Reise durch Persien

Reise durch Persien

1925 n.Chr.

Pierre Loti

Inhaltsverzeichnis

Zweiter Teil

Mittwoch, 2. Mai.

Wahrscheinlich kann heute der Aufbruch stattfinden, denn seit heute morgen werden die Vorbereitungen allen Ernstes betrieben. In der Mittagsstunde stellen sich mir zwei Reiter vor, der Gouverneur schickt sie mir, ihre Pferde haben sie an den Klopfer meiner Tür gebunden, und man hört sie in der Straße stampfen und wiehern. Um ein Uhr wird unser Gepäck von Juden auf dem Rücken durch den kleinen Basar unseres Viertels getragen und auf die Lasttiere geladen.

Es herrscht kein Zweifel mehr: Man legt den Pferden das Geschirr an. Viele Menschen sind außerhalb der Wälle Chiraz' vor den Steinmauern und Erdhaufen herbeigeeilt, um unserer Abreise beizuwohnen, und Bettler scharen sich um uns, sie bieten uns kleine Rosensträuche an und wünschen uns glückliche Reise.

Um zwei Uhr verlassen wir die Stadt auf dem Wege, der sich die »Landstraße von Ispahan« nennt, und der in der Tat während der ersten halben Meile eine ziemlich breite Landstraße ist, dann aber, nachdem wir den Vorstädten, Moscheen, Gärten, den Friedhöfen den Rücken gekehrt haben, sehen wir nur das gewöhnliche Netz schmaler Stege sich vor uns ausbreiten, Stege, wie sie die Karawanen zu treten pflegen.

Wir reiten auf eine Öffnung, einen Ausgang in der die Hochebene Chiraz einschließenden Gebirgskette zu, und kaum liegen die nördlichen Mauern eine Meile hinter uns, so befinden wir uns auch schon in den öden Steppen, außerhalb der grünen Zonen, außerhalb der Oase und der Stadt des Schlafes.

Vor einem Jahrhundert hat der Vezir von Chiraz ein monumentales Tor errichtet, das den Eingang zu dem Hohlweg bildet: einen Triumphbogen, der sich auf die Einsamkeit, auf das Chaos von Steinen, auf die Schrecken der Berge öffnet.

Ehe wir uns hier hineinbegeben, machen wir halt, um rückwärts zu blicken, um dieser Stadt, die für immer verschwindet, Lebewohl zu sagen . . . Und von welcher Schönheit, von welchem Reiz, zeigt sie sich uns zum letztenmal . . . Niemals vor heute abend haben wir sie in einem solchen Überblick, in einer so günstigen Beleuchtung, haben wir sie in diesem alles verzaubernden Licht gesehen. Man könnte sagen, sie sei gewachsen, habe eine andere Gestalt angenommen! Alle diese vielen Lehmhäuser, Lehmwälle, alle die Gegenstände mit ihren weichen, fast formlosen Umrissen, verschmelzen, wachsen, vereinen sich zu einem unbestimmten Ganzen. Und überall nur sieht man den einen grauen, zart rosa überhauchten Ton, die eine Färbung des Morgennebels: Gleich Juwelen strahlen die Kuppeln der unnahbaren Moscheen in der Sonne wieder, deutlich heben sie sich von dem übrigen ab; ihre blauen Fayencen, ihre grünen Fayencen – deren Glanz man heute nicht mehr nachahmen kann –, leuchten zu dieser Stunde in voller Pracht, mit ihren bauchigen Konturen, ihren runden Silhouetten, gleichen sie Rieseneiern aus lebhaftem, aus blassem Türkis, die man, ich weiß nicht, auf ein Nichts, auf dem schieferfarbenen, taubengrauen Umriß einer großen Stadt aufgebaut hat.

Bei einer plötzlichen Senkung des Weges verschwindet dies alles auf Nimmerwiedersehen, und wir befinden uns von neuem einsam in der großen Welt der Steine. Acht Leute, acht Pferde, das ist mein ganzes Gefolge, und wenig erscheint es in dieser Gegend der Wüsten und der Unendlichkeiten . . . Steine, Steine, bis in die Ewigkeit Steine. Über die einsamen Flächen huschen die Schatten einiger kleiner wandernder Wölkchen dahin. Die Gipfel der Umgegend, wo noch kein Gras hat wachsen können, zeigen die Formen, die ihnen irgendein großer geologischer Sturm verlieh; zur Zeit der mineralischen Umwälzungen hat ein Wirbelwind ihre verschiedenen Schichten durcheinander geworfen, in die Höhe getragen, und jetzt heben sie sich überall mit denselben krampfhaften Bewegungen ab, wie sie sie damals annahmen, und wie sie sie bis ans Ende der Welt behalten werden.

Unser Ritt ist langsam und beschwerlich, jeden Augenblick müssen wir absitzen, um die Pferde am Zügel zu führen, denn die Abhänge sind zu steil, die Löcher zu gefährlich.

Abends sehen wir einen schmalen grünen Streifen hervortauchen, es sind die Wiesen einer neuen kleinen Oase, die dort hinten ganz verlassen in diesem Reich von Steinen liegt; sie ernährt ein Dorf. Die kleinen Lehmhäuschen kleben an dem Fuße eines majestätischen Berges und gleichen in der Ferne bescheidenen Schwalbennestern. Es ist Zaragoun, wo wir die Nacht verbringen werden. Wir setzen den ganzen kleinen Basar, durch den wir in der Dämmerung reiten, in Bewegung. Die Zimmer der Karawanserei haben gespaltene Wände, und die Decke ist mit Fledermäusen übersät, und dort schlafen wir ein, gefächelt von einem kühlen Windhauch, eingewiegt von dem nächtlichen Konzert der Frösche, die zu tausenden unter dem Gras in dieser hochgelegenen Oase hausen.

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