Vierter Teil
Montag, 21. Mai
Morgens bewegt ein frischer Windhauch die Kirschbäume und
drückt die grünen Ähren nieder, das Lager der Satrapen
erwacht, und es beginnen die Vorbereitungen zum Aufbruch,
zuerst springen die schönen Vorreiter mit geschultertem Gewehr
in die Sättel, deren Knöpfe in silbernem oder
perlmutterartigem Glanz erstrahlen, und die mit goldenen
Fransen besetzt, mit Gold bestickt sind. Im Galopp sprengen
die Reiter einzeln davon. Und dann nimmt man die
Staatstkutschen in Angriff, vier Pferde werden vorgespannt,
zwanzig Diener; silbergalonierte Leute, mit hohen Stiefeln und
langen Tuniken, ganz nach der tscherkessischen Mode gekleidet,
sind dabei angestellt.
Der Satrap sitzt vornehm und müde in dem Grase, neben
seinen schönen, jetzt bald zum Aufbruch fertigen Wagen, er
raucht nachlässig seine Kalyan, aus ziseliertem Silber, die
von zwei Dienern gehalten wird. Man spannt sechs Pferde vor
seinen Wagen, vier an die Deichsel und zwei davor, auf denen
die Vorreiter in ihren silbergestickten Gewändern sitzen. Und
sobald der Gebieter alleine in seine prachtvoll ausgestattete
Karosse gestiegen ist, fährt alles im gestreckten Galopp der
Wüste zu, wo der Vortrupp sich schon in der Ferne verliert.
Aber uns interessiert besonders der Harem, der Harem, der
jetzt auch hinter den eifersüchtigen Vorhängen seine
Vorbereitungen trifft; wir hegen die unbestimmte Hoffnung, daß
irgendeine Schöne, dank der Zwanglosigkeit des Lagerlebens,
ihr Gesicht zeigen wird; den kleinen Wald, in dem sie alle
eingeschlossen sind, verhüllen noch immer die undurchsichtigen
Vorhänge, aber man sieht, daß dahinter ein großes Treiben
herrscht, Eunuchen laufen herein und heraus, sie schleppen
Säcke und Schleier, tragen auf goldenen Tellern Leckerbissen
herbei. Augenscheinlich werden die Gefangenen gleich
erscheinen.
Die Sonne steigt höher am Himmel, und ihre Wärme erfüllt
uns mit Wohlbehagen; im weiten Umkreis ist das Gras mit Blumen
besät, man hört das Rauschen der Bäche, man atmet den Duft der
wilden Krauseminze ein, und auf den Bergen glitzert der
Schnee; ea ist angenehm hier zu warten, und deshalb laßt uns
bleiben . . .
Endlich lösen die Vorhänge sich alle zugleich, durch die
gemeinsame Handhabe der Eunuchen, und fallen zu Boden. Ach,
das ist eine große Enttäuschung. Wohl sehen wir die schönen
Frauen, ungefähr zwanzig an der Zahl, aber alle stehen sie
gerade, steif da, von Kopf bis zu Füßen in ihre schwarzen
Schleier gehüllt, das Gesicht bedeckt durch eine Maske:
dieselben ewig gleichen Schatten, denen wir schon überall
begegneten.
Wir wollen aber wenigstens jetzt ihrem Aufbrach beiwohnen,
da wir schon eine volle Stunde verloren haben. Die Frauen, die
die vierspännigen Karossen besteigen, müssen Prinzessinnen
sein, man sieht es an ihren kleinen Füßen, an den kleinen
behandschuhten Händen, an den Edelsteinen, die hinten am Kopf
die weiße Maske zusammenhalten. Die anderen dagegen sind
untergeordnete Gattinnen oder Dienerinnen, sie klettern zu
zweien auf die Rücken der Maultiere, in die mit rotem Tuch
ausgeschlagenen Käfige. Und alle entfernen sich unter Aufsicht
der Eunuchen auf demselben Wege nach der Küste zu, den der
Satrap eingeschlagen hat, und dessen Pferde noch immer dahin
jagen müssen, denn sein Wagen ist nur als schwacher Punkt ganz
hinten in der strahlenden Ferne sichtbar.
Jetzt brechen wir selbst in der entgegengesetzten Richtung
auf. Sofort befinden wir uns mitten in der Einöde, wir folgen
von neuem den Pfaden der Karawanen, die sich in dem Maße, wie
wir vorwärtsdringen, immer mehr mit Schädeln und Gerippen
bedecken, die einem endlosen Friedhof für Maultiere und Kamele
gleichen.
Dort kreuzen wir die verspätete Nachhut des Vezirs:
dieselben bewaffneten Reiter, dieselben roten Tragsessel, in
denen die Frauen gefangen sitzen, sehr große Tragsessel, die
auf zwei zusammengekoppelten Maultieren ruhen, und zu deren
kleinen Fenstern die schönen Reisenden hinausblicken, um uns
vorüberfahren zu sehen; den Schluß bilden eine endlose Reihe
Lasttiere, sie tragen eingelegte oder ziselierte Kästchen,
Ballen, mit wunderbaren Teppichen bedeckt, Kupfergeschirr,
Silbergeschirr, silberne Karaffen, große silberne Teller.
Und dann begegnen wir auf dem harten Lehmboden der Wüste
keinem menschlichen Wesen, bis wir um die Mittagsstunde in
einer traurigen, einsam gelegenen Karawanserei haltmachen, wir
sind umgeben von Skeletten, von Kinnladen und von
Wirbelknochen und finden hier nicht einmal das nötigste Futter
für unsere Pferde.
Nachmittags dehnt sich die Wüste schwärzlich zwischen zwei
Bergketten von derselben Farbe aus, deren Felsen große Brüche
und den Glanz von Steinkohlen zeigen. Und plötzlich glaubt man
den Ozean sich auf unserem Wege unter den seltsam dunklen
Wolken ausbreiten zu sehen: Es sind dies die tief gelegenen
Ebenen (natürlich im Verhältnis zu uns, denn sie liegen noch
tausend Meter über dem Meeresspiegel); und in der Luft erheben
sich gewaltige Staub- und Sandwolken, ein furchtbarer Wind,
der sich jetzt auch uns nähert, hat sie emporgewirbelt.
Gewöhnlich, wenn ein zu steiler Hügel unseren Weg
versperrt, den unser Gespann vielleicht nicht zu erklimmen
vermag, so treibt unser Kutscher seine vier Pferde in wütendem
Lauf vorwärts, er spornt sie durch Rufe an und peitscht mit
beiden Armen auf sie los. Bei den Abstiegen im Gegenteil hält
er sie nach Leibeskräften zurück, aber diesmal stürzen sie wie
zu einem Aufstieg davon, und wir rollen mit einer
schwindelerregenden Geschwindigkeit in die Ebene hinab, der
Wind nimmt uns den Atem, und der Staub brennt in den Augen.
Niemals habe ich wirkliche Wolken so dicht, so schwarz
gesehen, wie es diejenigen sind, die uns jetzt
entgegenfliegen, um uns in ihren dunklen Mantel einzuhüllen.
Hier und dort steigen Sandhosen so kerzengerade wie
Rauchsäulen von der Erde auf, sie scheinen ohne Glanz, ohne
Flamme zu brennen. Die neue Wüste, in die wir so schnell
hinabgefahren sind, ist voller Dunkelheit, voll
Luftspiegelungen, ihre ganze Oberfläche zittert und verändert
sich; es liegt etwas Schreckliches, etwas Furchteinflößendes
in der Luft; übrigens ist der Wind glühend, man kann nicht
mehr atmen; die Sonne verdunkelt sich, man möchte von hier
entfliehen, und auch die Pferde leiden, ein unbestimmter
Schrecken beflügelt ihren Lauf.
Geblendet, den Mund voller Sand, kommen wir unten an, und
da liegt glücklicherweise auch der kleine, einsame Weiler, wo
wir die Nacht verbringen werden, es war Zeit: zehn Schritte
vor uns konnten wir nichts mehr unterscheiden, die Sonne, die
noch hoch am Himmel steht, ist nur eine matte, gelbe Scheibe,
ist so dunkel, wie eine durch den Rauch gesehene Lampenkuppel.
Eine Sonnenfinsternis oder der Weltuntergang scheint sich auf
uns herabzusenken. In einer Art Grotte aus geschwärztem Lehm,
dem Zimmer der Karawanserei, dringt der Sand durch die Löcher
hinein, die als Tür und Fenster dienen, man erstickt, – und
trotzdem müssen wir hierbleiben, denn draußen würde es noch
schlimmer sein; hier ist der einzig geschützte Platz gegen die
glühende, dunkle Wolke, die sich draußen über die weite Einöde
lagert.