Reise durch Persien

Reise durch Persien

1925 n.Chr.

Pierre Loti

Inhaltsverzeichnis

Fünfter Teil

Sonntag, 27. Mai

Im Regen, unter einem dunklen Himmel, brechen wir auf. Unmerklich neigen sich die Pfade, und so steigen wir schließlich in die weniger verlassenen, in die grüneren Ebenen hinab. Korn- und Heufelder, aber immer noch keine Bäume, zuweilen Streifen Landes von klebriger, weißlicher Erde, wo nicht einmal das Gras mehr wachsen kann. Unsere ganze Umgebung ist wirklich häßlich. Die Schönheit liegt über uns, zwischen den schwarzen Wolken; wenn die Sonne durchbricht, zeigen die schrecklichen Berge uns in einer schwindelnden Höhe ihre langen Schneegewänder, und schließlich sehen wir durch einen Spalt, höher, als wir ihn zu suchen wagten, die Spitze des Berges Demavend, der Teheran überragt; er ist mehr als sechstausend Meter hoch, und niemals legt er sein leuchtendes weißes Leichentuch ab.

Trotz des eisigen Regens und der winterlichen Kälte begegnen wir vielen Menschen: Karawanen, gespensterhaften Frauen auf Eselinnen oder zu Wagen; Reitern in schönen Tuchkleidern, die schon ganz das Äußere von Städtern zeigen. Man fühlt, daß man sich der Hauptstadt nähert, und unser Kutscher hält an, zieht einen Haufen roter Bänder aus seinem Sack hervor und schmückt hiermit die Mähnen unserer vier Pferde, denn es ist Sitte, daß man also geziert nach einer glücklich überstandenen Reise zur Stadt hineinfährt.

Zu beiden Seiten des Weges stehen jetzt schmächtige, arme Bäume: verkrüppelte Ulmen, stark von der Kälte mitgenommene Granatbäume; beklagenswerte Maulbeerbäume, die auf jedem Ast zwei oder drei Straßenjungen schaukeln, und diese tun sich gütlich an den kleinen, weißen Früchten. Jetzt haben wir die endlosen Friedhöfe erreicht; auf der schrecklichen, weichen, grauen Erde, wo auch nicht der kleinste Grashalm wächst, ziehen sich die Kuppeln der Grabgewölbe oder die einfachen, fast immer verfallenen Gräber in langen Reihen dahin.

Ein Sonnenstrahl zeigt uns zwischen zwei Regengüssen, rechts an unserem Wege eine Kuppel aus funkelndem Golde, die an das Mausoleum der Fatime erinnert: es ist die Moschee des Schahs Abd-ul-Azim, eine heilige Stätte und zugleich der unverletzliche Zufluchtsort der persischen Verbrecher; vor zehn Jahren fiel der Schah Nasr-ed-din hier unter dem Dolch eines Abenteurers.

In diesem Lande, wo die Bäume nicht von selbst wachsen, werden sie oft groß und prächtig, wenn die Menschen sie neben ihre kleinen Bewässerungskanäle zwecks Beschattung ihrer Wohnungen pflanzen. Das Dorf der Vorstadt, durch das wir in diesem Augenblick hindurchfahren, liegt ganz in Grün getaucht, und Teheran dort vor uns scheint noch heute den Namen »die Stadt der Platanen« zu verdienen, den man ihr im dreizehnten Jahrhundert gab. Aber wir, die wir bis jetzt daran gewöhnt waren, die Städte in Licht gebadet, zwischen den Luftspiegelungen in strahlender Pracht auftauchen zu sehen, wir finden, daß dieser Haufen kalter, grauer Häuser, unter einem trüben Regenhimmel gelegen, seltsam unfreundlich wirkt!

Immer zahlreicher werden die Vorübergehenden. Alles Leute, die uns kreuzen und die die Stadt zu verlassen scheinen. Wahrscheinlich die alljährlich wiederkehrende Frühlingsauswanderung; der Sommer in Teheran ist so dürr und ungesund, daß die Hälfte der Bevölkerung sich im Mai entfernt, um erst im Herbst zurückzukehren. Gespanne aller Art ziehen vorbei – und alle biegen sie aus vor den toten Pferden, deren Bauch die Geier geöffnet haben, und die jetzt in kurzen Zwischenräumen auf der Landstraße liegen, ohne daß jemand daran dächte, sie zu entfernen.

Wie dunkel ist alles oberhalb der Hauptstadt Irans! Wolkenwände, hinter denen man Bergwände ahnt, füllen den Himmel mit ihren fast erschreckenden Massen an. – Und stets sieht man durch denselben Spalt den Demavend, der uns in verschwommenen Umrissen seine silberne Spitze auf einem dunklen Hintergrund zeigt, man sieht, daß dies keine Wolke, daß es etwas »Festes« ist, daß es zu der Gattung der Felsen gehört, aber es scheint zu hoch hinaufzuragen, als daß es der Erde angehören könnte, man möchte fast sagen, es neige sich vorwärts . . . Wahrscheinlich ist es ein Teil eines fremden Gestirns, das sich geräuschlos hinter dem Nebelvorhang nähert – und die Welt wird untergehen . . .

Die Tore Teherans. Sie leuchten in dem klatschenden Regen. Von vier kleinen ornamentalen Türmchen werden sie geschmückt, und diese sind fein wie Peitschenstiele, und das Ganze bedeckt ein Überzug von glasierten Ziegeln, gelbe, grüne, schwarze Ziegel, die zu einer Zeichnung zusammengestellt sind, wie man sie auf der Haut der Eidechsen oder Schlangen sieht.

In der Stadt erwartet uns die schon geahnte Enttäuschung. Durch die Regengüsse sind die Gäßchen, die bis zur Herberge führen, in schmutzige Flüsse verwandelt, sie laufen zwischen Steinhaufen dahin, und diese kennen keine Fenster, sie sind trübselig und farblos, und bei ihrem Anblick liefe man am liebsten davon.

Das Wirtshaus aber ist das Schlimmste von allem; die jämmerlichste Karawanserei war besser als dies dunkle, alte Zimmer, das auf einen feuchten Garten, auf triefende Bäume zeigt. Und ich begrüße die liebenswürdigen Herren der Gesandtschaft als Befreier, denn sie bieten mir die Gastfreundschaft des französischen Hauses an.

Die Gesandtschaft ist wie alle anderen schon aus Teheran geflohen, zwei Meilen von den Mauern entfernt, am Fuße des weißgekleideten Demavends hat sie sich für den Sommer auf dem Lande niedergelassen, und dorthin werden auch wir heute abend übersiedeln, wenn mein Gepäck, das noch mit meiner Nachhut auf den irgendwo steckengebliebenen Pferden schwebt, angekommen sein wird.

Inzwischen will ich mich ein wenig in dieser Stadt umsehen, die ich gerne so bald wie möglich verließe.

Hier gibt es nichts wirklich Altes, nichts wirklich Schönes. Vor hundertfünfzig Jahren war Teheran noch ein unbekannter Flecken, aber da kam Agha Muhammed Khan, der Eunuchenfürst, der den Thron an sich gerissen hatte, auf den Einfall, die persische Hauptstadt hierher zu verlegen.

Zuerst nach den Basaren. Sie sind groß und sehr besucht. Dieselben gotischen Gewölbe, wie wir sie schon überall sahen; man verkauft hier ungeahnte Mengen von jenen Teppichen, die nach einem neuen Verfahren gewebt und gefärbt werden, und die im Vergleich zu den Teppichen Ispahans, Kachans und Chiraz' gar zu gewöhnlich erscheinen.

Wir wollen den Sonnenschein zwischen zwei Regengüssen benutzen, um auf die Dächer zu klettern, von wo aus man einen allgemeinen Überblick hat. Immer wieder sieht man auf zahllose kleine Terrassen und Kuppeln herab, aber es fehlt das Licht, das ihnen in den alten, unveränderten Städten, aus denen wir kommen, jenen unvergleichlichen Zauber verleiht, die Kuppeln der Moscheen sind grün oder vergoldet, statt wie im Süden in blauem Türkis zu erstrahlen, die beiden rosenroten Türme aber, die dort hinten aufragen, bezeichnen den Palast des Schahs. – In diesem Augenblick treten die Berge aus den Wolken hervor, und diese Werke, von Menschenhand erbaut, erscheinen winzig klein, wie sie dort am Fuße der erdrückenden Felsmassen liegen. Seine Majestät der Schah ist soeben nach Europa abgereist, und sein Palast mit den rosenroten Türmen liegt verlassen da. Wir haben nicht die Erlaubnis, ihn heute zu besehen. Aber wir wollen es trotzdem versuchen.

Die Wächter, gutmütige Burschen, lassen uns in die Gärten eintreten, die in diesem Augenblick ganz ausgestorben und deshalb besonders reizvoll sind. Diese Gärten bestehen eigentlich nur aus Seen, aus ruhigen, schwermütigen Spiegeln, umgeben von Fayencemauern, auf denen die Störche einherstolzieren. Das Wasser ist in Persien eine große Seltenheit, und deshalb auch eine große Verschwendung, und gerade die Fürsten sparen innerhalb ihrer Mauern nicht damit. Die Gärten des Schahs bestehen fast ausschließlich aus Wasserbassins, die von alten Bäumen und Blumen eingerahmt sind, und in denen sich die Lilienbeete, die hundertjährigen Rüstern, die Pappeln, die riesengroßen Lorbeerbäume, die hohen, eifersüchtigen, die glasierten Mauern widerspiegeln. Alles in dieser königlichen Wohnung, deren Herrscher in fernen Landen reist, ist eingezäunt, verschlossen, leer und schweigend, einzelne Türen sind versiegelt, die Vorhänge sind herabgelassen, sie verdecken alle Fenster, alle Öffnungen des Hauses, die auf die eingefriedigten Seen hinausgehen, – Vorhänge aus gesticktem Leinen, feste große Vorhänge, wie die Segel einer Fregatte. An den Wänden zeugen die modernen Glasurbekleidungen, auf denen man Figuren oder Rosenzweige dargestellt sieht, von einem kläglichen Rückgang in der persischen Kunst, aber trotzdem ist der allgemeine Eindruck noch reizvoll, und entzückend ist ihr Spiegelbild auf der Wasserfläche zwischen den umgekehrten Bäumen und dem Grün. – Es regnet nicht mehr; am Himmel zerteilen sich die Wolken und fliehen dahin; in diesem sehr entlegenen Winkel, wo die vertrauensvollen Wächter uns allein umherstreifen lassen, genießen wir den hellen Nachmittag.

Der gewaltige Vorhang, der hier durch viele Stricke gehalten wird, verbirgt den Thronsaal; dieser ist so alt wie der Palast selbst und ist, nach altem Gebrauch, in seiner ganzen Breite geöffnet, um es dem Volk zu ermöglichen, von weitem ihr Götzenbild sitzen zu sehen, der marmorne Sockel – ohne Treppe, damit die Menge nicht dort hinaufsteigt – hebt den Thron ungefähr zwei Meter über die Gärten empor, und davor spiegelt sich ein großes, viereckiges Wasserbassin, um das sich an hohen Feiertagen alle Würdenträger aufstellen, und wenn der Herrscher erscheint, funkeln dort die prächtigen Burnusse und die Edelsteinagraffen in schweigender Pracht durch das Dunkel des Saales hindurch.

Wir möchten diesen Saal gern sehen. Mit einem Wächter, der ungefähr weiß, was für Leute er vor sich hat, stiften wir ein unschuldiges Komplott, wir klammern uns an die Vorsprünge des Marmors, wir schwingen uns hinauf und gleiten unter dem herabgelassenen Vorhang hindurch, – und wir betreten den Platz.

Hier ist es natürlich ganz dunkel, weil das einzige Licht durch diese große Öffnung fallen soll, die heute durch einen dichten Vorhang abgeschlossen ist. Als erstes unterscheiden wir den Thron, nah, ganz am Rande steht er da; er zeigt eine Altertümlichkeit, die wir nicht erwartet hatten, weiß hebt er sich von der allgemeinen rot und goldenen Ausschmückung ab. Es ist dies einer der geschichtlichen Throne der Mogol-Kaiser, eine Art Estrade aus Alabaster mit goldenen Linien, die von den aus einem Block gehauenen, kleinen, seltsamen Göttinnen und Ungeheuern gehalten wird; der gewöhnliche Springbrunnen, unumgänglich notwendig für die Einrichtung eines persischen Herrschers, nimmt den Vordergrund dieser Estrade ein, wo sich der Schah, bei besonders festlichen Gelegenheiten, auf einem mit Perlen besetzten Teppich sitzend, dem Volke zeigt; sein Kopf ist mit Edelsteinen überladen, und er stellt sich, als rauche er die Kalyan, – eine Kalyan ohne Feuer, auf die man gewaltige Rubinen legt, um die glühende Kohle nachzuahmen.

Wie in den alten Palästen Ispahans, so hebt sich auch hier ein Spitzbogen, der den Herrscher mit einem Heiligenschein umgeben soll, von dem durchsichtig weißen Thron ab. Er ist, ganz in der Art wie die Decken, mit einem Netz von Arabesken und einem Regen von kristallenem Stalaktit verziert. Und dies alles erinnert an die Zeiten der Sophis-Könige; stets ist es dieselbe bezaubernde Grotte, in die die persischen Prinzen ihre Räume zu verwandeln bemüht waren. Zu beiden Seiten des Saales sieht man die Schahs früherer Jahrhunderte auf Fresken verewigt. Männer mit strammsitzenden Goldbrokatgewändern, unnatürlich jung und schön, mit geschweiften Augenbrauen, mit schwarzgeränderten Augen, mit langen Bärten, die von ihren rosenroten Wangen in einer schwarzen, seidigen Welle bis zu den Edelsteinen ihrer Gürtel herabfließen.

Einer von uns hebt abwechselnd eine Ecke des großen Vorhangs in die Höhe, um einen Lichtstrahl in diesen Halbschatten hereinsickern zu lassen; und alsbald leuchten die kristallenen Stalaktite an der dunklen Decke gleich Diamanten auf. Wir haben uns eigentlich einer Übertretung schuldig gemacht, befinden uns auf Schleichwegen, aber das macht diesen heimlichen Spaziergang noch reizvoller. Und eine Katze, eine wahrhaftige Katze – wenn die Perser dies lesen, mögen sie mir diese unschuldige Zusammenstellung der Wörter verzeihen –, eine schöne Angorakatze, gut genährt, zutraulich, an Liebkosungen gewöhnt, ist in diesem Augenblick der alleinige Herrscher der kaiserlichen Pracht, eine Katze sitzt auf dem Thron und sieht uns mit größter majestätischer Herablassung kommen und gehen.

Als wir den Saal verlassen, machen wir noch einmal einen Gang um die Wasserbassins, dasselbe Schweigen, dieselbe ewige Ruhe wie vorhin herrscht hier auch jetzt. Leise gleiten die Schwäne über die blanken Flächen dahin, sie ziehen Linien und Kreise, die das Spiegelbild der hohen, rosenroten Fayencewände, der großen Zypressen, der großen Lorbeerbäume, der Blumen, der schwermütigen Sträucher zerschneiden. Sonst rührt sich nichts in dem Palast, nicht einmal die Zweige, denn es ist windstill; man hört nur die Tropfen von den nassen Blättern zu Boden fallen.

Als der Tag sich zu Ende neigt, verlassen wir Teheran in der entgegengesetzten Richtung durch das Tor, durch das wir heute morgen unseren Einzug hielten; aber der Anblick ist auch jetzt derselbe, dieselbe grün, gelb und schwarze Glasurbekleidung, dieselben zebraartigen Streifen einer Schlangenhaut.

Und bald rollt unser Wagen durch eine kleine Wüste, über Steine, über einen grauen Boden dahin; ein schrecklicher Leichengeruch weht uns entgegen: Gebeine liegen dicht gesät auf der Erde, Leichname, in den verschiedensten Verwesungsstadien begriffen, bedecken den Boden, dies ist der Friedhof der Tiere, der Pferde, der Kamele und der Maultiere. Tagsüber wird dieser Platz von den Geiern heimgesucht, nachts treffen sich hier die Schakale.

Wir fahren auf den Demavend zu, der jetzt ganz frei daliegt; wie kaum ein zweiter Berg der Welt ruft er einen gewaltigen Eindruck hervor, weil ihm nichts auf seinem Wege nach dem Himmel zu folgt; mehr als um die Hälfte ragt dieser Schneekegel einsam über die ganze andere Kette hinaus. Zu seinen Füßen sieht man den grünen Flecken einer Oase, auch sie liegt schon hundert oder hundertfünfzig Meter höher als die Stadt, und dorthin sind die europäischen Gesandtschaften während der heißen Jahreszeit geflüchtet.

Wir verlassen jetzt die kleine Wüste mit ihren Geiern und stoßen zuerst auf einige größere Gehölze, die die fleißige Menschenhand geschaffen hat, sie sind von Mauern umgeben: hier liegen die Sommerwohnungen der vornehmen Herren und die Lusthäuser ihrer Haremsdamen. Der aufsteigende Weg ist bald ganz schattig, er wird von Granatbäumen eingerahmt, von fruchttragenden Maulbeerbäumen, die die Straßenjungen in den langen Gewändern plündern, und endlich erreichen wir die schon von weitem erspähte Oase. In diesem Lande, wo alle Gärten, alles Buschwerk künstlich ist, freut man sich, einen richtigen kleinen Wald, ganz wie bei uns daheim, zu sehen, in dem die Bäume von selbst gewachsen zu sein scheinen, einen Wald, der Strauchwerk, Moose und Farnkräuter hat. – Die französische Legation liegt in diesem Eden, am Fuße des Schneeberges, zwischen Sumpfpflanzen, schlanken Pappeln, langen Gräsern, und um das Haus herum fließen kühle Bäche; man hört den Kuckuck rufen, die Eule schreien; dies ist die ganze Frühlingsbotschaft, der ganze zitternde Reiz eines Frühlings, der sich später als der unsere einstellt, der von kurzer Dauer ist, auf den eine sengende Jahreszeit folgt. Und sobald die Nacht hereinbricht, erschaudert man wie im Winter unter dem Blütendach dieses Waldes.

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