Tausend und ...

Tausend und Ein Tag im Orient

Friedrich von Bodenstedt

Berlin, 1850 n.Chr.

Inhaltsverzeichnis

Dreizehntes Kapitel

Mirza-Schaffy als Kritiker

Theils zu eigener Uebung, theils um dem Weisen von Gjändsha mehr Respekt einzuflößen vor den Sängern des Abendlandes, machte ich wiederholt Versuche, Lieder aus dem Deutschen und Englischen in das Tatarische zu übersetzen.

Diese Versuche waren für mich in mehr als einer Beziehung von Wichtigkeit. Ich sehe hier ab von den sprachlichen Vortheilen welche mir daraus erwuchsen, und hebe blos die ästhetische Seite hervor.

Wir haben schon früher gesehen, daß Mirza-Schaffy auf eine schöne Diktion, auf Wohlklang und Formvollendung nur dann ein besonderes Gewicht legte, wenn sich ein wirklicher Gehalt damit vereinte. Er ließ es daher auch niemals als genügende Entschuldigung gelten, wenn ich bei Gedichten, deren Inhalt ihm nicht sonderlich gefiel, oder bei solchen, welche (wie das sehr häufig vorkam) gar keinen Inhalt hatten, die Schönheit der Sprache des Originals rühmend hervorhob. Hingegen gaben seine Bemerkungen über Bild und Gedanken in den von mir übersetzten Gedichten mir nicht allein immer Stoff zum Nachdenken, sondern ließen mich auch oft tiefe Blicke in die Anschauungsweise und Gefühlswelt der Orientalen thun.

Jene überschwengliche Sentimentalität, die in der deutschen Lyrik eine so große Rolle spielt und nicht wenig zu unserer Entartung und Entnervung beigetragen hat, ist den morgenländischen Dichtern ebenso unbekannt wie unverständlich. Diese streben immer einem realen, greifbaren Ziele zu. Aber um dieses Ziel zu erreichen, setzen sie Himmel und Erde in Bewegung. Kein Bild liegt dem Dichter zu weit und kein Gedanke zu hoch. Der Halbmond ist ihm ein goldnes Hufeisen, womit er das Roß seines Lieblingshelden beschlägt. Die Sterne sind ihm goldene Nägel, womit der Herr den Himmel befestigt, damit er nicht herabstürzt aus Verlangen nach Selma. Die Cypressen und Cedern werden nur in den Hain gepflanzt zur Erinnerung an den Wuchs schlanker Mädchen. Die Trauerweide läßt klagend ihr grünes Haar herabhängen in's Wasser, weil sie nicht schlank ist wie Selma. Die Augen der Geliebten sind Sonnen, welche alle Gläubigen zu Feueranbetern machen. Die Sonne selbst ist nur eine leuchtende Lyra und ihre Strahlen sind goldene Saiten, aus denen der Ost die lieblichsten Akkorde lockt zum Preise der Erdenschöne und Liebesmacht . . .

Nehmen wir jetzt eines meiner Hefte aus der Schule der Weisheit zur Hand, um Mirza-Schaffy's Urtheil über die Poesie des Abendlandes durch einige Beispiele zu veranschaulichen.

Eine Auswahl kleiner Gedichte, welche ich von Göthe und Heine übersetzt hatte, sagte ihm ganz besonders zu. Ganz entzückt war er von dem Göthe'schen: Kennst Du das Land &c., und von dem Heine'schen Fischerliede welches mit den Versen endet:

Mein Herz gleicht ganz dem Meere,
Hat Sturm und Ebb' und Fluth,
Und manche schöne Perle
In seiner Tiefe ruht.

Schwieriger war es, ihn mit den Schönheiten der Schillerschen Gedichte bekannt zu machen. Er kam aber doch zu der Erkenntniß, daß jedes dieser Gedichte einen guten Kern in sich schließt, wenn es uns in sprachlicher Beziehung auch oft schwer war, den Kern aus der goldnen Umhüllung herauszuschälen. Wo solche Schwierigkeiten auftauchten, mußte ein uns befreundeter Armenier, H. Budakow, der Lehrer der persischen Sprache am Gymnasium zu Tiflis war, aushelfen. Budakow war sowohl der deutschen wie auch der englischen und französischen Sprache mächtig und es machte ihm selbst viel Vergnügen, Lieder aus diesen Sprachen in morgenländisches Gewand kleiden zu helfen.

Es wurde uns bei diesen Uebungen recht klar, wieviel selbst für die geistreichsten Menschen beim Genusse fremder Poesien verloren geht, wenn die Kenntniß des Bodens fehlt darauf sie gewachsen sind und die Kenntniß der feineren Beziehungen, ohne welche oft die duftigsten Gedichte ganz unverständlich bleiben.

So versuchten wir eines Tages das Gedicht von Heine zu übersetzen, wo er von den Sternen sagt:

Sie sprechen eine Sprache,
Die ist so reich, so schön,
Doch keiner der Philologen
Kann diese Sprache versteh'n!

Ich aber hab' sie erlernet,
Und ich vergesse sie nicht –
Mir diente als Grammatik
Der Herzallerliebsten Gesicht!

Budakow verstand vollkommen den Witz dieses Gedichtes, aber unsere vereinten Kräfte reichten nicht aus, Mirza-Schaffy einen Begriff davon zu geben, eben weil weder die tatarische noch die persische Sprache einen entsprechenden Ausdruck für das hat, was wir unter »Philologen« verstehen. Wir konnten das Wort nur durch Dilbilir (Sprachenkundiger) übersetzen; ein solcher Dilbilir war aber Mirza-Schaffy selbst, und wie konnte der Weise von Gjändsha zugeben, daß Andere die Sprache der Sterne besser verstehen sollten, als er und seines Gleichen?

Einige Lieder von Thomas Moore und Lord Byron machten ihm große Freude und waren ihm verständlich, ohne daß es eines Kommentars dazu bedurfte. Einen gewaltigen Eindruck auf ihn machte das wunderbar schöne Gedicht von Rev. C. Wolfe:

»Not a drum was heard, nor a funeral note etc.«

Nicht so gut ging es mit Uhland und Geibel. Ich besinne mich noch, wie ich von Letzterm ein hübsches Lied übersetzte, welches ich seitdem in Deutschland oft wieder gehört und immer lebhaft dadurch an Mirza-Schaffy und sein Urtheil erinnert wurde. Ich meine das Lied:

Die stille Wasserrose
Steigt aus dem blauen See,
Die Blätter flimmern und blitzen,
Der Kelch ist weiß wie Schnee.

Da gießt der Mond vom Himmel
All seinen gold'nen Schein,
Gießt alle seine Strahlen
In ihren Schooß hinein.

Im Wasser um die Blume
Kreiset ein weißer Schwan,
Er singt so süß, so leise,
Und schaut die Blume an.

Er singt so süß, so leise,
Und will im Singen vergeh'n;
O Blume, weiße Blume,
Kannst Du das Lied versteh'n?

Mirza-Schaffy schüttelte den Kopf und schob das Lied bei Seite mit den Worten: »Ein thörichter Schwan!«

– »Gefällt Dir das Lied nicht?« – fragte ich meinen Lehrer.

»Der Schluß ist unweise« erwiederte er, »was hat der Schwan davon, im Singen zu vergeh'n? Er schadet sich damit und nützt der Rose nichts. Ich würde geendet haben:

Er faßt sie mit dem Schnabel
Und trägt sie mit sich fort!«

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