Fünfter Teil
Montag, 4. Juni
Wir brechen morgens, bei einem noch drohend bewölkten
Himmel auf. Eine Karawane, die von Recht hinaufsteigt, trägt
uns schlechte Nachrichten zu: weiter unten sind die Brücken
gesprengt, ist die Straße aufgerissen; vierzehn Tage, so
behaupten die Kameltreiber, könne ein Wagen nicht dort
passieren.
Und solche Abenteuer gehören mit zu den alltäglichen Dingen
in dieser wilden Gegend, wo man für große Kosten eine viel zu
eingeschachtelt liegende Straße erbaut hat, ohne den Strömen,
die in einer Stunde anschwellen können, genügenden Platz zu
lassen.
Der junge Erbprinz Persiens erzählte mir in Teheran, daß er
in dieser Gegend von einem Unwetter überrascht worden sei und
sich in Todesgefahr befunden habe; Blöcke, von denen der eine
seinen Wagen in zwei Teile spaltete, fielen dicht wie Hagel
von den Bergen herab, die Wasserfälle rissen sie mit sich.
Während der ersten vier Stunden fahren wir, ohne daß uns
ein Unglück begegnet wäre, durch die traurige Gegend hindurch,
die übrigens ebenso kahl ist wie die der hochgelegenen Ebenen.
– Bis jetzt haben wir nur ausnahmsweise Bäume in den von der
Natur bevorzugten Winkeln gesehen, wo sich etwas Dünger
angehäuft hatte. – Aber nun versperrt ein ganzes Felsstück den
Weg, über Nacht ist es gespalten und herabgestürzt. Persische
Chausseearbeiter sind hier mit Stangen, Hebeln und Hacken
tätig. Sie gebrauchen wenigstens einen Tag, so behaupten sie.
Ich gebe ihnen eine Stunde und verspreche ihnen eine
königliche Belohnung, wenn sie sich mit Eifer darüber
hermachen: Die zu schweren Blöcke sollen sie
auseinandersprengen, sollen sie bis an den Rand rollen und in
die Abgründe hinabstürzen und Allah und Mohammed dabei um
Hilfe anrufen. Kaum ist die Stunde verflossen, so haben sie
auch ihre Arbeit beendet, und wir können passieren!
Nachmittags wagen wir uns auf gefährlichen Pfaden an den
Abhängen eines senkrechten Berges vorwärts; von neuem grollt
der Donner, setzt die Sintflut mit erschreckender Gewalt ein.
Und bald sausen die Steine um uns herum, zuerst die kleinen,
dann die großen, Blöcke, von denen ein einziger unsere Pferde
zermalmen könnte. Wo Schutz suchen! Kein Haus in zwei Meilen
weitem Umkreis, und außerdem, welche Dächer, welche Gewölbe
könnten ähnlichen Stößen widerstehen? So laßt uns also
hierbleiben und unser Schicksal erwarten.
Als das Unwetter sich gelegt hat und niemand getötet wurde,
fahren wir in schnellem Tempo nach dem Meere zu hinab und
erreichen allmählich ein feuchtes, baumreiches Persien; aber
in keiner Weise gleicht dies dem Persien, das wir soeben
verlassen haben. Und wir sehnen uns nach diesem anderen, dem
großen, wirklichen Persien, wie es sich dort oben, hoch oben,
schwermütig in seine alten Träume unter dem ewig gleichen
Himmel einspinnt. Sogar die Luft, die Luft hier unten, die wir
doch unser ganzes Leben lang eingeatmet haben, erscheint so
drückend schwer und ungesund nach der belebenden Reinheit, in
der wir uns zwei Monate aufhalten durften.
Und doch sind die Wälder, die Buchenwälder mit ihrem
frischen Junilaub schön! Überall, wohin das Auge fällt,
bedecken sie diese neuen Gipfel – die mehr als tausend Meter
tiefer liegen als die wüsten Ebenen, aus denen wir kommen –,
bedecken sie die Gipfel mit einem gleichmäßigen und wunderbar
reichen Mantel. Nach dem Gewitter fällt ein leiser, ruhiger
Regen auf dieses grüne Land. Alle Nebel, alle Wolken, die das
Kaspische Meer heraufschickt, hält der riesengroße Backofen
Irans zurück, und hier auf diesem schmalen Streifen verteilen
sie sich und füllen ihn wie den Wald der Tropen mit schattigem
Grün, während oben die weiten Ebenen strahlend und ausgedörrt
wie immer bleiben. Wir erreichen abends ein Dorf, das zwischen
Rüstern und blühenden Granatbäumen versteckt liegt; hier ist
die Luft drückend, die Leute sehen abgemagert und blaß aus. Es
regnet noch immer, sehr widerwillig und sehr teuer vermietet
man uns einen Raum aus Lehm, wo der Fußboden aufgeweicht ist,
und wo es fast ebenso regnet wie draußen. Außerdem wird uns
mitgeteilt, daß eine Viertelmeile weiter die Brücke nachts
durch den Strom mit fortgeschwemmt ist, und daß unsere Wagen
nicht passieren können, – für morgen früh müssen wir zu
fabelhaft hohem Preise Maultiere mieten. Eine Karawane, die
durch den Fluß gewatet ist, zieht uns in einem seltsamen
Aufzug entgegen, die Kamele sind bis an die Augen mit
klebrigem Schmutz bezogen; sind zu unförmlichen, schuppigen
Ungeheuern angewachsen, während die sie begleitenden Maultiere
scheinbar durch Schlamm haben waten müssen. Und die Bauern
tragen ungewöhnlich große Fische herbei, – fabelhafte Karpfen,
phänomenale Forellen, die der angeschwollene Fluß auf den
Ufern zurückgelassen hat.
Eine Stunde später herrscht Kampf und Blutvergießen unter
meiner Dienerschaft, sie haben alle zu viel russischen
Branntwein getrunken. Niemand ist da, der uns unsere
Abendmahlzeit bereiten könnte. Von den Dorfbewohnern ist
nichts zu erreichen. Mein armer Diener liegt fiebernd
darnieder, und ich allein bin hier, um ihn zu pflegen und zu
bedienen.
Und während der Weg durch die Wüsten des Südens, der
allgemein als so gefährlich geschildert wird, ein Kinderspiel
war, so erwartete mich das seltsamste Ungemach auf dieser
alltäglichen Straße von Teheran, wo alle Welt passiert, aber
wo die Perser durch die Berührung mit den Europäern
unverschämte Kerle, Trunkenbolde und Diebe geworden sind.