Zweiter Teil
Mittwoch, 2. Mai.
Wahrscheinlich kann heute der Aufbruch stattfinden, denn
seit heute morgen werden die Vorbereitungen allen Ernstes
betrieben. In der Mittagsstunde stellen sich mir zwei Reiter
vor, der Gouverneur schickt sie mir, ihre Pferde haben sie an
den Klopfer meiner Tür gebunden, und man hört sie in der
Straße stampfen und wiehern. Um ein Uhr wird unser Gepäck von
Juden auf dem Rücken durch den kleinen Basar unseres Viertels
getragen und auf die Lasttiere geladen.
Es herrscht kein Zweifel mehr: Man legt den Pferden das
Geschirr an. Viele Menschen sind außerhalb der Wälle Chiraz'
vor den Steinmauern und Erdhaufen herbeigeeilt, um unserer
Abreise beizuwohnen, und Bettler scharen sich um uns, sie
bieten uns kleine Rosensträuche an und wünschen uns glückliche
Reise.
Um zwei Uhr verlassen wir die Stadt auf dem Wege, der sich
die »Landstraße von Ispahan« nennt, und der in der Tat während
der ersten halben Meile eine ziemlich breite Landstraße ist,
dann aber, nachdem wir den Vorstädten, Moscheen, Gärten, den
Friedhöfen den Rücken gekehrt haben, sehen wir nur das
gewöhnliche Netz schmaler Stege sich vor uns ausbreiten,
Stege, wie sie die Karawanen zu treten pflegen.
Wir reiten auf eine Öffnung, einen Ausgang in der die
Hochebene Chiraz einschließenden Gebirgskette zu, und kaum
liegen die nördlichen Mauern eine Meile hinter uns, so
befinden wir uns auch schon in den öden Steppen, außerhalb der
grünen Zonen, außerhalb der Oase und der Stadt des Schlafes.
Vor einem Jahrhundert hat der Vezir von Chiraz ein
monumentales Tor errichtet, das den Eingang zu dem Hohlweg
bildet: einen Triumphbogen, der sich auf die Einsamkeit, auf
das Chaos von Steinen, auf die Schrecken der Berge öffnet.
Ehe wir uns hier hineinbegeben, machen wir halt, um
rückwärts zu blicken, um dieser Stadt, die für immer
verschwindet, Lebewohl zu sagen . . . Und von welcher
Schönheit, von welchem Reiz, zeigt sie sich uns zum letztenmal
. . . Niemals vor heute abend haben wir sie in einem solchen
Überblick, in einer so günstigen Beleuchtung, haben wir sie in
diesem alles verzaubernden Licht gesehen. Man könnte sagen,
sie sei gewachsen, habe eine andere Gestalt angenommen! Alle
diese vielen Lehmhäuser, Lehmwälle, alle die Gegenstände mit
ihren weichen, fast formlosen Umrissen, verschmelzen, wachsen,
vereinen sich zu einem unbestimmten Ganzen. Und überall nur
sieht man den einen grauen, zart rosa überhauchten Ton, die
eine Färbung des Morgennebels: Gleich Juwelen strahlen die
Kuppeln der unnahbaren Moscheen in der Sonne wieder, deutlich
heben sie sich von dem übrigen ab; ihre blauen Fayencen, ihre
grünen Fayencen – deren Glanz man heute nicht mehr nachahmen
kann –, leuchten zu dieser Stunde in voller Pracht, mit ihren
bauchigen Konturen, ihren runden Silhouetten, gleichen sie
Rieseneiern aus lebhaftem, aus blassem Türkis, die man, ich
weiß nicht, auf ein Nichts, auf dem schieferfarbenen,
taubengrauen Umriß einer großen Stadt aufgebaut hat.
Bei einer plötzlichen Senkung des Weges verschwindet dies
alles auf Nimmerwiedersehen, und wir befinden uns von neuem
einsam in der großen Welt der Steine. Acht Leute, acht Pferde,
das ist mein ganzes Gefolge, und wenig erscheint es in dieser
Gegend der Wüsten und der Unendlichkeiten . . . Steine,
Steine, bis in die Ewigkeit Steine. Über die einsamen Flächen
huschen die Schatten einiger kleiner wandernder Wölkchen
dahin. Die Gipfel der Umgegend, wo noch kein Gras hat wachsen
können, zeigen die Formen, die ihnen irgendein großer
geologischer Sturm verlieh; zur Zeit der mineralischen
Umwälzungen hat ein Wirbelwind ihre verschiedenen Schichten
durcheinander geworfen, in die Höhe getragen, und jetzt heben
sie sich überall mit denselben krampfhaften Bewegungen ab, wie
sie sie damals annahmen, und wie sie sie bis ans Ende der Welt
behalten werden.
Unser Ritt ist langsam und beschwerlich, jeden Augenblick
müssen wir absitzen, um die Pferde am Zügel zu führen, denn
die Abhänge sind zu steil, die Löcher zu gefährlich.
Abends sehen wir einen schmalen grünen Streifen
hervortauchen, es sind die Wiesen einer neuen kleinen Oase,
die dort hinten ganz verlassen in diesem Reich von Steinen
liegt; sie ernährt ein Dorf. Die kleinen Lehmhäuschen kleben
an dem Fuße eines majestätischen Berges und gleichen in der
Ferne bescheidenen Schwalbennestern. Es ist Zaragoun, wo wir
die Nacht verbringen werden. Wir setzen den ganzen kleinen
Basar, durch den wir in der Dämmerung reiten, in Bewegung. Die
Zimmer der Karawanserei haben gespaltene Wände, und die Decke
ist mit Fledermäusen übersät, und dort schlafen wir ein,
gefächelt von einem kühlen Windhauch, eingewiegt von dem
nächtlichen Konzert der Frösche, die zu tausenden unter dem
Gras in dieser hochgelegenen Oase hausen.