Die reine Absicht, ihre Bedeutung, ihr Wesen,
und ihre Grade
Wie die
"gemischten" Handlungen zu beurteilen sind und inwieweit sie
eine Belohnung verdienen
Wenn ein Werk
nicht rein auf Allahs Antlitz gerichtet, sondern ihm Beiwerk
von Augendienerei oder sinnlicher Ergötzung beigemischt ist,
so sind die Meinungen darüber verschieden, ob ein solches Werk
Lohn verdiene oder Strafe, oder überhaupt keines von beiden,
so dass es für den Betreffenden weder Verdienst noch Schuld
wäre. Denn wenn jemand aus purer Scheinheiligkeit gehandelt
hat, so ist es ganz gewiss für ihn eine Schuld, die Hass und
Strafe nach sich zieht; das rein auf Allahs Angesicht
gerichtete Werk hingegen hat Belohnung im Gefolge. Die
Meinungsverschiedenheit besteht also nur in Bezug auf das
"gemischte" Werk. Der Wortlaut der Traditionen deutet nun
darauf hin, dass ihm kein Lohn zusteht, aber die Traditionen
sind darin nicht widerspruchsfrei. Das Ergebnis, zu dem wir
gekommen sind, - und Allah weiß, was richtig ist - ist, dass
man die Stärke der jeweiligen Beweggründe zu betrachten hat.
Wenn der übernatürliche (dini) Beweggrund dem
natürlichen (nafsi) gleich ist, so dass sie sich
gegenseitig aufheben, so hat der Betreffende weder Verdienst
noch Schuld. Hat aber das Motiv der Augendienerei ein
Übergewicht, so nützt das Werk nicht nur nichts, sondern es
schadet auch und zieht Strafe nach sich. Allerdings ist die
Strafe dabei geringer als bei einem Werke, das aus bloßer
Augendienerei verrichtet wurde und dem keinerlei Annäherung an
Gott beigemischt ist. Ist aber der Beweggrund der Annäherung
gegenüber dem andern der Stärkere, so kommt ihm eine Belohnung
zu entsprechend dem Maß des Übergewichtes, den das
übernatürliche Motiv besitzt, und zwar wegen des Gotteswortes:
فَمَن يَعْمَلْ مِثْقَالَ ذَرَّةٍ خَيْرًا يَرَهُ وَمَن
يَعْمَلْ مِثْقَالَ ذَرَّةٍ شَرًّا يَرَهُ
„Wer Gutes
getan im Gewicht eines Körnleins, der wird es sehen, und wer
Böses getan im Gewicht eines Körnleins, der wird es sehen“.
(Sure 99 Aya 7-8)
und des anderen:
إِنَّ اللّهَ لاَ يَظْلِمُ مِثْقَالَ ذَرَّةٍ وَإِن تَكُ
حَسَنَةً يُضَاعِفْهَا وَيُؤْتِ مِن لَّدُنْهُ أَجْرًا عَظِيمًا
„Allah wird nicht
ein Körnlein Unrecht tun, und wenn da ist ein gutes Werk, so
wird er es verdoppeln“.
(Sure 4 Aya 40)
Das gute Streben
darf also nicht verloren gehen. Ist dieses nun stärker als das
Streben nach eitlem Ruhm, so schwindet von ihm das dem
letzteren entsprechende Maß und es bleibt der Überschuss.
Hatte aber die gute Absicht nicht das Übergewicht, so
schwindet wenigstens ein Teil der Strafe, welche die schlechte
Absicht nach sich zieht.
Die
Erklärung davon liegt darin, dass die Werke insofern auf das
Herz eine Wirkung ausüben, als sie dessen Eigenschaften
stärken.
Nun ist das Motiv
der Augendienerei etwas Verderbenbringendes, und dieses
Verderbenbringende wird genährt und gekräftigt durch die ihm
entsprechende Handlung, umgekehrt ist das gute Motiv etwas
Heilbringendes, und auch dieses wird gekräftigt durch das
entsprechende Handeln.
Wenn nun die
beiden einander entgegengesetzten Eigenschaften im Herzen
zugleich vorhanden sind, so muss, wenn der Augendienerei
entsprechend gehandelt wird, diese Eigenschaft wachsen, und
umgekehrt die andere Eigenschaft, wenn das Werk entsprechend
der Annäherung an Allah verrichtet wird. Da nun das eine
verderbenbringend, das andere heilbringend ist, so müssen sich
beide, wenn sie in gleichem Maße verstärkt werden, gegenseitig
aufheben. Das verhält sich ähnlich wie mit dem, der an
Fieberhitze leidet, weil er etwas Schädliches genossen hat;
nimmt er an kühlenden Arzneien soviel ein als der Kraft jenes
schädlichen Elements entspricht, so ist es, wenn er sie beide
genommen hat, als hätte er sie nicht genommen; war aber das
eine Element stärker, so kann es nicht ohne Wirkung bleiben.
Wie nun kein Körnchen an Speise, Trank und Arznei verloren
geht, sondern notwendig auf den Körper wirkt gemäß der
Anordnung Allahs, so geht auch kein Körnlein des Guten oder
Bösen verloren, sondern es wirkt stets in der Weise, dass es
das Herz glänzend oder schwarz macht, es Allah nahe bringt
oder von ihm entfernt. Wenn also einer etwas tut, das ihn eine
Spanne nahe bringt und eine Spanne entfernt, so bleibt er, wo
er gewesen, und er hat weder Plus noch Minus. Bringt ihn aber
eine Handlung um zwei Spannen näher und eine andere entfernt
ihn um eine Spanne, so hat er ohne Zweifel eine Spanne gut.
Deshalb sagt der Prophet (s):
„Lass einer bösen Tat eine gute folgen, dann wird die
Erste ausgelöscht.“ (Abu Dawud)
Handelt es sich
also um reine Augendienerei, so wird sie durch ein darauf
folgendes reines Ihlas getilgt. Wenn aber beide
vereinigt sind, so müssen sie notwendigerweise mit einander
streiten. Diese Auffassung findet ihre Bestätigung darin, dass
nach dem Consensus der Gemeinde die Wallfahrt gültig und der
Belohnung würdig ist, auch wenn man Handelsartikel mit sich
führt, obwohl doch hier ein natürliches Interesse beigemischt
ist. Man könnte freilich einwenden, der Betreffende werde nur
für die nach seiner Ankunft in Mekka vollbrachten Leistungen
der Pilgerfahrt belohnt, sein Handel habe mit dieser nichts zu
tun, sie sei also rein, der Nebenzweck betreffe nur den Hin-
und Rückweg, für diesen empfange er keinen Lohn, wenn er dabei
Handelsgeschäfte bezweckte. Dem ist aber nicht so, sondern das
Richtige ist folgendes: Wenn die Pilgerfahrt das
hauptsächliche Motiv war und der Handelszweck nur das
"helfende" und "begleitende", so geht auch die Reise selbst
der Belohnung nicht verlustig. So wissen meiner Ansicht nach
auch die Krieger, die gegen die Ungläubigen zu Felde ziehen,
nicht, ob es sich um eine Gegend handelt, in der viele Beute
zu erwarten steht, oder um eine solche, wo keine zu erwarten
ist; man kann aber doch nicht sagen, die Kenntnis dieses
Unterschiedes mache den Lohn für ihre kriegerische Betätigung
ganz und gar hinfällig. Die rechte Ansicht ist vielmehr die:
Wenn das eigentliche und wirksame Motiv die Erhöhung von
Allahs Wort ist und das Verlangen nach Beute sich nur
begleitend verhält, so wird dadurch die Belohnung nicht
hinfällig. Freilich ist sein Lohn nicht gleich dem Lohne
desjenigen, dessen Sinn überhaupt nicht die Beute
berücksichtigt, denn diese Berücksichtigung ist ohne Zweifel
ein Mangel.
Man könnte aber
einwenden, dass doch die Schrift und die Traditionen darauf
hinweisen, dass die Beimengung der Augendienerei den Lohn
hinfällig macht, und dass die Beimengung des Verlangens nach
Beute, Handelsgewinn und den übrigen Glücksgütern (huzuz)
ungefähr dasselbe sei. So berichten Ta'us und andere von den
Nachfolgern, dass jemand den hochgebenedeiten Propheten
betreffs desjenigen fragte, der Gutes tut - oder sagte er,
Almosen gibt - und dafür sowohl gelobt als auch belohnt werden
möchte. Er wusste ihm nicht zu antworten, bis die Offenbarung
kam:
فَمَن كَانَ
يَرْجُو لِقَاء رَبِّهِ فَلْيَعْمَلْ عَمَلًا صَالِحًا وَلَا
يُشْرِكْ بِعِبَادَةِ رَبِّهِ أَحَدًا
„Und wer da
hofft, seinen Herrn zu sehen, der wirke ein rechtschaffenes
Werk und geselle dem Dienst seines Herrn keinen andern bei.“
(Sure 18 Aya 110)
Jener erstrebte
aber zugleich (jenseitigen) Lohn und Menschenlob. Folglich bat
er nach dieser Koranstelle keine Hoffnung "seinen Herrn zu
sehen". (Ibn
Abi Dunaya,
Hakim)
Ferner berichtet
Mu’ad bin Gabal vom Propheten (s)
den Ausspruch: „Auch die geringste Augendie-nerei ist'
Götzendienst“; (Tabarani, Hakim)
und nach Abu
Huraira sagte der Gesandte Allahs (s): „Zu dem, der bei
seinem Tun Götzendienst getrieben hat, wird gesagt werden:
Nimm deinen Lohn von dem, für den du gearbeitet hast.“
(Mahmud bin Lubaida)
Von Ubada bin
al-Samit wird überliefert, dass Allah ta’ala spricht:
„Ich brauche am allerwenigsten einen Genossen. Wenn also
jemand ein Werk verrichtet und mir einen anderen beigesellt so
lasse ich meinen Anteil meinem Genossen.“
Abu Musa al
Ashari berichtet, dass ein Araber
zum
hochgebenedeiten
Propheten kam
und
zu
ihm
sprach:
„Bote Allahs, der eine
streitet aus Kampflust, der andere aus
Tapferkeit, der dritte,
damit er als Kämpfer für die heilige
Sache
gelte.“
Der Gesandte Allahs
antwortete:
„Wer
dafür kämpft, dass Allahs Wort erhöht werde, der kämpft
für die heilige Sache.“
Und der
selige Umar
sagte:
„Ihr
sagt, der und der ist den Heldentod
gestorben, und
vielleicht hat er die beiden Seiten seines Reittieres mit
Silber angefüllt.“
Der
selige Ibn Masud berichtet schließlich vom
hochgebenedeiten Propheten den Ausspruch: „Wer die
Hidschra macht, um etwas von der Welt zu erlangen, der soll es
haben.“
Dem gegenüber erwidern wir folgendes:
Die aufgeführten Traditionen widersprechen nicht unseren
Ausführungen, sondern sie
beziehen sich nur auf solche,
die bei ihrem Tun ausschließlich
Weltliches suchen
wie in dem Ausspruch:
„Wer
die Hidschra macht, um
etwas von der Welt
zu erlangen“,
oder bei denen dies
wenigstens das Hauptbestreben ist.
Wir
haben bereits ausgeführt,
dass solches Sünde und Verfehlung
ist, nicht als ob das
Streben nach weltlichen Dingen überhaupt unerlaubt wäre,
unerlaubt ist vielmehr, sie zu erstreben
durch
religiöse Handlungen, weil
darin Augendienerei
liegt und der
Dienst Allahs dadurch
verkehrt wird. Der
Ausdruck Schirk (Beigesellung, Götzendienst) gilt,
wo er im Quran
vorkommt, nur für
das Gleichsein. Wir haben aber bereits dargelegt,
dass, wenn beide Bestrebungen gleich sind, sie einander
aufheben, so dass der
Betreffende weder Verdienst noch Schuld
und auch keinen Lohn zu
erhoffen hat;
außerdem ist der
Mensch bei der Beigesellung ständig in Gefahr, da er
nicht weiß, welche Seite
bei seinem Streben das Übergewicht hat
und ob er nicht vielleicht
Züchtigung verdient.
Deshalb sagt
Allah ta’ala:
فَمَن كَانَ
يَرْجُو لِقَاء رَبِّهِ فَلْيَعْمَلْ عَمَلًا صَالِحًا وَلَا
يُشْرِكْ بِعِبَادَةِ رَبِّهِ أَحَدًا
„Und wer
da hofft, seinen Herrn zu
sehen,
der wirke ein rechtschaffenes
Werk
und geselle dem
Dienste
seines Herrn keinen anderen bei.“
(Sure18
Aya 110)
Das
heißt, es besteht
keine
Hoffnung, zu Allah ta’ala zu kommen, mit der
Beigesellung,
bei der
im günstigsten Falle beide Seiten einander aufheben.
Man kann ferner sagen: Die Stufe des Martyriums wird nur
erreicht durch die reine Absicht beim Kämpfen. Aber es geht
nicht an, zu sagen: Wenn jemand, den ein religiöser Beweggrund
lediglich zum Kämpfen
angetrieben hat, auch
wenn keine Beute in
Aussicht steht, und er bekommt dann die Möglichkeit,
gegen zwei Scharen von Ungläubigen zu kämpfen,
eine
reiche und eine arme, und
er entscheidet sich für die reiche, wegen der Erhöhung von
Allahs Wort und wegen der Beute,
so gebühre ihm für den
Kampf gar kein Lohn. Allah bewahre, dass die Sache so
sei! Das wäre eine
Schädigung der Religion
und müsste die Gläubigen
zur Verzweiflung bringen.
Denn von
dergleichen „begleitenden" Nebenabsichten ist der Mensch
doch nur ganz selten frei.
Sie bewirken wohl
eine Verminderung der Belohnung, aber sie machen diese
keineswegs zunichte.
Allerdings schwebt
der Mensch dabei in großer Gefahr,
denn er meint manchmal,
der stärkere Beweggrund sei die
Annäherung an Allah, und
das Übergewicht hat
bei ihm tatsächlich
ein sinnliches Gut.
Es sind das Dinge, die äußerst
schwer zu erkennen sind.
Die Belohnung erfolgt nur auf Grund
der reinen Absicht, nur
selten ist sich aber der Mensch der reinen Absicht gewiss,
auch wenn er noch so sehr auf der
Hut ist.
Deshalb muss er, auch wenn
er sich alle Mühe gegeben
hat, zweifeln, ob er angenommen oder verworfen wird,
und fürchten, dass
seine religiöse Handlung
einen Mangel
enthält, so dass er mehr Strafe als Belohnung
verdient.
So
fürchteten sich die
Einsichtigen und so muss jeder Einsichtige
sich fürchten.
Deshalb sagt Sufijan:
„Ich verlasse mich nicht
darauf, wie mein Werk äußerlich beschaffen ist.“
Und Abd al-Aziz bin abi Da'ud
sagte:
„Ich wohne sechzig Jahre neben
diesem Hause und habe
sechzigmal die Pilgerfahrt
gemacht
und kein Werk für Allah
verrichtet, ohne
von mir Rechenschaft zu fordern, aber immer fand ich
den Anteil des Teufels
größer als den Anteil Allahs, möge es mir wenigstens nicht
als Schuld
angerechnet werden.“
Trotzdem darf man aus Furcht
vor der Unvollkommenheit ein Werk nicht ganz und
gar unterlassen, denn
darauf hat es der Teufel letzten Endes
bei einem abgesehen. Es
ist freilich notwendig, dass die reine
Absicht nicht fehle; wenn
aber das Werk ganz unterlassen
wird, so ist sowohl dieses
als auch die reine Absicht verloren.
So wird
erzählt, dass dem Abu Said al-Harraz ein Faqir
diente und tüchtig war in
seiner Arbeit. Als nun Abu Said
eines Tages über die reine
Absicht bei den Werken geredet
hatte, fing der Faqir an,
bei jeder Handlung sein Herz zu
prüfen und eine reine
Absicht bei sich zu suchen. Er konnte
daher gar nichts mehr zur
Ausführung bringen.
Als der
Meister sich dadurch
geschädigt sah und ihn darüber fragte,
berichtete er ihm, wie er
von sich eine wirkliche reine Absicht
verlange, und weil er bei
den meisten Handlungen keine solche
finden könne, lasse er
sie bleiben. „Das darfst du nicht tun,“
erwiderte ihm Abu Said,
„denn die reine Absicht soll das
Handeln nicht beseitigen.
Verrichte also dein Werk und bemühe
dich um die Erlangung einer reinen Absicht!
Ich habe
nicht zu dir gesagt:
unterlasse das Werk, sondern ich habe nur gesagt: läutere das
Werk.“
So sagt
auch al-Fudail: „Ein Werk, der Menschen wegen
zu
unterlassen, ist Augendienerei, und es der Menschen wegen
zu tun ist Abgötterei
(Schirk).“