Belege für die Hinweise auf das gemeinschaftliche Eigentum
am eroberten Land
Die
Textquellen des islamischen Rechts [scharia] und deren
Umsetzung in konkrete Rechtsbestimmungen zeigen deutlich eine
Bestätigung des Prinzips vom “Eigentum der Gemeinschaft“ an
dieser Art von Land, wie aus den folgenden Überlieferungen
ersichtlich wird:
1)
Aus der von
al-Halabi überlieferten Überlieferung: „Imam Dschafar
bin Muhammad al-Sadiq (a.) wurde über das Kulturland und
dessen Status befragt, da sagte er: „Es gehört allen Muslimen
gemeinsam, den heutigen, denen, die sich später noch dem Islam
anschließen werden, und denen, die noch gar nicht erschaffen
worden sind.“ Wir fragten: „Wie steht es mit dem Kauf von den
bisherigen Grundbesitzern?“ Er sagte: „Das ist nicht zulässig,
es sei denn, jemand kauft es, um es allen Muslimen zur
Verfügung zu stellen. Und wenn es der verantwortliche
Befehlshaber [wali-ul-amr] beschlagnahmen will, dann steht ihm
das frei.“ Wir fragten: „Und was geschieht, wenn er ihm das
Land abnimmt?“ Er sagte: „Dann wird ihm der Kaufpreis
zurückerstattet, und für seine an dem Land geleistete Arbeit
steht ihm der Ernteertrag zu, den er bis dahin verbraucht
hat.“
2)
Aus einer
von Abu Rabi´as-Schami überlieferten Überlieferung, demzufolge
Imam Dschafar al-Sadiq (a.) gesagt hat: „Niemand soll
von dem 'schwarzen Land' [ard as-sawad] etwas kaufen, es sei
denn, er bekommt eine Sicherheit dafür, denn es ist erworbenes
Gut aller Muslime.“
Und unter dem 'schwarzen Land' verstand man im damaligen
Sprachgebrauch den kultivierten Teil der Ländereien des Irak,
die von den Muslimen ... erobert wurden. Die Muslime prägten
diesen Namen für das irakische Kulturland, weil ihnen, als sie
aus ihrem wüstenhaften Land der arabischen Halbinsel auszogen,
um die Einladung [dawa] in die Welt hinauszutragen, das
Grün der Äcker und Bäume in den Ländereien des Irak zu Gesicht
kam, und sie dieses Grün “schwarz“ [sawad] nannten,
weil sie damals das gleiche Wort für “grün“ und “schwarz“
verwendeten.
3)
Aus einer
Überlieferung von Hammad ibn Isa, wonach Imam Musa ibn
Dschafar (a.) gesagt hat: „Die Kämpfer bekommen nichts
von den Ländereien, die sie erobert haben, außer der vom
Heerlager umfassten Fläche ... Und das Land, welches gewaltsam
mit kriegerischen Mitteln eingenommen wurde, wird vorläufig
denjenigen überlassen, die es bisher bebaut und kultiviert
haben und dort leben, wobei ihnen der verantwortliche
Befehlshaber [wali-ul-amr] soviel an Abgaben auferlegt,
wie es angemessen ist und sie es tragen können, etwa die
Hälfte, ein Drittel oder zwei Drittel des jährlichen
Ernteertrages, so dass ihnen Recht getan wird und sie
nicht geschädigt werden.“
Das bedeutet, der verantwortliche Befehlshaber [wali-ul-amr]
überlässt die gewaltsam eroberten Ländereien denjenigen
Mitgliedern der islamischen Gemeinschaft, die sie am besten zu
nutzen verstehen, und erlegt ihnen eine Gebühr [ugra]
auf das Land auf, weil es Eigentum der gesamten Umma ist,
und da die Ackerbauern aus dessen Kultivierung Nutzen ziehen,
müssen sie den Preis für diese Nutzung an die Umma entrichten.
Dieser Preis, bzw. diese Gebühr, wird in der Überlieferung als
Grundbesitzersatzabgabe [charadsch]
bezeichnet.
4)
Aus einer
Überlieferung geht hervor, dass Abu Burda einstmals Imam
Dschafar al-Sadiq (a.) über den Kauf von Land, das zur
Grundbesitzersatzabgabe [charadsch] gehört, befragt,
worauf der Imam (a.) antwortete: „Wer sollte das
verkaufen, wo es doch das Land aller Muslime ist?“
Und “Grundbesitzersatzabgabe-Land“ ist der Terminus der
Rechtswissenschaft [fiqh] für das Land, von dem wir
sprechen, denn dem Land, das in kultiviertem Zustand erobert
wurde, wurde die Grundbesitzersatzabgabe [charadsch]
auferlegt, wie zuvor erwähnt, und man nannte es deshalb
“Grundbesitzersatzabgabe-Land“.
5)
Nach einer
Überlieferung des Ahmad ibn Muhammad ibn Ali Nasr hat Imam Ali
ibn Musa al-Ridha (a.) zu den verschiedenen Kategorien des
Landes und den diesbezüglichen Bestimmungen gesagt: „Was
mit dem Schwert erobert wurde, gehört dem Imam, und der
übergibt es wem er für richtig hält.“
6)
In der
Chronik der islamischen Eroberungen heißt es, dass Umar, der
zweite Kalif, (von seinen Soldaten) aufgefordert wurde, das
eroberte Land unter den Kämpfern des islamischen Heeres
aufzuteilen, und zwar auf der Grundlage des
Privateigentums, worauf er die Prophetengefährten um Rat
fragte, und Imam Ali (a.) ihm empfahl, es nicht zu verteilen,
während Mu´adh bin Dschabal sagte: „Wenn du es
verteilst, dann erhalten einige Leute einen gewaltigen Ertrag,
dann sterben sie irgendwann, und alles fällt vielleicht in die
Hände eines einzigen Mannes oder einer einzigen Frau, und
später gibt es wieder neue Muslime, für die dann nichts mehr
übrig ist. Triff also eine Entscheidung, die den heutigen und
den zukünftigen Muslimen gerecht wird.“ Da entschied
sich Umar für die Anwendung des Prinzips des
gemeinschaftlichen Eigentums und schrieb an Sa’d ibn Abi
Waqqas:
„Zur Sache, ich erfuhr aus deinem Schreiben, dass die
Leute von dir verlangen, die Beutegüter und alles, was Allah
ihnen in die Hände fallen ließ, unter ihnen zu verteilen.
Begutachte also, was sie an beweglicher Habe im Heerlager
zusammengetragen haben, und verteile es an die anwesenden
Muslime, und lass die Ländereien und Bewässerungsanlagen im
Besitz derjenigen, die daran arbeiten, damit deren Ertrag
allen Muslimen zugute kommt. Wenn wir es aber unter den
Anwesenden verteilen würden, dann bliebe für diejenigen, die
nach ihnen kommen, nichts übrig.“ Und manche gehen bei
der Interpretation der Maßnahmen des zweiten Kalifen soweit,
zu behaupten, dass das Kulturland Eigentum der bisherigen
Besitzer – wie das aus dem “Kitab al-Amwal“ des Abu Ubaid
hervorgehen soll – denn indem Umar es ihnen zurückgab
erhielten sie die Kontrolle über das Land zugesprochen,
während für die Muslime lediglich das Anrecht auf der
Grundbesitzersatzabgabe [charadsch] festgesetzt wurde;
das “Eigentum der Gemeinschaft“ bezöge sich also nur auf der
Grundbesitzersatzabgabe [charadsch], und nicht auf
die Kontrolle über das Land. Und manche islamische Denker der
Gegenwart, die sich dieser Interpretation anschließen,
behaupten, die Verstaatlichung beträfe die
Grundbesitzersatzabgabe [charadsch] und nicht das
Land. In Wahrheit ist es aber völlig klar, dass die Maßnahmen
Umars auf dem Glauben an das Prinzip des “Eigentums der
Gemeinschaft“ beruhten, das auf die Kontrolle über das Land
angewandt wurde, und wenn er das Land seinen bisherigen
Besitzern überließ, so bedeutete das keine Anerkennung ihres
Rechts auf Privateigentum daran, sondern es wurde ihnen zur
Teilhaberpacht und Miete übergeben, damit sie auf dem Land der
Muslime arbeiten und ihren Nutzen daraus zögen, und den
letzteren als Gegenleistung die Grundbesitzersatzabgabe [charadsch]
zahlten. Und es findet sich auch in dem besagten “Kitab
al-Amwal“ des Abu Ubaid ein Beleg dafür, nämlich dass ein
gewisser Utba ibn Farqad ein Stück Land am Ufer des Euphrat
gekauft hatte, um dort Zuckerrohr anzubauen, was Umar erfuhr,
worauf dieser ihn fragte: „Von wem hast du es gekauft?“
Utba ibn Farqad antwortete: „Von seinen Eigentümer.“
Da aber gerade Prophetengefährten aus Mekka und Medina sich
bei Umar versammelt hatten, sagte dieser: „Diese hier
sind die Eigentümer, hast du von ihnen etwas gekauft?“
Er verneinte, worauf Umar sagte: „Dann gib das Land
denen zurück, von denen du es gekauft hast, und nimm dein Geld
zurück!“
7)
Im “Kitab
al-Amwal“ gibt es eine Überlieferung des Abu Aun al-Thaqafi,
wonach ein Grundbesitzer zur Zeit des Kalifats des Imam Ali
(a.) sich zum Islam bekehrte, und der Imam (a.) sich erhob und
sprach: „Was dich betrifft, so brauchst du keine
Schutzsteuer [dschizya]
mehr zu bezahlen, aber dein Land gehört uns.“
8)
Bei Buchari
gibt es eine Überlieferung des Abdullah ibn Umar, der sagte: „Der
Prophet Muhammad stellte Chaybar
den Juden zur Verfügung, damit sie dort arbeiten und das Land
bebauen, und sie bekamen einen Teil des Ertrages.“
Diese Überlieferung zeigt auf, dass Allahs Gesandter (s.)
Chaybar, als ein Stück Land, das durch Anstrengung [dschihad]
erobert worden war, das Prinzip des “Eigentums der
Gemeinschaft“ anwandte, auch wenn es widersprechende
Überlieferungen gibt. Denn wenn der Prophet (s.) das Land nach
dem Prinzip des Privateigentums an die einzelnen Kämpfer
verteilt hätte, anstatt nach dem Prinzip des
gemeinschaftlichen Eigentums zu verfahren ... dann wäre er, in
seiner Eigenschaft als Regent, nicht auf diesen
Teilhaberpacht-Vertrag eingegangen. Die Tatsache, dass er in
dieser Eigenschaft einen solchen Vertrag abgeschlossen hat,
zeigt, dass das eroberte Land dem Staat und nicht den
einzelnen Kämpfern selbst anvertraut wurde. Manche islamische
Autoren haben argumentiert, dass der Präzedenzfall der
Behandlung von Chaybar unmissverständlich das Recht des
Staates, die Vermögen der Individuen zu beschlagnahmen,
beweise, also die Zulässigkeit der Verstaatlichung im Islam
bestätige. Da das allgemeine Prinzip die Verteilung der
erbeuteten Güter an die Kämpfer sei, bedeute deren
Einbehaltung durch den Staat, anstatt sie an diejenigen zu
verteilen, denen sie zustehen, eine Autorisierung des Staates,
sich über die Rechte seiner Untertanen hinwegzusetzen, wann
immer er dies im Sinne des Allgemeinwohls für richtig halte;
es wäre also authentisch verbürgt, dass im Islam der Staat das
Recht hat, privates Eigentum jederzeit zu verstaatlichen. Aber
in Wirklichkeit ist die Tatsache, dass der Staat die Kontrolle
über die eroberten Ländereien behält und diese nicht wie
anderes Beutegut an die Kämpfer verteilt, keine Anwendung des
Prinzips der Verstaatlichung, sondern eine Anwendung des
Prinzips vom “Eigentum der Gemeinschaft“. Denn für das
eroberte Land ist niemals das Privateigentum gesetzlich
vorgesehen gewesen, und die Verteilung der Beute ist ein
Prinzip, das der Gesetzgeber nur für bewegliche erbeutete
Güter festgesetzt hat. Das “Eigentum der Gemeinschaft“ am
eroberten Land ist also in der islamischen Gesetzgebung
ursprünglich vorgesehen, es handelt sich mithin nicht um eine
spätere Verstaatlichung, bzw. eine sekundäre Gesetzgebung,
nachdem zuvor das Prinzip des Privateigentums an solchem Land
gegolten hätte. Auf jeden Fall bestätigen die meisten der von
uns angeführten Zitate, dass die Kontrolle über das Land –
also das Land selbst – der gesamten Umma zusteht, dass dem
Imam als dem verantwortlichen Befehlshaber [wali-ul-amr]
die Aufsicht darüber vertraut ist, und dass er von denen, die
das Land nutzen, eine besondere Steuer
(Grundbesitzersatzabgabe [charadsch]) verlangt, welche
die Pächter als Gebühr für ihre Nutzungsrechte bezahlen
müssen. Und es ist die Umma, der die Grundbesitzersatzabgabe [charadsch]
gehört, denn da ihr die Kontrolle über das Land zukommt, ist
es natürlich, dass sie auch über dessen Ertrag in Form der
Grundbesitzersatzabgabe [charadsch] verfügt.