Reise durch Persien

Reise durch Persien

1925 n.Chr.

Pierre Loti

Inhaltsverzeichnis

Vierter Teil

Montag, 21. Mai

Morgens bewegt ein frischer Windhauch die Kirschbäume und drückt die grünen Ähren nieder, das Lager der Satrapen erwacht, und es beginnen die Vorbereitungen zum Aufbruch, zuerst springen die schönen Vorreiter mit geschultertem Gewehr in die Sättel, deren Knöpfe in silbernem oder perlmutterartigem Glanz erstrahlen, und die mit goldenen Fransen besetzt, mit Gold bestickt sind. Im Galopp sprengen die Reiter einzeln davon. Und dann nimmt man die Staatstkutschen in Angriff, vier Pferde werden vorgespannt, zwanzig Diener; silbergalonierte Leute, mit hohen Stiefeln und langen Tuniken, ganz nach der tscherkessischen Mode gekleidet, sind dabei angestellt.

Der Satrap sitzt vornehm und müde in dem Grase, neben seinen schönen, jetzt bald zum Aufbruch fertigen Wagen, er raucht nachlässig seine Kalyan, aus ziseliertem Silber, die von zwei Dienern gehalten wird. Man spannt sechs Pferde vor seinen Wagen, vier an die Deichsel und zwei davor, auf denen die Vorreiter in ihren silbergestickten Gewändern sitzen. Und sobald der Gebieter alleine in seine prachtvoll ausgestattete Karosse gestiegen ist, fährt alles im gestreckten Galopp der Wüste zu, wo der Vortrupp sich schon in der Ferne verliert.

Aber uns interessiert besonders der Harem, der Harem, der jetzt auch hinter den eifersüchtigen Vorhängen seine Vorbereitungen trifft; wir hegen die unbestimmte Hoffnung, daß irgendeine Schöne, dank der Zwanglosigkeit des Lagerlebens, ihr Gesicht zeigen wird; den kleinen Wald, in dem sie alle eingeschlossen sind, verhüllen noch immer die undurchsichtigen Vorhänge, aber man sieht, daß dahinter ein großes Treiben herrscht, Eunuchen laufen herein und heraus, sie schleppen Säcke und Schleier, tragen auf goldenen Tellern Leckerbissen herbei. Augenscheinlich werden die Gefangenen gleich erscheinen.

Die Sonne steigt höher am Himmel, und ihre Wärme erfüllt uns mit Wohlbehagen; im weiten Umkreis ist das Gras mit Blumen besät, man hört das Rauschen der Bäche, man atmet den Duft der wilden Krauseminze ein, und auf den Bergen glitzert der Schnee; ea ist angenehm hier zu warten, und deshalb laßt uns bleiben . . .

Endlich lösen die Vorhänge sich alle zugleich, durch die gemeinsame Handhabe der Eunuchen, und fallen zu Boden. Ach, das ist eine große Enttäuschung. Wohl sehen wir die schönen Frauen, ungefähr zwanzig an der Zahl, aber alle stehen sie gerade, steif da, von Kopf bis zu Füßen in ihre schwarzen Schleier gehüllt, das Gesicht bedeckt durch eine Maske: dieselben ewig gleichen Schatten, denen wir schon überall begegneten.

Wir wollen aber wenigstens jetzt ihrem Aufbrach beiwohnen, da wir schon eine volle Stunde verloren haben. Die Frauen, die die vierspännigen Karossen besteigen, müssen Prinzessinnen sein, man sieht es an ihren kleinen Füßen, an den kleinen behandschuhten Händen, an den Edelsteinen, die hinten am Kopf die weiße Maske zusammenhalten. Die anderen dagegen sind untergeordnete Gattinnen oder Dienerinnen, sie klettern zu zweien auf die Rücken der Maultiere, in die mit rotem Tuch ausgeschlagenen Käfige. Und alle entfernen sich unter Aufsicht der Eunuchen auf demselben Wege nach der Küste zu, den der Satrap eingeschlagen hat, und dessen Pferde noch immer dahin jagen müssen, denn sein Wagen ist nur als schwacher Punkt ganz hinten in der strahlenden Ferne sichtbar.

Jetzt brechen wir selbst in der entgegengesetzten Richtung auf. Sofort befinden wir uns mitten in der Einöde, wir folgen von neuem den Pfaden der Karawanen, die sich in dem Maße, wie wir vorwärtsdringen, immer mehr mit Schädeln und Gerippen bedecken, die einem endlosen Friedhof für Maultiere und Kamele gleichen.

Dort kreuzen wir die verspätete Nachhut des Vezirs: dieselben bewaffneten Reiter, dieselben roten Tragsessel, in denen die Frauen gefangen sitzen, sehr große Tragsessel, die auf zwei zusammengekoppelten Maultieren ruhen, und zu deren kleinen Fenstern die schönen Reisenden hinausblicken, um uns vorüberfahren zu sehen; den Schluß bilden eine endlose Reihe Lasttiere, sie tragen eingelegte oder ziselierte Kästchen, Ballen, mit wunderbaren Teppichen bedeckt, Kupfergeschirr, Silbergeschirr, silberne Karaffen, große silberne Teller.

Und dann begegnen wir auf dem harten Lehmboden der Wüste keinem menschlichen Wesen, bis wir um die Mittagsstunde in einer traurigen, einsam gelegenen Karawanserei haltmachen, wir sind umgeben von Skeletten, von Kinnladen und von Wirbelknochen und finden hier nicht einmal das nötigste Futter für unsere Pferde.

Nachmittags dehnt sich die Wüste schwärzlich zwischen zwei Bergketten von derselben Farbe aus, deren Felsen große Brüche und den Glanz von Steinkohlen zeigen. Und plötzlich glaubt man den Ozean sich auf unserem Wege unter den seltsam dunklen Wolken ausbreiten zu sehen: Es sind dies die tief gelegenen Ebenen (natürlich im Verhältnis zu uns, denn sie liegen noch tausend Meter über dem Meeresspiegel); und in der Luft erheben sich gewaltige Staub- und Sandwolken, ein furchtbarer Wind, der sich jetzt auch uns nähert, hat sie emporgewirbelt.

Gewöhnlich, wenn ein zu steiler Hügel unseren Weg versperrt, den unser Gespann vielleicht nicht zu erklimmen vermag, so treibt unser Kutscher seine vier Pferde in wütendem Lauf vorwärts, er spornt sie durch Rufe an und peitscht mit beiden Armen auf sie los. Bei den Abstiegen im Gegenteil hält er sie nach Leibeskräften zurück, aber diesmal stürzen sie wie zu einem Aufstieg davon, und wir rollen mit einer schwindelerregenden Geschwindigkeit in die Ebene hinab, der Wind nimmt uns den Atem, und der Staub brennt in den Augen. Niemals habe ich wirkliche Wolken so dicht, so schwarz gesehen, wie es diejenigen sind, die uns jetzt entgegenfliegen, um uns in ihren dunklen Mantel einzuhüllen. Hier und dort steigen Sandhosen so kerzengerade wie Rauchsäulen von der Erde auf, sie scheinen ohne Glanz, ohne Flamme zu brennen. Die neue Wüste, in die wir so schnell hinabgefahren sind, ist voller Dunkelheit, voll Luftspiegelungen, ihre ganze Oberfläche zittert und verändert sich; es liegt etwas Schreckliches, etwas Furchteinflößendes in der Luft; übrigens ist der Wind glühend, man kann nicht mehr atmen; die Sonne verdunkelt sich, man möchte von hier entfliehen, und auch die Pferde leiden, ein unbestimmter Schrecken beflügelt ihren Lauf.

Geblendet, den Mund voller Sand, kommen wir unten an, und da liegt glücklicherweise auch der kleine, einsame Weiler, wo wir die Nacht verbringen werden, es war Zeit: zehn Schritte vor uns konnten wir nichts mehr unterscheiden, die Sonne, die noch hoch am Himmel steht, ist nur eine matte, gelbe Scheibe, ist so dunkel, wie eine durch den Rauch gesehene Lampenkuppel. Eine Sonnenfinsternis oder der Weltuntergang scheint sich auf uns herabzusenken. In einer Art Grotte aus geschwärztem Lehm, dem Zimmer der Karawanserei, dringt der Sand durch die Löcher hinein, die als Tür und Fenster dienen, man erstickt, – und trotzdem müssen wir hierbleiben, denn draußen würde es noch schlimmer sein; hier ist der einzig geschützte Platz gegen die glühende, dunkle Wolke, die sich draußen über die weite Einöde lagert.

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