Reise durch Persien

Reise durch Persien

1925 n.Chr.

Pierre Loti

Inhaltsverzeichnis

Unterwegs

Sonnabend, 21. April.

Beim strahlenden Sonnenaufgang hört man das jauchzende Konzert der Schwalben, Spatzen und Lerchen. Ganz klar ist der Himmel, ganz klar liegt die weite Ferne da, in dem Dorf und in den Feldern herrscht eine paradiesische Ruhe. Man befindet sich hier fünfzehn- bis achtzehnhundert Meter über dem Meeresspiegel, in einer so reinen Luft, daß man sich wie durchflutet fühlt von neuem Leben und neuer Jugend. Und es ist wie ein Zauber aufzuwachen und ins Freie zu gehen.

Über dem Lehmschuppen, wo unsere Maultiere mit unserm Vieh zusammengepfercht stehen, haben wir in dem einzigen hohen Zimmer geschlafen – natürlich auch zwischen Lehmwänden – und heute morgen bieten uns die Dächer der Karawanserei, die wie eine Wiese mit Gras bewachsen sind, einen herrlichen Spazierplatz.

Auf den benachbarten Dächern, wo gleichfalls Gras wächst, haben Männer sich niedergeworfen, um zu dieser Stunde ihr erstes Tagesgebet zu sprechen, mit ihren langen, in der Taille einschneidenden Gewändern, ihren wallenden Ärmeln und ihren tiaraförmigen Hüten, gleichen sie in ihren bescheidenen Kleidern den Silhouetten der Weisen aus dem Morgenlande. Hinter den kleinen Häusern, mit den dicken Mauern und spitzbogigen Türen, sieht man weit in die ruhige, abgeschlossene Ebene hinein, man sieht die grüne Fläche des Getreides, in die einige blühende Mohnfelder ihre weißen Linien ziehen – und immer sieht man die Bergkette Irans, die in dem Maße, wie wir steigen, sich zu vergrößern, in den Himmel zu wachsen, stets neue Steinschichten vor uns aufzutürmen scheint.

Karawanen, die die ganze Nacht gereist sind, nähern sich, sie kommen von Chiraz herab oder steigen wie wir von Bender-Bouchir auf. Das Geläute der Maultierglöckchen, das von verschiedenen Seiten ertönt, fällt in das Morgenständchen der Vögel ein. Die Hirten treiben die Herden schwarzer Ziegen dem Berge zu. Auf den Dorfstraßen galoppieren geschmeidige, bärtige Reiter, sie sind mit langen, altmodischen Steinschloßgewehren bewaffnet. Das Leben spielt sich hier ab wie in vergangenen Zeiten. Dies kleine, verlorene Land, das in erster Linie von der glühenden Wüste, dann von zwei bis drei Terrassen mit ihren Abgründen und schließlich von den wilden Bergen beschirmt ist, dies kleine Land hat sich eine glückliche Unveränderlichkeit bewahrt.

Ach! die Ruhe, die dort herrscht! Und der Gegensatz zu Indien, das wir soeben verlassen haben, zu dem armen, entweihten, geplünderten Indien mit seinem manufakturellen Betrieb, wo schon die schreckliche Ansteckung der Fabriken und der Eisenwerke wütet, wo schon die Bevölkerung der Städte kriecht und leidet unter dem Peitschenhieb dieser aufgeregten Herren des Westens, mit ihren Korkhelmen und »kakifarbenen Anzügen«! Unter dem schönen goldenen Licht verlassen wir um die fünfte Stunde nachmittags das verzauberte Dorf, um auf die im Hintergrund gelegenen Berge zuzureiten. Wir durchschneiden die friedliche, ländliche Hochfläche, die von allen Seiten eingeschlossen erscheint.

In dem Augenblick, wo wir uns in die Schluchten begeben, um noch eine Stufe höher zu gelangen, geht die Sonne für uns unter, aber die uns umgebenden Gipfel leuchten weiter in seltsamem Rosa. Und dort, um den Eingang zu bewachen, ragt ein altes Kastell mit Mauern und Zinnen auf, und auf allen Türmen stehen Wächter in langen persischen Gewändern: es erinnert an irgendein Bild aus der Zeit der Kreuzzüge.

Weniger schroff, als in den letzten Nächten, ist diesmal der Hohlweg. Zwischen den mit Bäumen, Gras und Blumen bewachsenen Felswänden steigt unser Pfad weder zu steil noch gar zu gefährlich an.

Und so erreichen wir bald ohne große Schwierigkeiten eine ungeheure Hochfläche, deren Luft gesättigt ist von dem Duft des Heues. Bis jetzt waren wir dieser wirklichen Frische, die man hier einatmet, noch nicht begegnet, aber wir kennen sie daheim an schönen Maienabenden. Man sollte glauben, daß man sich auf diesem Weg, der seit unserem Aufbruch ununterbrochen ansteigt, in Riesenschritten dem Norden näherte. Wir reiten ganze vier Stunden durch diese Ebene, bevor wir die Etappe erreichen, und nach dem Chaos von Steinen, mit denen man sich die letzten Abende hat herumschlagen müssen, ist es jetzt eine Überraschung, bequeme Wege zu betreten, zwischen rosa blühendem Klee und Windhafer dahinzuwandeln. Als aber die Nacht vollständig hereingebrochen ist, erwacht doch allmählich das Gefühl in uns, daß wir uns in einer großen Einsamkeit befinden. In Europa gibt es keine Strecken, wo meilenweit soviel leerer Raum und soviel Schweigen herrscht, – und plötzlich fällt es uns ein, daß dieser Platz übel berüchtigt ist.

Neun Uhr abends. Unwillkürlich fühlt man nach dem Revolver: fünf mit Gewehren bewaffnete Leute, die im Gras am Grabenrand lagerten, erheben sich und umzingeln uns. Nach ihrer Aussage sind es ehrliche Wächter, die von Kazeroun, dem nächsten Dorfe, ausgeschickt sind, um die Reisenden zu beschützen. Seit längerer Zeit, so erzählen sie uns, werden die Karawanen geplündert, und sechs Maultiertreiber wurden in der vorigen Nacht an dieser Stelle überfallen. Deshalb werden sie uns jetzt auf höheren Befehl zwei bis drei Meilen weit begleiten.

Dies erscheint ein wenig verdächtig, auch leuchten die Sterne nicht genug, um ihre Gesichter erkennen zu können. Da sie aber doch mehr wie gutmütige Kerle aussehen, so nehmen wir ihr Anerbieten, uns zu begleiten, an; sie zu Fuß, wir langsam reitend zu Pferde; man raucht zu zweien dieselbe Zigarette, was hierzulande eine Höflichkeitsform bedeutet, und man schwatzt.

Anderthalb Stunden später tauchen fünf ähnlich bewaffnete Männer, die im Hinterhalt lagen, zwischen dem hohen Gras auf und gehen auf uns zu. Es sind also wirklich Wächter, und wir sollten jetzt unsere Begleitung wechseln. Die ersten fordern jeder 2 CransDer Cran ist ein Geldstück ungefähr von dem Wert eines Frank. Es ist das einzige gebräuchliche Geldstück in Persien, und da man mehrere Tausend davon mit sich führen muß, ist das eine der Widerwärtigkeiten und der Gefahren der Reise. als Bezahlung, vertrauen uns der Fürsorge der anderen an und ziehen sich dann unter tiefen Verbeugungen zurück.

Von Zeit zu Zeit durchschneidet ein lustig fließendes Bächlein den unbestimmten Pfad, dem wir in dem hohen Gras zu folgen versuchen, dann hält man an, befreit die Pferde oder Maultiere von der Trense und läßt sie trinken.

Ungezählte Sterne stehen am Himmel, und überall fliegen die Leuchtkäferchen, von denen die Luft erfüllt ist, umher; so ähnlich sehen sie einem Funkenregen, daß man fast erstaunt ist, nicht das leise Knattern des Feuers zu hören.

Wir reiten in einer langen Reihe durch den weißen Mohn, dessen große Blumen uns streifen; es ist fast Mitternacht, da sehen wir ganz in der Ferne einige Lichter, später riesengroße, eingezäunte Gärten auftauchen, endlich haben wir Kazeroun erreicht. Und wir begrüßen die ersten Pappeln, deren hohe Stämme sich weithin erkennbar von dem nächtlichen Himmel abheben, sie künden uns die wirklich gemäßigten Zonen an, in denen wir jetzt atmen dürfen.

Von nun an führen die Karawansereien den Namen Garten; und in diesen paradiesischen Gegenden des immer schönen Wetters sind es in der Tat Gärten, die man den Reisenden bietet, um sich dort auszuruhen.

Eine große, spitzbogige Pforte gewährt uns Einlaß zu einem eingemauerten Gehölz, das für die Nacht unser Ruheplatz sein wird; es ist fast ein Wald, mit geraden Alleen aus blühenden Orangebäumen, sofort berauscht uns der starke Duft. Im Vordergrund sitzen die Karawanenreisenden in Gruppen zerstreut auf den Teppichen und kochen über einem Reisigfeuer ihren Tee, und weit im Hintergrunde verlieren sich die Alleen im Dunkel.

Der Wirt hält es indessen nicht für richtig, daß die Europäer wie die Eingeborenen im Freien unter den Orangenbäumen schlafen, er hat deshalb unsere Feldbetten in ein kleines Zimmer über dem großen Spitzbogen des Einganges bringen lassen, und dort übermannt uns sofort der Schlaf.

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