Ghazalis Werk
Gazzali İhyau Ulumi'd-Din 1/6 إحياء علوم الدين in Bochum - Bochum-Mitte |  eBay Kleinanzeigen

Über Intention, reine Absicht und Wahrhaftigkeit

كتاب النية والإخلاص والصدق

Das 37. Buch von Ghazalis Hauptwerk

Übersetzt von Hans Bauer, Halle 1916

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Die Wahrhaftigkeit, ihr hoher Wert

Wesen der Wahrhaftigkeit, ihre Bedeutung und ihre Stufen

Das Wort Wahrhaftigkeit wird in sechsfacher Bedeutung gebraucht:

1. für die Wahrhaftigkeit im Reden,

2. in der Intention und im Willen,

3. im Entschluss,

4. in der Aus­führung des Entschlusses,

5. im Handeln,

6. in der richtigen Innehaltung aller religiösen „Stufen" (maqamat).

Wem also die Wahrhaftigkeit in all diesen Bedeutungen zukommt, der ist ein Siddiq, denn dieses Wort drückt einen besonders hohen Grad der Wahrhaftigkeit aus. Diese hat ferner verschiedene Grade; wer an einem der genannten sechs einen Anteil hat, der ist wahrhaftig in Bezug auf das, worin seine Wahrhaftig­keit sich betätigt.

Die erste Wahrhaftigkeit ist die der Zunge. Sie er­streckt sich nur auf die Aussagen oder auf das, was eine Aus­sage einschließt oder auf eine solche hinweist. Die Aussage bezieht sich entweder auf die Vergangenheit oder die Zukunft, und hierher gehört auch das Erfüllen oder Nichterfüllen des Versprechens. Jeder Mensch muss auf seine Worte achten und darf nur mit Wahrhaftigkeit reden. Das ist die bekannteste und geläufigste Art der Wahrhaftigkeit. Wer also seine Zunge davor bewahrt, die Dinge anders darzustellen als sie sind, der ist wahrhaftig. Diese Wahrhaftigkeit enthält ein Doppeltes:

Erstens: die Vermeidung der Zweideutigkeiten (ma`arid), von denen es heißt: „Die Zweideutigkeiten bieten einen Ausweg (manduha) vor der Lüge." Sie stehen nämlich auf derselben Stufe wie die Lüge, denn das an der Lüge Ver­pönte ist, die Sache anders darzustellen als sie in sich ist, außer es liegt eine Notwendigkeit dazu vor und es wird unter gewissen Umständen durch das Gemeinwohl (maslaha) ge­fordert, ferner bei der Erziehung der Kinder und Frauen und dergleichen, und wenn es sich darum handelt, ein Unrecht zu verhüten, oder im Kampf mit den Feinden und um zu ver­hüten, dass sie hinter die Geheimnisse des Herrschers kommen. In solchen Notlagen besteht die Wahrhaftigkeit darin, dass man für Allah so rede, wie es das Recht befiehlt und die Religion erfordert. Wer so redet, der ist wahrhaftig, auch wenn seine Rede die Sache anders darstellt, als sie ist. Denn die Wahrhaftigkeit ist nicht Selbstzweck, sondern sie soll auf das, was recht ist, hinweisen und dazu antreiben. Man muss also nicht auf die Form, sondern auf den Sinn sehen. In einen solchen Fall darf man daher allerdings zu Zweideutig­keiten greifen, sofern das möglich ist. So pflegte der hoch­gebenedeite Prophet, wenn er irgendwohin reiste, sich zu verkleiden, damit nicht die Nachricht davon zu den Feinden gelange und man ihm nachstelle. Solches ist in keiner Weise Lüge. (Ka’b bin Malik)

Auch sagt der hochgebenedeite Prophet: „Der ist kein Lügner, der zwischen zweien Frieden stiftet und dabei Gutes redet und Gutes berichtet."

Für drei Fälle hat er erlaubt, dem Nutzen gemäß zu reden: „Wenn jemand zwei Menschen versöhnen will, wenn einer zwei Frauen hat und wenn es sich um kriegerische Interessen handelt."

Die Wahrhaftigkeit liegt hier in der Intention, man betrachtet also hier nur die Wahr­haftigkeit der Intention und die gute Absicht. Wenn der Zweck gut ist und die Absicht wahrhaftig und sein Wille sich nur auf das Gute richtet, so ist der Betreffende wahrhaftig, wie er auch sich ausdrücken möge. Die Zweideutigkeit dabei ist aber besser. Wie solches geschehen kann, ersieht man aus folgender Geschichte: Es wurde jemand von einem Übeltäter gesucht, als er in seinem Hause sich befand. Da sagte er zu seiner Frau: „Zeichne mit deinem Finger einen Kreis, lege deinen Finger auf den Kreis und sprich: 'er ist nicht hier'.“

Auf diese Weise vermied er die Lüge und lenkte den Übeltäter von sich ab. Seine Rede war wahrhaftig, und doch besagte sie, dass er nicht im Hause sei.

Die erste Vollkommenheit der Rede besteht also darin, sich vor ausdrücklicher Unwahrheit zu hüten und auch vor Restriktionen, außer im Notfall. Die zweite besteht darin, dass man die Wahrhaftigkeit auch in den Worten beobachte, mit denen man zu Allah redet, so z.B.: in dem Quranvers:

إِنِّي وَجَّهْتُ وَجْهِيَ لِلَّذِي فَطَرَ السَّمَاوَاتِ وَالأَرْضَ حَنِيفًا

„Ich richte mein Antlitz zu dem, der Himmel und Erde geschaffen hat." (Sure 6  Aya 79)

Denn wenn jemandes Herz von Allah ta’ala abgewendet und mit weltlichen Wünschen und Be­gierden beschäftigt ist, so ist das Lüge. Desgleichen in dem Vers:

إِيَّاكَ نَعْبُدُ وإِيَّاكَ نَسْتَعِينُ

„Dir dienen wir und Dich rufen wir um Hilfe an"; (Sure 1 Aya 5)

oder:

إِنِّي عَبْدُ اللَّهِ

„Ich bin Allahs Diener."  (Sure 19  Aya 30)

Denn wenn einer nicht das Wesen der „Dienerschaft" besitzt und außer Allah ein anderes Ziel hat, so ist seine Rede nicht wahrhaftig, und wenn er am jüngsten Tage Rechenschaft ablegen muss über die Wahrhaftigkeit des von ihm ausgesprochenen Satzes: 'Ich bin Allahs Diener', so kann er keine richtige Erklärung geben; wenn er nämlich ein Diener seiner selbst oder der Welt oder seiner Leidenschaften ist, so ist er nicht wahrhaftig in seiner Rede. Denn der Mensch ist der Diener von all dem, dem er wirklich dient, wie Jesus der Gebenedeite sagt: „0 ihr Diener der Welt.“

Und unser Prophet (s)[1] sagt: „Verflucht sei der Diener des Dinars und der Diener des Dir-hams, der Diener des Mantels und der Diener des Hemdes.“ (Buhari)

Jeder, der mit seinem Herzen einer Sache dient, heißt deren Diener, der rechte Diener Allahs aber ist derjenige, der fürs erste von allem, was nicht Allahs ist, entledigt und vollkommen frei geworden ist. Wenn diese Freiheit vorausgegangen ist, so wird das Herz aufnahmefähig und es kehrt darin ein die Dienstbarkeit (`ubudiyya) gegen Allah. Sie beschäftigt ihn mit Allah und der Liebe zu ihm und nimmt ihn innerlich und äußerlich in Anspruch durch seinen Dienst, so dass er nichts will außer Allah ta’ala. Dann steigt ein solcher manchmal auf zu einer höheren Stufe, diese heißt „Freiheit" und besteht darin, dass er auch des Willens auf Allah entledigt wird, insofern er Allah  ist, und sich mit dem begnügt, was Allah für ihn will, sei es Annäherung oder Entfernung, so dass sein Wille im Willen Allahs aufgeht. Ein solcher Diener ist aller Dinge ledig außer Allah und ist frei geworden, dann wird er auch seiner selbst ledig und noch einmal frei, er verliert sich selbst und existiert nur noch für seinen Herrn und Gebieter; wenn er ihn bewegt, so bewegt er sich, und wenn er ihn ruhen lässt, so bleibt er in Ruhe, und wenn er ihn prüft, so ist er zufrieden, er hat nicht mehr die Möglichkeit, etwas zu ver­langen, sich einer Sache zu- oder von ihr abzuwenden, sondern er ist in Allahs Hand wie der Leichnam in der Hand des Leichenwäschers. Das ist die höchste Wahrhaftigkeit in der „Dienstbarkeit" gegen Allah ta’ala. Der wirkliche Diener ist also derjenige, dessen Sein nicht ihm selbst, sondern seinem Herrn gehört, das ist die Stufe der Siddiqiin (der ganz Wahrhaftigen). Die Freiheit von dem, was nicht Allahs ist, kenn­zeichnet die verschiedenen Stufen der Wahrhaftigen, und darnach kommt die eigentliche „Dienstbarkeit" (’ubudiyya) gegen Allah ta’ala; wer aber noch davor sich befindet, verdient nicht Sadiq oder Siddiq genannt zu werden. Das ist also mit der Wahrhaftigkeit im Reden gemeint.

Die zweite Wahrhaftigkeit, nämlich die in der Absicht und dem Willen, fällt zusammen mit dem Ihlas, welches darin besteht, dass man in seinem Tun und Lassen von keinem anderen Motiv bestimmt wird als von Allah ta’ala. Wenn nämlich hierbei ein natürliches Interesse mit im Spiele ist, so wird die Wahrhaftigkeit der Absicht aufgehoben und man kann den Betreffenden Lügner nennen entsprechend der Tradition von den dreien, die wir im Abschnitt über den hohen Wert der reinen Absicht angeführt haben, wo der Gelehrte gefragt wird, was er mit seinem Wissen gemacht habe, und er ant­wortet: „Das und das“, und Allah ta’ala entgegnet: „Du lügst, du hast vielmehr gewollt, dass man sage: der und der ist ein Gelehrter“; er nennt ihn nämlich nicht deswegen Lügner, weil er nicht so getan hätte, sondern wegen seines Willens und seiner Absicht.

Ein anderer[2] sagt: „Die Wahrhaftigkeit ist die Richtigkeit des Tauhid (Einsmachens) im Streben.“ (Tirmidhi, An-Nasa’i, Buhari)

So ist auch das Gotteswort zu verstehen:

إِذَا جَاءكَ الْمُنَافِقُونَ قَالُوا نَشْهَدُ إِنَّكَ لَرَسُولُ اللَّهِ وَاللَّهُ يَعْلَمُ إِنَّكَ لَرَسُولُهُ وَاللَّهُ يَشْهَدُ إِنَّ الْمُنَافِقِينَ لَكَاذِبُونَ

„Und Allah bezeugt, dass die Heuchler Lügner sind.“ Sie hatten wohl gesagt: „Du bist der Gesandte Allahs“ (Sure 63 Aya 1),

und das ist richtig, aber Allah  nennt sie dennoch Lügner, nicht um dessen willen, was sie mit der Zunge redeten, sondern um dessen willen, was sie im Herzen verbargen; das Wort „Lügner" bezieht sich also auf die (subjektive) Aussage. Jener Satz enthält nämlich nach der Lage der Dinge eine Aussage, denn der Sprechende bringt zum Ausdruck, dass er das glaubt, was er sagt. Er lügt folglich in dem, was er nach der Lage der Dinge als seine innere Überzeugung ausgibt; darum also wird er Lügner ge­nannt und nicht wegen des Inhalts seiner Aussage. So fällt demnach eine der Bedeutungen der Wahrhaftigkeit mit der Reinheit der Absicht zusammen, dem ihlas. Jeder Wahrhaftige ist also notwendigerweise auch ein muhlis.

Die dritte Art von Wahrhaftigkeit ist die Wahrhaftigkeit des Vorsatzes. Der Mensch fasst bisweilen einen Vorsatz, etwas zu tun, und sagt z.B.: bei sich selbst: „Wenn Allah mir Vermögen verleiht, so werde ich es ganz oder zur Hälfte als Almosen spenden“ oder „wenn ich im Kampfe für die heilige Sache einem Feind begegne, so will ich ihn rücksichtslos be­kämpfen, und ich mache mir nichts daraus, auch wenn ich dabei umkomme,“ oder „wenn mir Allah ta’ala ein Amt gibt, so will ich es gerecht verwalten und Allah ta’ala nicht durch Un­gerechtigkeit und Parteilichkeit beleidigen." Diesen Entschluss findet er manchmal bei sich als einen kräftigen, entschiedenen und wahrhaften Entschluss, manchmal aber gibt es darin eine gewisse Unentschiedenheit, ein Schwanken und eine Schwäche, die der Wahrhaftigkeit des Entschlusses entgegensteht. Wahrhaftigkeit bedeutet hier Kraft und Vollkommenheit, wie man sagt: der und der hat einen „wahrhaften" Appetit, und dieser Kranke hat einen täuschenden Appetit, wenn sein Appetit nicht eine positive kräftige Ursache hat, oder nur schwach ist. Manchmal wird der Ausdruck sidq absolut in diesem letzteren Sinne gebraucht, und sadiq, siddiq heißt derjenige, bei dem der Entschluss für alles Gute vollkommen kräftig ist, ohne Unentschiedenheit, Schwäche und Schwanken, dessen Seele sich immer auszeichnet durch einen dauernden und entschiedenen Entschluss für das Gute, so wie der selige Umar sagte: „Ich will lieber hingehen und mir den Kopf abschlagen lassen, als den Befehl übernehmen über Leute, bei denen Abu Bakr ist“;

denn er fand bei sich den entschiedenen Entschluss und den wahrhaften Willen, keinen Befehl zu übernehmen, solange der selige Abu Bakr da sei, und er bekräftigte das, indem er vom Töten sprach. Es gibt verschiedene Grade der Wahrhaftigkeit der Entschlüsse. Es ist manchmal ein Entschluss vorhanden, er reicht aber nicht so weit, dass der Betreffende dafür sterben möchte. Gesetzt aber, es wird ihm die Wahl gelassen, und er schwingt sich nicht so weit auf, selbst wenn man ihm jene Geschichte vom Töten vorhält, so ist deswegen sein Entschluss noch nicht hinfällig. Es gibt ja auch unter den Wahrhaftigen und den Gläubigen solche, denen ihr eigenes Leben lieber wäre als das des Abu Bakr, wenn ihnen die Wahl gelassen werde, dass sie selbst getötet werden sollten oder Abu Bakr.

Die vierte Wahrhaftigkeit bezieht sich auf das Halten des Vorsatzes. Denn die Seele ist manchmal hochherzig im Entschluss für den Augenblick, da das Versprechen und der Vorsatz keine Beschwerden macht und die Mühe dabei gering ist. Wenn es aber die Verwirklichung gilt und sich's darum handelt, fest zu bleiben, und die Leidenschaften toben, so wird der Vorsatz gebrochen, die Leidenschaften siegen und die Ausführung entspricht nicht dem Entschluss. Das ist der Gegensatz der Wahrhaftigkeit in der Ausführung. Deshalb sagt Allah:

مِنَ الْمُؤْمِنِينَ رِجَالٌ صَدَقُوا مَا عَاهَدُوا اللَّهَ

„Männer, die wahrhaftig waren in dem, was sie Allah gelobt.“ (Sure 33 Aya 23)

Anas bin Malik berichtet, dass sein Onkel Anas bin al-Nadr nicht bei Badr mit dem hochgebenedeiten Propheten zusammen war. Das tat ihm in der Seele leid und er sprach: „Bei der ersten Schlacht, die der hochgebenedeite Prophet zu bestehen hatte, war ich nicht dabei, aber bei Allah, wenn mich Allah an einem Kampf auf Seiten des hochgebenedeiten Propheten teilnehmen lässt, so soll Allah sehen, was ich tue.“ Tatsächlich nahm er im folgenden Jahr bei Uhud  teil. Da kam ihm Sa`d bin Muad entgegen und fragte ihn: „Wohin, Abu Umar?"  „Hei!" rief dieser, „zum 'Duft' des Paradieses, fürwahr ich finde seinen 'Duft' bei Uhud." Dann kämpfte er, bis er fiel, und man fand an seinem Körper mehr als achtzig Wunden, Schuss-, Hieb- und Stichwunden, so dass seine Schwester Bint al-Nadr sagte: „Ich erkannte meinen Bruder nur an seinen Kleidern.“  Da wurde der folgende Vers ­offenbart:

مِنَ الْمُؤْمِنِينَ رِجَالٌ صَدَقُوا مَا عَاهَدُوا اللَّهَ

„Männer, die wahrhaftig waren in dem, was sie Allah gelobt.“ (Sure 33 Aya 23) (Tirmidhi)

[Einer anderen Überlieferung zufolge] trat der Gesandte Allahs zu Mus’ab bin Umair, der in der Schlacht von Uhud als Märtyrer auf sein Gesicht gefallen war, - er war der Fahnenträger des  Propheten gewesen - und er rezitierte: „Männer, die wahrhaftig waren, in dem was sie Gott gelobt. Manche von ihnen haben schon ausgekämpft und manche warten noch.“ (Abu Naim)

Fudala bin Ubaid berichtet vom seligen Umar bin al­Khattab die Worte: Ich hörte den Propheten sagen: „Es gibt vier Klassen von Märtyrern. Der eine ist ein Mann mit rechtem Glauben, er trifft auf den Feind und ist wahrhaftig gegen Allah, bis er getötet wird. Das ist ein solcher, zu dem am jüngsten Tage die Menschen die Augen erheben werden. Dabei hob er seinen Kopf, so dass ihm die Mütze herunterfiel. Ich weiß nicht, bemerkt der Überlieferer, ob es die Mütze Umars war oder die des hochgebenedeiten Propheten. Der andere ist ein Mann mit tüchtigem Glauben; da er dem Feind begegnet, trifft ihn, wie wenn ihm ein dorniger Akazienzweig ins Gesicht geschlagen würde, ein Pfeil von unbekannter Hand und tötet ihn. Er befindet sich auf der zweiten Stufe. Der dritte ist ein gläubiger Mann mit guten und bösen Taten durcheinander, er trifft auf den Feind und ist Allah getreu, bis er getötet wird. Er befindet sich auf der dritten Stufe. Ein [vierter] Mann hat sich sträflich ver­gangen, er trifft auf den Feind und ist Allah getreu, bis er fällt. Er befindet sich auf der vierten Stufe.“ (Tirmidhi)

Mujahid erzählt: Es gingen zwei Männer hinaus zu Leuten, die da saßen, und sie sprachen: „Wenn uns Allah ta’ala Ver­mögen beschert, so wollen wir Almosen geben.“ Sie behielten es aber für sich. Da erfolgte die Offenbarung:

وَمِنْهُم مَّنْ عَاهَدَ اللّهَ لَئِنْ آتَانَا مِن فَضْلِهِ لَنَصَّدَّقَنَّ وَلَنَكُونَنَّ مِنَ الصَّالِحِينَ

„Es gibt unter ihnen welche, die Allah gelobten: 'Wenn wir von ihm Segen erlangen, so wollen wir Almosen spenden und zu denen gehören, die Gutes tun'.“(Sure 9 Aya 75)

Ein anderer sagt: Es handelte sich um eine Sache, die sie sich innerlich vorgenommen, aber nicht ausgesprochen hatten; da erfolgte jene Offenbarung:

وَمِنْهُم مَّنْ عَاهَدَ اللّهَ لَئِنْ آتَانَا مِن فَضْلِهِ لَنَصَّدَّقَنَّ وَلَنَكُونَنَّ مِنَ الصَّالِحِينَ  فَلَمَّا آتَاهُم مِّن فَضْلِهِ بَخِلُواْ بِهِ وَتَوَلَّواْ وَّهُم مُّعْرِضُونَ  فَأَعْقَبَهُمْ نِفَاقًا فِي قُلُوبِهِمْ إِلَى يَوْمِ يَلْقَوْنَهُ بِمَا أَخْلَفُواْ اللّهَ مَا وَعَدُوهُ وَبِمَا كَانُواْ يَكْذِبُونَ

„Es gibt unter ihnen welche, die Allah gelobten: 'Wenn wir von ihm Segen erlangen, so wollen wir Almosen spenden und zu denen gehören, die Gutes tun. ' Als er ihnen aber von seinem Segen gespendet, da geizten sie damit und kehrten sich ab, den Rücken wendend. Und so ließ er Heuchelei nachfolgen in ihren Herzen bis zu dem Tag, da sie mit ihm zusammentreffen, weil sie Allah nicht gehalten, was sie gelobt, und weil sie gelogen.“ (Sure 9 Aya 75-77)

Allah ta’ala nahm also den Entschluss als ein Versprechen, die Nichtausführung desselben als eine Lüge und seine Ausführung als Wahrhaftigkeit. Und diese Wahrhaftigkeit bedeutet mehr als die an dritter Stelle genannte. Denn die Seele ist manchmal freigebig im Ent­schließen, bei der Erfüllung aber versagt sie, weil es ihr zu schwer wird und weil die Leidenschaft sich aufbäumt, wenn es gilt, fest zu bleiben und die Mittel anzuwenden.

Deshalb machte der selige Umar einen Zusatz und sagte: „Lieber möchte ich hingeben und mir den Kopf abbauen lassen, als den Befehl übernehmen über Leute, unter denen Abu Bakr ist, es sei denn, dass mir meine Natur (nafs) vor dem Töten etwas einredet, dessen ich mir jetzt nicht bewusst bin; denn ich bin nicht sicher, ob ihr das nicht zu hart ankommt und sie ihren Entschluss nicht ändert.“

Damit deutete er darauf hin, wie schwer es sei, den Vorsatz zu halten. Abu Said al-Harraz sagt: „Ich sah im Traume zwei Engel vom Himmel herabsteigen und sie fragten mich: 'Was ist Wahrhaftigkeit?' 'Seinen Vorsatz halten', antwortete ich. 'Richtig geantwortet', erwiderten sie und stiegen wieder zum Himmel hinauf.“

Fünftens die Wahrhaftigkeit in den Werken besteht darin, sich in Acht zu nehmen, dass nicht die äußeren Werke auf etwas im Innern hinweisen, das nicht vorhanden ist, nicht so, dass man die Werke unterlässt, sondern dass man das Innere dahin bringt, dass es dem Äußeren entspricht. Das ist die Kehrseite von dem, was wir über die Vermeidung der Augen­dienerei gesagt haben, denn der Augendiener bezweckt gerade dieses. Mancher dagegen, der im Gebet eine fromme Haltung ein-nimmt, bezweckt nicht, dass andere auf ihn sehen, aber sein Herz ist zerstreut und nicht beim Gebet; wer ihn jedoch sieht, der meint, er stehe vor Allah ta’ala, während er innerlich auf dem Markt steht vor irgend einem Gegenstand der sinnlichen Begierde. Diese Handlungen drücken nämlich durch die „Sprache der Tatsachen" (lisan al-hal) etwas aus, womit er lügt, während doch die Wahrhaftigkeit in den Handlungen von ihm gefordert wird.

Oder es schreitet ein Mann ernst und gemessen einher, während ihm doch der innerliche Ernst abgeht. Ein solcher ist nicht wahrhaftig in seinem Tun, wenn er auch nicht auf die Menschen achtet und bei ihnen Eindruck zu machen sucht. Er kann sich davon nur dadurch befreien, dass sein Inneres so wird wie sein Äußeres oder  besser als sein Äußeres. Aus Furcht davor entschlossen sich manche, ihr Äußeres zu ver­unstalten und sich wie Übeltäter zu kleiden, damit man nicht gut von ihnen denke wegen ihres Äußeren und sie nicht durch das, was ihr Äußeres von ihrem Inneren ausdrückt, zu Lügnern würden. Wenn also der Widerspruch des Äußeren mit dem Inneren beabsichtigt ist, so heißt das Augendienerei, und sie hebt die reine Absicht auf; ist er aber nicht beabsichtigt, so wird die Wahrhaftigkeit aufgehoben. Deshalb sagt der hochgebenedeite Prophet[3]: „O Allah, mach das Verborgene in mir besser als das Sichtbare und mach das, was sichtbar ist, gut.“ (Muslim)

Und Jazid bin al-Harit sagt: „Wenn das Verborgene und Sichtbare bei einem Menschen gleich sind, so ist das in Ordnung, und wenn das Innere besser ist als das Äußere, so ist das ein Vorzug, wenn aber sein Äußeres besser ist als sein Inneres, so ist das Ungerechtigkeit.“

Dasselbe wird ausgedrückt durch die Verse in einem Gedicht:

„Wenn beim Gläubigen Inneres und Äußeres sich entsprechen, ist geehrt er hier und dort oben und des Lobes wert. Wenn aber das Äußere widerspricht dem Innern, was hat er bei seiner Anstrengung für ein Verdienst außer der Mühe und Plage? So kursiert der echte Dinar auf dein Markte, den falschen aber weist man zurück, weil dem Gewicht er nicht entspricht.“

Uqba bin Abd al-Gafir sagt: „Wenn das Verborgene bei einem Gläubigen übereinstimmt mit dem Sichtbaren, so rühmt ihn Allah vor den Engeln mit den Worten: 'Das ist in Wahrheit ein Diener von mir.'

Muawiya bin Qurra [gest. 113 = 731] sagt: „Wer zeigt mir, wie ich des Nachts weinen, des Tages fröhlich sein kann?“

Abd al-Wahid bin Zaid al-Basri erzählt: „Wenn Hasan al-Basri etwas aufgetragen wurde, so tat er es besser als irgendein Mensch, und wenn ihm etwas verboten wurde, unterließ er es wie kein anderer Mensch. Nie habe ich jemanden gesehen, bei dem Inneres und Äußeres einander besser entsprochen hätten.“

Abu Abd al-Rahman, der Asket, pflegte zu sagen: „O Allah, im Verkehr mit den Menschen bin ich getreu, aber im Verkehr mit Dir übe ich Verrat“, und dabei weinte er.

Abu Yaqub al-Nahraguri sagt: „Die Wahrhaftigkeit ist die Übereinstimmung mit der Wahrheit innerlich und äußerlich.“

Die Gleichheit des Innern und des Äußern ist also eine der Arten der Wahrhaftigkeit.

Die sechste Wahrhaftigkeit ist der höchste und vornehmste Grad, nämlich die Wahrhaftigkeit in den religiösen Stufen (muqamat) wie Furcht, Hoffnung, Verehrung, Weltentsagung, Ergebung, Liebe, Vertrauen usw. Es gibt nämlich bei diesen Dingen Anfänge, bei deren Vorhandensein ihnen schon der Name zukommt, und es gibt bei ihnen eine eigentliche und höchste Ausgestaltung. Wahrhaftig (sadiq) und gründlich (muhaqqiq) heißt nun derjenige, der das eigentliche Wesen der Sache besitzt, und wenn die Sache hervorragend zur Geltung kommt und ihr Wesen vollkommen ist, so heißt ihr Träger „wahrhaft" (sadiq) darin, wie man sagt: das ist ein wahrhafter Kämpfer, das ist wahrhafte Furcht, das ist wahr­hafte Begierde. So sagt Allah ta’ala:

إِنَّمَا الْمُؤْمِنُونَ الَّذِينَ آمَنُوا بِاللَّهِ وَرَسُولِهِ ثُمَّ لَمْ يَرْتَابُوا وَجَاهَدُوا;...; أُوْلَئِكَ هُمُ الصَّادِقُونَ

„Gläubige sind nur die, welche an Allah und seinen Gesandten glauben und hernach nicht zweifeln ...; das sind die Wahrhaftigen.“ (Sure 49 Aya 15)

Als Abu Darr über den Glauben gefragt wurde und er als Antwort diese Verse rezitierte, entgegnete man ihm: „Wir haben dich über den Glauben gefragt.“ „Ich fragte den Propheten über den Glauben“, erwiderte er, „da rezitierte er diesen Vers“. (Muhammed bin Nasr)

Nehmen wir als Beispiel die Furcht. Jeder Mensch, der an Allah und den jüngsten Tag glaubt, fürchtet Allah mit einer Furcht, der dieser Name zukommt, aber es ist keine wahr­hafte Furcht, d.h. keine solche, die den Grad ihres eigent­lichen Wesens erreicht. Sieht man nicht, wie der, welcher einen Fürsten oder auf der Reise einen Räuber fürchtet, sich gelb färbt, wie seine Seiten zittern und wie ihm das Leben vergällt ist, so dass er weder essen noch schlafen kann?

Sein ganzes Sinnen ist auf diesen Punkt gerichtet, so dass er Familie und Kinder vernachlässigt. Manchmal wandert er sogar aus seinem Lande und vertauscht die Geselligkeit mit der Ein­samkeit, die Gemächlichkeit mit Anstrengung und Entbehrung und dem Bestehen von Gefahren. All das aus Angst, dass ihn das Gefürchtete treffen könnte. Wie fürchtet man ferner das Feuer! Aber nichts dergleichen zeigt sich, wenn man in eine Sünde fällt. Deshalb sagt der hochgebenedeite Prophet: „Ich sah nichts dem Höllenfeuer Ähnliches, wo einer, der vor ihm fliehen will, sich hingelegt hätte, und nichts dem Paradiese Ähnliches, wo einer, der es suchen will, sich hingelegt hätte.“

Diese Dinge genau zu bestimmen, ist eine sehr schwierige Sache, es gibt keine äußerste Grenze für diese Grade, so dass man sie vollkommen erreichen könnte, sondern jeder Mensch hat entsprechend seiner Verfassung davon einen bestimmten Anteil, der entweder schwach oder stark ist, und wenn er stark ist, so heißt er wahrhaftig darin. Die Erkenntnis Allahs, seine Hochschätzung und die Furcht vor ihm hat aber keine Grenze. So sagte der hochgebenedeite Prophet einmal zu Gabriel (as): „Ich möchte dich in der Gestalt sehen, die deine wirkliche Gestalt ist.“ „Das erträgst du nicht“, ant­wortete Gabriel. „Doch“, erwiderte er, „lass sie mich sehen!“ Da bestellte er ihn für eine mondhelle Nacht nach al-Baqi. Der hochgebenedeite Prophet ging denn auch hin und siehe da, der Engel versperrte den ganzen Horizont, d.h. die Seiten des Himmels. Da fiel der hochgebenedeite Prophet ohnmächtig nieder, und als er erwachte, hatte Gabriel wieder seine frühere Gestalt angenommen. „Ich hätte nicht geglaubt“, sagte der hochgebenedeite Prophet, „dass je ein Geschöpf Gottes so wäre.“ „Wie erst“, erwiderte Gabriel, „wenn du Israfil ge­sehen hättest, auf dessen Schulter der Thron ruht und dessen Füße die ganze untere Erde erfüllen! Und doch kommt er sich vor Gottes Größe so klein vor, dass er wird wie ein wasa, d.h. ein kleiner Vogel. (Dhabit[4])

Wie groß muss die Hochschätzung und Ehrfurcht bei ihm sein, wenn sie ihn derartig überwältigt, dass er so klein wird! Mit den anderen Engeln verhält es sich nicht so, weil sie an Erkenntnis zurückstehen. Das also ist die Wahrhaftigkeit in der Ehrfurcht. Gabir berichtet auch vom hochgebenedeiten Propheten den Ausspruch: „In der Nacht, da ich zum Himmel fuhr, kam ich an Gabriel vorbei, er stand in der obersten Reihe wie ein schäbiger Hils (das ist die Decke, die man über das Kamel breitet) aus Ehrfurcht vor Allah dem Allerhöchsten.“ (Muhammed bin Nasr[5])

So waren auch die Früheren „Fürchtende", aber sie erreichten nicht die Furcht des hochgebenedeiten Propheten, deshalb sagt Ibn Umar: „Du erreichst nicht das wahre Wesen des Glaubens, bevor du die Menschen nicht insgesamt für Unvernünftige (hamqa) hältst in Bezug auf ihr Verhältnis zu Allah (fi dinihim).“

Ähnlich Mutrif: „Es gibt keinen Menschen, der nicht ein Unvernünftiger wäre in seinem Verhältnis zu Allah, nur dass der eine Unvernünftige noch leicht­fertiger ist als der andere.“

Und der hochgebenedeite Prophet sagt: „Der Mensch gelangt nicht zum rechten Glauben, bevor er nicht die Menschen neben Allah als Vieh betrachtet, dann zu sich selber zurückkehrt und sich am allerverächtlichsten findet.“

Der Wahrhaftige ist also auf allen Stufen selten, dabei sind die Grade der Wahrhaftigkeit ohne Zahl. Auch ist mancher in gewissen Dingen wahrhaftig, in anderen nicht. Ist er es aber in allen, so ist er ein Siddiq im vollen Sinne des Wortes. Said bin Mu’ad sagt: „In drei Dingen bin ich stark, in allen übrigen aber schwach. Ich habe, seit ich mich zum Islam bekehrt, nie gebetet und dabei an andere Dinge gedacht, bis ich mit dem Gebet fertig war. Ich bin nie mit einer Leiche gegangen und habe dabei an etwas anderes gedacht, als was sie sagte und was zu ihr gesagt wurde, bis wir mit ihrer Beerdigung fertig waren. Ich habe nie den hochgebenedeiten Propheten etwas sagen hören, ohne dass ich wusste, dass es Wahrheit sei.“ „Ich hätte nicht geglaubt“, bemerkt dazu Ibn Musayyeb, „dass diese Eigenschaften in ihrer Gesamtheit einem anderen zukommen als dem hochgebenedeiten Propheten.“

Das also ist Wahrhaftigkeit in den genannten Dingen. Wie viele der hervorragendsten Gefährten haben das Gebet verrichtet und Leichenbegängnisse begleitet, ohne diese Stufe zu erreichen.

Damit haben wir die verschiedenen Stufen der Wahr­haftigkeit, und was sie bedeuten, aufgeführt. Die zitierten Aussprüche von Geistesmännern über das wahre Wesen der Wahrhaftigkeit beziehen sich zunächst nur auf die eine oder andere dieser [sechs] Bedeutungen. Allerdings sagt Abu Bakr al-Warraq: „Die Wahrhaftigkeit ist eine dreifache: die Wahr­haftigkeit im Einheitsbekenntnis, die Wahrhaftigkeit im Ge­horsam und die Wahrhaftigkeit in der Erkenntnis. Die Erste geht alle Gläubigen an, entsprechend dem Gotteswort:

 

إِنَّمَا الْمُؤْمِنُونَ الَّذِينَ آمَنُوا بِاللَّهِ وَرَسُولِهِ ثُمَّ لَمْ يَرْتَابُوا وَجَاهَدُوا;...; أُوْلَئِكَ هُمُ الصَّادِقُونَ

„Und die, welche an Allah und seinen Gesandten glauben, das sind die Wahrhaftigen.“ (Sure 49 Aya 15)

Die Zweite betrifft die Gelehrten und Frommen, die Dritte betrifft diejenigen, welche die Säulen der Erde sind (ahi al-wilaya).“

All das bezieht sich auf die von uns an sechster Stelle aufgeführte Wahrhaftigkeit. Aber auch er hat nur einzelne Abteilungen aufgezählt, in denen die Wahrhaftigkeit zutage tritt, ohne alle Arten zu erschöpfen.

Gafar al-Sadiq sagt: „Die Wahrhaftigkeit besteht darin, den geistlichen Kampf zu kämpfen (mugahada) und nichts Allah vorzuziehen, so wie Er dir keinen anderen vorzieht gemäß dem, was er sagt:

هُوَ اجْتَبَاكُمْ

„Er hat euch erwählt.“ (Sure 22 Aya 11)

Musa (as) erhielt von Allah ta’ala folgende Offenbarung: „Wenn ich einen Menschen liebe, so prüfe ich ihn mit einer Prüfung, wie die Berge sie nicht aushalten können, um zu sehen, wie es mit seiner Wahrhaftigkeit bestellt ist. Finde ich ihn tapfer (sabir), so nehme ich ihn als Vertrau-ten und Freund an, finde ich ihn aber verzagt und beklagt er sich gegen mich bei meinen Ge-schöpfen, so lasse ich ihn im Stiche und kümmere mich nicht weiter um ihn.“

Zu den Merkmalen der Wahrhaftigkeit gehört also auch dieses, sein Missgeschick sowohl wie seine guten Taten zu verbergen und nicht

Fußnoten

[1] Berichtet von Abu Huraira

[2] Berichtet von Anas bin Nadr

[3] Berichtet von Abu Huraira

[4] Verzeichnet in As-Sunna

[5] Verzeichnet in Kitabun Ta’dhimu l-Salah

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