Reise durch Persien

Reise durch Persien

1925 n.Chr.

Pierre Loti

Inhaltsverzeichnis

Fünfter Teil

Sonnabend, 2. Juni

Eins meiner Pferde ist über Nacht gestorben, in aller Eile muß ein neues gekauft werden. Meine beiden Kutscher sind betrunken, und sie spannen erst an, nachdem man sie mit Stockschlägen bedroht hat.

Immer weniger einsam erscheinen die Ebenen; die Wiesen sind mit Blumen übersät, ungezählte, schwarze Schafe weiden hier; die Kornfelder leuchten goldig, turkomanische Nomaden ernten dort. Der Wind ist nicht mehr so empfindlich, die Sonne nicht mehr so brennend, wir sind schon ein wenig von unserer gewöhnlichen Höhe herabgestiegen. Es ist wunderbar schön, so schön wie bei uns an hellen Junitagen. In der Mittagsstunde kehren die Luftspiegelungen noch einmal wieder, sie verdoppeln die Schafe auf den Wiesen und lassen die Hirten zu Riesen anwachsen.

Vor dem kleinen Dorf Kouine, wo wir für eine Nacht ausruhen werden, sehen wir endlich Bäume wachsen; große, mehr als hundertjährige Nußbäume werfen ihre Schatten auf die Wiesen, die mit ihren Esparsetten rosenrot daliegen. Und trotz des gewaltigen Zaubers der Wüsten läßt man sich doch von der Anmut dieser Landschaft rühren.

Sonntag, 3. Juni.

Alle meine Iraner sind betrunken. Meine neuen Diener, die ich in Teheran angeworben habe, sind betrunken. Meine beiden Kutscher sind noch betrunkener als am gestrigen Abend; sie haben ihre Mützen verkehrt herum aufgesetzt und fahren uns ebenso verkehrt in den Bergen umher. Vier Stunden lang wagen wir uns auf den sich dahinschlängelnden Pfaden vorwärts, wo uns Kamele und Maultiere den Weg versperren, und wo sich keine Felswand als Schutz gegen die Abgründe erhebt. Ich hatte die Angst vor dem Alkohol ganz vergessen, als ich mit meinen guten Tcharvadaren aus Mittelpersien reiste; aber jetzt sehe ich, daß mein neues Gefolge sich schon durch einen leisen Anflug europäischer Zivilisation auszeichnet.

Wir steigen immer mehr zu der normalen Durchschnittsfläche der Erde herab. Um die Mittagsstunde wird in einem paradiesischen Winkel, der schon ganz im Schutz gegen den zu scharfen Wind der Gipfel gelegen ist, haltgemacht. Diese Schlucht scheint unseren entwöhnten Augen einem irdischen Paradies zu gleichen. Große Feigenbäume, so gewaltig, so dicht belaubt wie die Banianenbäume Indiens, verzweigen sich und bilden über dem Wege ein Blättergewölbe; das Gras ist hoch und mit Kornblumen, mit rötlichen Kuckucksblumen übersät; die Granatbäume, die ihre wunderbare Blüte fast ganz beendet haben, streuen rote Korallen auf das Moos; ein sehr klarer Bach plätschert zwischen den hohen, lilagetönten Blumen. Dieser Ort muß im ganzen Lande bekannt sein, denn die verschiedensten Reisenden halten hier ihren Mittagsschlaf; auf dem weichen Teppich, den die Stengel der Gräser noch schwellender machen, sitzen Perser und Perserinnen, sie kochen ihren Tee, essen Früchte und Kuchen; die verschleierten Damen lüften mit einer Hand ihre weiße Maske und stopfen darunter Kirschen in den Mund; Tscherkessen mit Pelzmützen, mit einem langen silbernen Dolch, der gerade wie ein Degen ist, sitzen abseits unter einer Eiche, und die Turkomanen hocken um eine Schüssel und greifen mit den Fingern nach dem gekochten Fleisch. Es gibt hier kein Dorf, keine Karawanserei; nichts als ein altes Lehmhäuschen, das dem Teehändler gehört, und dessen drei oder vier kleine Knaben eifrig bemüht sind, die Leute draußen im Freien, im kühlen Schatten zu bedienen. Alles geht so natürlich, so lustig zu, denn jeder ist von der Schönheit des Platzes, der entzückenden Lage bezaubert, man sieht hohe Herren, in Kaschmirgewändern eigenhändig aus dem klaren Bach ihren kupfernen Becher oder ihren Samovar füllen, und die Bettler, zerlumpte, halbnackte Leute, haben die schönen Blätter auf ihre Beinwunden geklebt und warten darauf, daß man ihnen die Überreste des Mahls reichen wird. Im Schatten der großen Feigenbäume, auf hölzernen, mit roten Teppichen bedeckten Bänken bringt man uns unter, und dort nehmen wir, nach persischer Sitte hockend, unser Mittagsessen ein.

Aber plötzlich ertönt ein furchtbarer Lärm hinter dem überhängenden Berg am Himmel: ein Gewitter, das wir nicht sehen konnten, das heimlich herangeschlichen ist. Und sofort pladdert es auf das Blätterdach herab; Regen, Hagel, Wasserströme, Sintflut.

Rette sich, wer kann; in dem kleinen, dunklen Loch des Teehändlers drängen sich so viele Leute, wie nur hineingehen, zusammen, alles im bunten Durcheinander mit den Tscherkessen, den Turkomanen, den zerlumpten Bettlern. Nur die Damen sind anstandshalber draußen geblieben. Es regnet in Strömen; ein schmutziges, mit Lehm vermischtes Wasser fließt durch die Risse des Daches auf uns herab; der duftende Rauch der Kalyan vereint sich mit dem Rauch der auf dem Boden stehenden Öfen, wo die Kessel der Teetrinker warm gehalten werden; man kann nicht mehr atmen; wir wollen uns dem Loch nähern, das als Tür dient . . .

Von hier aus sehen wir die Damen unter den Bäumen, unter den Teppichen sitzen, die sie wie Zelte ausgespannt haben; ihre durchnäßten Schleier kleben drollig an den Nasen fest; der niedliche Bach ist zum Strom angewachsen, er bedeckt sie mit Schmutz; sie haben ihre Babuschen, ihre Strümpfe, ihre Hosen ausgezogen, und während sie noch immer züchtig das Gesicht verhüllen, zeigen sie ihre hübschen, sehr rundlichen Beine; – und trotzdem sind sie guter Laune, denn man sieht, wie ein kindliches Lachen ihre durchnäßten Formen schüttelt . . .

Wir schlafen nachts in einem traurigen Weiler, am Ende einer Brücke, sie führt über eine wilde Schlucht, über einen reißenden Gießbach dahin. Und ein Chaos von Bergen umgibt uns: Alle Stufen, die wir vom Arabischen Meer erklommen haben, um nach Persien hinaufzugelangen, müssen wir natürlich auf dieser Seite hinabsteigen, wollen wir das Kaspische Meer erreichen.

Kaum sind wir in das kleine, unbekannte Häuschen eingetreten, so kehrt auch der Donner, die Sintflut zurück. Und gegen Ende der Nacht beunruhigt uns ein beständiger Lärm, ein schrecklicher Höllenlärm, er wird nicht durch das Gewitter verursacht, sondern kommt von unten, aus dem Innern der Erde, möchte man sagen. – Es ist der Fluß unter uns, der plötzlich dreißig Fuß gestiegen ist, und der jetzt in furchtbarer Wut die Felsen peitscht.

Montag, 4. Juni.

Wir brechen morgens, bei einem noch drohend bewölkten Himmel auf. Eine Karawane, die von Recht hinaufsteigt, trägt uns schlechte Nachrichten zu: weiter unten sind die Brücken gesprengt, ist die Straße aufgerissen; vierzehn Tage, so behaupten die Kameltreiber, könne ein Wagen nicht dort passieren.

Und solche Abenteuer gehören mit zu den alltäglichen Dingen in dieser wilden Gegend, wo man für große Kosten eine viel zu eingeschachtelt liegende Straße erbaut hat, ohne den Strömen, die in einer Stunde anschwellen können, genügenden Platz zu lassen.

Der junge Erbprinz Persiens erzählte mir in Teheran, daß er in dieser Gegend von einem Unwetter überrascht worden sei und sich in Todesgefahr befunden habe; Blöcke, von denen der eine seinen Wagen in zwei Teile spaltete, fielen dicht wie Hagel von den Bergen herab, die Wasserfälle rissen sie mit sich.

Während der ersten vier Stunden fahren wir, ohne daß uns ein Unglück begegnet wäre, durch die traurige Gegend hindurch, die übrigens ebenso kahl ist wie die der hochgelegenen Ebenen. – Bis jetzt haben wir nur ausnahmsweise Bäume in den von der Natur bevorzugten Winkeln gesehen, wo sich etwas Dünger angehäuft hatte. – Aber nun versperrt ein ganzes Felsstück den Weg, über Nacht ist es gespalten und herabgestürzt. Persische Chausseearbeiter sind hier mit Stangen, Hebeln und Hacken tätig. Sie gebrauchen wenigstens einen Tag, so behaupten sie. Ich gebe ihnen eine Stunde und verspreche ihnen eine königliche Belohnung, wenn sie sich mit Eifer darüber hermachen: Die zu schweren Blöcke sollen sie auseinandersprengen, sollen sie bis an den Rand rollen und in die Abgründe hinabstürzen und Allah und Mohammed dabei um Hilfe anrufen. Kaum ist die Stunde verflossen, so haben sie auch ihre Arbeit beendet, und wir können passieren!

Nachmittags wagen wir uns auf gefährlichen Pfaden an den Abhängen eines senkrechten Berges vorwärts; von neuem grollt der Donner, setzt die Sintflut mit erschreckender Gewalt ein. Und bald sausen die Steine um uns herum, zuerst die kleinen, dann die großen, Blöcke, von denen ein einziger unsere Pferde zermalmen könnte. Wo Schutz suchen! Kein Haus in zwei Meilen weitem Umkreis, und außerdem, welche Dächer, welche Gewölbe könnten ähnlichen Stößen widerstehen? So laßt uns also hierbleiben und unser Schicksal erwarten.

Als das Unwetter sich gelegt hat und niemand getötet wurde, fahren wir in schnellem Tempo nach dem Meere zu hinab und erreichen allmählich ein feuchtes, baumreiches Persien; aber in keiner Weise gleicht dies dem Persien, das wir soeben verlassen haben. Und wir sehnen uns nach diesem anderen, dem großen, wirklichen Persien, wie es sich dort oben, hoch oben, schwermütig in seine alten Träume unter dem ewig gleichen Himmel einspinnt. Sogar die Luft, die Luft hier unten, die wir doch unser ganzes Leben lang eingeatmet haben, erscheint so drückend schwer und ungesund nach der belebenden Reinheit, in der wir uns zwei Monate aufhalten durften.

Und doch sind die Wälder, die Buchenwälder mit ihrem frischen Junilaub schön! Überall, wohin das Auge fällt, bedecken sie diese neuen Gipfel – die mehr als tausend Meter tiefer liegen als die wüsten Ebenen, aus denen wir kommen –, bedecken sie die Gipfel mit einem gleichmäßigen und wunderbar reichen Mantel. Nach dem Gewitter fällt ein leiser, ruhiger Regen auf dieses grüne Land. Alle Nebel, alle Wolken, die das Kaspische Meer heraufschickt, hält der riesengroße Backofen Irans zurück, und hier auf diesem schmalen Streifen verteilen sie sich und füllen ihn wie den Wald der Tropen mit schattigem Grün, während oben die weiten Ebenen strahlend und ausgedörrt wie immer bleiben. Wir erreichen abends ein Dorf, das zwischen Rüstern und blühenden Granatbäumen versteckt liegt; hier ist die Luft drückend, die Leute sehen abgemagert und blaß aus. Es regnet noch immer, sehr widerwillig und sehr teuer vermietet man uns einen Raum aus Lehm, wo der Fußboden aufgeweicht ist, und wo es fast ebenso regnet wie draußen. Außerdem wird uns mitgeteilt, daß eine Viertelmeile weiter die Brücke nachts durch den Strom mit fortgeschwemmt ist, und daß unsere Wagen nicht passieren können, – für morgen früh müssen wir zu fabelhaft hohem Preise Maultiere mieten. Eine Karawane, die durch den Fluß gewatet ist, zieht uns in einem seltsamen Aufzug entgegen, die Kamele sind bis an die Augen mit klebrigem Schmutz bezogen; sind zu unförmlichen, schuppigen Ungeheuern angewachsen, während die sie begleitenden Maultiere scheinbar durch Schlamm haben waten müssen. Und die Bauern tragen ungewöhnlich große Fische herbei, – fabelhafte Karpfen, phänomenale Forellen, die der angeschwollene Fluß auf den Ufern zurückgelassen hat.

Eine Stunde später herrscht Kampf und Blutvergießen unter meiner Dienerschaft, sie haben alle zu viel russischen Branntwein getrunken. Niemand ist da, der uns unsere Abendmahlzeit bereiten könnte. Von den Dorfbewohnern ist nichts zu erreichen. Mein armer Diener liegt fiebernd darnieder, und ich allein bin hier, um ihn zu pflegen und zu bedienen.

Und während der Weg durch die Wüsten des Südens, der allgemein als so gefährlich geschildert wird, ein Kinderspiel war, so erwartete mich das seltsamste Ungemach auf dieser alltäglichen Straße von Teheran, wo alle Welt passiert, aber wo die Perser durch die Berührung mit den Europäern unverschämte Kerle, Trunkenbolde und Diebe geworden sind.

Dienstag, 5. Juni.

Bei aufgehender Sonne beginne ich mein Tagewerk, indem ich dem Kutscher die Stockschläge zuerteile, auf die er wirklich Anspruch zu machen hat. Dann kommt die Reihe an die Maultiervermieter, sie fordern heute noch einmal soviel, als wir am Abend vorher abgemacht hatten, ich schmeiße sie hinaus.

Eine Schar Dorfbewohner bietet mir dann an, im Laufe des Vormittags aus Felsen, Baumstämmen, Stricken und so weiter eine provisorische Brücke zu erbauen; meine leeren Wagen wollen sie hinüberrollen, und dann sollen unsere Pferde, unser Gepäck und wir selbst durch den Fluß waten. Trotz des hohen Preises gehe ich auf den Vorschlag ein. Und mit Balken, Schaufeln, Haken, wie zur Belagerung einer Stadt ausgerüstet, ziehen sie von dannen.

Um die Mittagsstunde ist alles fertig. Meine beiden abgeladenen Wagen gelangen scheinbar durch ein Wunder über das Gerüst hinüber, und so auch wir; auch die Gepäckträger und unsere Pferde erreichen schließlich das andere Ufer, nachdem sie sich ganz, wie die Karawane gestern abend, von oben bis unten mit Schlamm bespritzt hatten. Man lädt auf, man spannt an; die jetzt nüchternen Kutscher nehmen ihre Plätze ein.

Und bis zum Abend reisen wir durch das Reich der Bäume, durch die eintönige, grüne Nacht, in einem wirklichen Wald, bei feinem, anhaltendem Regen. Die Tropen kennen kaum ein schöneres Grün, als wie es hier in dieser feuchten, stets bewässerten Gegend wächst. Ulmen, Buchen, alle voll entwickelt, alle mit Efeu umrankt, sie stehen dicht gedrängt, vereinen ihre prächtigen, frischen, blattreichen Zweige zu einem Dach, legen sich wie ein einziger großer Mantel über die Berge; man sieht in der Ferne, wie die kleinen, gleichmäßigen Gipfel mit den abgerundeten Umrissen sich aneinanderreihen, wie sie alle mit dem dichten Grün bekleidet sind, gleichsam, als trügen sie einen grünen Schafpelz.

Plötzlich hat sich die Landschaft verändert, überraschend ist es, im äußersten Norden dieses hochgelegenen, kalten, ausgedörrten Persiens eine niedrige, feuchte, laue Zone zu finden, wo die Natur so ganz unvermittelt an die erschlaffende Atmosphäre eines Treibhauses erinnert!

Der sich durch die Wälder dahinschlängelnde, stets sich abwärts neigende Weg wird wie bei uns instand gehalten, wie man es in den sehr beschatteten Gegenden unserer Pyrenäen findet; aber die Reisenden und ihre Tiere bleiben asiatisch: Karawanen, Kamele, Maultiere mit perlenbesticktem Sattelzeug, verschleierte Frauen auf kleinen, weißen Eselinnen.

Und jetzt trifft man gelegentlich am Rande des grünen Weges mehrere Häuser, die gar nicht in diesen Ort hineinzupassen scheinen. Häuser, ganz aus runden Balken erbaut, wie man sie am Rande des Ural und in den Steppen Sibiriens trifft. Und auf der Schwelle der Türen zeigen sich Männer mit flachen Mützen, blond und rosig, und ihr blaues Auge scheint nach all den schwarzen Augen der Iraner gleichsam von einem nördlichen Nebel verschleiert zu sein; das benachbarte Rußland, das diese Wege erbaut hat, stellte hier überall Beamte an, um die Straßen beaufsichtigen und instand halten zu lassen.

Gegen Ende der Etappe befinden wir uns in gleicher Höhe mit dem Kaspischen Meer (das, wie man weiß, noch dreißig Fuß über dem Wasserspiegel der anderen Meere liegt), und in der Dämmerung machen wir vor einer alten, aus Buchenstämmen erbauten Karawanserei halt, inmitten einer sumpfigen, mit Seerosen bewachsenen Ebene, wo Frösche und Wasserschildkröten hausen.

Mittwoch, 6. Juni.

Ein dreistündiger Weg heute morgen führt stets durch Grün zwischen Feigen- und Nußbäumen, Mimosen und Farnkräutern hindurch, bis man schließlich die kleine Stadt Recht erreicht, die nicht einmal mehr einen persischen Anstrich zeigt. Vorbei mit den Mauern aus Lehm, den Terrassen aus Lehm, vorbei mit den regenlosen Gegenden; die Häuser von Recht sind alle aus Stein und Fayence erbaut, ihre Dächer sind alle mit römischen Ziegeln bedeckt und springen zum Schutz gegen die Regengüsse weit hervor. Überall auf den Straßen sieht man Wasserpfützen, die Luft ist gewitterschwül!

Noch eine Stunde bis nach Piré-Bazar, wo die große Straße, die fast einzige Straße Persiens, endet. Dort fließt ein Kanal zwischen dem überhängenden, blühenden Schilf dahin, er ist wie eine chinesische Arroyo mit Barken überladen. Dies ist der Verkehrsweg zwischen Iran und Rußland, und es wimmelt auf diesem schmalen Wasserstreifen von einem ganzen seeliebenden Völkchen; ungezählte Bootsvermieter halten Ausschau nach der Ankunft von Reisenden und Karawanen.

Wir müssen eine der großen Barken mieten, und dann geht's vorwärts; unsichtbare Leute, hinter hohen Gräsern versteckt, wandern zu Land voraus und ziehen uns an einem Strick nach sich; und so gleiten wir ruhig unter einem Zelt dahin, streifen das Grün des Ufers, kreuzen viele andere Barken, die der unsrigen ähnlich sind, und die, wie wir, gezogen werden; sie tragen Leute und Gepäck, und in diesem kleinen Schilfgäßchen muß man sich vor ihnen in acht nehmen.

Endlich öffnet sich ein See vor uns, sehr groß, sehr blau, liegt er zwischen den Inseln der Gräser und der Seerosen inmitten einer ungezählten Schar von Reihern und Kormoranen da. Das andere Ufer dort unten zeichnet sich nur als ein schmaler, grüner Streifen ab, darüber sieht man den Horizont der stillen Wasser, den Horizont des Kaspischen Meeres. – Und man könnte glauben, dies sei eine japanische Landschaft.

Man betritt das neue Ufer, wo wieder hohes Schilf aufragt, wo die Kormorane und Reiher in dichten Scharen auffliegen. Zwischen dem See und dem Meer, zwischen dem fast zu kühlen Grün der Bäume, in dem Orangenhain, liegt eine kleine Stadt; sie hat einen leisen türkischen Anstrich, scheint, von weitem gesehen, lächelnd und hübsch und taucht an beiden Enden ins Wasser. Am Eingang ragt ein schönes Lusthaus aus rosenroten und blauen Fayencen auf, der letzte Gruß Persiens, es nennt sich »die strahlende Sonne« – und dient Seiner Majestät dem Schah als Absteigequartier, wenn er sich auf seine Reisen nach Europa begibt.

Die kleine Stadt heißt Enzeli; in der Nähe gesehen ist es ein schrecklicher Haufen moderner Läden, die dem Reisenden geöffnet sind, ein Zufluchtsort für Schurken und Lumpengesindel, weder Perser, noch Russen, noch Armenier, noch Juden, Leute von unbestimmbarer Nationalität, Leute, die die Grenze auszubeuten verstehen. Aber in den Gärten Enzelis blühen und duften Rosen, Lilien, Nelken, und die Orangenbäume wachsen voller Zuversicht am Ufer des Meeres, das keine Flut noch Ebbe kennt – wachsen inmitten des feinen Sandes, des ruhigen Gestades.

In diesem Enzeli müssen wir voller Ergebung auf ein russisches Schiff warten, morgen, die Stunde ist noch nicht festgesetzt, wird es uns nach Baku tragen. Von Baku braucht man nur über Tiflis durch Tscherkessien zu fahren, um in Batum anzugelangen, wo die Schiffe des Schwarzen Meeres die Reisenden nach Odessa oder nach Konstantinopel tragen, nach der Schwelle der großen europäischen Linien –, mit anderen Worten – hier ist der Endpunkt unserer Reise . . . Und abends, unter den Orangenbäumen des Ufers, beim leisen Wellenschlag des eingeschlossenen Meeres, werfe ich einen Blick zurück auf den Weg, den ich gegangen bin, und dort sehe ich noch einmal Persien liegen, das hohe, das wirkliche Persien, das Persien der Gebirgsregionen und der Wüsten. Über den Wäldern, über den schon sich verdunkelnden Wolken liegt es rosenrot da; noch für einen kleinen Augenblick leuchtet es in der Sonne auf, mich aber hüllt schon die Dämmerung ein. Von hier aus gesehen, bietet es uns denselben Anblick der endlosen Mauer, den es uns das erstemal bei unserem Aufstieg von dem Persischen Golf geboten; es ist weniger farbenprächtig, weil wir uns jetzt in den nördlichen Gegenden befinden, aber es hebt sich ebenso scharf in der selten klaren Luft von den anderen irdischen Gegenständen ab. Als wir von dem heißen Golf kamen, lag es vor uns, wir mußten es erklimmen, und es hielt alle seine ungeahnten Wunder für uns in Bereitschaft. Jetzt steigen wir hinab, nach einem Ritt von vierhundert Meilen durch die vielen Berge, über Spalten und Risse dahin. Es wird in der irdischen Entfernung und in der Vergangenheit der Erinnerung mehr und mehr verschwinden. Aber von all den Wundern, die unsere Augen erblickten, wird uns dieses am längsten vorschweben: Eine Stadt, in Trümmer zerfallen, dort oben in einer Oase von weißen Blumen, eine Stadt aus Lehm und aus blauer Glasur, unter den dreihundertjährigen Platanen, die in Staub zerfällt. Paläste aus Mosaik und aus wunderbaren Fayencen, die rettungslos zerbröckeln unter dem einschläfernden Plätschern der zahllosen kleinen, klaren Bäche, unter dem ewigen Gesang der Muezzine und der Vögel; – zwischen hohen, mit Glasur bekleideten Mauern, in alten Gärten voll blühender Rosen, mit Toren aus ziseliertem Silber, aus blassem Purpurrot; – das ist dies Ispahan des Lichts und des Todes, in die durchsichtige Luft der Bergesgipfel gehüllt.

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