Anmerkungen
Rolle des Risikos in der islamischen Wirtschaft
Die bisher herausgefundenen Erkenntnisse
über die Theorie der Verteilung der produzierten Güter
bestätigen deutlich, dass die Theorie das Risiko nicht als
einen Faktor, der Gewinn rechtfertigt, anerkennt, und dass
sich unter den verschiedenen Arten von Einkünften, welche die
Theorie erlaubt, keine findet, die ihre theoretische
Legitimation aus dem Element des Risikos herleiten. Denn das
Risiko ist tatsächlich weder eine Ware, die derjenige, der es
auf sich nimmt, einem anderen übergibt, so dass er dafür einen
Preis verlangen könnte, noch eine Arbeit, die er an ein
Material wendet, so dass er das Recht hätte, es sich
anzueignen oder dafür einen Lohn von dessen Eigentümer zu
verlangen, sondern es ist nur ein besonderer Gefühlszustand,
der einen Menschen überkommt, wenn er sich zu einer Handlung
anschickt, deren mögliche Folgen er fürchtet. Dann gibt er
entweder seiner Befürchtung nach und nimmt Abstand davon, oder
überwindet seine Ängste und bleibt bei seinem Vorhaben, wobei
er selbst seinen Weg bestimmt und sich aus freiem Willen
entscheidet, die Sorge in Kauf zu nehmen, und z.B. ein
Vorhaben auszuführen, das möglicherweise Verlust bringen kann.
Und er hat anschließend nicht das Recht, eine materielle
Entschädigung für diese Sorge zu fordern, da es sich dabei um
ein subjektives Gefühl und nicht um eine in einem Material
verkörperte Arbeit oder eine produzierte Ware handelt.
Es stimmt, dass die Überwindung von
Furcht unter gewissen Umständen in psychologischer und
ethischer Hinsicht von großer Bedeutung sein kann, aber die
ethische Bewertung ist eine Sache, und die wirtschaftliche
Bewertung eine andere. Vielen mag, beeinflusst durch
kapitalistische Denkweise, die dazu tendiert, Gewinn auf der
Grundlage von Risiko zu interpretieren und zu rechtfertigen,
der Fehler unterlaufen, zu behaupten, dass der dem
Kapitalgeber bei einem
Kapitalbeteiligungsvertrag [mudaraba] erlaubte
Gewinn durch das Risiko theoretisch begründet wird. Denn der
Besitzer des Kapitals, wenn er auch keine Arbeit aufwendet,
trägt doch die Lasten des Risikos und setzt sich einem
möglichen Verlust aus, wenn er sein Kapital einem Agenten für
Handelsgeschäfte anvertraut, daher sei der Agent verpflichtet,
ihm sein Risiko mit einem Prozentanteil am Gewinn zu vergüten,
auf den sich beide im
Kapitalbeteiligungsvertrag [mudaraba] einigen.
Tatsache ist aber, wie das im vorangehenden Kapitel deutlich
wurde, dass der Gewinn, welchen der Kapitalgeber dadurch
erhält, dass der Agent mit seinem Vermögen Geschäfte tätigt,
nicht mit dem Risiko begründet wird, sondern sich seine
Rechtfertigung aus dem Eigentum des Kapitalgebers an der Ware,
mit welcher der Agent Handel treibt, herleitet. Denn wenn sich
auch der Wert dieser Ware in der Regel durch die
Handelstätigkeit steigert, die der Agent daran wendet, d.h.
dass er sie zum Markt transportiert, bzw. sie den Verbrauchern
zugänglich macht, bleibt sie dennoch Eigentum des
Kapitalgebers, weil jedes Material Eigentum seines Besitzers
bleibt, auch wenn eine andere Person es umwandelt. Dies haben
wir als Phänomen der Beständigkeit des Eigentums bezeichnet.
Das Recht des Kapitalgebers auf einen Anteil vom Gewinn als
Folge seines Eigentums an dem Material, mit welchem der Agent
seine Geschäfte betreibt und durch dessen Verkauf er Gewinn
erzielt, entspricht also dem Anrecht des Eigentümers von
Brettern auf das Bett, welches der Arbeiter aus seinen
Brettern gefertigt hat. Daher gilt der Gewinn als ein Recht
des Kapitaleigners, selbst wenn er persönlich keinerlei Risiko
tragen sollte.
Wenn etwa eine Person mit dem Kapital
einer anderen Person ohne deren Wissen Geschäfte macht und
dabei Gewinn erzielt, dann hat der Kapitaleigner in so einem
Fall die Möglichkeit, sich nachträglich einverstanden zu
erklären und sich den Gewinn anzueignen, oder auch Einspruch
zu erheben und sein Kapital, bzw. dessen Gegenwert, von dem
Agenten zurückzuerhalten. Bei diesem Beispiel beruht die
Aneignung des Gewinns durch den Kapitaleigner nicht auf dem
Risiko, denn sein Kapital ist ihm auf jeden Fall garantiert,
und das Risiko trägt allein der Agent, da er die Garantie für
das Kapital und dessen Entschädigung im Falle des Verlustes
auf sich nimmt. Dies bedeutet, dass das Anrecht des
Kapitaleigners auf den Gewinn in theoretischer Hinsicht weder
ein Ergebnis des Risikos ist, noch dessen Entschädigung, noch
eine Belohnung des Kapitaleigners dafür, dass er seine
Befürchtungen überwindet, wie wir das im Allgemeinen bei den
traditionellen kapitalistischen Autoren lesen, die versuchen,
dem Risiko das Prädikat einer Heldentat zuzuschreiben, und
daraus einen Rechtfertigungsgrund für den Bezug von
Einkünften, die dieser mutigen Tat angemessen sind,
konstruieren.
Es gibt im
islamischen Recht [scharia] eine Anzahl von
Phänomenen, welche die Richtigkeit unserer negativen
Beurteilung von Risiko und die Tatsache, dass diesem keine
positive Rolle bei der Legitimierung von Eigentum zuerkannt
wird, belegen. So pflegen z.B. viele die Kreditzinsen mit dem
Element des Risikos, welches die Kreditvergabe beinhalten, zu
rechtfertigen und zu erklären – womit wir uns in dem folgenden
Abschnitt befassen werden – denn wenn der Gläubiger sein
Kapital verleiht, so sei das eine Art Wagnis, wodurch er sein
Kapital einbüßen kann, falls dem Schuldner in der Zukunft das
Glück versagt bleibt und er seiner Verpflichtung nicht
nachkommen kann, so dass der Gläubiger nichts zurückerhält.
Daher habe er das Recht, eine Gebühr bzw. Belohnung dafür zu
erhalten, dass er sein Kapital für den Schuldner aufs Spiel
setzt, und diese Belohnung seien die Zinsen. Der Islam stimmt
dieser Denkweise nicht zu und findet in dem angeblichen Risiko
keine Rechtfertigung für Zinsen, die der Kapitaleigner von dem
Schuldner bekommen sollte, daher verbietet er diese definitiv.
Das Verbot von Glücksspiel und von darauf
beruhenden Einkünften ist ein weiterer Aspekt des
islamischen Rechts [scharia], welcher die
Richtigkeit unseres negativen Standpunktes gegenüber dem
Element des Risikos belegt. Denn die aus Glücksspiel
entstehenden Einkünfte beruhen nicht auf einer Arbeit der
Nutzung und Ausbeutung, sondern allein auf dem Risiko, und der
Gewinner erhält den Einsatz, weil er sein Kapital aufs Spiel
gesetzt und sich verpflichtet hat, den Einsatz seinem
Gegenpart zu zahlen, falls er die Wette verliert.
Wir können dem Verbot von Glücksspiel
noch das Verbot der Teilhaberschaft beim Einkommen hinzufügen,
auf deren Unzulässigkeit viele Rechtsgelehrte hinweisen, wie
der Muhaqqiq al-Hilli in den “Schara´i“ und Ibn Hazm in dem
Buch “al-Muhalla“. Mit dieser Teilhaberschaft meinen sie, dass
zwei oder mehr Personen vereinbaren, dass jeder von ihnen
seine spezielle Arbeit verrichtet und sich alle die jeweiligen
Einkünfte teilen, etwa wenn zwei Ärzte beschließen, dass jeder
von beiden seine ärztliche Tätigkeit praktiziert und z.B. am
Ende des Monats jeder die Hälfte der Summe der Honorare, die
beide Ärzte zusammen während dieses Monats eingenommen haben,
erhält. Das Verbot dieser Teilhaberschaft entspricht der
allgemeinen negativen Haltung des
islamischen Rechts [scharia] zum Element des
Risikos, denn hier beruht Einkommen auf dem Risiko und nicht
auf Arbeit. Die beiden Ärzte in unserem Beispiel lassen sich
nur auf diese Art von Teilhaberschaft ein, weil sie nicht im
Voraus den Umfang der Honorare, die sie einnehmen werden,
wissen. So gilt für jeden von beiden, dass das Honorar seines
Partners das eigene Honorar möglicherweise übertreffen wird,
ebenso wie der umgekehrte Fall eintreten kann. Daher stellt er
sich bei der Vereinbarung der Teilhaberschaft darauf ein, auf
einen Teil seines Honorars zu verzichten, falls dieses das
Honorar seines Partners übertreffen sollte, um etwas von
dessen Einkünften zu erhalten, falls diese seine eigenen
übersteigen. Folglich hat der Arzt mit dem geringeren
Einkommen nur deshalb das Recht, einen Teil von Einkommen und
den Früchten der Arbeit des anderen Arztes zu erhalten, weil
er zu Beginn ein Risiko eingegangen ist, und bereit war, etwas
von seinem Einkommen wegzugeben, falls das Ergebnis des Monats
ein anderes wäre. Das bedeutet, dass der Gewinn des Arztes mit
dem geringeren Honorar durch das Element des Risikos entsteht,
und nicht auf aufgewendeter Arbeit beruht. Wenn das
islamische Recht [scharia] ihn also verbietet,
und bestimmt, dass die Teilhaberschaft beim Einkommen
unzulässig ist, dann bestätigt das ihre negative Beurteilung
von Risiko.