Reise durch Persien

Reise durch Persien

1925 n.Chr.

Pierre Loti

Inhaltsverzeichnis

Dritter Teil

Freitag, 11. Mai

Als wir uns bei Aufgang einer strahlenden Sonne zur Weiterreise rüsten, ist es so kalt, daß die Fingerspitzen erfrieren. Wir befinden uns auf einem Platz, von wo aus man die tausend kleinen rosenroten Lehmkuppeln mit ihren Minaretts und ihren Trümmern, von wo aus man die herben violetten Berge sich im Halbkreis aufreihen sieht.

Die Stadt, die gestern von dem Geschrei, den Klagerufen widerhallte, ruht jetzt in dem frischen Schweigen des Morgens. Ein verzückter Derwisch predigt noch an irgendeiner Straßenecke und bemüht sich, einige Arbeiter, die gefolgt von ihren Eseln, die Hacke über der Schulter, nach dem Felde hinausgehen, heranzuziehen, aber vergebens, niemand bleibt stehen: Jedes zu seiner Zeit, und heute ist das Fest vorüber.

Die schönen Frauen von Koumichah sind wirkliche Frühaufsteher, schon kommen einige sehr elegante zum Vorschein, jede reitet eine weiße Eselin, jede hat rittlings vor sich auf dem Sattel ein Baby, das sie in ihren schwarzen Schleier einhüllt, und das nur seine Nasenspitze dem lustigen Morgenwind zeigt. Es ist Freitag, und man will außerhalb der Stadt, zwischen dem jungen Grün der Gärten, hinter den hohen, alles verbergenden Mauern den Maientau genießen.

Unsere Pferde sind erschöpft, obgleich man ihnen während der ganzen Nacht die Füße gerieben, die Ohren gestrichen hat – was scheinbar das allerstärkendste Mittel ist. Deshalb reiten wir jetzt ganz langsam an den verschlossenen Gärten entlang, deren Lehmmauern an allen Ecken mit kleinen Türmen aus blauer Glasur verziert sind. An der Grenze der Einsamkeiten spiegelt eine sehr heilige Moschee ihre wunderbare Kuppel in einem Teich wider, nach den vielen Lehmgebäuden erscheint sie uns wie ein Stück feiner Juwelenkunst; sie leuchtet in der Sonne mit dem Glanz eines geschliffenen Achats; die Glasur, mit der sie bekleidet ist, zeigt ein Gewirr von blauen Arabesken, durch das sich einige gelbe Blumen mit schwarzen Kelchen hindurchziehen.

Und dann verschwindet plötzlich, hinter einem ausgedörrten Hügel, das große, aus Lehm erbaute Werk, das sich Koumichah nennt. Es verschwindet mit seinen Türmen, seinen fünfzig Minaretts, seinen tausend kleinen, höckerigen Kuppeln; vor uns liegt wieder der leere Raum, der Teppich, mit seinen unendlich vielen, farblosen Blümchen, die wir zermalmen, die noch im Sterben ihre süßen Düfte ausströmen. Wir glaubten, die traurige wohlriechende Wüste für immer verlassen zu haben, aber während unseres sieben- bis achtstündigen Rittes dehnt sie sich eintöniger denn je, unter einer sich steigernden Hitze, mit ihren ewigen Luftspiegelungen vor uns aus.

Hätten wir den Ritt ein wenig beschleunigt, so würden wir noch vor Sonnenuntergang Ispahan erreicht haben; aber es schien uns ein ungünstiger Augenblick, bei Hereinbruch der Nacht in eine Stadt einzuziehen, deren Gastfreundschaft nur zweifelhaft ist, und deshalb beschlossen wir, in einer Karawanserei drei Meilen vor den Mauern abzusteigen.

Luftspiegelungen, Luftspiegelungen wohin man sieht: man könnte glauben, sich in den einsamen Ebenen Arabiens zu befinden. Ein unaufhörliches Zittern bewegt den Horizont, der in stetem Wechsel begriffen ist, beständig neue Formen annimmt. Von verschiedenen Seiten spiegeln sich kleine, wunderbar blaue Seen, Felsen oder Ruinen wider, sie locken uns an, verschwinden alsbald, erscheinen in einer anderen Richtung, und verbergen sich abermals vor uns . . . Eine Karawane mit seltsamen Kamelen schreitet auf uns zu, die Kamele haben zwei Köpfe, aber keine Beine, sie verdoppeln sich in der Mitte wie die Könige und die Königinnen der Kartenspiele . . . In der Nähe gesehen, werden es plötzlich ganz natürliche Tiere, ganz gewöhnliche, brave Kamele, die schon weit hinter uns den Weg nach Chiraz verfolgen. In den verschnürten Ballen, die an ihren Seiten herabhängen, tragen sie Opium; nach dem äußersten Osten wird es geschafft; ein großer Vorrat von Traum und Tod, in den Feldern Persiens hat er als weiße Blume geblüht, jetzt schickt man ihn zu den schlitzäugigen Leuten des himmlischen Reiches.

Gegen Abend, nachdem wir durch die gefurchten Schlünde zwischen den spitzen, schwarzen Bergen, die Beduinenzelten gleichen, hindurchgedrungen sind, erreichen wir ein glücklicheres Persien; überall erscheinen in der Ferne die grünen Flecke der Kornfelder und der Pappeln.

Als Nachtquartier dient uns diesmal aber ein ziemlich wüstes, kleines befestigtes Schloß, das mitten in einem fruchtbaren Landstrich liegt. In der Abendröte der untergehenden Sonne langen wir dort an, und sehen, daß die Karawanserei von ungezählten Warenballen, von einigen hundert knienden Kamelen umgeben ist. Wir haben hier eine jener großen Karawanen vor uns, die, langsamer als Züge der Maultiere oder der Esel, die ganz schweren Frachtladungen befördern und fünfzig bis fünfundfünfzig Tage gebrauchen, um von Teheran nach Chiraz zu gelangen. Wie gewöhnlich bewohnen wir die Ehrenzimmer, oberhalb des spitzbogigen Eingangstores: ein hochgelegener Raum mit Lehmwänden, mit einer Wandelbahn, die über die Dächer, über den krenelierten Rücken des Walles führt. – Ispahan, das Ziel unserer Sehnsucht, liegt nur drei Stunden Weges von hier entfernt, aber der hügelige Boden verbirgt die Stadt vor unseren Augen.

Sobald die Sonne untergegangen ist, gerät die Karawane unter den Mauern in Bewegung, bei dem hellen Mondschein, bei dem Licht der funkelnden Sterne will sie durch die Nacht dahinziehen. Der Wind trägt uns den Moschusgestank der Kamele, ihre lauten Wut- oder Leidensschreie zu, die sie jedesmal dann ausstoßen, wenn man sie beladen will; wir stehen mitten in einer wütenden Menagerie und man versteht nicht mehr sein eigenes Wort.

Das rötlich goldene Licht verschwindet bei Sonnenuntergang vor dem runden Mond, der die Schatten unserer krenelierten Mauern und unserer Türme auf den Erdboden wirft. Allmählich werden die zahllosen Ballen, die verstreut umherlagen, auf die Rücken der Kamele gepackt und verteilt; die Tiere sind jetzt, wo sie stehen, wieder gefügig und bewegen leise ihre Glöckchen. Die Karawane bricht auf.

Die Kamele schreien nicht mehr, und jetzt entfernen sie sich im Gänsemarsch unter dem süßen Klang ihres Glockenspiels. Nach den Ländern des Südens, aus denen wir kommen, kehren sie langsam zurück; alle Spalten, alle Schlünde, die wir überwunden haben, müssen sie durchschreiten. Von einer Etappe zur anderen, von einem Stein zum anderen führt sie der mühsame Weg. Und immer von neuem werden sie wieder aufbrechen, bis sie schließlich zu Boden stürzen und den Geiern zum Opfer fallen. Der Wind trägt uns nicht mehr ihren Gestank, sondern den süßen Duft der Gräser zu. In einer langen Reihe entfernen sie sich, sind jetzt nur noch ein winziges Pünktchen, das sich durch die dunkle Ebene dahinschleppt; der Ton ihrer Glöckchen ist bald verklungen. – Von unseren Mauern herab sehen wir, wie die Burgherren des Mittelalters, in die vor uns liegende Ebene hinein. – Seitdem die Karawane verschwunden ist, kehrt das große Schweigen zu den weiten uns umgebenden Steppen zurück. Alle Zacken unseres kleinen Walles werfen jetzt ihre hellen, bestimmten scharfen Schatten auf den Boden. Unter uns schließt man mit großem Gepolter die eisenbeschlagene Tür, die uns vor nächtlichen Überraschungen schützen soll. Bei dem Lied der Heimchen senkt sich die Nacht immer tiefer auf uns herab, aber sie ist so durchsichtig, daß man unendlich weit, nach allen Seiten hin sehen kann; Von Zeit zu Zeit fühlen wir einen heißen Hauch, der uns den Duft des Quendels und der Königskräuter zuträgt. Und dann streicht unter dem gespenstischen Licht des Mondes ein Frösteln dahin, und plötzlich ist es kalt.

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