Bewertung von Arbeit in der Theorie
1) Wenn jemand Ödland bearbeitet
und es urbar macht, dann hat er ein Anrecht darauf, und ihm
obliegt die Zahlung der entsprechenden Steuer an den Imam,
sofern sie ihm nicht erlassen wird. So steht es im “Kitab
al-Dschihad“ des “Mabsut“ des Scheich Tusi, unter Berufung auf
authentische Überlieferungs-Texte, welche belegen: Wer Land
urbar macht, hat am meisten Anrecht darauf, aber ihm obliegt
die Zahlung der entsprechenden Steuer; und aufgrund des von
ihm erworbenen Rechtes darf ihm keiner das Land streitig
machen, solange dieses Recht bestehen bleibt, obwohl er nicht
der Eigentümer der Kontrolle über das Land selbst ist.
2) Wenn jemand von Natur aus
belebtes Land bearbeitet und es bebaut und ausnutzt, dann hat
er das Recht, es in seinem Besitz zu behalten und andere daran
zu hindern, ihn dabei zu stören, solange er von der
Nutzungsmöglichkeit Gebrauch macht. Aber er erwirbt kein
weitergehendes Recht, das ihn autorisieren würde, es
ausschließlich zu beanspruchen und anderen vorzuenthalten,
auch wenn er es nicht tatsächlich nutzt. Daher unterscheidet
sich das Anrecht, das aus der Nutzung des von Natur aus
belebten Landes hervorgeht, von dem Recht, das durch die
Urbarmachung von Ödland entsteht. Denn das Recht, das durch
die Urbarmachung erworben wird, verbietet es jeder anderen
Person, sich ohne Erlaubnis des Kultivierenden des Landes zu
bemächtigen, solange es noch als belebt gelten kann, ganz
gleich, ob letzterer die Gelegenheit zur Nutzung des Landes
tatsächlich wahrnimmt, oder nicht. Dagegen ist das Anrecht,
das ein Einzelner durch den Feldbau auf von Natur aus belebtem
Land erwirbt, nicht mehr als ein vorrangiges Nutzungsrecht,
solange er die Nutzung wahrnimmt, und wenn er dies versäumt,
dann hat jeder andere das Recht, die von Natur aus gegebene
Gelegenheit der Bebauung zu nutzen und den Platz des ersteren
einzunehmen.
3) Wenn jemand in der Erde gräbt
und eine Lagerstätte von Bodenschätzen entdeckt und diese
zugänglich macht, dann darf ein anderer von derselben
Lagerstätte profitieren, solange er den ersteren nicht bei
seiner Arbeit stört. Dies kann geschehen, indem er z.B. an
einer anderen Stelle gräbt, und sich dort die gewünschte Menge
des mineralischen Materials entnimmt, worauf Allama al-Hilli
in den “Qawa´id“ hinweist, indem er schreibt: „Wenn jemand
gräbt und auf eine Lagerstätte stößt, dann darf er andere
nicht daran hindern, von einer anderen Seite her zu graben;
auch wenn der andere auf ein und dieselbe Ader stößt, darf ihn
der erstere nicht daran hindern.“
4) Der “zweite Märtyrer“
schreibt in den “Masalik“ über solches Land, das jemand urbar
gemacht hat, und das dann wieder verödet ist: „Dieses Land
ist im Prinzip jedermann zugänglich gewesen, wenn er es also
verlässt, kehrt es in seinen ursprünglichen Status zurück und
wird wieder frei, so als ob jemand etwas vom Wasser des Tigris
entnimmt und dann wieder dort hineinschüttet. Denn die Ursache
der Aneignung dieses Landes war die Urbarmachung und
Kultivierung, und wenn die Ursache nicht mehr besteht, dann
wird auch die Wirkung hinfällig.“
Das bedeutet, wenn jemand Land urbar macht, dann entsteht ihm
ein Anrecht darauf, und sein Recht besteht solange weiter, wie
seine Urbarmachung dort Auswirkungen hat. Wenn aber die
Belebtheit des Landes aufhört, dann verfällt sein Anrecht.
5) Genauso verhält es sich, wenn
jemand in der Erde gräbt, um eine Mine oder eine Wasserquelle
freizulegen, und sie zugänglich macht, dann aber die von ihm
freigelegte Stelle vernachlässigt, bis die Ausgrabung verfällt
oder aufgrund einer natürlichen Ursache wieder verschüttet
wird. Wenn dann eine andere Person kommt und die Arbeit von
neuem aufnimmt, bis sie die Lagerstätte freilegt, dann hat
letztere ein Anrecht darauf, und der erstere hat nicht das
Recht, sie daran zu hindern.
6) Die Inbesitznahme allein bedingt
keine Aneignung natürlicher Ressourcen wie Land, Lagerstätten
von Bodenschätzen und Wasserquellen, denn in solchen Fällen
wäre sie eine Art von “Hima“ und niemand außer Allah und
seinem Gesandten (s.) steht der “Hima“ zu.
7) Die wilden Tiere, die sich dem
Menschen widersetzen, werden zum Eigentum, indem man sie
erjagt und ihren Widerstand bricht, selbst wenn der Jäger noch
nicht mit seiner Hand oder seinem Netz ihrer habhaft geworden
ist; d.h. man muss die Jagdbeute noch nicht tatsächlich in
seine Gewalt gebracht haben, um sie sich anzueignen. So
schreibt Allama al-Hilli in den “Qawa´id“: „Es gibt vier
Ursachen für das Eigentumsrecht an der Jagdbeute: Entweder die
Paralysierung ihrer Widerstandskraft, oder dass man ihrer
habhaft wird, oder deren Erschöpfung, oder dass sie sich in
einer aufgestellten Falle fängt. Und jeder, der eine Jagdbeute
schießt, auf die noch kein anderer Anspruch erheben kann, und
die kein Merkmal fremden Eigentums zeigt, wird deren
Eigentümer, sobald er sie widerstandsunfähig macht, auch wenn
er sie noch nicht ergriffen hat.“
Und ibn Qudama schreibt: „Wenn jemand auf einen Vogel
schießt, der auf einem Baum auf dem Grundstück anderer Leute
sitzt und ihn trifft und auf deren Grundstück zu Fall bringt,
so dass sie ihn ergreifen können, dann gehört er dem Schützen
und nicht ihnen, denn sein Eigentumsrecht begründet sich
darauf, dass er den Widerstand des Vogels gebrochen hat.“
Genauso äußert sich Dschafar ibn Hassan, der Muhaqqiq al-Hilli
im “Schara´i al-Islam“.
8) Wer einen Brunnen gräbt, bis er
auf Wasser stößt, der hat das vorrangige Anrecht auf soviel
von diesem Wasser, wie er zum Trinken, zum Tränken seines
Viehs und zur Bewässerung seiner Felder benötigt. Wenn dann
noch etwas übrig bleibt, muss er es jedem, der es benötigt,
unentgeltlich zur Verfügung stellen, worauf Scheich Tusi in
dem “Mabsut“ hinweist. Wir haben das entsprechende Zitat
bereits angeführt.
9) Wenn jemand durch Inbesitznahme
Eigentümer eines Gutes geworden ist, und es wird wieder
jedermann frei zugänglich, wie schon vor der Inbesitznahme,
kann es sich jeder andere aneignen, denn indem der Eigentümer
auf die Nutzung seines Eigentums verzichtet und es aufgegeben
hat, ist seine Verbindung damit aufgelöst. So gibt es eine
authentische Überlieferung, welche Abdullah ibn Sanan von den
Imamen der Ahl-ul-Bait (a.) überliefert, die gesagt haben: „Wer
ein Gut findet, oder ein Kamel, das erschöpft in der Einöde
umherirrt, und von seinem Besitzer aufgegeben wurde, indem er
nicht mehr danach sucht – so dass ein anderer es ergreifen,
dafür sorgen und Kosten aufwenden kann, bis er es wieder auf
die Beine gebracht hat – dem gehört es, und der ehemalige
Besitzer hat nichts mehr damit zu schaffen, sondern es ist wie
ein jedermann erlaubtes Gut.“
Auch wenn die Überlieferung von einem aufgegebenen Kamel
handelt, so erkennen wir doch daran, dass das Kamel als
Beispiel für “ein Gut“ genannt wird, dass es sich um ein
allgemeines, jederzeit gültiges Prinzip handelt.
10)
Einer Person entsteht kein Anrecht auf die Kontrolle des
Landes, auf dem sie ihr Vieh weiden lässt, und das Weideland
wird nicht dadurch, dass auf ihm Weidewirtschaft betrieben
wird, zu privatem Eigentum. Vielmehr kann ein Anrecht darauf
nur durch dessen Erschließung erworben werden, daher kann eine
Person nicht ihr Weideland verkaufen, wenn sie nicht zuvor ein
Recht daran erworben hat, sei es durch dessen Erschließung,
durch Erbschaft von demjenigen, der es erschlossen hat, oder
dergleichen. So überlieferte Zaid ibn Idris, dass er Imam Musa
ibn Dschafar (a.) folgende Fragen stellte: „Wir haben
Ländereien mit abgesteckten Grenzen, wir haben Tiere, und zu
unserem Land gehört auch Weideland. Einer von uns hat Schafe
und Kamele und benötigt dafür jenes Weideland. Darf er diese
Weiden beschlagnahmen, weil er sie benötigt?“ Der Imam (a.)
antwortete, dass falls das Land ihm gehöre, er es “beschützen“
dürfe, womit seinen Bedürfnissen Rechnung getragen würde. Dann
fragte er, was der Imam davon halte, wenn ein Mann Weideland
verkauft. Der Imam (a.) sagte: „Wenn das Land ihm gehört hat,
dann ist nichts dagegen einzuwenden.“
Diese Antwort belegt, dass allein die Tatsache, dass jemand
Land als Weide benutzt, diesem Hirten kein Recht an dem Land
verschafft, welches er auch noch durch Verkauf an andere
übertragen dürfte.