Unsere Wirtschaft

Unsere Wirtschaft / Iqtisaduna

Muhammad Baqir al-Sadr

Anmerkungen

Rolle des Risikos in der islamischen Wirtschaft

Die bisher herausgefundenen Erkenntnisse über die Theorie der Verteilung der produzierten Güter bestätigen deutlich, dass die Theorie das Risiko nicht als einen Faktor, der Gewinn rechtfertigt, anerkennt, und dass sich unter den verschiedenen Arten von Einkünften, welche die Theorie erlaubt, keine findet, die ihre theoretische Legitimation aus dem Element des Risikos herleiten. Denn das Risiko ist tatsächlich weder eine Ware, die derjenige, der es auf sich nimmt, einem anderen übergibt, so dass er dafür einen Preis verlangen könnte, noch eine Arbeit, die er an ein Material wendet, so dass er das Recht hätte, es sich anzueignen oder dafür einen Lohn von dessen Eigentümer zu verlangen, sondern es ist nur ein besonderer Gefühlszustand, der einen Menschen überkommt, wenn er sich zu einer Handlung anschickt, deren mögliche Folgen er fürchtet. Dann gibt er entweder seiner Befürchtung nach und nimmt Abstand davon, oder überwindet seine Ängste und bleibt bei seinem Vorhaben, wobei er selbst seinen Weg bestimmt und sich aus freiem Willen entscheidet, die Sorge in Kauf zu nehmen, und z.B. ein Vorhaben auszuführen, das möglicherweise Verlust bringen kann. Und er hat anschließend nicht das Recht, eine materielle Entschädigung für diese Sorge zu fordern, da es sich dabei um ein subjektives Gefühl und nicht um eine in einem Material verkörperte Arbeit oder eine produzierte Ware handelt.

Es stimmt, dass die Überwindung von Furcht unter gewissen Umständen in psychologischer und ethischer Hinsicht von großer Bedeutung sein kann, aber die ethische Bewertung ist eine Sache, und die wirtschaftliche Bewertung eine andere. Vielen mag, beeinflusst durch kapitalistische Denkweise, die dazu tendiert, Gewinn auf der Grundlage von Risiko zu interpretieren und zu rechtfertigen, der Fehler unterlaufen, zu behaupten, dass der dem Kapitalgeber bei einem Kapitalbeteiligungsvertrag [mudaraba] erlaubte Gewinn durch das Risiko theoretisch begründet wird. Denn der Besitzer des Kapitals, wenn er auch keine Arbeit aufwendet, trägt doch die Lasten des Risikos und setzt sich einem möglichen Verlust aus, wenn er sein Kapital einem Agenten für Handelsgeschäfte anvertraut, daher sei der Agent verpflichtet, ihm sein Risiko mit einem Prozentanteil am Gewinn zu vergüten, auf den sich beide im Kapitalbeteiligungsvertrag [mudaraba] einigen. Tatsache ist aber, wie das im vorangehenden Kapitel deutlich wurde, dass der Gewinn, welchen der Kapitalgeber dadurch erhält, dass der Agent mit seinem Vermögen Geschäfte tätigt, nicht mit dem Risiko begründet wird, sondern sich seine Rechtfertigung aus dem Eigentum des Kapitalgebers an der Ware, mit welcher der Agent Handel treibt, herleitet. Denn wenn sich auch der Wert dieser Ware in der Regel durch die Handelstätigkeit steigert, die der Agent daran wendet, d.h. dass er sie zum Markt transportiert, bzw. sie den Verbrauchern zugänglich macht, bleibt sie dennoch Eigentum des Kapitalgebers, weil jedes Material Eigentum seines Besitzers bleibt, auch wenn eine andere Person es umwandelt. Dies haben wir als Phänomen der Beständigkeit des Eigentums bezeichnet. Das Recht des Kapitalgebers auf einen Anteil vom Gewinn als Folge seines Eigentums an dem Material, mit welchem der Agent seine Geschäfte betreibt und durch dessen Verkauf er Gewinn erzielt, entspricht also dem Anrecht des Eigentümers von Brettern auf das Bett, welches der Arbeiter aus seinen Brettern gefertigt hat. Daher gilt der Gewinn als ein Recht des Kapitaleigners, selbst wenn er persönlich keinerlei Risiko tragen sollte.

Wenn etwa eine Person mit dem Kapital einer anderen Person ohne deren Wissen Geschäfte macht und dabei Gewinn erzielt, dann hat der Kapitaleigner in so einem Fall die Möglichkeit, sich nachträglich einverstanden zu erklären und sich den Gewinn anzueignen, oder auch Einspruch zu erheben und sein Kapital, bzw. dessen Gegenwert, von dem Agenten zurückzuerhalten. Bei diesem Beispiel beruht die Aneignung des Gewinns durch den Kapitaleigner nicht auf dem Risiko, denn sein Kapital ist ihm auf jeden Fall garantiert, und das Risiko trägt allein der Agent, da er die Garantie für das Kapital und dessen Entschädigung im Falle des Verlustes auf sich nimmt. Dies bedeutet, dass das Anrecht des Kapitaleigners auf den Gewinn in theoretischer Hinsicht weder ein Ergebnis des Risikos ist, noch dessen Entschädigung, noch eine Belohnung des Kapitaleigners dafür, dass er seine Befürchtungen überwindet, wie wir das im Allgemeinen bei den traditionellen kapitalistischen Autoren lesen, die versuchen, dem Risiko das Prädikat einer Heldentat zuzuschreiben, und daraus einen Rechtfertigungsgrund für den Bezug von Einkünften, die dieser mutigen Tat angemessen sind, konstruieren.

Es gibt im islamischen Recht [scharia] eine Anzahl von Phänomenen, welche die Richtigkeit unserer negativen Beurteilung von Risiko und die Tatsache, dass diesem keine positive Rolle bei der Legitimierung von Eigentum zuerkannt wird, belegen. So pflegen z.B. viele die Kreditzinsen mit dem Element des Risikos, welches die Kreditvergabe beinhalten, zu rechtfertigen und zu erklären – womit wir uns in dem folgenden Abschnitt befassen werden – denn wenn der Gläubiger sein Kapital verleiht, so sei das eine Art Wagnis, wodurch er sein Kapital einbüßen kann, falls dem Schuldner in der Zukunft das Glück versagt bleibt und er seiner Verpflichtung nicht nachkommen kann, so dass der Gläubiger nichts zurückerhält. Daher habe er das Recht, eine Gebühr bzw. Belohnung dafür zu erhalten, dass er sein Kapital für den Schuldner aufs Spiel setzt, und diese Belohnung seien die Zinsen. Der Islam stimmt dieser Denkweise nicht zu und findet in dem angeblichen Risiko keine Rechtfertigung für Zinsen, die der Kapitaleigner von dem Schuldner bekommen sollte, daher verbietet er diese definitiv.

Das Verbot von Glücksspiel und von darauf beruhenden Einkünften ist ein weiterer Aspekt des islamischen Rechts [scharia], welcher die Richtigkeit unseres negativen Standpunktes gegenüber dem Element des Risikos belegt. Denn die aus Glücksspiel entstehenden Einkünfte beruhen nicht auf einer Arbeit der Nutzung und Ausbeutung, sondern allein auf dem Risiko, und der Gewinner erhält den Einsatz, weil er sein Kapital aufs Spiel gesetzt und sich verpflichtet hat, den Einsatz seinem Gegenpart zu zahlen, falls er die Wette verliert.

Wir können dem Verbot von Glücksspiel noch das Verbot der Teilhaberschaft beim Einkommen hinzufügen, auf deren Unzulässigkeit viele Rechtsgelehrte hinweisen, wie der Muhaqqiq al-Hilli in den “Schara´i“ und Ibn Hazm in dem Buch “al-Muhalla“. Mit dieser Teilhaberschaft meinen sie, dass zwei oder mehr Personen vereinbaren, dass jeder von ihnen seine spezielle Arbeit verrichtet und sich alle die jeweiligen Einkünfte teilen, etwa wenn zwei Ärzte beschließen, dass jeder von beiden seine ärztliche Tätigkeit praktiziert und z.B. am Ende des Monats jeder die Hälfte der Summe der Honorare, die beide Ärzte zusammen während dieses Monats eingenommen haben, erhält. Das Verbot dieser Teilhaberschaft entspricht der allgemeinen negativen Haltung des islamischen Rechts [scharia] zum Element des Risikos, denn hier beruht Einkommen auf dem Risiko und nicht auf Arbeit. Die beiden Ärzte in unserem Beispiel lassen sich nur auf diese Art von Teilhaberschaft ein, weil sie nicht im Voraus den Umfang der Honorare, die sie einnehmen werden, wissen. So gilt für jeden von beiden, dass das Honorar seines Partners das eigene Honorar möglicherweise übertreffen wird, ebenso wie der umgekehrte Fall eintreten kann. Daher stellt er sich bei der Vereinbarung der Teilhaberschaft darauf ein, auf einen Teil seines Honorars zu verzichten, falls dieses das Honorar seines Partners übertreffen sollte, um etwas von dessen Einkünften zu erhalten, falls diese seine eigenen übersteigen. Folglich hat der Arzt mit dem geringeren Einkommen nur deshalb das Recht, einen Teil von Einkommen und den Früchten der Arbeit des anderen Arztes zu erhalten, weil er zu Beginn ein Risiko eingegangen ist, und bereit war, etwas von seinem Einkommen wegzugeben, falls das Ergebnis des Monats ein anderes wäre. Das bedeutet, dass der Gewinn des Arztes mit dem geringeren Honorar durch das Element des Risikos entsteht, und nicht auf aufgewendeter Arbeit beruht. Wenn das islamische Recht [scharia] ihn also verbietet, und bestimmt, dass die Teilhaberschaft beim Einkommen unzulässig ist, dann bestätigt das ihre negative Beurteilung von Risiko.

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