Unsere Wirtschaft

Unsere Wirtschaft / Iqtisaduna

Muhammad Baqir al-Sadr

Bedeutung der Inbesitznahme bei beweglichen Naturschätzen

Die Inbesitznahme unterscheidet sich hinsichtlich der dafür relevanten Bestimmungen von der reinen Jagd. Daher finden wir, dass jemand, der Eigentümer eines Vogels geworden ist, indem er ihn ergriffen und in Besitz genommen hat, das Recht hat, ihn zurückzufordern, wenn dieser wieder fliegen und sich seinem Zugriff entziehen kann, und ihn ein anderer erjagt. Dann darf der andere ihn nicht behalten, sondern muss ihn demjenigen zurückgeben, in dessen Besitz sich der Vogel bereits befunden hat, denn das Recht, das aus der Inbesitznahme abgeleitet wird, ist ein direktes Recht, d.h. die Inbesitznahme bedingt die direkte Aneignung des Vogels, und das Eigentum an dem Vogel ist nicht an das “Eigentum einer bestimmten Gelegenheit“ gebunden, so dass es hinfällig würde, wenn diese nicht mehr besteht. Dies ist der Unterschied zwischen der Inbesitznahme und den anderen Tätigkeiten, die wir besprochen haben. So ist die Handlung der Jagd die Ursache dafür, dass sich der Jäger die Gelegenheit, die er geschaffen hat, “aneignen“ darf, und darauf beruht sein Recht an dem Vogel; und die Tätigkeit der Erschließung bedingt, dass sich der Arbeitende die Gelegenheit, die durch die Erschließung entstanden ist, “aneignen“ darf, wodurch er ein Recht an der natürlichen Ressourcen, die er erschlossen hat, erwirbt. Dagegen ist die Inbesitznahme beweglicher Reichtümer für sich allein schon ein prinzipieller und direkter Grund für die Aneignung solcher Güter.

Dieser Unterschied zwischen der Inbesitznahme und anderen Tätigkeiten macht es erforderlich, dass wir uns der folgenden Frage auf theoretischer Ebene stellen: Wenn das Recht eines Einzelnen an der natürlichen Produktionsquelle, die er erschlossen hat, oder an der Jagdbeute, die er erjagt hat, darauf beruht, dass ihm das Ergebnis seiner Arbeit gehört, d.h. die Gelegenheit der Nutzung dieser Ressourcen, worauf beruht dann das Recht des Einzelnen an dem Stein, den er am Wegesrand findet und für sich selbst mitnimmt, oder sein Recht an dem stehenden Wasser, das er aus einem natürlichen See in Besitz nimmt, obwohl diese Inbesitznahme eines Steins oder von Wasser keine neue allgemeine Nutzungsmöglichkeit an dem Gut schafft, wie im Falle der Jagd oder der Urbarmachung von Land? Die Antwort auf diese Frage lautet: Dieses Recht des Einzelnen leitet seine Rechtfertigung nicht daraus ab, dass ihm die Gelegenheit, die durch seine Arbeit entstanden ist, gehört, vielmehr wird es bereits mit der Nutzung jener Güter durch den Einzelnen gerechtfertigt. Denn ebenso wie jeder Arbeitende das Recht hat, sich die Gelegenheit, die seine Arbeit geschaffen hat, “anzueignen“, hat er auch das Recht, die Gelegenheit zu nutzen, welche ihm die Natur durch die Fürsorge Allahs des Erhabenen zur Verfügung stellt.

Wenn z.B. Wasser in den Tiefen der Erde vorhanden ist, und eine Person es durch Grabung zugänglich macht, dann schafft sie eine Gelegenheit der Nutzung daran, und es steht ihr zu, sich diese Gelegenheit “anzueignen“. Wenn aber das Wasser von Natur aus an der Oberfläche der Erde zusammengeflossen ist, dann besteht ohne vorherige menschliche Mühe eine fertige Gelegenheit zur Nutzung, daher muss die Nutzung dieses Wassers jedermann erlaubt sein, denn die Natur hat denen die Arbeit erspart, und ihnen die Gelegenheit der Nutzung zur Verfügung gestellt. Nehmen wir an, eine Person schöpft etwas von dem natürlicherweise an der Erdoberfläche gespeicherten Wasser in ihr Gefäß; dann verrichtet sie im Sinne des theoretischen Begriffsinhaltes, den wir am Anfang des Kapitels erörtert haben, eine Arbeit der Nutzung und Verwendung. Und da jeder Einzelne das Recht hat, von dem Reichtum, den die Natur den Menschen zur Verfügung stellt, zu profitieren, ist es natürlich, dass es dem Einzelnen erlaubt wird, das offen an der Erdoberfläche vorhandene Wasser aus seinen natürlichen Vorkommen in Besitz zu nehmen, denn dies ist eine Arbeit der Nutzung und Verwendung und keine Handlung der Monopolisierung und Machtausübung. Wenn der Einzelne das Wasser, das er in Besitz genommen hat, aufheben will, dann steht ihm das zu, und kein anderer darf es ihm dann streitig machen oder wegnehmen und selbst benutzen, denn die Theorie erachtet die Inbesitznahme von Wasser und dergleichen beweglicher natürlicher Reichtümer als eine Arbeit der Nutzung, folglich dauert die Nutzung durch denjenigen, der etwas in Besitz genommen hat, solange an, wie es sich in seinem Besitz befindet; und da der Besitzer seine Nutzung des Gutes zumindest nach der Theorie fortsetzt, wäre es nicht gerechtfertigt, eine andere Person bei der Nutzung des Gutes ihm vorzuziehen, falls sie das verlangt. Somit bleibt das Anrecht des Einzelnen auf die beweglichen natürlichen Reichtümer, die er in Besitz genommen hat, erhalten, solange diese tatsächlich oder juristisch[1] in seinem Besitz bleiben.

Wenn er aber auf seine Besitzrechte verzichtet, indem er das Gut vernachlässigt oder kein Interesse daran zeigt, kann auch von seiner Nutzung dieses Gutes keine Rede mehr sein, darum verfällt sein Anrecht, und jeder andere darf es in seine Gewalt bringen und nutzen. Damit wird deutlich, dass das Recht des Einzelnen an dem Wasser, das er aus einem See in Besitz nimmt, oder an einem Stein, den er vom öffentlichen Weg aufnimmt, nicht darauf beruht, dass ihm eine allgemeine Gelegenheit gehört, die durch seine Arbeit entstanden ist, sondern darauf, dass der Einzelne die für jedermann bestehende Möglichkeit der Nutzung jener natürlichen Reichtümer wahrnimmt, indem er sie in Besitz nimmt.

Angesichts dieses Sachverhaltes können wir dem zuvor genannten Prinzip der Theorie, wonach jedem Arbeitenden das Ergebnis seiner Arbeit gehört, ein weiteres Prinzip hinzufügen, nämlich dass demjenigen der die Nutzung eines natürlichen Reichtums vornimmt, dadurch ein Recht an diesem entsteht, solange er die Nutzung dieses Gutes fortsetzt. Und da die Inbesitznahme im Bereich der beweglichen Naturschätze eine Arbeit der Nutzung darstellt, fällt sie unter die Gültigkeit dieses Prinzips und begründet ein Recht des Einzelnen an den Gütern, die er in Besitz nimmt.

[1] Mit dem juristischen Andauern des Besitzstatus meinen wir Zustände, bei denen der Besitz einer Sache aus unfreiwilligen Gründen unterbrochen wurde, wie durch Vergessen, Verlust, Raub oder dergleichen. In solchen Fällen betrachtet das islamische Recht [scharia] den Besitz und die Ausübung der Nutzung als rechtlich andauernd, und ordnet die Rückgabe des verlorenen oder geraubten Gutes an seinen Besitzer an. Tatsächlich geht diese Beurteilung auf die Bekräftigung des freiwilligen Elements und die Annullierung der Wirkung durch Zwang herbeigeführter Zustände in verschiedenen Bereichen der islamischen Gesetzgebung zurück. (Fußnote des Autors)

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