Fünfter Teil
Im Rücken der Stadt der Sultanin Zobéide, die uns so
plötzlich dort oben ihre unzähligen Kuppeln gezeigt hat, und
die einer großen kupferroten Erscheinung gleicht, liegen
diesmal wirkliche Wolken, sie bilden diesen tief schwarzen
Hintergrund; – Wolken, durch die der Blitz immer wieder seine
blasse Zickzacklinie zieht. Das Unwetter, dem wir kaum
entronnen sind, das Unwetter des Staubes und des Sandes, setzt
seinen Weg nach der Wüste zu fort, wir sehen seinen schweren
Schleier, seine dantische Dunkelheit hinter uns am Horizonte
dahinfliehen. Immer mehr klärt es sich auf, immer mehr nehmen
die Umrisse an Bestimmtheit zu, die Gegenstände werden
wirklich, wir durchkreuzen jetzt die Felder der Oase, die
Korn-, die Mohn-, die Reis- und die Baumwollfelder, die
ziemlich unter dem Unwetter gelitten haben. Was die Stadt
anbelangt, so erschien sie auf den ersten Blick hin wunderbar,
aber wir lassen uns nicht mehr täuschen, wie alles andere, so
ist auch sie nur ein Trümmerhaufen. – Es handelt sich jetzt
darum, dort hineinzudringen, und dies ist nicht leicht; für
einen Reiter wäre es schon schwierig, aber für einen
vierspännigen Wagen ist es ein Rätsel; lange müssen wir
suchen, müssen uns für einen Weg entscheiden, müssen diesen
aufgeben und einen neuen einschlagen: Nirgends haben diese
menschlichen Ameisen, die Iraner, in dem Maße überraschend und
eifrig gearbeitet, haben so tief gegraben, wie gerade hier.
Zwischen den Trümmern der vielen Lehmmauern, von denen fast
keine mehr aufrecht steht, die man nie wieder aufbauen wird,
zwischen den Bächen mit ihrem ausgehöhlten, tiefen Bett,
besonders aber zwischen den zahllosen Löchern, aus denen man
die Bauerde genommen hat, und die nun ewig klaffend daliegen
werden, läuft kein einziger Weg, führt kein einziger Pfad.
Eins meiner äußeren Pferde fällt in einen Keller, zieht
beinahe das ganze Gespann und uns selbst mit sich, aber es
bleibt mit seinem Zaumzeug hängen und es gelingt ihm, wieder
hochzuklettern – und schließlich erreichen wir das Tor.
Dumpf grollt der Donner, als wir in die Stadt eindringen,
die dunkel und gewaltig daliegt; Moscheen, Türme,
altertümliche, schwere, vierkantige Pyramiden mit
stufenförmigen Etagen, wie man sie bei einigen indischen
Tempeln sieht, ein kühner Lehmhaufen, der heute inmitten
seines Verfalls noch groß erscheinen will.
Wir fahren über einen Platz, wo ein Derwisch in weißem
Gewande mit einem langen zinnoberrot gefärbten Bart zwanzig
sehr artigen Kindern, die auf Steinen im Kreis um ihn sitzen,
den Koran erklärt.
Wir sehen ein Minarett von wenigstens sechzig Meter Höhe,
groß und einsam steht es da, es ist erschreckend schief, ist
schiefer als der Turm von Pisa (dies ist der Hinrichtungsort
der Ehebrecherinnen; man stürzt sie von oben herab, und zwar
von der sich neigenden Seite, um ihnen den Augenblick, der dem
Fall voraufgeht, um ihnen den leeren Raum, in den sie stürzen
werden, noch schrecklicher erscheinen zu lassen).
Und dann folgen die großen gotischen Spitzbogen und die
Nacht der Basare. Alles, was in Kachan lebt und lärmt, hat
sich hier unter diesen Gewölben zusammengefunden, in diesen
langen, hohen Schiffen, in denen man kaum sehen kann, wo
Hunderte von großen Kamelen, die noch ihr lockiges Winterfell
tragen, den Platz versperren. Um dort durchdringen zu können,
mußten wir unsere beiden äußeren Pferde abspannen, denn wir
nehmen zu viel Raum in der Breite ein, und außerdem machen uns
die zwei Pferde, die wir behalten haben, noch Sorge genug, sie
fürchten sich vor den schreienden Stimmen, sie fürchten sich
vor der Nähe der Kamele; trotz der Anstrengung des Tages sind
sie schwer zu zügeln, sie bewegen sich nur in Sätzen und
Sprüngen vorwärts. Der Donner rollt immer lauter, und als wir
durch den Basar der Kupferschmiede fahren, wo die Arbeiter
ihre letzten Hammerschläge vor Hereinbruch der Nacht mit
doppelter Wucht herabsausen lassen, wird der Lärm so
ohrenbetäubend, daß unsere Tiere scheuen; wir müssen
aussteigen und ausspannen. Und dann sind wir wehrlos gegen die
Kaufleute, die auf uns eindringen, sich unserer Hände
bemächtigen und uns mit sich fortziehen. Nirgends sahen wir so
viele rotgefärbte Bärte, so hohe schwarze Hüte; alle Leute
gleichen Astrologen. Wir mögen wollen oder nicht, wir müssen
ihnen folgen; bald finden wir uns in den fast unterirdischen
Seidenspinnereien wieder, wo die Arbeiter Katzenaugen haben
müssen, wenn sie sehen wollen; bald unter freiem Himmel, auf
einem Hof, dessen rotblühende Granatbäume ein wenig Licht
hindurchfallen lassen, dort packt man zu unseren Füßen die
Schätze Aladins aus, die damascierten Waffen, die
Brokatstoffe, die Schmucksachen, die Edelsteine. Besonders
lange hält man uns bei den Teppichverkäufern gefangen, wir
werden gezwungen, eine Kalyan zu rauchen und eine Tasse Tee zu
trinken, man breitet die unvergleichlichen Gewebe Kachans vor
uns aus, die wie das Gefieder der Kolibris schillern; jeder
Gebetsteppich stellt ein Gebüsch mit zahllosen Vögeln dar,
dessen Äste sich symmetrisch in dem Portal einer Moschee
verzweigen, und immer ist die Farbenzusammenstellung ein
Wunder. Die Preise sind stets zu Anfang übermäßig
hochgeschraubt, wir erheben uns voller Entrüstung und wollen
aufbrechen; dann hält man uns am Ärmel zurück, zündet unsere
Kalyan wieder an, und zwingt uns zum Sitzen. In dieser Weise
geht übrigens stets die Komödie des orientalischen Kaufhandels
vor sich.
Es ist dunkel, als wir endlich die große Karawanserei
erreichen, wo unser Wagen schon angelangt ist; eine ganz
verfallene Karawanserei natürlich, aber von einer solchen
monumentalen Größe, daß kein Basilikaportal sich in der
Ausdehnung mit diesem blauen, von Fayencen bekleideten Eingang
messen kann. Ein alter Mann mit blutrotem Bart führt uns nach
den oberen Zimmerchen, durch die zu dieser Stunde der
Gewittersturm fegt.
Hier kreuzen sich die Wege, die von den westlichen Wüsten
nach Kachan führen, und die Wege, die bis zum Kaspischen Meer
laufen: Ein beständiges Kommen und Gehen von Karawanen
herrscht infolgedessen in dieser Stadt. Als der Tag zur Neige
geht, sehen wir unter uns, durch den Spitzbogen des Portals,
wenigstens zweihundert, in einer langen Reihe aneinander
gebundene Kamele hineinströmen; seltsame Kamele, mit
barbarischer Pracht ausgeschmückt, sie tragen Federbüsche auf
dem Höcker, Hahnenfedern auf der Stirn, Fuchsschwänze an den
Ohren, unechte Halskrausen aus aufgezogenen Muscheln. Die
Kamelreiter, ihre Führer, haben alle flache, typisch
mongolische Gesichter, sie sind mit kleinen, kurzen,
buntgestreiften Röcken bekleidet, und ihre Kopfbedeckung
besteht aus einer riesengroßen Pelzmütze. Dieser ganze Zug
scheint geradeswegs von Djellahadah, aus Afghanistan, zu
kommen, scheint die unendlichen Salzebenen durchquert zu haben
und zieht jetzt, majestätisch und langsam, mit Glockengeläute
hinein. Es sind so viele Tiere, daß es ganz dunkel ist, als
die letzten erscheinen, die beim Licht der Blitze so
unwirklich anzuschauen sind. In einer nahen Moschee singt man
mehrstimmig ein Lied, eintönig wie das Brausen des Meeres. Und
alle Geräusche vereinen sich, um uns in unseren ersten Schlaf
hinüberzutragen: die religiösen Lieder, der Name Allahs, den
man mit süßer Schwermut in den verschiedensten hohen Tönen
singt, das Glockengeläute der Karawanen, das Grollen des sich
entfernenden Donners, das Plätschern des Regens, und die
leisen Klagen des Windes in den Mauerspalten.