Reise durch Persien

Reise durch Persien

1925 n.Chr.

Pierre Loti

Inhaltsverzeichnis

Fünfter Teil

Montag, 4. Juni

Wir brechen morgens, bei einem noch drohend bewölkten Himmel auf. Eine Karawane, die von Recht hinaufsteigt, trägt uns schlechte Nachrichten zu: weiter unten sind die Brücken gesprengt, ist die Straße aufgerissen; vierzehn Tage, so behaupten die Kameltreiber, könne ein Wagen nicht dort passieren.

Und solche Abenteuer gehören mit zu den alltäglichen Dingen in dieser wilden Gegend, wo man für große Kosten eine viel zu eingeschachtelt liegende Straße erbaut hat, ohne den Strömen, die in einer Stunde anschwellen können, genügenden Platz zu lassen.

Der junge Erbprinz Persiens erzählte mir in Teheran, daß er in dieser Gegend von einem Unwetter überrascht worden sei und sich in Todesgefahr befunden habe; Blöcke, von denen der eine seinen Wagen in zwei Teile spaltete, fielen dicht wie Hagel von den Bergen herab, die Wasserfälle rissen sie mit sich.

Während der ersten vier Stunden fahren wir, ohne daß uns ein Unglück begegnet wäre, durch die traurige Gegend hindurch, die übrigens ebenso kahl ist wie die der hochgelegenen Ebenen. – Bis jetzt haben wir nur ausnahmsweise Bäume in den von der Natur bevorzugten Winkeln gesehen, wo sich etwas Dünger angehäuft hatte. – Aber nun versperrt ein ganzes Felsstück den Weg, über Nacht ist es gespalten und herabgestürzt. Persische Chausseearbeiter sind hier mit Stangen, Hebeln und Hacken tätig. Sie gebrauchen wenigstens einen Tag, so behaupten sie. Ich gebe ihnen eine Stunde und verspreche ihnen eine königliche Belohnung, wenn sie sich mit Eifer darüber hermachen: Die zu schweren Blöcke sollen sie auseinandersprengen, sollen sie bis an den Rand rollen und in die Abgründe hinabstürzen und Allah und Mohammed dabei um Hilfe anrufen. Kaum ist die Stunde verflossen, so haben sie auch ihre Arbeit beendet, und wir können passieren!

Nachmittags wagen wir uns auf gefährlichen Pfaden an den Abhängen eines senkrechten Berges vorwärts; von neuem grollt der Donner, setzt die Sintflut mit erschreckender Gewalt ein. Und bald sausen die Steine um uns herum, zuerst die kleinen, dann die großen, Blöcke, von denen ein einziger unsere Pferde zermalmen könnte. Wo Schutz suchen! Kein Haus in zwei Meilen weitem Umkreis, und außerdem, welche Dächer, welche Gewölbe könnten ähnlichen Stößen widerstehen? So laßt uns also hierbleiben und unser Schicksal erwarten.

Als das Unwetter sich gelegt hat und niemand getötet wurde, fahren wir in schnellem Tempo nach dem Meere zu hinab und erreichen allmählich ein feuchtes, baumreiches Persien; aber in keiner Weise gleicht dies dem Persien, das wir soeben verlassen haben. Und wir sehnen uns nach diesem anderen, dem großen, wirklichen Persien, wie es sich dort oben, hoch oben, schwermütig in seine alten Träume unter dem ewig gleichen Himmel einspinnt. Sogar die Luft, die Luft hier unten, die wir doch unser ganzes Leben lang eingeatmet haben, erscheint so drückend schwer und ungesund nach der belebenden Reinheit, in der wir uns zwei Monate aufhalten durften.

Und doch sind die Wälder, die Buchenwälder mit ihrem frischen Junilaub schön! Überall, wohin das Auge fällt, bedecken sie diese neuen Gipfel – die mehr als tausend Meter tiefer liegen als die wüsten Ebenen, aus denen wir kommen –, bedecken sie die Gipfel mit einem gleichmäßigen und wunderbar reichen Mantel. Nach dem Gewitter fällt ein leiser, ruhiger Regen auf dieses grüne Land. Alle Nebel, alle Wolken, die das Kaspische Meer heraufschickt, hält der riesengroße Backofen Irans zurück, und hier auf diesem schmalen Streifen verteilen sie sich und füllen ihn wie den Wald der Tropen mit schattigem Grün, während oben die weiten Ebenen strahlend und ausgedörrt wie immer bleiben. Wir erreichen abends ein Dorf, das zwischen Rüstern und blühenden Granatbäumen versteckt liegt; hier ist die Luft drückend, die Leute sehen abgemagert und blaß aus. Es regnet noch immer, sehr widerwillig und sehr teuer vermietet man uns einen Raum aus Lehm, wo der Fußboden aufgeweicht ist, und wo es fast ebenso regnet wie draußen. Außerdem wird uns mitgeteilt, daß eine Viertelmeile weiter die Brücke nachts durch den Strom mit fortgeschwemmt ist, und daß unsere Wagen nicht passieren können, – für morgen früh müssen wir zu fabelhaft hohem Preise Maultiere mieten. Eine Karawane, die durch den Fluß gewatet ist, zieht uns in einem seltsamen Aufzug entgegen, die Kamele sind bis an die Augen mit klebrigem Schmutz bezogen; sind zu unförmlichen, schuppigen Ungeheuern angewachsen, während die sie begleitenden Maultiere scheinbar durch Schlamm haben waten müssen. Und die Bauern tragen ungewöhnlich große Fische herbei, – fabelhafte Karpfen, phänomenale Forellen, die der angeschwollene Fluß auf den Ufern zurückgelassen hat.

Eine Stunde später herrscht Kampf und Blutvergießen unter meiner Dienerschaft, sie haben alle zu viel russischen Branntwein getrunken. Niemand ist da, der uns unsere Abendmahlzeit bereiten könnte. Von den Dorfbewohnern ist nichts zu erreichen. Mein armer Diener liegt fiebernd darnieder, und ich allein bin hier, um ihn zu pflegen und zu bedienen.

Und während der Weg durch die Wüsten des Südens, der allgemein als so gefährlich geschildert wird, ein Kinderspiel war, so erwartete mich das seltsamste Ungemach auf dieser alltäglichen Straße von Teheran, wo alle Welt passiert, aber wo die Perser durch die Berührung mit den Europäern unverschämte Kerle, Trunkenbolde und Diebe geworden sind.

© seit 2006 - m-haditec GmbH - info@eslam.de