Reise durch Persien

Reise durch Persien

1925 n.Chr.

Pierre Loti

Inhaltsverzeichnis

Vierter Teil

Sonntag, 13. Mai

Spät wache ich auf, beim Gezwitscher der Vögel, und noch bevor mir das Bewußtsein ganz zurückgekehrt ist, habe ich ein Gefühl der Sicherheit und der Muße: der Tcharvadar wird mich heute morgen nicht zum Aufbruch anspornen; ich brauche mich nicht auf den Weg zu machen, brauche nicht auf schlechten Pfaden, über Spalten und Risse dahinzureiten. Mich umgeben nicht mehr die durchlöcherten, schwärzlichen Mauern, nicht mehr Erde und Unrat; das Zimmer ist geräumig und weiß, hat breite Diwans und bunte orientalische Teppiche. Der Garten vor meiner Tür ist ein einziges, großes Rosenbeet, einige gelbe Ginsterpflanzen, die an verschiedenen Stellen in goldenen Büscheln hervorspringen, beleben es, und darüber wölbt sich ein Maienhimmel so klar, so tief, wie man ihn in anderen Gegenden kaum kennt. Die Vögel, Bachstelzen, Meisen, Nachtigallen tragen ihr bräutliches Lied bis an die Schwelle meiner Tür. In der Luft zittert gleichsam der Rausch des Lenzes; es ist die große Schönheit des persischen Frühlings, die so bald vor dem sengenden Sommer entflieht, es ist die wilde Begeisterung der Rosenzeit zu Ispahan, die nicht schnell genug ihre Säfte verschwenden kann, die in wenigen Tagen alle ihre Blüten, ihren ganzen Wohlgeruch ausströmen muß.

Außerdem habe ich beim Erwachen das Gefühl, daß jetzt der schwierige Teil der Reise überstanden ist, – daß jetzt – glücklicherweise und leider! – Persien und die Wüsten hinter uns liegen. Ispahan ist eine der letzten Etappen auf dem gefährlichen Wege, denn es steht in Verbindung mit dem Norden, mit Teheran und dem Kaspischen Meer, über das ich den Heimweg antreten werde; die Furcht vor den Räubern ist jetzt überflüssig, und die Pfade, auf denen die Karawanen dahinziehen, können nicht mehr so ganz unmöglich sein, denn man weiß schon von Reisenden zu erzählen, die diese Strecken zu Wagen zurückgelegt haben sollen.

Was meinen Aufenthalt hier anbetrifft, so brauche ich keine Belästigungen zu befürchten, da ich unter dem Schutz der russischen Fahne stehe. Aber die Leute in Ispahan scheinen den Fremden nicht so günstig gesonnen zu sein wie die Bevölkerung in Chiraz oder in Koumichah, wenn ich spazieren gehe, wird mir jedesmal eine Wache mitgegeben, ebensosehr des Schutzes wie des Anstandes wegen: zwei mit Stöcken bewaffnete Soldaten eröffnen den Marsch; hinter ihnen ein galonierter Kosak in der Livree des Fürsten. Und in diesem Aufzug verlasse ich heute, an einem schönen Maienmorgen, zum erstenmal das Haus, um den KaiserplatzMeïdan Schah. zu besuchen, das Wunder der Stadt, das im siebzehnten Jahrhundert von den ersten Europäern, die hier eindringen durften, so sehr angestaunt wurde.

Nachdem wir durch mehrere gewundene Gäßchen über Löcher und Trümmerhaufen dahingeeilt sind, umgibt uns von neuem der ewige Schatten der Basare. Das Gewölbe, das wir jetzt erreicht haben, gehört den Schneidern; Burnusse, blaue Kleider, grüne Kleider, Kleider aus buntem Kaschmir werden hier in einer Art von Kathedrale, die unendlich lang und wohl dreißig bis vierzig Fuß hoch ist, genäht und verkauft. Ein ganz mit Emaillemosaik ausgelegter Bogen zeigt von der Erde bis zur äußersten Spitze des Gewölbes eine Öffnung, durch die wir plötzlich den Platz Ispahans vor uns liegen sehen, der in keiner europäischen Stadt seinesgleichen findet, weder was die Größe, noch was die Pracht anbelangt. Er ist im reinen Rechteck erbaut, wird von gleichmäßigen Gebäuden eingerahmt und hat eine so gewaltige Ausdehnung, daß die Karawanen, die langen Reihen der Kamele, die Züge, die ihn in diesem Augenblick unter einem wunderbar strahlenden Morgenhimmel kreuzen, daß dies alles sich hier zu verlieren scheint; seine vier Seiten werden zum größten Teil von den langen, geraden Schiffen der Basare gebildet, mit ihren übereinander liegenden, riesengroßen, gemauerten Spitzbogen aus graurotem Stein, die sich in eintönigen, endlosen Reihen dahinziehen; aber, um diese zu große Gleichgültigkeit der Linien zu unterbrechen, leuchten die seltsamen, herrlichen Gebäude uns gleich kostbaren Porzellanstücken von verschiedenen Seiten entgegen. Im Hintergrunde, in majestätischer Zurückgezogenheit und doch im Mittelpunkt von allem, liegt die kaiserliche MoscheeDie Masjed Chah.. Alles ist aus blauem Lapislazuli, aus blauem Türkis, ihre Kuppeln, ihre Portale, ihre ungeheuren Spitzbogen, ihre vier Minaretts, die gleich riesengroßen Spindeln in die Luft hineinragen. Mitten auf der rechten Seite sieht man den Palast des großen Kaisers, den Palast des Schah Abbas, seine schlanke Säulenhalle im alten assyrischen Stil, die auf einem dreißig Fuß hohen Sockel ruht, hebt sich wie etwas Leichtes, Luftförmiges in dem leeren Räume ab. Auf unserer Seite blitzen die Minaretts, die Kuppeln aus gelber Glasur auf, hier liegt die alte Freitagsmoschee, eine der heiligsten und der ältesten in ganz IranDie Masjed Djummah.. Und dann überall in der Ferne andere blaue Kuppeln, andere blaue Minaretts, andere blaue Türme, von Tauben umkreist, sie tauchen zwischen den Wipfeln der Platanen auf. Und schließlich am äußersten Rande der Ebene umrahmen die Berge dies große Bild mit ihren leuchtenden Schneezacken.

In Persien, wo vor undenkbaren Zeiten die Leute die gewaltige Arbeit der Bewässerung unternahmen, um ihre Wüsten fruchtbar zu machen, geht nichts ohne fließendes Wasser; so sieht man auch hier zu beiden Seiten des großartigen Platzes klare Bäche durch weiße marmorne Rinnen dahineilen; sie kommen aus weiter Ferne und speisen zwei Alleen und Rosengebüsche. Und dort unter kleinen Zelten rauchen die vielen müßigen Träumer ihre Kalyan und trinken ihren Tee; die einen kauern auf der Erde, die anderen sitzen auf Bänken, die sie über den Bach gelegt haben, um in nächster Nähe den kühlen Hauch genießen zu können, den die kleine vorüberfließende Welle mit sich bringt. Hunderte von Leuten, die verschiedensten Tiere bewegen sich auf diesem Platz, ohne ihn doch jemals ganz zu füllen, denn er ist unendlich groß, und immer liegt seine Mitte fast ganz verlassen, in ein Meer von Licht gebadet, da. Schöne Reiter führen ihre Pferde im Galopp vor – im persischen Galopp, wo sie mit straffen Zügeln dem Hals ihres Pferdes die Biegung eines Schwanenhalses geben. Scharen von turbangekleideten Männern verlassen nach der Morgenandacht die Moscheen, sie erscheinen zuerst in den großen, wahnsinnig blauen Portalen und verlieren sich dann in der Sonne. Kamele ziehen langsam vorüber, Truppen kleiner, mit schweren Lasten beladener Esel trippeln heran. Gespensterhafte Damen reiten auf ihren weißen Eselinnen spazieren, in der Hand haben sie überaus prächtige Gerten aus gesticktem Samt mit goldenen Fransen besetzt. – Und doch, wie jämmerlich würde dies Treiben, würden die heutigen Trachten sich neben dem machen, was man auf demselben Platze unter der Herrschaft des großen Kaisers sehen konnte, als die Vorstadt Djoulfa noch mit Reichtümern überschwemmt war! Zu seiner Zeit floß alles Geld Asiens nach Ispahan; die Glasurpaläste schossen so schnell wie das Maiengras aus der Erde hervor; und Kleider aus Brokat, Kleider aus gold- und silbergewirkten Stoffen wurden tagtäglich auf den Straßen getragen, ebenso wie die Agraffen aus kostbaren Steinen. Wenn man näher hinsieht, so ist man entsetzt über den Verfall aller dieser Gebäude, die beim ersten Anblick noch so glanzvoll erschienen! – Dort oben, die schöne luftförmige Säulenhalle des Schah Abbas hat sich unter dem Dach, das schon einzustürzen beginnt, geneigt. An der Seite, wo die winterlichen Winde wehen, sind alle Minaretts der Moscheen, alle Kuppeln zur Hälfte ihres geduldigen Fayencemosaiks beraubt und scheinen von einem grauen Aussatz angenagt zu sein; mit der Fahrlässigkeit, die den Persern eigen ist, lassen sie dem Verfall seinen Lauf; und außerdem wäre dies alles heute auch nicht mehr auszubessern: man hat weder das nötige Geld noch die Zeit, und das Geheimnis dieses wunderbaren Blaus ist seit langen Jahren verloren. Man bessert also nichts aus, und dieser einzig dastehende Platz, der mehr als dreihundert Jahre alt ist, wird niemals den Schluß des Jahrhunderts erleben, in das wir jetzt hineingehen.

Wie Chiraz die Stadt Kerim-Khans war, so ist Ispahan die Stadt des Schah-Abbas. Jederzeit ist es den Herrschern Persiens eine Kleinigkeit gewesen, ihre Hauptstadt zu wechseln, auch dieser Prinz entschloß sich ungefähr im Jahre 1565, hier seinen Hof zu errichten und aus dieser schon sehr alten und außerdem durch den Durchzug des Tamerlan fast ganz verödeten Stadt etwas zu machen, was die Welt in Erstaunen setzen würde. Zu einer Zeit, wo wir selbst im Westen an enge Plätze, an winkelige Gäßchen gewohnt waren, ein ganzes Jahrhundert, bevor man die stolzen Perspektiven Versailles' erschuf, hat dieser Orientale das großartige Ebenmaß, die Entfaltung dar Alleen ersonnen und geschaffen, die noch nie ein Mensch nachzuahmen verstanden hat. Das neue Ispahan, das aus seinen Händen hervorging, widersprach allen Vorstellungen, die man sich damals über den Entwurf der Grundrisse machte, und heute rufen seine Ruinen auf diesem persischen Boden den Eindruck einer großen Ausnahme hervor. Es erschiene mir natürlich, wenn ich, wie in Chiraz, mich im Schatten neben den friedlichen Leuten niederließ, die eine Rose zwischen den Fingern halten; aber meine Ehrenwache ist mir lästig, und außerdem wäre es hier scheinbar gar nicht möglich: man würde mir den Tee mit Verachtung reichen, würde mir die Kalyan verweigern.

So laßt uns vorwärts wandern, da mir die süße Trägheit der Muselmänner versagt ist.

Um die kleine Sahara der Mitte zu vermeiden, halten wir uns am äußersten Rand des Platzes, wir schreiten an der endlosen Flucht der großen gemauerten Arkaden vorüber, damit ich mich wenigstens der kaiserlichen Moschee nähern kann, deren riesenhaftes Portal dort hinten mich wie der zauberhafte Eingang zu einer blauen Grotte anzieht! In dem Maße, wie wir vorwärts schreiten, scheinen die Minaretts und die Kuppel des tiefen Heiligtums – all das, was hinter dem Vorhof beschützt und geheiligt daliegt – scheinen die Gegenstände zu entweichen, zu verschwinden, während ich mich immer mehr dem Portale nähere, dem Spitzbogen, der sich in seinem Mauergeviert, mit seinen seltsam leuchtenden Fayenzen, so hoch wie ein Triumphbogen erhebt. Steht man unter diesem gewaltigen Tor, so sieht man einen Wasserfall von blauem Stalaktit von dem Gewölbe herabstürzen, er teilt sich in regelmäßige Wassergarben, dann in symmetrische Strahlen und gleitet an den inneren Mauern herab, die mit wunderbarer blauer, grüner, gelber und weißer Emaille bestickt sind. Diese herrlich glänzenden Muster stellen Blumenzweige dar, durch die sich feine, weiße, religiöse Inschriften ziehen, darunter sieht man ein Gewirr von Arabesken in den verschiedensten Türkisschattierungen. Die Wasserfälle, die Ströme von Stalaktit oder Schlüsselstein, stürzen von dem Gewölbe herab, fließen bis zu den kleinen Säulen herab, wo sie sich schließlich ausruhen; auf diese Weise bilden sie ganze Reihen kleiner, wunderbar fein ausgezackter Bogen, die sich in einer harmonischen Verschlingung unter dem riesengroßen Hauptbogen reihen. Das Ganze, unbeschreiblich verworren, unbeschreiblich glänzend, mit seinen Farben, die den Edelsteinen anzugehören scheinen, ruft doch den Eindruck der Ruhe und der Einheit hervor, sobald man sich unter seinem kühlen Schatten befindet. Und im Hintergrunde dieses Peristyls liegt die Tür, die den Christen verschlossen bleibt, die Tür der heiligen Stätte, sie ist breit und hoch, aber man könnte sie klein nennen, so erdrückend wirkt der Umfang des Eingangsportals; sie ist eingelassen in die dicken, mit lapislazulifarbener Glasur bekleideten Wände; sie scheint in einem Reich zu versinken, wo das Blau allein herrscht.

Als ich in die russische Gesandtschaft zurückkehre, ist das Tor, das einzige in der Mauer, mit alten goldenen Stickereien, mit alten Gebetsteppichen geschmückt, die man aufs Geratewohl, wie für eine vorüberziehende Prozession, mit Nadeln an der Wand befestigt hat. Scheinbar will man mich hiermit locken, die armenischen und jüdischen Kaufleute haben von der Ankunft eines Fremden Wind bekommen und sind herbeigeeilt. Ich erbitte für sie die Erlaubnis, den Rosengarten betreten zu dürfen –, und von jetzt an gehört die Aufstellung der Kinkerlitzchen, die mir angeboten werden, die Handelsabschlüsse in den verschiedensten Sprachen, mit zu meinem morgendlichen Zeitvertreib.

Nachmittags spazieren meine mit Stöcken bewaffnete Begleitung und ich durch die Basare, wo stets ein gedämpftes Tageslicht und die angenehme Kühle der Gewölbe herrscht. Alle Gänge drohen einzustürzen, viele liegen verfallen, verlassen da; die Alleen, in denen die Verkäufer sich noch aufhalten, sind ihrer alten Pracht fast ganz beraubt, aber noch findet man dort die lärmende Menge, und tausend drollige, ins Auge fallende Gegenstände, die Plätze, wo diese Alleen sich kreuzen, sind stets von großen, herrlichen, hochschwebenden Kuppeln überdacht, durch deren Öffnung in der Mitte die hellen Strahlen persischer Sonne herniederfallen: Jeder dieser viereckigen Plätze hat seinen Springbrunnen, sein Marmorbassin, in das die Rosenhändler ihre schönen Sträuße tauchen, aus dem die Menschen, die Esel, die Kamele und die Hunde trinken.

Der Basar der Färber, der monumental, traurig und finster daliegt, erinnert an eine unendlich lange, mit schwarzem Tuch ausgeschlagene gotische Kirche, bis oben hinauf, bis zum Gewölbe hängen die Stoffe, von denen die Farbe herabtropft, – dunkles Blau für die Männerkleider, Schwarz für die Schleier der gespensterhaften Frauen.

In dem Basar der Kupferschmiede, der sich eine halbe Meile weit erstreckt und unaufhörlich von dem höllischen Lärm der Hämmer widerhallt, sind die anmutigsten Wasserkaraffen aufgestellt, und die kupfernen Schenkkannen, mit ihren schlanken, seltenen Formen, leuchten in neuem Glanz in den Schaufenstern der Läden, durch den rauchgeschwängerten Schatten hindurch.

Wie in Chiraz, so ist auch hier der Basar der Sattler der größte, er glitzerte von Stickereien, Goldperlen und Pailetten. Die verschiedenen orientalischen Gebrauchsgegenstände der Karawanenreisenden sind hier in ungezählten Mengen ausgestellt! Ledersäcke mit seidenen Stickereien verziert, stark vergoldete Pulverhörner, Kürbisflaschen mit Gehängen überladen; kleine Schalen aus ziseliertem Metall, mit deren Hilfe man das Quellwasser am Wege schöpft. Und dann folgen die Gerten aus Samt und Gold, sie sind für die weißen Eselinnen der Damen bestimmt, die paillettenbenähten Zaumzeuge der Pferde oder der Maultiere, die Glockenkränze, deren Geläute die wilden Tiere zurückschreckt. Und schließlich sieht man all das, was zu der wirklichen Eleganz der Kamele gehört: Perlenreihen, die durch die Nasenlöcher gezogen werden, Quersäcke mit bunten Fransen; Kopfstücke mit Glasperlen verziert, Federbüsche und kleine Spiegel, in denen die Sonnenstrahlen oder die Mondstrahlen während der Reise aufgefangen werden. Einer der großen Spitzbogen sendet uns plötzlich eine Flut von Licht entgegen, und wieder liegt der kaiserliche Platz vor uns, stets wirkt er ergreifend durch seine ungeheure Ausdehnung und seine Pracht, mit seinen regelmäßigen Arkadenreihen, seinen Moscheen, die mit gewaltigen glasierten Turbanen bedeckt zu sein scheinen, seinen spindelförmigen Minaretts, an denen sich von unten nach oben in spiralförmiger Linie weiße Raupen, wunderbar blaue Arabesken hinaufschlängeln.

Schnell wollen wir den großen Platz durchschreiten, der jetzt in der glühenden Sonnenhitze ganz verlassen daliegt, unter einem anderen, ähnlichen Spitzbogen suchen wir von neuem Schutz, tauchen wir von neuem in der Kühle der Gewölbe unter.

Der Basar, in dessen Schatten wir uns jetzt befinden, gehört den Bäckern. Hier herrscht eine glühende Temperatur, die Öfen sind in allen Läden geheizt; der Duft der gebackenen Naschwerks dringt uns entgegen. Viele Rosensträuße in den kleinen Schaufenstern, zwischen den Zuckersachen und den Torten; verschiedenfarbiger Sirup in Gläsern; Eingemachtes in großen, alten, chinesischen Porzellangefäßen, die unter der Herrschaft des Schah-Abbas hierher gekommen sind; eine Wolke von Fliegen. Ungezählte schwarze Frauen mit weißen Masken. Und vor allem die entzückenden Kinder, die man merkwürdigerweise ganz wie große Leute kleidet; kleine Knaben in langen Gewändern und gar zu hohen Hüten; kleine Mädchen mit gemalten Augen, niedlich wie Puppen anzuschauen, sie tragen überfallende Hemden, kurze Röcke und darunter Hosen.

Auf dem folgenden Platz, der ganz verfallen daliegt, bilden viele Menschen einen Kreis um den Springbrunnen: auf dem Rande des marmornen Beckens sitzt ein alter Derwisch und predigt; unter den Strahlen, die von der Kuppel herabfallen, leuchtet sein Bart und sein Haar weiß auf, er scheint hundert Jahre zu zählen, zwischen den knöchernen Fingern hält er eine Rose.

Und dann erreichen wir den Basar der Juweliere, niemand geht hier hindurch. Man verkauft ziseliertes Silber, Kästchen, Schalen, Spiegel, Kalyan-Karaffen; unter den trüben Scheiben der Kästen, um die man in höchster Vorsicht noch eine blaue seidene Schnur gewunden hat, liegen alte Schmucksachen zum Verkauf, aus Silber oder aus Gold, aus echten oder unechten Edelsteinen; dort sieht man auch ungezählte Agraffen, deren Bestimmung es ist, die kleine weiße, mit zwei Löchern versehene Maske, die das Gesicht der Frauen verhüllt, hinter dem Kopf zusammenzuhalten. Fast alle Kaufleute sind Greise mit weißen Bärten, sie hocken in dunklen Nischen, jeder hält seine kleine Wage in der Hand, auf der die Türkise abgewogen werden, und jeder verfolgt seinen Traum, den kaum ein Käufer stört. Der Staub, die Fledermäuse, die Spinngewebe, der schwarze Schutt sucht diesen verödeten Basar heim, wo doch so viele wunderbare Dinge schlafen.

Wir beschließen unseren Tag in einem ausgestorbenen, verfallenen Ispahan, das sich, je tiefer die Sonne sinkt, in immer dunklere Schatten hüllt. Es ist dies der gewaltige Stadtteil, in dem nach der afghanischen Verheerung, nach den Schrecken der großen Belagerung, die der Sultan Mahmoud vor bald zweihundert Jahren gegen die Mauren unternahm, alles Leben erstorben ist. Ispahan hat sich nach diesem zweiten, schrecklichen Sturm, der seine Einwohner von siebenhunderttausend auf kaum sechzigtausend zusammenschmelzen ließ, nie wieder aufrichten können, außerdem führte Kerim-Khan fast unmittelbar darauf den gänzlichen Verfall herbei, indem er die Hauptstadt des Kaiserreiches nach Chiraz verlegte. In einer Ausdehnung von mehr als einer Meile liegen die Häuser, die Paläste, die Basare verlassen da, alles bricht zusammen. Auf den Straßen, in den Moscheen haben die Füchse und die Schakale ihre Löcher gegraben und sich dort wohnlich niedergelassen; und hier und dort zerbröckelt die schöne Mosaik, zerbröckeln die schönen Fayencen und legen sich wie eine himmelblaue Asche auf die Steinhaufen, über die graue Erde. Abgesehen von einem Schakal, der uns in dem Eingang zu seiner Höhle seine spitze Schnauze zeigt, begegnen wir keinem lebenden Wesen, wir schreiten durch das kalte Schweigen dahin, und der einzige Laut, der an unser Ohr dringt, ist der Widerhall unserer Schritte und der Stöße, die meine beiden Wächter mit ihren Stöcken gegen die Steine führen. Aber überall blühen die Frühlingsblumen, Margueriten, Rittersporn, Mohn, Heckenrosen, auf dem Rand der Mauer bilden sich kleine bunte Gärten; der Tag geht klar und goldig zur Neige, in der Ferne dort hinten auf den Gipfeln erglühen die Schneegefilde in wunderbar zartem Rot, und bevor die Nacht hereinbricht, läßt das Licht noch einmal sein ganzes Farbenspiel über dieser Verwüstung leuchten.

Wir müssen spätestens um die Dämmerstunde zurückgekehrt sein, denn die alte Hauptstadt des Schah-Abbas kennt kein nächtliches Leben. Das Tor des fürstlichen Hauses wird bei Hereinbruch der Dunkelheit hermetisch verschlossen, und alsbald verriegelt man auch die alten, eisenbeschlagenen Türen, die die verschiedenen Stadtviertel voneinander trennen. Das unentwirrbare Labyrinth der Stadt, wo binnen kurzem vollständige Finsternis herrschen wird, zerlegt sich in unendlich viele, abgesonderte Teile, die bis zum Tagesanbruch in keiner Verbindung miteinander stehen. Das große Schweigen des Islam senkt sich über Ispahan herab.

Die Rosen durchschwängern die Nacht mit ihrem Duft, die Rosen des Gartens, der von hohen Mauern eingerahmt und geschützt daliegt; meine Zimmer gehen auf ihn hinaus. Kein Geräusch von Fußtritten dringt von draußen an mein Ohr, weil niemand sich mehr im Freien aufhält; kein Rollen der Räder, weil es hier keine Wagen gibt; nur von Zeit zu Zeit trägt die klare, klangreiche Luft uns die Töne kreischender, trauriger Stimmen zu; die Muezzine schmettern ihren Aufruf zum Gebet durch die Luft, die Nachtwächter schreien von dem einen geschlossenen Viertel zum anderen ihre Antwort hinüber; die wachenden Hunde bellen, die Schakale heulen in der Ferne. Und seltsam hell leuchten die Sterne; wir befinden uns noch immer in einer ziemlichen Höhe, ungefähr in derselben Luftlinie mit den Gipfeln der größten Berge Frankreichs.

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