Von der Intention
Über den
eigentlichen Sinn des Ausspruches des Hochbeneideten:
„Die
Absicht des Gläubigen ist besser als sein Tun.“
(Tabarani)
Man hat gemeint,
der Grund dieses Vorranges der Absicht liege darin, dass sie
etwas Innerliches ist, das nur Allah ta’ala wahrnimmt,
die Handlung hingegen etwas Äusserliches, und dass die innere
Tätigkeit die vorzüglichere ist. Das ist wohl richtig, aber
hier nicht gemeint. Sonst würde aus diesem Ausspruch folgen,
dass, wenn jemand beabsichtigt, innerlich Allahs zu „gedenken“
(dikr) oder in religiöse Dinge „sich zu versenken“ (fikr),
die Absicht des Sichversenkens besser sei als das
Sichversenken selbst. Andere meinten, der Grund dieses
Vorranges liege darin, dass die Absicht bis zum Ende der
Handlung ununterbrochen fortdauert, die Handlung aber nicht.
Diese Ansicht jedoch ist schwach; denn sie läuft darauf
hinaus, dass viel Betätigung besser sei als wenig. Das ist
aber nicht der Fall. Denn die Intention währt bei den
gottesdienstlichen Handlungen oft nur wenige Augenblicke,
während die Handlungen selbst fortdauern. Der Ausspruch
verlangt aber, dass ganz allgemein die Absicht besser sei als
die Handlung.
Wieder andere
meinten, der Sinn sei der, dass die Absicht für sich allein
besser sei als die Ausführung für sich allein ohne die
Absicht. Auch das ist richtig, aber keineswegs hier gemeint.
Denn an dem Handeln ohne Absicht oder aufs geradewohl ist
überhaupt nichts Gutes, die Absicht hingegen ist an und für
sich gut. Von einem „Vorrang“ kann aber nur dann die Rede
sein, wenn beiden Vergleichsobjekten das Prädikat „gut“
zukommt. Der Sinn ist vielmehr der:
Jedes
gottgefällige Werk besteht aus Absicht und Ausführung, dabei
ist sowohl die Absicht etwas Gutes als auch die Ausführung
etwas Gutes. Aber an dem guten Werk als Ganzem ist die Absicht
besser als die Ausführung, d.h. beide wirken auf das Ziel hin,
aber die Wirkung der Absicht ist bedeutender als die der
Ausführung. Der Sinn ist also: Bei dem guten Werk als Ganzes
genommen ist die Absicht des Gläubigen dabei etwas Besseres
als seine Ausführung desselben, d.h. der freie Wille des
Menschen betätigt sich sowohl bei der Absicht als auch bei der
Ausführung, es sind also zwei Betätigungen, aber die Absicht
ist bei dem Ganzen die bessere Betätigung. Das also ist der
Sinn. Warum die Absicht besser ist als die Ausführung und ihr
gegenüber den Vorrang hat, versteht nur derjenige, welcher das
Ziel der Religion kennt und den Weg dahin, sowie die Bedeutung
des Weggeleises für die Erreichung des Zieles, und der die
einzelnen Geleise mit einander vergleicht, um so zu erkennen,
welchem hinsichtlich der Erreichung des Zieles der Vorrang
gebührt.
Wenn z.B.:
jemand sagt: „Brot ist besser als Obst“, so meint er
damit nur, dass es besser sei mit Hinsicht auf den Zweck der
Ernährung, und das versteht nur derjenige, welcher weiß, dass
die Ernährung einen weiteren Zweck hat, nämlich die Gesundheit
und Erhaltung des Lebens, und dass die Wirkung der Speisen
darauf eine verschiedene ist, und der die Wirkung jeder
einzelnen Speise kennt und sie untereinander vergleicht. Nun
sind aber die guten Werke eine Nahrung für die Seele und das
Ziel ist deren Heilung, Erhaltung und ihr Wohlbefinden im
Jenseits, ihre Seligkeit und ihre Wonne in der Vereinigung mit
Allah ta’ala. Das Ziel ist also allein der Genuss der
Glückseligkeit in der Vereinigung mit Allah. Dieser
Vereinigung wird aber nur derjenige teilhaftig, der in der
Liebe und der Erkenntnis Allah ta’alas gestorben ist.
Niemand kann aber Allah lieben außer wer ihn kennt und niemand
ist vertraut mit ihm außer wer dauernd Seiner „gedenkt“. Die
Vertrautheit entsteht also durch das fortwäh-rende Gedenken
(dikr), und die Erkenntnis des fortwährenden
Sichversenkens (fikr), und die Liebe folgt
notwendigerweise der Erkenntnis.
Das Herz kann
aber nur dann ganz dem „Gedenken“ und „Sichversenken“ leben,
wenn es frei ist von weltlichen Zerstreuungen, und es ist nur
dann von ihnen frei, wenn es die Begierde nach der Welt von
sich abgetan hat, so dass seine Richtung und sein Streben auf
das Gute geht, während er das Böse flieht und verabscheut.
Es wird aber nur
dann auf die guten und gottgefälligen Werke gerichtet sein,
wenn er weiß, dass davon seine Seligkeit im Jenseits abhängt,
so wie der Verständige den Aderlass begehrt, weil er weiß,
dass sein Wohlbefinden davon abhängt. Ist die Neigung selbst
aber erst einmal durch die Erkenntnis ge-wonnen, so wird sie
durch das der Neigung entsprechende Handeln und die Übung
darin gefördert. Denn die den Eigenschaften der Seele
entsprechende Übung und die auf sie abzielende Betätigung
verhält sich zu dieser Eigenschaft selbst wie eine Nahrung, so
dass dadurch die Eigenschaft wächst und erstarkt. Denn die
Neigung dessen, der die Wissenschaft oder eine politische
Stellung anstrebt, ist im Anfang nur schwach, wenn er aber der
Neigung folgt, sich mit der Wissenschaft, der Ausbildung der
politischen Tätigkeit und den dazu erforderlichen Handlungen
abgibt, so erstarkt und vertieft sich die Neigung, so dass es
ihm schwer wird, sie aufzugeben. Wenn er aber der Neigung
entgegen handelt, so wird sie schwach und kraftlos und
manchmal verschwindet und verflüchtigt sie sich ganz.
Nehmen wir z.B.:
an, es erblicke jemand ein schönes Antlitz und er empfinde zu
ihm eine schwache natürliche Neigung; wenn er nun ihr folgt
und ihr entsprechend handelt, die betreffende Person viel
ansieht, viel mit ihr zusammen ist und mit ihr verkehrt, so
wird die Neigung immer stärker werden, bis die Sache sich
seinem Willen entzieht, und er gar nicht mehr anders kann.
Wenn er aber seine Seele von Anfang an entwöhnt und seiner
Neigung entgegen handelt, so wirkt das auf die Neigung wie die
Entziehung der Nahrung und wie eine Zurückstoßung und ein
Schlag ins Gesicht, so dass sie infolge davon schwach und
kraftlos wird und ganz verschwindet.
So verhält es
sich mit allen Eigenschaften und gottgefälligen Werken, die
auf das Jenseits gerichtet sind, und auch mit den schlechten
Handlungen, die auf die Welt und nicht das Jenseits gerichtet
sind. Die Neigung der Seele zu den für das Jenseits
verdienstlichen guten Werken und ihre Abkehr von den
weltlichen Dingen führt sie zur Beschäftigung mit dem Dikr
und Fikr, und diese Verfassung wird nur gekräftigt
durch die Übungen in gottgefälligen Werken und die
Unterlassung der Sünden der Glieder; dann zwischen den
Gliedern und dem „Herzen“ besteht ein enger Zusammenhang, so
dass sie beiden einander beeinflussen. Wenn ein Glied
verwundet wird, leidet bekanntlich auch das Herz, und wenn das
Herz durch die Nachricht vom Tode eines verehrten Freundes
oder vom Hereinbrechen eines Unheils Schmerz empfindet, so
werden auch die Glieder in Mitleidenschaft gezogen, die
Flanken beben und die Farbe verändert sich. Das Herz ist
allerdings das maßgebende Prinzip, sozusagen der Emir und der
Hirte, die Glieder hingegen verhalten sich wie die
Dienerschaft, die Herde und das Gefolge. Die Glieder dienen
also dem Herzen, um dessen Eigenschaften in ihm zu befestigen;
das Herz ist das Ziel, die Glieder sind Mittel, die zum Ziele
führen. Darum sagt der Prophet (s):
„Es gibt im Körper ein Klümpchen, ist dieses gesund, so
ist es dadurch auch der übrige Körper“,
und weiter,
„O Allah, lass gedeihen den Hirten und die Herde!“
Mit dem Hirten
meint er das Herz. Und Allah ta’ala sagt:
لَن يَنَالَ اللَّهَ لُحُومُهَا وَلَا دِمَاؤُهَا وَلَكِن
يَنَالُهُ التَّقْوَى مِنكُمْ
„Nicht erreicht
Allah ihr Fleisch und Blut, sondern es erreicht ihn eure
Frömmigkeit“
(Sure 22 Aya 37),
und diese ist die
Eigenschaft des Herzens.
Unter diesem
Gesichtspunkt müssen ohne Zweifel die Tätigkeiten des
„Herzens“ im Allgemeinen vorzüglicher sein als die Bewegungen
der Glieder, daher muss auch die Absicht als zu jenen gehörig
den Vorrang haben, denn sie bezeichnet die Richtung des
Herzens auf das Gute und das Streben danach; die Handlungen
der Glieder haben für uns nur den Zweck, das Herz an das
Streben nach dem Guten zu gewöhnen und die Richtungen darauf
in ihm zu befestigen, damit es sich von den weltlichen
Begierden befreie und mit dem Dikr und Fikr sich
beschäftige.
Letzteres ist
also notwendigerweise besser hinsichtlich des Zweckes, denn es
befindet sich in dem Endzweck selbst. Es verhält sich damit
so, wie man den Magenschmerz entweder dadurch kuriert, dass
man eine Salbe auf die Brust legt, oder durch einen Trank und
eine Medizin, die (direkt) in den Magen geht. Hier ist das
Einnehmen besser als die Salbe auf der Brust, denn auch diese
hat nur den Zweck, eine Wirkung auf den Magen auszuüben.
Demnach ist das, was mit dem Magen selbst in Berührung kommt,
besser und nutzbringender. In diesem Sinne muss auch die
Wirkung der gottgefälligen Werke überhaupt verstanden werden.
Denn sie haben lediglich den Zweck, das Herz umzuändern und
seine Eigenschaften umzuwandeln, nicht die der Glieder. Man
meine also nicht, dass das Hinlegen der Stirne auf den Boden
insofern einen Zweck habe, als eine Vereinigung der Stirne mit
dem Boden ist, der Zweck ist vielmehr der, durch diese
wiederholte Übung die Eigenschaft der Demut im Herzen zu
befestigen. Denn wenn jemand sich im Besitz der Demut findet,
dann mit den Gliedern eine unterwürfige Haltung einnimmt und
ihnen das Gepräge der Demut aufdrückt, so erstarkt seine
Demut. Und wenn jemand in seinem Herzen Mitleid mit einem
Waisenkind fühlt, so wird dadurch, dass er ihm Kopf und
Gesicht streichelt, das Mitgefühl in ihm gestärkt. Das Handeln
ohne Absicht ist aber dafür völlig unnütz. Denn wenn jemand
einem Waisenkind den Kopf streichelt, dabei aber an nichts
denkt oder ein Kleid zu streicheln meint, so strömt von seinen
Glieder keine Wirkung auf das Herz über, um darin das
Mitgefühl zu stärken.
Desgleichen wenn
jemand in Zerstreutheit oder mit dem Gedanken an irdische
Dinge beschäftigt eine Prostration macht, so geht von seiner
Stirne und der Berührung derselben mit dem Boden keine Wirkung
auf sein Herz über, um die Demut darin zu stärken; sie ist
vielmehr, als wäre sie nicht vorhanden. Was aber nur eine
solche Existenz hat, die hinsichtlich des zu erreichenden
Zieles seiner Nichtexistenz gleichkommt, das heißt nicht (batil).
Darum nennt man eine religiöse Handlung ohne Intention
nichtig. Das Gesagte gilt für den Fall, dass jemand aufs
Geradewohl handelt. Wenn er aber dabei auf Augendienerei oder
die Ehrung einer anderen Person ausgeht, so kommt dessen
Existenz nicht einfach seiner Nichtexistenz gleich, sondern er
fügt noch ein Übel hinzu. Indem er nämlich die Eigenschaft,
die zu kräftigen ist, kräftigt, kräftigt er zugleich eine
andere, die zu bändigen ist, nämlich die Augendienerei, die
eine weltliche Bestrebung darstellt. In diesem Sinne also ist
die Absicht besser als das Werk. So ist auch der Ausspruch des
Gesandten (s)
zu verstehen: „Wer eine gute Tat anstrebt, sie aber
nicht zur Ausführung bringt, dem wird sie (trotzdem) als
solche angerechnet.“
Denn das Streben
des Herzens bedeutet seine Richtung auf das Gute
und seine Abkehr von der Begier-lichkeit und der Liebe zur
Welt, und das ist die höchste Stufe des Guten; die Ausführung
der Handlung fügt nur eine Verstärkung hinzu. So ist auch der
Zweck beim Ausgießen des Opferblutes nicht das Blut und das
Fleisch, sondern die Abwendung des Herzens von der Liebe zur
Welt und die Hingabe dieser Dinge dem Schöpfer zuliebe. Diese
Verfassung kommt durch eine entschiedene Absicht und Gesinnung
zustande, auch wenn sich der Ausführung ein Hindernis
entgegenstellt.
لَن يَنَالَ اللَّهَ لُحُومُهَا وَلَا دِمَاؤُهَا وَلَكِن
يَنَالُهُ التَّقْوَى مِنكُمْ
„Nicht erreicht
Allah ihr Fleisch und Blut, sondern es erreicht ihn eure
Frömmigkeit“
(Sure 22 Aya 38)
Abu Huraira
überliefert, dass der Prophet (s) sagte: „Die
Gottesfurcht ist aber hier“, diesen Satz wiederholte
er dreimal und zeigt dabei auf sein Herz.
Deshalb sagte der
Gesandte (s): „Es gibt Leute in der Stadt (Medina), die
an unserem heiligen Krieg teilnehmen“, wie oben
ausgeführt wurde.
Denn ihre Herzen
wollen ernstlich das Gute und die Hingabe von Gut und Blut,
sie verlangen nach dem Martyrium und darnach, dass Allahs Wort
erhöht werde, wie die Herzen derjenigen, die in den heiligen
Kampf ziehen. Sie sind nur körperlich von ihnen getrennt,
Hindernisse halber, welche die außerhalb des Herzens liegenden
Mittel betreffen. Die äußeren Dinge haben aber nur den Zweck,
die betreffenden Eigenschaften zu kräftigen. In diesem Sinne
sind alle Traditionen zu verstehen, die wir über die
Vortrefflichkeit der Absicht angeführt haben. Man wende das
Gesagte auf sie an, damit ihr eigentlicher Sinn klar werde.
Wir wollen uns nicht mit einer Wiederholung aufhalten.