Reise durch Persien

Reise durch Persien

1925 n.Chr.

Pierre Loti

Inhaltsverzeichnis

Fünfter Teil

Im Rücken der Stadt der Sultanin Zobéide, die uns so plötzlich dort oben ihre unzähligen Kuppeln gezeigt hat, und die einer großen kupferroten Erscheinung gleicht, liegen diesmal wirkliche Wolken, sie bilden diesen tief schwarzen Hintergrund; – Wolken, durch die der Blitz immer wieder seine blasse Zickzacklinie zieht. Das Unwetter, dem wir kaum entronnen sind, das Unwetter des Staubes und des Sandes, setzt seinen Weg nach der Wüste zu fort, wir sehen seinen schweren Schleier, seine dantische Dunkelheit hinter uns am Horizonte dahinfliehen. Immer mehr klärt es sich auf, immer mehr nehmen die Umrisse an Bestimmtheit zu, die Gegenstände werden wirklich, wir durchkreuzen jetzt die Felder der Oase, die Korn-, die Mohn-, die Reis- und die Baumwollfelder, die ziemlich unter dem Unwetter gelitten haben. Was die Stadt anbelangt, so erschien sie auf den ersten Blick hin wunderbar, aber wir lassen uns nicht mehr täuschen, wie alles andere, so ist auch sie nur ein Trümmerhaufen. – Es handelt sich jetzt darum, dort hineinzudringen, und dies ist nicht leicht; für einen Reiter wäre es schon schwierig, aber für einen vierspännigen Wagen ist es ein Rätsel; lange müssen wir suchen, müssen uns für einen Weg entscheiden, müssen diesen aufgeben und einen neuen einschlagen: Nirgends haben diese menschlichen Ameisen, die Iraner, in dem Maße überraschend und eifrig gearbeitet, haben so tief gegraben, wie gerade hier. Zwischen den Trümmern der vielen Lehmmauern, von denen fast keine mehr aufrecht steht, die man nie wieder aufbauen wird, zwischen den Bächen mit ihrem ausgehöhlten, tiefen Bett, besonders aber zwischen den zahllosen Löchern, aus denen man die Bauerde genommen hat, und die nun ewig klaffend daliegen werden, läuft kein einziger Weg, führt kein einziger Pfad. Eins meiner äußeren Pferde fällt in einen Keller, zieht beinahe das ganze Gespann und uns selbst mit sich, aber es bleibt mit seinem Zaumzeug hängen und es gelingt ihm, wieder hochzuklettern – und schließlich erreichen wir das Tor.

Dumpf grollt der Donner, als wir in die Stadt eindringen, die dunkel und gewaltig daliegt; Moscheen, Türme, altertümliche, schwere, vierkantige Pyramiden mit stufenförmigen Etagen, wie man sie bei einigen indischen Tempeln sieht, ein kühner Lehmhaufen, der heute inmitten seines Verfalls noch groß erscheinen will.

Wir fahren über einen Platz, wo ein Derwisch in weißem Gewande mit einem langen zinnoberrot gefärbten Bart zwanzig sehr artigen Kindern, die auf Steinen im Kreis um ihn sitzen, den Koran erklärt.

Wir sehen ein Minarett von wenigstens sechzig Meter Höhe, groß und einsam steht es da, es ist erschreckend schief, ist schiefer als der Turm von Pisa (dies ist der Hinrichtungsort der Ehebrecherinnen; man stürzt sie von oben herab, und zwar von der sich neigenden Seite, um ihnen den Augenblick, der dem Fall voraufgeht, um ihnen den leeren Raum, in den sie stürzen werden, noch schrecklicher erscheinen zu lassen).

Und dann folgen die großen gotischen Spitzbogen und die Nacht der Basare. Alles, was in Kachan lebt und lärmt, hat sich hier unter diesen Gewölben zusammengefunden, in diesen langen, hohen Schiffen, in denen man kaum sehen kann, wo Hunderte von großen Kamelen, die noch ihr lockiges Winterfell tragen, den Platz versperren. Um dort durchdringen zu können, mußten wir unsere beiden äußeren Pferde abspannen, denn wir nehmen zu viel Raum in der Breite ein, und außerdem machen uns die zwei Pferde, die wir behalten haben, noch Sorge genug, sie fürchten sich vor den schreienden Stimmen, sie fürchten sich vor der Nähe der Kamele; trotz der Anstrengung des Tages sind sie schwer zu zügeln, sie bewegen sich nur in Sätzen und Sprüngen vorwärts. Der Donner rollt immer lauter, und als wir durch den Basar der Kupferschmiede fahren, wo die Arbeiter ihre letzten Hammerschläge vor Hereinbruch der Nacht mit doppelter Wucht herabsausen lassen, wird der Lärm so ohrenbetäubend, daß unsere Tiere scheuen; wir müssen aussteigen und ausspannen. Und dann sind wir wehrlos gegen die Kaufleute, die auf uns eindringen, sich unserer Hände bemächtigen und uns mit sich fortziehen. Nirgends sahen wir so viele rotgefärbte Bärte, so hohe schwarze Hüte; alle Leute gleichen Astrologen. Wir mögen wollen oder nicht, wir müssen ihnen folgen; bald finden wir uns in den fast unterirdischen Seidenspinnereien wieder, wo die Arbeiter Katzenaugen haben müssen, wenn sie sehen wollen; bald unter freiem Himmel, auf einem Hof, dessen rotblühende Granatbäume ein wenig Licht hindurchfallen lassen, dort packt man zu unseren Füßen die Schätze Aladins aus, die damascierten Waffen, die Brokatstoffe, die Schmucksachen, die Edelsteine. Besonders lange hält man uns bei den Teppichverkäufern gefangen, wir werden gezwungen, eine Kalyan zu rauchen und eine Tasse Tee zu trinken, man breitet die unvergleichlichen Gewebe Kachans vor uns aus, die wie das Gefieder der Kolibris schillern; jeder Gebetsteppich stellt ein Gebüsch mit zahllosen Vögeln dar, dessen Äste sich symmetrisch in dem Portal einer Moschee verzweigen, und immer ist die Farbenzusammenstellung ein Wunder. Die Preise sind stets zu Anfang übermäßig hochgeschraubt, wir erheben uns voller Entrüstung und wollen aufbrechen; dann hält man uns am Ärmel zurück, zündet unsere Kalyan wieder an, und zwingt uns zum Sitzen. In dieser Weise geht übrigens stets die Komödie des orientalischen Kaufhandels vor sich.

Es ist dunkel, als wir endlich die große Karawanserei erreichen, wo unser Wagen schon angelangt ist; eine ganz verfallene Karawanserei natürlich, aber von einer solchen monumentalen Größe, daß kein Basilikaportal sich in der Ausdehnung mit diesem blauen, von Fayencen bekleideten Eingang messen kann. Ein alter Mann mit blutrotem Bart führt uns nach den oberen Zimmerchen, durch die zu dieser Stunde der Gewittersturm fegt.

Hier kreuzen sich die Wege, die von den westlichen Wüsten nach Kachan führen, und die Wege, die bis zum Kaspischen Meer laufen: Ein beständiges Kommen und Gehen von Karawanen herrscht infolgedessen in dieser Stadt. Als der Tag zur Neige geht, sehen wir unter uns, durch den Spitzbogen des Portals, wenigstens zweihundert, in einer langen Reihe aneinander gebundene Kamele hineinströmen; seltsame Kamele, mit barbarischer Pracht ausgeschmückt, sie tragen Federbüsche auf dem Höcker, Hahnenfedern auf der Stirn, Fuchsschwänze an den Ohren, unechte Halskrausen aus aufgezogenen Muscheln. Die Kamelreiter, ihre Führer, haben alle flache, typisch mongolische Gesichter, sie sind mit kleinen, kurzen, buntgestreiften Röcken bekleidet, und ihre Kopfbedeckung besteht aus einer riesengroßen Pelzmütze. Dieser ganze Zug scheint geradeswegs von Djellahadah, aus Afghanistan, zu kommen, scheint die unendlichen Salzebenen durchquert zu haben und zieht jetzt, majestätisch und langsam, mit Glockengeläute hinein. Es sind so viele Tiere, daß es ganz dunkel ist, als die letzten erscheinen, die beim Licht der Blitze so unwirklich anzuschauen sind. In einer nahen Moschee singt man mehrstimmig ein Lied, eintönig wie das Brausen des Meeres. Und alle Geräusche vereinen sich, um uns in unseren ersten Schlaf hinüberzutragen: die religiösen Lieder, der Name Allahs, den man mit süßer Schwermut in den verschiedensten hohen Tönen singt, das Glockengeläute der Karawanen, das Grollen des sich entfernenden Donners, das Plätschern des Regens, und die leisen Klagen des Windes in den Mauerspalten.

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