Eigentum der Gemeinschaft“ gehört, unter den Ländereien des Irak, die im zweiten Jahrzehnt der Auswanderungs-Zeitrechnung[10] erobert wurden, zu umreißen. So heißt es im “Kitab al-Muntaha“ des Allama al-Hilli[11]: „Das Sawad-Land ist das Land, das Umar ibn al-Chattab von den Persern erobert hat, d.h. das Sawad des Irak. Es reicht in der Breite von den Ausläufern der Berge bei Hulwan bis zum Gebiet um Qadisiya, das an das Adhib der arabischen Wüste grenzt.“ Und in der Länge erstreckt es sich von den Grenzen von Mosul bis zur Meeresküste im Land von Abadan östlich des Tigris, wobei alles Gebiet westlich davon, das zu Basra gehört, islamisch ist, wie auch der Schatt Amr ibn al-Aas. Dieses Land, (d.h. das von den genannten Grenzen umrissene), wurde gewaltsam von dem Kalifen Umar bin al-Chattab erobert, und nach der Eroberung entsandte er drei Personen dorthin: Ammar bin Yasir als Vorbeter, Ibn Mas´ud als Richter [qadi] und Verantwortlicher für die Staatskasse und Uthman ibn Hanif als Verantwortlicher für die Landvermessung. Und er ließ ihnen jeden Tag ein Schaf zuteilen, die eine Hälfte samt der Eingeweide war für Ammar, und die andere Hälfte für die beiden anderen, und er sagte: „Ich kenne kein Dorf, dem jeden Tag ein Schaf weggenommen wird, das nicht schnell ruiniert wird.“ Und Uthman ließ das Grundbesitzersatzabgabe-Land vermessen, wobei man zu unterschiedlichen Ergebnissen kam. ...

[1] Heiliger Qur´an 8:41 – Der hier verwendete Begriff „Beute“ wird heutzutage im allgemeineren Sinn des “Erworbenen“ verstanden, wozu auch der Lohn zählt. Auf diesem Vers baut die sogenannte Fünftelabgabe [chums] auf.

[2] Gemeint ist der oben erwähnte Vers 8:41

[3] Abu Dawud Sulaiman ibn Aschath al-Azadi al-Sisstani (817-888 n.Chr.), der kurz als Abu Dawud bekannt ist, war ein Sammler von Überlieferungen und genießt ein gewisses Ansehen unter Sunniten. Sein Hauptwerk ist als “Sunan Abu Dawud“ bekannt.

[4] Als "Helfer" [ansar] werden die Bewohner Medinas genannt, die Prophet Muhammad (s.) in ihre Stadt eingeladen haben und ihn und diejenigen, die mit ihm ausgewandert sind herzlich aufgenommen und versorgt und unterstützt, sowie selbst dabei den Islam angenommen haben.

[5] “al-Watiha“, “al-Katiba“, “Al-Schiqq“ und “al-Nat´a“ sind Weiler im Bereich der Oase Chaybar.

[6] Es gibt innerhalb der muslimischen Gelehrten einen Disput darüber, in wie weit jene Vertreibung rechtmäßig war, zumal das Kalifenamt Umars selbst aus schiitischer Sicht unrechtmäßig war und eine Bestätigung der Vertreibung durch Imam Ali (a.) nicht bekannt ist.

[7] Aischa war eine der Ehefrauen des Propheten Muhammad (s.) und somit eine der Mütter der Gläubigen. Ihr Vater ist Abu Bakr. Sie gehörte zu der Gruppe von Ehefrauen des Propheten (s.), die er nach dem Ableben von Chadidscha geheiratet hat. Mehr zu ihrem Leben siehe www.eslam.de.

[8] Heiliger Qur´an 33:27

[9] Abu Dscha'far Muhammad ibn al-Hasan at-Tusi (gestorben 1067 n.Chr.), bekannt als Scheich Tusi ist unter anderem der Autor des Werkes “Korrektur der Rechtsurteile“ [tahdhiib al-ahkam], welches eines der vier wichtigsten Sammlungen von Überlieferungen bei Schiiten ist. Scheich al-Tusi war ein großer Gelehrter seiner Zeit, Sammler von Überlieferungen, Jurist und Theologe und der spätere Oberhaupt seiner Gemeinde. Er war ein Schüler von Scheich Mufid.

[10] Gemeint ist die Zeitrechnung “nach der Auswanderung“, mit der die Islamische Zeitrechnung beginnt. Die Auswanderung begann Mitte Juli 622 n.Chr. an einem Freitag. Die Zeitrechnung erfolgt nach dem Mondkalender.

[11] Hasan ibn Yusuf ibn Ali ibn Mutahhar Hilli, vor allem bekannt als Allama Hilli (gestorben 1325 n.Chr.) war ein hoch angesehener Gelehrter der Schia seiner Zeit, dem man den hohen Würdentitel “Allama“ zuerkannt hatte.

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