Reise durch Persien

Reise durch Persien

1925 n.Chr.

Pierre Loti

Inhaltsverzeichnis

Vierter Teil

Dienstag, 22. Mai

Die Nebel gestern abend, der dumpfe, brennende Sturm müssen ein böser Traum gewesen sein. Beim Erwachen heute morgen ist alles ruhig, die Luft hat ihre tiefe Durchsichtigkeit wiedererlangt, und der Tag bricht strahlend an. Um den Weiler dehnt sich die rosenrote Sandwüste aus; und die Berge, die wir bei unserer Ankunft nicht gesehen hatten, liegen hier ganz in der Nähe und ragen mit ihren weißen Schneegipfeln in den Himmel hinauf.

Unsere heutige Etappe verspricht leicht zu werden, denn die Sandflächen liegen gleich einer ebenen Landstraße vor uns, eine Landstraße, die, fünf bis sechs Meilen breit, sich in unendlicher Länge, zwischen den beiden uns immer noch folgenden Bergketten, erstreckt.

Und die Etappe wird auch kurz sein, höchstens ein Dutzend Meilen; heute abend erreichen wir die große Stadt Kachan; sie wurde einst von der Gemahlin des Kalifen Harun-al-Raschid, der Sultanin Zobéide, gegegründet, von der Sultanin, die uns aus »Tausendundeiner Nacht« bekannt ist.

Den ganzen Vormittag verfolgen wir die mit Knochen besäten Pfade, lautlos rollen wir über den weichen Sand dahin, der hier den gewohnten Lehm- und Steinboden ersetzt. Ein beständiges Zittern, der Vorläufer der Luftspiegelungen, bewegt die überhitzte Ferne; oben heben die Gipfel sich mit wunderbarer Klarheit, mit einer herrlichen Farbenpracht von dem Himmel ab, während auf der Erde, über dem Sand, der unter unseren Wagenrädern einsinkt, alles Unbestimmtheit, alles Flimmern ist. Und gegen Mittag beginnen die anmutigen Luftspiegelungen um uns herum, von denen wir uns jetzt aber nicht mehr täuschen lassen, beginnt das Versteckspiel der kleinen blauen Seen, die hier, die dort auftauchen, die verschwinden, an anderer Stelle erscheinen, um wieder zurückzukehren . . .

Aber gegen Abend erhebt sich wie gestern ein Wind, und sofort fliegt der Sand auf; die Kämme der uns umgebenden Dünen scheinen zu rauchen. Staubwolken, Staubhosen bilden sich, die Sonne leuchtet gelblich und erblaßt; von neuem herrscht unter dem schreckeneinflößenden Himmel eine Sonnenfinsternis.

Man befindet sich auf einem ausgestorbenen Planeten, der nur den Schatten einer Sonne kennt; der Gesichtskreis hat sich mit einer erschreckenden Geschwindigkeit verkleinert; zwei Schritte vor uns liegt alles in einem gelben Nebel gebadet, kaum unterscheidet man die Mähnen der Pferde, die der Wind wie Furienhaare zerzaust. Man erkennt die Pfade nicht wieder, man ist geblendet, man erstickt . . .

– Ich sehe nichts, ich sehe Kachan nicht, – ruft uns der Kutscher zu, der den Kopf verloren hat, und dessen Mund sich bei diesen drei Worten ganz mit Sand füllt.

Wir glauben gern, daß er Kachan nicht findet, schon vor dem Sturm sah das Auge ja nichts als die Wüste . . . Das Gespann hält an. Wer sagt uns, wo wir sind, und was soll daraus werden?

Dies muß eine Halluzination sein: wir glauben das Läuten von Kirchenglocken zu vernehmen, von großen Glocken, zahllosen Glocken, die sich uns immer mehr nähern . . . bis sie unmittelbar vor uns ertönen . . . Und plötzlich taucht ein Kamel auf, es streift uns fast, ein phantastisch aussehendes Tier, dessen Umrisse im Nebel verschwimmen. An seinen Seiten schaukeln Kupfergefäße, sie schlagen mit dem Lärm einer großen Glocke aneinander. Ein zweites folgt, gebunden an den Schwanz des ersten, und dann drei, und dann fünfzig, und dann hundert; alle sind mit Schalen, mit Gefäßen, mit Krügen, mit vielgeformten, kupferroten Sachen beladen, die einen Höllenlärm verursachen, Kachan ist im wahrsten Sinne des Wortes die Stadt der Kupferarbeiter, sie versorgt die Provinz und die Nomaden mit den Wirtschaftsgeräten, die in ihren Basaren gehämmert werden; täglich befrachtet sie ähnliche Karawanen, und diese machen sich noch von weitem im ganzen Umkreis der großen Einöde hörbar.

– Wo ist Kachan? fragt unser Kutscher eine menschliche Erscheinung, die einen Augenblick auf dem Rücken eines Kamels über einem Haufen von Trinkgefäßen sichtbar wird.

– Gerade vor euch, kaum eine Stunde von hier, antwortet der Unbekannte mit erstickter Stimme, denn sein Gesicht verhüllt ein Schleier zum Schutz gegen den vielen Sand, den man hier schluckt. Er verschwindet vor unseren Augen in dem trockenen Nebel.

Gerade vor uns . . . Drum laßt uns auf die Pferde lospeitschen, damit sie wenn möglich vorwärtslaufen, laßt uns versuchen die Stadt zu erreichen. Übrigens legt sich das Unwetter, der Wind flaut ab, es ist weniger dunkel; auf der Erde liegen Knochen, wir müssen uns auf richtiger Fährte befinden.

Noch eine halbe Stunde fahren wir auf gut Glück darauf los. Und dann erscheint plötzlich ein helles Licht, erscheint plötzlich die Stadt der Sultanin Zobéide, viel höher als wir sie suchten: die Kuppeln, die Minaretts, die Türme. Die Stadt ist uns nahe und erscheint doch so fern, denn ihre Linien sind ganz verschwommen. Noch eingehüllt in den Nebel, vor einem schwarzen Himmel, beleuchtet von der untergehenden Sonne, erhebt sie sich, und rot leuchtet sie auf, die alte Stadt aus Lehm, rot wie jene Kupfergefäße, die vor kurzem so viel Lärm um sich verbreiteten. Und auf der Spitze jedes Minaretts, auf der Spitze jeder Kuppel sitzt sehr gravitätisch ein Storch, ein Storch, den Nebel und Sand vergrößert haben, und der in unseren Augen den Umfang eines Riesenvogels annimmt.

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