Vierter Teil
Sonntag, 13. Mai
Spät wache ich auf, beim Gezwitscher der Vögel, und noch
bevor mir das Bewußtsein ganz zurückgekehrt ist, habe ich ein
Gefühl der Sicherheit und der Muße: der Tcharvadar wird mich
heute morgen nicht zum Aufbruch anspornen; ich brauche mich
nicht auf den Weg zu machen, brauche nicht auf schlechten
Pfaden, über Spalten und Risse dahinzureiten. Mich umgeben
nicht mehr die durchlöcherten, schwärzlichen Mauern, nicht
mehr Erde und Unrat; das Zimmer ist geräumig und weiß, hat
breite Diwans und bunte orientalische Teppiche. Der Garten vor
meiner Tür ist ein einziges, großes Rosenbeet, einige gelbe
Ginsterpflanzen, die an verschiedenen Stellen in goldenen
Büscheln hervorspringen, beleben es, und darüber wölbt sich
ein Maienhimmel so klar, so tief, wie man ihn in anderen
Gegenden kaum kennt. Die Vögel, Bachstelzen, Meisen,
Nachtigallen tragen ihr bräutliches Lied bis an die Schwelle
meiner Tür. In der Luft zittert gleichsam der Rausch des
Lenzes; es ist die große Schönheit des persischen Frühlings,
die so bald vor dem sengenden Sommer entflieht, es ist die
wilde Begeisterung der Rosenzeit zu Ispahan, die nicht schnell
genug ihre Säfte verschwenden kann, die in wenigen Tagen alle
ihre Blüten, ihren ganzen Wohlgeruch ausströmen muß.
Außerdem habe ich beim Erwachen das Gefühl, daß jetzt der
schwierige Teil der Reise überstanden ist, – daß jetzt –
glücklicherweise und leider! – Persien und die Wüsten hinter
uns liegen. Ispahan ist eine der letzten Etappen auf dem
gefährlichen Wege, denn es steht in Verbindung mit dem Norden,
mit Teheran und dem Kaspischen Meer, über das ich den Heimweg
antreten werde; die Furcht vor den Räubern ist jetzt
überflüssig, und die Pfade, auf denen die Karawanen
dahinziehen, können nicht mehr so ganz unmöglich sein, denn
man weiß schon von Reisenden zu erzählen, die diese Strecken
zu Wagen zurückgelegt haben sollen.
Was meinen Aufenthalt hier anbetrifft, so brauche ich keine
Belästigungen zu befürchten, da ich unter dem Schutz der
russischen Fahne stehe. Aber die Leute in Ispahan scheinen den
Fremden nicht so günstig gesonnen zu sein wie die Bevölkerung
in Chiraz oder in Koumichah, wenn ich spazieren gehe, wird mir
jedesmal eine Wache mitgegeben, ebensosehr des Schutzes wie
des Anstandes wegen: zwei mit Stöcken bewaffnete Soldaten
eröffnen den Marsch; hinter ihnen ein galonierter Kosak in der
Livree des Fürsten. Und in diesem Aufzug verlasse ich heute,
an einem schönen Maienmorgen, zum erstenmal das Haus, um den
KaiserplatzMeïdan Schah. zu besuchen, das Wunder der Stadt,
das im siebzehnten Jahrhundert von den ersten Europäern, die
hier eindringen durften, so sehr angestaunt wurde.
Nachdem wir durch mehrere gewundene Gäßchen über Löcher und
Trümmerhaufen dahingeeilt sind, umgibt uns von neuem der ewige
Schatten der Basare. Das Gewölbe, das wir jetzt erreicht
haben, gehört den Schneidern; Burnusse, blaue Kleider, grüne
Kleider, Kleider aus buntem Kaschmir werden hier in einer Art
von Kathedrale, die unendlich lang und wohl dreißig bis
vierzig Fuß hoch ist, genäht und verkauft. Ein ganz mit
Emaillemosaik ausgelegter Bogen zeigt von der Erde bis zur
äußersten Spitze des Gewölbes eine Öffnung, durch die wir
plötzlich den Platz Ispahans vor uns liegen sehen, der in
keiner europäischen Stadt seinesgleichen findet, weder was die
Größe, noch was die Pracht anbelangt. Er ist im reinen
Rechteck erbaut, wird von gleichmäßigen Gebäuden eingerahmt
und hat eine so gewaltige Ausdehnung, daß die Karawanen, die
langen Reihen der Kamele, die Züge, die ihn in diesem
Augenblick unter einem wunderbar strahlenden Morgenhimmel
kreuzen, daß dies alles sich hier zu verlieren scheint; seine
vier Seiten werden zum größten Teil von den langen, geraden
Schiffen der Basare gebildet, mit ihren übereinander
liegenden, riesengroßen, gemauerten Spitzbogen aus graurotem
Stein, die sich in eintönigen, endlosen Reihen dahinziehen;
aber, um diese zu große Gleichgültigkeit der Linien zu
unterbrechen, leuchten die seltsamen, herrlichen Gebäude uns
gleich kostbaren Porzellanstücken von verschiedenen Seiten
entgegen. Im Hintergrunde, in majestätischer Zurückgezogenheit
und doch im Mittelpunkt von allem, liegt die kaiserliche
MoscheeDie Masjed Chah.. Alles ist aus blauem Lapislazuli, aus
blauem Türkis, ihre Kuppeln, ihre Portale, ihre ungeheuren
Spitzbogen, ihre vier Minaretts, die gleich riesengroßen
Spindeln in die Luft hineinragen. Mitten auf der rechten Seite
sieht man den Palast des großen Kaisers, den Palast des Schah
Abbas, seine schlanke Säulenhalle im alten assyrischen Stil,
die auf einem dreißig Fuß hohen Sockel ruht, hebt sich wie
etwas Leichtes, Luftförmiges in dem leeren Räume ab. Auf
unserer Seite blitzen die Minaretts, die Kuppeln aus gelber
Glasur auf, hier liegt die alte Freitagsmoschee, eine der
heiligsten und der ältesten in ganz IranDie Masjed Djummah..
Und dann überall in der Ferne andere blaue Kuppeln, andere
blaue Minaretts, andere blaue Türme, von Tauben umkreist, sie
tauchen zwischen den Wipfeln der Platanen auf. Und schließlich
am äußersten Rande der Ebene umrahmen die Berge dies große
Bild mit ihren leuchtenden Schneezacken.
In Persien, wo vor undenkbaren Zeiten die Leute die
gewaltige Arbeit der Bewässerung unternahmen, um ihre Wüsten
fruchtbar zu machen, geht nichts ohne fließendes Wasser; so
sieht man auch hier zu beiden Seiten des großartigen Platzes
klare Bäche durch weiße marmorne Rinnen dahineilen; sie kommen
aus weiter Ferne und speisen zwei Alleen und Rosengebüsche.
Und dort unter kleinen Zelten rauchen die vielen müßigen
Träumer ihre Kalyan und trinken ihren Tee; die einen kauern
auf der Erde, die anderen sitzen auf Bänken, die sie über den
Bach gelegt haben, um in nächster Nähe den kühlen Hauch
genießen zu können, den die kleine vorüberfließende Welle mit
sich bringt. Hunderte von Leuten, die verschiedensten Tiere
bewegen sich auf diesem Platz, ohne ihn doch jemals ganz zu
füllen, denn er ist unendlich groß, und immer liegt seine
Mitte fast ganz verlassen, in ein Meer von Licht gebadet, da.
Schöne Reiter führen ihre Pferde im Galopp vor – im persischen
Galopp, wo sie mit straffen Zügeln dem Hals ihres Pferdes die
Biegung eines Schwanenhalses geben. Scharen von
turbangekleideten Männern verlassen nach der Morgenandacht die
Moscheen, sie erscheinen zuerst in den großen, wahnsinnig
blauen Portalen und verlieren sich dann in der Sonne. Kamele
ziehen langsam vorüber, Truppen kleiner, mit schweren Lasten
beladener Esel trippeln heran. Gespensterhafte Damen reiten
auf ihren weißen Eselinnen spazieren, in der Hand haben sie
überaus prächtige Gerten aus gesticktem Samt mit goldenen
Fransen besetzt. – Und doch, wie jämmerlich würde dies
Treiben, würden die heutigen Trachten sich neben dem machen,
was man auf demselben Platze unter der Herrschaft des großen
Kaisers sehen konnte, als die Vorstadt Djoulfa noch mit
Reichtümern überschwemmt war! Zu seiner Zeit floß alles Geld
Asiens nach Ispahan; die Glasurpaläste schossen so schnell wie
das Maiengras aus der Erde hervor; und Kleider aus Brokat,
Kleider aus gold- und silbergewirkten Stoffen wurden
tagtäglich auf den Straßen getragen, ebenso wie die Agraffen
aus kostbaren Steinen. Wenn man näher hinsieht, so ist man
entsetzt über den Verfall aller dieser Gebäude, die beim
ersten Anblick noch so glanzvoll erschienen! – Dort oben, die
schöne luftförmige Säulenhalle des Schah Abbas hat sich unter
dem Dach, das schon einzustürzen beginnt, geneigt. An der
Seite, wo die winterlichen Winde wehen, sind alle Minaretts
der Moscheen, alle Kuppeln zur Hälfte ihres geduldigen
Fayencemosaiks beraubt und scheinen von einem grauen Aussatz
angenagt zu sein; mit der Fahrlässigkeit, die den Persern
eigen ist, lassen sie dem Verfall seinen Lauf; und außerdem
wäre dies alles heute auch nicht mehr auszubessern: man hat
weder das nötige Geld noch die Zeit, und das Geheimnis dieses
wunderbaren Blaus ist seit langen Jahren verloren. Man bessert
also nichts aus, und dieser einzig dastehende Platz, der mehr
als dreihundert Jahre alt ist, wird niemals den Schluß des
Jahrhunderts erleben, in das wir jetzt hineingehen.
Wie Chiraz die Stadt Kerim-Khans war, so ist Ispahan die
Stadt des Schah-Abbas. Jederzeit ist es den Herrschern
Persiens eine Kleinigkeit gewesen, ihre Hauptstadt zu
wechseln, auch dieser Prinz entschloß sich ungefähr im Jahre
1565, hier seinen Hof zu errichten und aus dieser schon sehr
alten und außerdem durch den Durchzug des Tamerlan fast ganz
verödeten Stadt etwas zu machen, was die Welt in Erstaunen
setzen würde. Zu einer Zeit, wo wir selbst im Westen an enge
Plätze, an winkelige Gäßchen gewohnt waren, ein ganzes
Jahrhundert, bevor man die stolzen Perspektiven Versailles'
erschuf, hat dieser Orientale das großartige Ebenmaß, die
Entfaltung dar Alleen ersonnen und geschaffen, die noch nie
ein Mensch nachzuahmen verstanden hat. Das neue Ispahan, das
aus seinen Händen hervorging, widersprach allen Vorstellungen,
die man sich damals über den Entwurf der Grundrisse machte,
und heute rufen seine Ruinen auf diesem persischen Boden den
Eindruck einer großen Ausnahme hervor. Es erschiene mir
natürlich, wenn ich, wie in Chiraz, mich im Schatten neben den
friedlichen Leuten niederließ, die eine Rose zwischen den
Fingern halten; aber meine Ehrenwache ist mir lästig, und
außerdem wäre es hier scheinbar gar nicht möglich: man würde
mir den Tee mit Verachtung reichen, würde mir die Kalyan
verweigern.
So laßt uns vorwärts wandern, da mir die süße Trägheit der
Muselmänner versagt ist.
Um die kleine Sahara der Mitte zu vermeiden, halten wir uns
am äußersten Rand des Platzes, wir schreiten an der endlosen
Flucht der großen gemauerten Arkaden vorüber, damit ich mich
wenigstens der kaiserlichen Moschee nähern kann, deren
riesenhaftes Portal dort hinten mich wie der zauberhafte
Eingang zu einer blauen Grotte anzieht! In dem Maße, wie wir
vorwärts schreiten, scheinen die Minaretts und die Kuppel des
tiefen Heiligtums – all das, was hinter dem Vorhof beschützt
und geheiligt daliegt – scheinen die Gegenstände zu
entweichen, zu verschwinden, während ich mich immer mehr dem
Portale nähere, dem Spitzbogen, der sich in seinem
Mauergeviert, mit seinen seltsam leuchtenden Fayenzen, so hoch
wie ein Triumphbogen erhebt. Steht man unter diesem gewaltigen
Tor, so sieht man einen Wasserfall von blauem Stalaktit von
dem Gewölbe herabstürzen, er teilt sich in regelmäßige
Wassergarben, dann in symmetrische Strahlen und gleitet an den
inneren Mauern herab, die mit wunderbarer blauer, grüner,
gelber und weißer Emaille bestickt sind. Diese herrlich
glänzenden Muster stellen Blumenzweige dar, durch die sich
feine, weiße, religiöse Inschriften ziehen, darunter sieht man
ein Gewirr von Arabesken in den verschiedensten
Türkisschattierungen. Die Wasserfälle, die Ströme von
Stalaktit oder Schlüsselstein, stürzen von dem Gewölbe herab,
fließen bis zu den kleinen Säulen herab, wo sie sich
schließlich ausruhen; auf diese Weise bilden sie ganze Reihen
kleiner, wunderbar fein ausgezackter Bogen, die sich in einer
harmonischen Verschlingung unter dem riesengroßen Hauptbogen
reihen. Das Ganze, unbeschreiblich verworren, unbeschreiblich
glänzend, mit seinen Farben, die den Edelsteinen anzugehören
scheinen, ruft doch den Eindruck der Ruhe und der Einheit
hervor, sobald man sich unter seinem kühlen Schatten befindet.
Und im Hintergrunde dieses Peristyls liegt die Tür, die den
Christen verschlossen bleibt, die Tür der heiligen Stätte, sie
ist breit und hoch, aber man könnte sie klein nennen, so
erdrückend wirkt der Umfang des Eingangsportals; sie ist
eingelassen in die dicken, mit lapislazulifarbener Glasur
bekleideten Wände; sie scheint in einem Reich zu versinken, wo
das Blau allein herrscht.
Als ich in die russische Gesandtschaft zurückkehre, ist das
Tor, das einzige in der Mauer, mit alten goldenen Stickereien,
mit alten Gebetsteppichen geschmückt, die man aufs Geratewohl,
wie für eine vorüberziehende Prozession, mit Nadeln an der
Wand befestigt hat. Scheinbar will man mich hiermit locken,
die armenischen und jüdischen Kaufleute haben von der Ankunft
eines Fremden Wind bekommen und sind herbeigeeilt. Ich erbitte
für sie die Erlaubnis, den Rosengarten betreten zu dürfen –,
und von jetzt an gehört die Aufstellung der Kinkerlitzchen,
die mir angeboten werden, die Handelsabschlüsse in den
verschiedensten Sprachen, mit zu meinem morgendlichen
Zeitvertreib.
Nachmittags spazieren meine mit Stöcken bewaffnete
Begleitung und ich durch die Basare, wo stets ein gedämpftes
Tageslicht und die angenehme Kühle der Gewölbe herrscht. Alle
Gänge drohen einzustürzen, viele liegen verfallen, verlassen
da; die Alleen, in denen die Verkäufer sich noch aufhalten,
sind ihrer alten Pracht fast ganz beraubt, aber noch findet
man dort die lärmende Menge, und tausend drollige, ins Auge
fallende Gegenstände, die Plätze, wo diese Alleen sich
kreuzen, sind stets von großen, herrlichen, hochschwebenden
Kuppeln überdacht, durch deren Öffnung in der Mitte die hellen
Strahlen persischer Sonne herniederfallen: Jeder dieser
viereckigen Plätze hat seinen Springbrunnen, sein
Marmorbassin, in das die Rosenhändler ihre schönen Sträuße
tauchen, aus dem die Menschen, die Esel, die Kamele und die
Hunde trinken.
Der Basar der Färber, der monumental, traurig und finster
daliegt, erinnert an eine unendlich lange, mit schwarzem Tuch
ausgeschlagene gotische Kirche, bis oben hinauf, bis zum
Gewölbe hängen die Stoffe, von denen die Farbe herabtropft, –
dunkles Blau für die Männerkleider, Schwarz für die Schleier
der gespensterhaften Frauen.
In dem Basar der Kupferschmiede, der sich eine halbe Meile
weit erstreckt und unaufhörlich von dem höllischen Lärm der
Hämmer widerhallt, sind die anmutigsten Wasserkaraffen
aufgestellt, und die kupfernen Schenkkannen, mit ihren
schlanken, seltenen Formen, leuchten in neuem Glanz in den
Schaufenstern der Läden, durch den rauchgeschwängerten
Schatten hindurch.
Wie in Chiraz, so ist auch hier der Basar der Sattler der
größte, er glitzerte von Stickereien, Goldperlen und Pailetten.
Die verschiedenen orientalischen Gebrauchsgegenstände der
Karawanenreisenden sind hier in ungezählten Mengen
ausgestellt! Ledersäcke mit seidenen Stickereien verziert,
stark vergoldete Pulverhörner, Kürbisflaschen mit Gehängen
überladen; kleine Schalen aus ziseliertem Metall, mit deren
Hilfe man das Quellwasser am Wege schöpft. Und dann folgen die
Gerten aus Samt und Gold, sie sind für die weißen Eselinnen
der Damen bestimmt, die paillettenbenähten Zaumzeuge der
Pferde oder der Maultiere, die Glockenkränze, deren Geläute
die wilden Tiere zurückschreckt. Und schließlich sieht man all
das, was zu der wirklichen Eleganz der Kamele gehört:
Perlenreihen, die durch die Nasenlöcher gezogen werden,
Quersäcke mit bunten Fransen; Kopfstücke mit Glasperlen
verziert, Federbüsche und kleine Spiegel, in denen die
Sonnenstrahlen oder die Mondstrahlen während der Reise
aufgefangen werden. Einer der großen Spitzbogen sendet uns
plötzlich eine Flut von Licht entgegen, und wieder liegt der
kaiserliche Platz vor uns, stets wirkt er ergreifend durch
seine ungeheure Ausdehnung und seine Pracht, mit seinen
regelmäßigen Arkadenreihen, seinen Moscheen, die mit
gewaltigen glasierten Turbanen bedeckt zu sein scheinen,
seinen spindelförmigen Minaretts, an denen sich von unten nach
oben in spiralförmiger Linie weiße Raupen, wunderbar blaue
Arabesken hinaufschlängeln.
Schnell wollen wir den großen Platz durchschreiten, der
jetzt in der glühenden Sonnenhitze ganz verlassen daliegt,
unter einem anderen, ähnlichen Spitzbogen suchen wir von neuem
Schutz, tauchen wir von neuem in der Kühle der Gewölbe unter.
Der Basar, in dessen Schatten wir uns jetzt befinden,
gehört den Bäckern. Hier herrscht eine glühende Temperatur,
die Öfen sind in allen Läden geheizt; der Duft der gebackenen
Naschwerks dringt uns entgegen. Viele Rosensträuße in den
kleinen Schaufenstern, zwischen den Zuckersachen und den
Torten; verschiedenfarbiger Sirup in Gläsern; Eingemachtes in
großen, alten, chinesischen Porzellangefäßen, die unter der
Herrschaft des Schah-Abbas hierher gekommen sind; eine Wolke
von Fliegen. Ungezählte schwarze Frauen mit weißen Masken. Und
vor allem die entzückenden Kinder, die man merkwürdigerweise
ganz wie große Leute kleidet; kleine Knaben in langen
Gewändern und gar zu hohen Hüten; kleine Mädchen mit gemalten
Augen, niedlich wie Puppen anzuschauen, sie tragen
überfallende Hemden, kurze Röcke und darunter Hosen.
Auf dem folgenden Platz, der ganz verfallen daliegt, bilden
viele Menschen einen Kreis um den Springbrunnen: auf dem Rande
des marmornen Beckens sitzt ein alter Derwisch und predigt;
unter den Strahlen, die von der Kuppel herabfallen, leuchtet
sein Bart und sein Haar weiß auf, er scheint hundert Jahre zu
zählen, zwischen den knöchernen Fingern hält er eine Rose.
Und dann erreichen wir den Basar der Juweliere, niemand
geht hier hindurch. Man verkauft ziseliertes Silber, Kästchen,
Schalen, Spiegel, Kalyan-Karaffen; unter den trüben Scheiben
der Kästen, um die man in höchster Vorsicht noch eine blaue
seidene Schnur gewunden hat, liegen alte Schmucksachen zum
Verkauf, aus Silber oder aus Gold, aus echten oder unechten
Edelsteinen; dort sieht man auch ungezählte Agraffen, deren
Bestimmung es ist, die kleine weiße, mit zwei Löchern
versehene Maske, die das Gesicht der Frauen verhüllt, hinter
dem Kopf zusammenzuhalten. Fast alle Kaufleute sind Greise mit
weißen Bärten, sie hocken in dunklen Nischen, jeder hält seine
kleine Wage in der Hand, auf der die Türkise abgewogen werden,
und jeder verfolgt seinen Traum, den kaum ein Käufer stört.
Der Staub, die Fledermäuse, die Spinngewebe, der schwarze
Schutt sucht diesen verödeten Basar heim, wo doch so viele
wunderbare Dinge schlafen.
Wir beschließen unseren Tag in einem ausgestorbenen,
verfallenen Ispahan, das sich, je tiefer die Sonne sinkt, in
immer dunklere Schatten hüllt. Es ist dies der gewaltige
Stadtteil, in dem nach der afghanischen Verheerung, nach den
Schrecken der großen Belagerung, die der Sultan Mahmoud vor
bald zweihundert Jahren gegen die Mauren unternahm, alles
Leben erstorben ist. Ispahan hat sich nach diesem zweiten,
schrecklichen Sturm, der seine Einwohner von
siebenhunderttausend auf kaum sechzigtausend zusammenschmelzen
ließ, nie wieder aufrichten können, außerdem führte Kerim-Khan
fast unmittelbar darauf den gänzlichen Verfall herbei, indem
er die Hauptstadt des Kaiserreiches nach Chiraz verlegte. In
einer Ausdehnung von mehr als einer Meile liegen die Häuser,
die Paläste, die Basare verlassen da, alles bricht zusammen.
Auf den Straßen, in den Moscheen haben die Füchse und die
Schakale ihre Löcher gegraben und sich dort wohnlich
niedergelassen; und hier und dort zerbröckelt die schöne
Mosaik, zerbröckeln die schönen Fayencen und legen sich wie
eine himmelblaue Asche auf die Steinhaufen, über die graue
Erde. Abgesehen von einem Schakal, der uns in dem Eingang zu
seiner Höhle seine spitze Schnauze zeigt, begegnen wir keinem
lebenden Wesen, wir schreiten durch das kalte Schweigen dahin,
und der einzige Laut, der an unser Ohr dringt, ist der
Widerhall unserer Schritte und der Stöße, die meine beiden
Wächter mit ihren Stöcken gegen die Steine führen. Aber
überall blühen die Frühlingsblumen, Margueriten, Rittersporn,
Mohn, Heckenrosen, auf dem Rand der Mauer bilden sich kleine
bunte Gärten; der Tag geht klar und goldig zur Neige, in der
Ferne dort hinten auf den Gipfeln erglühen die Schneegefilde
in wunderbar zartem Rot, und bevor die Nacht hereinbricht,
läßt das Licht noch einmal sein ganzes Farbenspiel über dieser
Verwüstung leuchten.
Wir müssen spätestens um die Dämmerstunde zurückgekehrt
sein, denn die alte Hauptstadt des Schah-Abbas kennt kein
nächtliches Leben. Das Tor des fürstlichen Hauses wird bei
Hereinbruch der Dunkelheit hermetisch verschlossen, und
alsbald verriegelt man auch die alten, eisenbeschlagenen
Türen, die die verschiedenen Stadtviertel voneinander trennen.
Das unentwirrbare Labyrinth der Stadt, wo binnen kurzem
vollständige Finsternis herrschen wird, zerlegt sich in
unendlich viele, abgesonderte Teile, die bis zum Tagesanbruch
in keiner Verbindung miteinander stehen. Das große Schweigen
des Islam senkt sich über Ispahan herab.
Die Rosen durchschwängern die Nacht mit ihrem Duft, die
Rosen des Gartens, der von hohen Mauern eingerahmt und
geschützt daliegt; meine Zimmer gehen auf ihn hinaus. Kein
Geräusch von Fußtritten dringt von draußen an mein Ohr, weil
niemand sich mehr im Freien aufhält; kein Rollen der Räder,
weil es hier keine Wagen gibt; nur von Zeit zu Zeit trägt die
klare, klangreiche Luft uns die Töne kreischender, trauriger
Stimmen zu; die Muezzine schmettern ihren Aufruf zum Gebet
durch die Luft, die Nachtwächter schreien von dem einen
geschlossenen Viertel zum anderen ihre Antwort hinüber; die
wachenden Hunde bellen, die Schakale heulen in der Ferne. Und
seltsam hell leuchten die Sterne; wir befinden uns noch immer
in einer ziemlichen Höhe, ungefähr in derselben Luftlinie mit
den Gipfeln der größten Berge Frankreichs.