Fünfter Teil
Sonnabend, 2. Juni
Eins meiner Pferde ist über Nacht gestorben, in aller Eile
muß ein neues gekauft werden. Meine beiden Kutscher sind
betrunken, und sie spannen erst an, nachdem man sie mit
Stockschlägen bedroht hat.
Immer weniger einsam erscheinen die Ebenen; die Wiesen sind
mit Blumen übersät, ungezählte, schwarze Schafe weiden hier;
die Kornfelder leuchten goldig, turkomanische Nomaden ernten
dort. Der Wind ist nicht mehr so empfindlich, die Sonne nicht
mehr so brennend, wir sind schon ein wenig von unserer
gewöhnlichen Höhe herabgestiegen. Es ist wunderbar schön, so
schön wie bei uns an hellen Junitagen. In der Mittagsstunde
kehren die Luftspiegelungen noch einmal wieder, sie verdoppeln
die Schafe auf den Wiesen und lassen die Hirten zu Riesen
anwachsen.
Vor dem kleinen Dorf Kouine, wo wir für eine Nacht ausruhen
werden, sehen wir endlich Bäume wachsen; große, mehr als
hundertjährige Nußbäume werfen ihre Schatten auf die Wiesen,
die mit ihren Esparsetten rosenrot daliegen. Und trotz des
gewaltigen Zaubers der Wüsten läßt man sich doch von der Anmut
dieser Landschaft rühren.
Sonntag, 3. Juni.
Alle meine Iraner sind betrunken. Meine neuen Diener, die
ich in Teheran angeworben habe, sind betrunken. Meine beiden
Kutscher sind noch betrunkener als am gestrigen Abend; sie
haben ihre Mützen verkehrt herum aufgesetzt und fahren uns
ebenso verkehrt in den Bergen umher. Vier Stunden lang wagen
wir uns auf den sich dahinschlängelnden Pfaden vorwärts, wo
uns Kamele und Maultiere den Weg versperren, und wo sich keine
Felswand als Schutz gegen die Abgründe erhebt. Ich hatte die
Angst vor dem Alkohol ganz vergessen, als ich mit meinen guten
Tcharvadaren aus Mittelpersien reiste; aber jetzt sehe ich,
daß mein neues Gefolge sich schon durch einen leisen Anflug
europäischer Zivilisation auszeichnet.
Wir steigen immer mehr zu der normalen Durchschnittsfläche
der Erde herab. Um die Mittagsstunde wird in einem
paradiesischen Winkel, der schon ganz im Schutz gegen den zu
scharfen Wind der Gipfel gelegen ist, haltgemacht. Diese
Schlucht scheint unseren entwöhnten Augen einem irdischen
Paradies zu gleichen. Große Feigenbäume, so gewaltig, so dicht
belaubt wie die Banianenbäume Indiens, verzweigen sich und
bilden über dem Wege ein Blättergewölbe; das Gras ist hoch und
mit Kornblumen, mit rötlichen Kuckucksblumen übersät; die
Granatbäume, die ihre wunderbare Blüte fast ganz beendet
haben, streuen rote Korallen auf das Moos; ein sehr klarer
Bach plätschert zwischen den hohen, lilagetönten Blumen.
Dieser Ort muß im ganzen Lande bekannt sein, denn die
verschiedensten Reisenden halten hier ihren Mittagsschlaf; auf
dem weichen Teppich, den die Stengel der Gräser noch
schwellender machen, sitzen Perser und Perserinnen, sie kochen
ihren Tee, essen Früchte und Kuchen; die verschleierten Damen
lüften mit einer Hand ihre weiße Maske und stopfen darunter
Kirschen in den Mund; Tscherkessen mit Pelzmützen, mit einem
langen silbernen Dolch, der gerade wie ein Degen ist, sitzen
abseits unter einer Eiche, und die Turkomanen hocken um eine
Schüssel und greifen mit den Fingern nach dem gekochten
Fleisch. Es gibt hier kein Dorf, keine Karawanserei; nichts
als ein altes Lehmhäuschen, das dem Teehändler gehört, und
dessen drei oder vier kleine Knaben eifrig bemüht sind, die
Leute draußen im Freien, im kühlen Schatten zu bedienen. Alles
geht so natürlich, so lustig zu, denn jeder ist von der
Schönheit des Platzes, der entzückenden Lage bezaubert, man
sieht hohe Herren, in Kaschmirgewändern eigenhändig aus dem
klaren Bach ihren kupfernen Becher oder ihren Samovar füllen,
und die Bettler, zerlumpte, halbnackte Leute, haben die
schönen Blätter auf ihre Beinwunden geklebt und warten darauf,
daß man ihnen die Überreste des Mahls reichen wird. Im
Schatten der großen Feigenbäume, auf hölzernen, mit roten
Teppichen bedeckten Bänken bringt man uns unter, und dort
nehmen wir, nach persischer Sitte hockend, unser Mittagsessen
ein.
Aber plötzlich ertönt ein furchtbarer Lärm hinter dem
überhängenden Berg am Himmel: ein Gewitter, das wir nicht
sehen konnten, das heimlich herangeschlichen ist. Und sofort
pladdert es auf das Blätterdach herab; Regen, Hagel,
Wasserströme, Sintflut.
Rette sich, wer kann; in dem kleinen, dunklen Loch des
Teehändlers drängen sich so viele Leute, wie nur hineingehen,
zusammen, alles im bunten Durcheinander mit den Tscherkessen,
den Turkomanen, den zerlumpten Bettlern. Nur die Damen sind
anstandshalber draußen geblieben. Es regnet in Strömen; ein
schmutziges, mit Lehm vermischtes Wasser fließt durch die
Risse des Daches auf uns herab; der duftende Rauch der Kalyan
vereint sich mit dem Rauch der auf dem Boden stehenden Öfen,
wo die Kessel der Teetrinker warm gehalten werden; man kann
nicht mehr atmen; wir wollen uns dem Loch nähern, das als Tür
dient . . .
Von hier aus sehen wir die Damen unter den Bäumen, unter
den Teppichen sitzen, die sie wie Zelte ausgespannt haben;
ihre durchnäßten Schleier kleben drollig an den Nasen fest;
der niedliche Bach ist zum Strom angewachsen, er bedeckt sie
mit Schmutz; sie haben ihre Babuschen, ihre Strümpfe, ihre
Hosen ausgezogen, und während sie noch immer züchtig das
Gesicht verhüllen, zeigen sie ihre hübschen, sehr rundlichen
Beine; – und trotzdem sind sie guter Laune, denn man sieht,
wie ein kindliches Lachen ihre durchnäßten Formen schüttelt .
. .
Wir schlafen nachts in einem traurigen Weiler, am Ende
einer Brücke, sie führt über eine wilde Schlucht, über einen
reißenden Gießbach dahin. Und ein Chaos von Bergen umgibt uns:
Alle Stufen, die wir vom Arabischen Meer erklommen haben, um
nach Persien hinaufzugelangen, müssen wir natürlich auf dieser
Seite hinabsteigen, wollen wir das Kaspische Meer erreichen.
Kaum sind wir in das kleine, unbekannte Häuschen
eingetreten, so kehrt auch der Donner, die Sintflut zurück.
Und gegen Ende der Nacht beunruhigt uns ein beständiger Lärm,
ein schrecklicher Höllenlärm, er wird nicht durch das Gewitter
verursacht, sondern kommt von unten, aus dem Innern der Erde,
möchte man sagen. – Es ist der Fluß unter uns, der plötzlich
dreißig Fuß gestiegen ist, und der jetzt in furchtbarer Wut
die Felsen peitscht.
Montag, 4. Juni.
Wir brechen morgens, bei einem noch drohend bewölkten
Himmel auf. Eine Karawane, die von Recht hinaufsteigt, trägt
uns schlechte Nachrichten zu: weiter unten sind die Brücken
gesprengt, ist die Straße aufgerissen; vierzehn Tage, so
behaupten die Kameltreiber, könne ein Wagen nicht dort
passieren.
Und solche Abenteuer gehören mit zu den alltäglichen Dingen
in dieser wilden Gegend, wo man für große Kosten eine viel zu
eingeschachtelt liegende Straße erbaut hat, ohne den Strömen,
die in einer Stunde anschwellen können, genügenden Platz zu
lassen.
Der junge Erbprinz Persiens erzählte mir in Teheran, daß er
in dieser Gegend von einem Unwetter überrascht worden sei und
sich in Todesgefahr befunden habe; Blöcke, von denen der eine
seinen Wagen in zwei Teile spaltete, fielen dicht wie Hagel
von den Bergen herab, die Wasserfälle rissen sie mit sich.
Während der ersten vier Stunden fahren wir, ohne daß uns
ein Unglück begegnet wäre, durch die traurige Gegend hindurch,
die übrigens ebenso kahl ist wie die der hochgelegenen Ebenen.
– Bis jetzt haben wir nur ausnahmsweise Bäume in den von der
Natur bevorzugten Winkeln gesehen, wo sich etwas Dünger
angehäuft hatte. – Aber nun versperrt ein ganzes Felsstück den
Weg, über Nacht ist es gespalten und herabgestürzt. Persische
Chausseearbeiter sind hier mit Stangen, Hebeln und Hacken
tätig. Sie gebrauchen wenigstens einen Tag, so behaupten sie.
Ich gebe ihnen eine Stunde und verspreche ihnen eine
königliche Belohnung, wenn sie sich mit Eifer darüber
hermachen: Die zu schweren Blöcke sollen sie
auseinandersprengen, sollen sie bis an den Rand rollen und in
die Abgründe hinabstürzen und Allah und Mohammed dabei um
Hilfe anrufen. Kaum ist die Stunde verflossen, so haben sie
auch ihre Arbeit beendet, und wir können passieren!
Nachmittags wagen wir uns auf gefährlichen Pfaden an den
Abhängen eines senkrechten Berges vorwärts; von neuem grollt
der Donner, setzt die Sintflut mit erschreckender Gewalt ein.
Und bald sausen die Steine um uns herum, zuerst die kleinen,
dann die großen, Blöcke, von denen ein einziger unsere Pferde
zermalmen könnte. Wo Schutz suchen! Kein Haus in zwei Meilen
weitem Umkreis, und außerdem, welche Dächer, welche Gewölbe
könnten ähnlichen Stößen widerstehen? So laßt uns also
hierbleiben und unser Schicksal erwarten.
Als das Unwetter sich gelegt hat und niemand getötet wurde,
fahren wir in schnellem Tempo nach dem Meere zu hinab und
erreichen allmählich ein feuchtes, baumreiches Persien; aber
in keiner Weise gleicht dies dem Persien, das wir soeben
verlassen haben. Und wir sehnen uns nach diesem anderen, dem
großen, wirklichen Persien, wie es sich dort oben, hoch oben,
schwermütig in seine alten Träume unter dem ewig gleichen
Himmel einspinnt. Sogar die Luft, die Luft hier unten, die wir
doch unser ganzes Leben lang eingeatmet haben, erscheint so
drückend schwer und ungesund nach der belebenden Reinheit, in
der wir uns zwei Monate aufhalten durften.
Und doch sind die Wälder, die Buchenwälder mit ihrem
frischen Junilaub schön! Überall, wohin das Auge fällt,
bedecken sie diese neuen Gipfel – die mehr als tausend Meter
tiefer liegen als die wüsten Ebenen, aus denen wir kommen –,
bedecken sie die Gipfel mit einem gleichmäßigen und wunderbar
reichen Mantel. Nach dem Gewitter fällt ein leiser, ruhiger
Regen auf dieses grüne Land. Alle Nebel, alle Wolken, die das
Kaspische Meer heraufschickt, hält der riesengroße Backofen
Irans zurück, und hier auf diesem schmalen Streifen verteilen
sie sich und füllen ihn wie den Wald der Tropen mit schattigem
Grün, während oben die weiten Ebenen strahlend und ausgedörrt
wie immer bleiben. Wir erreichen abends ein Dorf, das zwischen
Rüstern und blühenden Granatbäumen versteckt liegt; hier ist
die Luft drückend, die Leute sehen abgemagert und blaß aus. Es
regnet noch immer, sehr widerwillig und sehr teuer vermietet
man uns einen Raum aus Lehm, wo der Fußboden aufgeweicht ist,
und wo es fast ebenso regnet wie draußen. Außerdem wird uns
mitgeteilt, daß eine Viertelmeile weiter die Brücke nachts
durch den Strom mit fortgeschwemmt ist, und daß unsere Wagen
nicht passieren können, – für morgen früh müssen wir zu
fabelhaft hohem Preise Maultiere mieten. Eine Karawane, die
durch den Fluß gewatet ist, zieht uns in einem seltsamen
Aufzug entgegen, die Kamele sind bis an die Augen mit
klebrigem Schmutz bezogen; sind zu unförmlichen, schuppigen
Ungeheuern angewachsen, während die sie begleitenden Maultiere
scheinbar durch Schlamm haben waten müssen. Und die Bauern
tragen ungewöhnlich große Fische herbei, – fabelhafte Karpfen,
phänomenale Forellen, die der angeschwollene Fluß auf den
Ufern zurückgelassen hat.
Eine Stunde später herrscht Kampf und Blutvergießen unter
meiner Dienerschaft, sie haben alle zu viel russischen
Branntwein getrunken. Niemand ist da, der uns unsere
Abendmahlzeit bereiten könnte. Von den Dorfbewohnern ist
nichts zu erreichen. Mein armer Diener liegt fiebernd
darnieder, und ich allein bin hier, um ihn zu pflegen und zu
bedienen.
Und während der Weg durch die Wüsten des Südens, der
allgemein als so gefährlich geschildert wird, ein Kinderspiel
war, so erwartete mich das seltsamste Ungemach auf dieser
alltäglichen Straße von Teheran, wo alle Welt passiert, aber
wo die Perser durch die Berührung mit den Europäern
unverschämte Kerle, Trunkenbolde und Diebe geworden sind.
Dienstag, 5. Juni.
Bei aufgehender Sonne beginne ich mein Tagewerk, indem ich
dem Kutscher die Stockschläge zuerteile, auf die er wirklich
Anspruch zu machen hat. Dann kommt die Reihe an die
Maultiervermieter, sie fordern heute noch einmal soviel, als
wir am Abend vorher abgemacht hatten, ich schmeiße sie hinaus.
Eine Schar Dorfbewohner bietet mir dann an, im Laufe des
Vormittags aus Felsen, Baumstämmen, Stricken und so weiter
eine provisorische Brücke zu erbauen; meine leeren Wagen
wollen sie hinüberrollen, und dann sollen unsere Pferde, unser
Gepäck und wir selbst durch den Fluß waten. Trotz des hohen
Preises gehe ich auf den Vorschlag ein. Und mit Balken,
Schaufeln, Haken, wie zur Belagerung einer Stadt ausgerüstet,
ziehen sie von dannen.
Um die Mittagsstunde ist alles fertig. Meine beiden
abgeladenen Wagen gelangen scheinbar durch ein Wunder über das
Gerüst hinüber, und so auch wir; auch die Gepäckträger und
unsere Pferde erreichen schließlich das andere Ufer, nachdem
sie sich ganz, wie die Karawane gestern abend, von oben bis
unten mit Schlamm bespritzt hatten. Man lädt auf, man spannt
an; die jetzt nüchternen Kutscher nehmen ihre Plätze ein.
Und bis zum Abend reisen wir durch das Reich der Bäume,
durch die eintönige, grüne Nacht, in einem wirklichen Wald,
bei feinem, anhaltendem Regen. Die Tropen kennen kaum ein
schöneres Grün, als wie es hier in dieser feuchten, stets
bewässerten Gegend wächst. Ulmen, Buchen, alle voll
entwickelt, alle mit Efeu umrankt, sie stehen dicht gedrängt,
vereinen ihre prächtigen, frischen, blattreichen Zweige zu
einem Dach, legen sich wie ein einziger großer Mantel über die
Berge; man sieht in der Ferne, wie die kleinen, gleichmäßigen
Gipfel mit den abgerundeten Umrissen sich aneinanderreihen,
wie sie alle mit dem dichten Grün bekleidet sind, gleichsam,
als trügen sie einen grünen Schafpelz.
Plötzlich hat sich die Landschaft verändert, überraschend
ist es, im äußersten Norden dieses hochgelegenen, kalten,
ausgedörrten Persiens eine niedrige, feuchte, laue Zone zu
finden, wo die Natur so ganz unvermittelt an die erschlaffende
Atmosphäre eines Treibhauses erinnert!
Der sich durch die Wälder dahinschlängelnde, stets sich
abwärts neigende Weg wird wie bei uns instand gehalten, wie
man es in den sehr beschatteten Gegenden unserer Pyrenäen
findet; aber die Reisenden und ihre Tiere bleiben asiatisch:
Karawanen, Kamele, Maultiere mit perlenbesticktem Sattelzeug,
verschleierte Frauen auf kleinen, weißen Eselinnen.
Und jetzt trifft man gelegentlich am Rande des grünen Weges
mehrere Häuser, die gar nicht in diesen Ort hineinzupassen
scheinen. Häuser, ganz aus runden Balken erbaut, wie man sie
am Rande des Ural und in den Steppen Sibiriens trifft. Und auf
der Schwelle der Türen zeigen sich Männer mit flachen Mützen,
blond und rosig, und ihr blaues Auge scheint nach all den
schwarzen Augen der Iraner gleichsam von einem nördlichen
Nebel verschleiert zu sein; das benachbarte Rußland, das diese
Wege erbaut hat, stellte hier überall Beamte an, um die
Straßen beaufsichtigen und instand halten zu lassen.
Gegen Ende der Etappe befinden wir uns in gleicher Höhe mit
dem Kaspischen Meer (das, wie man weiß, noch dreißig Fuß über
dem Wasserspiegel der anderen Meere liegt), und in der
Dämmerung machen wir vor einer alten, aus Buchenstämmen
erbauten Karawanserei halt, inmitten einer sumpfigen, mit
Seerosen bewachsenen Ebene, wo Frösche und Wasserschildkröten
hausen.
Mittwoch, 6. Juni.
Ein dreistündiger Weg heute morgen führt stets durch Grün
zwischen Feigen- und Nußbäumen, Mimosen und Farnkräutern
hindurch, bis man schließlich die kleine Stadt Recht erreicht,
die nicht einmal mehr einen persischen Anstrich zeigt. Vorbei
mit den Mauern aus Lehm, den Terrassen aus Lehm, vorbei mit
den regenlosen Gegenden; die Häuser von Recht sind alle aus
Stein und Fayence erbaut, ihre Dächer sind alle mit römischen
Ziegeln bedeckt und springen zum Schutz gegen die Regengüsse
weit hervor. Überall auf den Straßen sieht man Wasserpfützen,
die Luft ist gewitterschwül!
Noch eine Stunde bis nach Piré-Bazar, wo die große Straße,
die fast einzige Straße Persiens, endet. Dort fließt ein Kanal
zwischen dem überhängenden, blühenden Schilf dahin, er ist wie
eine chinesische Arroyo mit Barken überladen. Dies ist der
Verkehrsweg zwischen Iran und Rußland, und es wimmelt auf
diesem schmalen Wasserstreifen von einem ganzen seeliebenden
Völkchen; ungezählte Bootsvermieter halten Ausschau nach der
Ankunft von Reisenden und Karawanen.
Wir müssen eine der großen Barken mieten, und dann geht's
vorwärts; unsichtbare Leute, hinter hohen Gräsern versteckt,
wandern zu Land voraus und ziehen uns an einem Strick nach
sich; und so gleiten wir ruhig unter einem Zelt dahin,
streifen das Grün des Ufers, kreuzen viele andere Barken, die
der unsrigen ähnlich sind, und die, wie wir, gezogen werden;
sie tragen Leute und Gepäck, und in diesem kleinen
Schilfgäßchen muß man sich vor ihnen in acht nehmen.
Endlich öffnet sich ein See vor uns, sehr groß, sehr blau,
liegt er zwischen den Inseln der Gräser und der Seerosen
inmitten einer ungezählten Schar von Reihern und Kormoranen
da. Das andere Ufer dort unten zeichnet sich nur als ein
schmaler, grüner Streifen ab, darüber sieht man den Horizont
der stillen Wasser, den Horizont des Kaspischen Meeres. – Und
man könnte glauben, dies sei eine japanische Landschaft.
Man betritt das neue Ufer, wo wieder hohes Schilf aufragt,
wo die Kormorane und Reiher in dichten Scharen auffliegen.
Zwischen dem See und dem Meer, zwischen dem fast zu kühlen
Grün der Bäume, in dem Orangenhain, liegt eine kleine Stadt;
sie hat einen leisen türkischen Anstrich, scheint, von weitem
gesehen, lächelnd und hübsch und taucht an beiden Enden ins
Wasser. Am Eingang ragt ein schönes Lusthaus aus rosenroten
und blauen Fayencen auf, der letzte Gruß Persiens, es nennt
sich »die strahlende Sonne« – und dient Seiner Majestät dem
Schah als Absteigequartier, wenn er sich auf seine Reisen nach
Europa begibt.
Die kleine Stadt heißt Enzeli; in der Nähe gesehen ist es
ein schrecklicher Haufen moderner Läden, die dem Reisenden
geöffnet sind, ein Zufluchtsort für Schurken und
Lumpengesindel, weder Perser, noch Russen, noch Armenier, noch
Juden, Leute von unbestimmbarer Nationalität, Leute, die die
Grenze auszubeuten verstehen. Aber in den Gärten Enzelis
blühen und duften Rosen, Lilien, Nelken, und die Orangenbäume
wachsen voller Zuversicht am Ufer des Meeres, das keine Flut
noch Ebbe kennt – wachsen inmitten des feinen Sandes, des
ruhigen Gestades.
In diesem Enzeli müssen wir voller Ergebung auf ein
russisches Schiff warten, morgen, die Stunde ist noch nicht
festgesetzt, wird es uns nach Baku tragen. Von Baku braucht
man nur über Tiflis durch Tscherkessien zu fahren, um in Batum
anzugelangen, wo die Schiffe des Schwarzen Meeres die
Reisenden nach Odessa oder nach Konstantinopel tragen, nach
der Schwelle der großen europäischen Linien –, mit anderen
Worten – hier ist der Endpunkt unserer Reise . . . Und abends,
unter den Orangenbäumen des Ufers, beim leisen Wellenschlag
des eingeschlossenen Meeres, werfe ich einen Blick zurück auf
den Weg, den ich gegangen bin, und dort sehe ich noch einmal
Persien liegen, das hohe, das wirkliche Persien, das Persien
der Gebirgsregionen und der Wüsten. Über den Wäldern, über den
schon sich verdunkelnden Wolken liegt es rosenrot da; noch für
einen kleinen Augenblick leuchtet es in der Sonne auf, mich
aber hüllt schon die Dämmerung ein. Von hier aus gesehen,
bietet es uns denselben Anblick der endlosen Mauer, den es uns
das erstemal bei unserem Aufstieg von dem Persischen Golf
geboten; es ist weniger farbenprächtig, weil wir uns jetzt in
den nördlichen Gegenden befinden, aber es hebt sich ebenso
scharf in der selten klaren Luft von den anderen irdischen
Gegenständen ab. Als wir von dem heißen Golf kamen, lag es vor
uns, wir mußten es erklimmen, und es hielt alle seine
ungeahnten Wunder für uns in Bereitschaft. Jetzt steigen wir
hinab, nach einem Ritt von vierhundert Meilen durch die vielen
Berge, über Spalten und Risse dahin. Es wird in der irdischen
Entfernung und in der Vergangenheit der Erinnerung mehr und
mehr verschwinden. Aber von all den Wundern, die unsere Augen
erblickten, wird uns dieses am längsten vorschweben: Eine
Stadt, in Trümmer zerfallen, dort oben in einer Oase von
weißen Blumen, eine Stadt aus Lehm und aus blauer Glasur,
unter den dreihundertjährigen Platanen, die in Staub zerfällt.
Paläste aus Mosaik und aus wunderbaren Fayencen, die
rettungslos zerbröckeln unter dem einschläfernden Plätschern
der zahllosen kleinen, klaren Bäche, unter dem ewigen Gesang
der Muezzine und der Vögel; – zwischen hohen, mit Glasur
bekleideten Mauern, in alten Gärten voll blühender Rosen, mit
Toren aus ziseliertem Silber, aus blassem Purpurrot; – das ist
dies Ispahan des Lichts und des Todes, in die durchsichtige
Luft der Bergesgipfel gehüllt.