Ghazalis Werk
Gazzali İhyau Ulumi'd-Din 1/6 إحياء علوم الدين in Bochum - Bochum-Mitte |  eBay Kleinanzeigen

Über Intention, reine Absicht und Wahrhaftigkeit

كتاب النية والإخلاص والصدق

Das 37. Buch von Ghazalis Hauptwerk

Übersetzt von Hans Bauer, Halle 1916

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Die reine Absicht, ihre Bedeutung, ihr Wesen, und ihre Grade

Wie die "gemischten" Handlungen zu beurteilen sind und inwieweit sie eine Belohnung verdienen

Wenn ein Werk nicht rein auf Allahs Antlitz gerichtet, sondern ihm Beiwerk von Augendienerei oder sinnlicher Ergötzung beigemischt ist, so sind die Meinungen darüber verschieden, ob ein solches Werk Lohn verdiene oder Strafe, oder überhaupt keines von beiden, so dass es für den Betreffenden weder Verdienst noch Schuld wäre. Denn wenn jemand aus purer Scheinheiligkeit gehandelt hat, so ist es ganz gewiss für ihn eine Schuld, die Hass und Strafe nach sich zieht; das rein auf Allahs Angesicht gerichtete Werk hingegen hat Belohnung im Gefolge. Die Meinungsverschiedenheit besteht also nur in Bezug auf das "gemischte" Werk. Der Wortlaut der Traditionen deutet nun darauf hin, dass ihm kein Lohn zusteht, aber die Traditionen sind darin nicht widerspruchsfrei. Das Ergebnis, zu dem wir gekommen sind, - und Allah weiß, was richtig ist - ist, dass man die Stärke der jeweiligen Beweggründe zu betrachten hat. Wenn der übernatürliche (dini) Beweggrund dem natürlichen (nafsi) gleich ist, so dass sie sich gegenseitig aufheben, so hat der Betreffende weder Verdienst noch Schuld. Hat aber das Motiv der Augendienerei ein Übergewicht, so nützt das Werk nicht nur nichts, sondern es schadet auch und zieht Strafe nach sich. Allerdings ist die Strafe dabei geringer als bei einem Werke, das aus bloßer Augendienerei verrichtet wurde und dem keinerlei Annäherung an Gott beigemischt ist. Ist aber der Beweggrund der Annäherung gegenüber dem andern der Stärkere, so kommt ihm eine Belohnung zu entsprechend dem Maß des Übergewichtes, den das übernatürliche Motiv besitzt, und zwar wegen des Gotteswortes:

فَمَن يَعْمَلْ مِثْقَالَ ذَرَّةٍ خَيْرًا يَرَهُ   وَمَن يَعْمَلْ مِثْقَالَ ذَرَّةٍ شَرًّا يَرَهُ

„Wer Gutes getan im Gewicht eines Körnleins, der wird es sehen, und wer Böses getan im Gewicht eines Körnleins, der wird es sehen“. (Sure 99 Aya 7-8)

und des anderen:

إِنَّ اللّهَ لاَ يَظْلِمُ مِثْقَالَ ذَرَّةٍ وَإِن تَكُ حَسَنَةً يُضَاعِفْهَا وَيُؤْتِ مِن لَّدُنْهُ أَجْرًا عَظِيمًا

„Allah wird nicht ein Körnlein Unrecht tun, und wenn da ist ein gutes Werk, so wird er es verdoppeln“. (Sure 4 Aya 40)

Das gute Streben darf also nicht verloren gehen. Ist dieses nun stärker als das Streben nach eitlem Ruhm, so schwindet von ihm das dem letzteren entsprechende Maß und es bleibt der Überschuss. Hatte aber die gute Absicht nicht das Übergewicht, so schwindet wenigstens ein Teil der Strafe, welche die schlechte Absicht nach sich zieht. Die Erklärung davon liegt darin, dass die Werke insofern auf das Herz eine Wirkung ausüben, als sie dessen Eigenschaften stärken.

Nun ist das Motiv der Augendienerei etwas Verderbenbringendes, und dieses Verderbenbringende wird genährt und gekräftigt durch die ihm entsprechende Handlung, umgekehrt ist das gute Motiv etwas Heilbringendes, und auch dieses wird gekräftigt durch das entsprechende Handeln.

Wenn nun die beiden einander entgegengesetzten Eigenschaften im Herzen zugleich vorhanden sind, so muss, wenn der Augendienerei entsprechend gehandelt wird, diese Eigenschaft wachsen, und umgekehrt die andere Eigenschaft, wenn das Werk entsprechend der Annäherung an Allah verrichtet wird. Da nun das eine verderbenbringend, das andere heilbringend ist, so müssen sich beide, wenn sie in gleichem Maße verstärkt werden, gegenseitig aufheben. Das verhält sich ähnlich wie mit dem, der an Fieberhitze leidet, weil er etwas Schädliches genossen hat; nimmt er an kühlenden Arzneien soviel ein als der Kraft jenes schädlichen Elements entspricht, so ist es, wenn er sie beide genommen hat, als hätte er sie nicht genommen; war aber das eine Element stärker, so kann es nicht ohne Wirkung bleiben. Wie nun kein Körnchen an Speise, Trank und Arznei verloren geht, sondern notwendig auf den Körper wirkt gemäß der Anordnung Allahs, so geht auch kein Körnlein des Guten oder Bösen verloren, sondern es wirkt stets in der Weise, dass es das Herz glänzend oder schwarz macht, es Allah nahe bringt oder von ihm entfernt. Wenn also einer etwas tut, das ihn eine Spanne nahe bringt und eine Spanne entfernt, so bleibt er, wo er gewesen, und er hat weder Plus noch Minus. Bringt ihn aber eine Handlung um zwei Spannen näher und eine andere entfernt ihn um eine Spanne, so hat er ohne Zweifel eine Spanne gut. Deshalb sagt der Prophet (s)[1]: „Lass einer bösen Tat eine gute folgen, dann wird die Erste ausgelöscht.“ (Abu Dawud)

Handelt es sich also um reine Augendienerei, so wird sie durch ein darauf folgendes reines Ihlas getilgt. Wenn aber beide vereinigt sind, so müssen sie notwendigerweise mit einander streiten. Diese Auffassung findet ihre Bestätigung darin, dass nach dem Consensus der Gemeinde die Wallfahrt gültig und der Belohnung würdig ist, auch wenn man Handelsartikel mit sich führt, obwohl doch hier ein natürliches Interesse beigemischt ist. Man könnte freilich einwenden, der Betreffende werde nur für die nach seiner Ankunft in Mekka vollbrachten Leistungen der Pilgerfahrt belohnt, sein Handel habe mit dieser nichts zu tun, sie sei also rein, der Nebenzweck betreffe nur den Hin- und Rückweg, für diesen empfange er keinen Lohn, wenn er dabei Handelsgeschäfte bezweckte. Dem ist aber nicht so, sondern das Richtige ist folgendes: Wenn die Pilgerfahrt das hauptsächliche Motiv war und der Handelszweck nur das "helfende" und "begleitende", so geht auch die Reise selbst der Belohnung nicht verlustig. So wissen meiner Ansicht nach auch die Krieger, die gegen die Ungläubigen zu Felde ziehen, nicht, ob es sich um eine Gegend handelt, in der viele Beute zu erwarten steht, oder um eine solche, wo keine zu erwarten ist; man kann aber doch nicht sagen, die Kenntnis dieses Unterschiedes mache den Lohn für ihre kriegerische Betätigung ganz und gar hinfällig. Die rechte Ansicht ist vielmehr die: Wenn das eigentliche und wirksame Motiv die Erhöhung von Allahs Wort ist und das Verlangen nach Beute sich nur begleitend verhält, so wird dadurch die Belohnung nicht hinfällig. Freilich ist sein Lohn nicht gleich dem Lohne desjenigen, dessen Sinn überhaupt nicht die Beute berücksichtigt, denn diese Berücksichtigung ist ohne Zweifel ein Mangel.

Man könnte aber einwenden, dass doch die Schrift und die Traditionen darauf hinweisen, dass die Beimengung der Augendienerei den Lohn hinfällig macht, und dass die Beimengung des Verlangens nach Beute, Handelsgewinn und den übrigen Glücksgütern (huzuz) ungefähr dasselbe sei. So berichten Ta'us und andere von den Nachfolgern, dass jemand den hochgebenedeiten Propheten betreffs desjenigen fragte, der Gutes tut - oder sagte er, Almosen gibt - und dafür sowohl gelobt als auch belohnt werden möchte. Er wusste ihm nicht zu antworten, bis die Offenbarung kam:

فَمَن كَانَ يَرْجُو لِقَاء رَبِّهِ فَلْيَعْمَلْ عَمَلًا صَالِحًا وَلَا يُشْرِكْ بِعِبَادَةِ رَبِّهِ أَحَدًا

„Und wer da hofft, seinen Herrn zu sehen, der wirke ein rechtschaffenes Werk und geselle dem Dienst seines Herrn keinen andern bei.“ (Sure 18 Aya 110)

Jener erstrebte aber zugleich (jenseitigen) Lohn und Menschenlob. Folglich bat er nach dieser Koranstelle keine Hoffnung "seinen Herrn zu sehen". (Ibn Abi Dunaya[2], Hakim)

Ferner berichtet Mu’ad bin Gabal vom Propheten (s)[3] den Ausspruch: „Auch die geringste Augendie-nerei ist' Götzendienst“; (Tabarani, Hakim)

und nach Abu Huraira sagte der Gesandte Allahs (s): „Zu dem, der bei seinem Tun Götzendienst getrieben hat, wird gesagt werden: Nimm deinen Lohn von dem, für den du gearbeitet hast.“  (Mahmud bin Lubaida)

Von Ubada bin al-Samit wird überliefert, dass Allah ta’ala spricht: „Ich brauche am allerwenigsten einen Genossen. Wenn also jemand ein Werk verrichtet und mir einen anderen beigesellt so lasse ich meinen Anteil meinem Genossen.“

Abu Musa al Ashari berichtet, dass ein Araber zum hochgebenedeiten Propheten kam und zu ihm sprach: „Bote Allahs, der eine streitet aus Kampflust, der andere aus Tapferkeit, der dritte, damit er als Kämpfer für die heilige Sache gelte.“ Der Gesandte Allahs antwortete: „Wer dafür kämpft, dass Allahs Wort erhöht werde, der kämpft für die heilige Sache.“

Und der selige Umar sagte: „Ihr sagt, der und der ist den Heldentod gestorben, und vielleicht hat er die beiden Seiten seines Reittieres mit Silber angefüllt.“

Der selige Ibn Masud berichtet schließlich vom hochgebenedeiten Propheten den Ausspruch: „Wer die Hidschra macht, um etwas von der Welt zu erlangen, der soll es haben.“

Dem gegenüber erwidern wir folgendes: Die aufgeführten Traditionen widersprechen nicht unseren Ausführungen, sondern sie beziehen sich nur auf solche, die bei ihrem Tun aus­schließlich Weltliches suchen wie in dem Ausspruch: „Wer die Hidschra macht, um etwas von der Welt zu erlangen“, oder bei denen dies wenigstens das Hauptbestreben ist. Wir haben bereits ausgeführt, dass solches Sünde und Verfehlung ist, nicht als ob das Streben nach weltlichen Dingen überhaupt unerlaubt wäre, unerlaubt ist vielmehr, sie zu erstreben durch religiöse Handlungen, weil darin Augendienerei liegt und der Dienst Allahs dadurch verkehrt wird. Der Ausdruck Schirk (Beigesellung, Götzendienst) gilt, wo er im Quran vor­kommt, nur für das Gleichsein. Wir haben aber bereits dar­gelegt, dass, wenn beide Bestrebungen gleich sind, sie einander aufheben, so dass der Betreffende weder Verdienst noch Schuld und auch keinen Lohn zu erhoffen hat; außerdem ist der Mensch bei der Beigesellung ständig in Gefahr, da er nicht weiß, welche Seite bei seinem Streben das Übergewicht hat und ob er nicht vielleicht Züchtigung verdient. Deshalb sagt Allah ta’ala:

فَمَن كَانَ يَرْجُو لِقَاء رَبِّهِ فَلْيَعْمَلْ عَمَلًا صَالِحًا وَلَا يُشْرِكْ بِعِبَادَةِ رَبِّهِ أَحَدًا

„Und wer da hofft, seinen Herrn zu sehen, der wirke ein rechtschaffenes Werk und geselle dem Dienste seines Herrn keinen anderen bei.“ (Sure18 Aya 110)

Das heißt, es besteht keine Hoffnung, zu Allah ta’ala zu kommen, mit der Beigesellung, bei der im günstigsten Falle beide Seiten einander aufheben. Man kann ferner sagen: Die Stufe des Martyriums wird nur erreicht durch die reine Absicht beim Kämpfen. Aber es geht nicht an, zu sagen: Wenn jemand, den ein religiöser Beweggrund lediglich zum Kämpfen angetrieben hat, auch wenn keine Beute in Aussicht steht, und er bekommt dann die Möglich­keit, gegen zwei Scharen von Ungläubigen zu kämpfen, eine reiche und eine arme, und er entscheidet sich für die reiche, wegen der Erhöhung von Allahs Wort und wegen der Beute, so gebühre ihm für den Kampf gar kein Lohn. Allah bewahre, dass die Sache so sei! Das wäre eine Schädigung der Religion und müsste die Gläubigen zur Verzweiflung bringen. Denn von dergleichen „begleitenden" Nebenabsichten ist der Mensch doch nur ganz selten frei. Sie bewirken wohl eine Ver­minderung der Belohnung, aber sie machen diese keineswegs zunichte. Allerdings schwebt der Mensch dabei in großer Gefahr, denn er meint manchmal, der stärkere Beweggrund sei die Annäherung an Allah, und das Übergewicht hat bei ihm tat­sächlich ein sinnliches Gut. Es sind das Dinge, die äußerst schwer zu erkennen sind. Die Belohnung erfolgt nur auf Grund der reinen Absicht, nur selten ist sich aber der Mensch der reinen Absicht gewiss, auch wenn er noch so sehr auf der Hut ist. Deshalb muss er, auch wenn er sich alle Mühe ge­geben hat, zweifeln, ob er angenommen oder verworfen wird, und fürchten, dass seine religiöse Handlung einen Mangel enthält, so dass er mehr Strafe als Belohnung verdient. So fürchteten sich die Einsichtigen und so muss jeder Einsichtige sich fürchten.

Deshalb sagt Sufijan: „Ich verlasse mich nicht darauf, wie mein Werk äußerlich beschaffen ist.“

Und Abd al-Aziz bin abi Da'ud sagte: „Ich wohne sechzig Jahre neben diesem Hause und habe sechzigmal die Pilgerfahrt gemacht und kein Werk für Allah verrichtet, ohne von mir Rechen­schaft zu fordern, aber immer fand ich den Anteil des Teufels größer als den Anteil Allahs, möge es mir wenigstens nicht als Schuld angerechnet werden.“

Trotzdem darf man aus Furcht vor der Unvollkommenheit ein Werk nicht ganz und gar unterlassen, denn darauf hat es der Teufel letzten Endes bei einem abgesehen. Es ist freilich notwendig, dass die reine Absicht nicht fehle; wenn aber das Werk ganz unterlassen wird, so ist sowohl dieses als auch die reine Absicht verloren.

So wird erzählt, dass dem Abu Said al-Harraz ein Faqir diente und tüchtig war in seiner Arbeit. Als nun Abu Said eines Tages über die reine Absicht bei den Werken geredet hatte, fing der Faqir an, bei jeder Handlung sein Herz zu prüfen und eine reine Absicht bei sich zu suchen. Er konnte daher gar nichts mehr zur Ausführung bringen. Als der Meister sich dadurch geschädigt sah und ihn darüber fragte, berichtete er ihm, wie er von sich eine wirkliche reine Absicht verlange, und weil er bei den meisten Handlungen keine solche finden könne, lasse er sie bleiben. „Das darfst du nicht tun,“ erwiderte ihm Abu Said, „denn die reine Absicht soll das Handeln nicht beseitigen. Verrichte also dein Werk und be­mühe dich um die Erlangung einer reinen Absicht! Ich habe nicht zu dir gesagt: unterlasse das Werk, sondern ich habe nur gesagt: läutere das Werk.“

So sagt auch al-Fudail: „Ein Werk, der Menschen wegen zu unterlassen, ist Augendienerei, und es der Menschen wegen zu tun ist Abgötterei (Schirk).“

Fußnoten

[1] Berichtet von Abu Huraira

[2] Verzeichnet in Kitab us-Sunna

[3] Berichtet von Mu’ad

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