Vorwort zur Neuausgabe
nebst einigen
Bemerkungen über die Weltanschauung Dschelal ed din Rumis, wie
sie sich aus seinen Werken ergibt.
Die Mystik
ist die Alchemie der Religion. Wie die Alchemie nach der
Formel suchte, um Gold zu bereiten, so suchte zu gleicher Zeit
die Menschheit des Mittelalters nach einer einfachen Formel,
einer sicheren Methode zur Erlangung des Seelenheils. Bei
beiden handelte es sich darum, hinter den Schleier des
Geheimnisses zu kommen, der das ersehnte Ziel verbarg. Die
Alchimisten haben kein Gold bereitet, aber ihr Suchen ist doch
nicht vergeblich gewesen. Es hat zu den wichtigsten
Entdeckungen und Erfindungen und schließlich zur Begründung
derjenigen Wissenschaft geführt, welche vielleicht von allen
noch am ehesten dazu berufen ist, einen tiefen Blick in das
Wesen der Dinge außer uns, ja vielleicht in die Frage nach dem
Ursprung und dem Wesen des Lebens selbst zu tun. Anders die
Mystik: Ihre Ziele waren nicht greifbare. Ob sie erreicht
waren oder nicht, das entschied nicht ein objektiver Befund,
sondern lediglich der subjektive Seelenzustand des Suchenden.
Wer in religiöse Verzückung gerät, der hat die Vereinigung mit
Gott erlangt. Sein Glaube hat ihm geholfen. Der Weg war sein
Ziel. Subjektiv Erlebtes ist für das Subjekt Wahrheit. Einen
Beweis dafür ist man niemanden schuldig. Nur wenn man andere
an dem selbst erlebten teilnehmen lassen will, dann muss man
eine Methode, einen Weg haben, auf dem die anderen zu
demselben Ziele gelangen können. Das Bedürfnis einzelner
Erleuchteter, die selbstempfundenen Heilswohltaten den
Mitmenschen zugänglich zu machen, hat im Christentum zur
Entstehung der Sekten, im Muhammedanismus zur Begründung
zahlloser „Richtungen“ und schließlich zur Stiftung der
verschiedenen Derwischorden geführt. Und diese haben sich
wieder, je nach der Auffassung der einzelnen Pire oder
geistlichen Führer, die ihre Methode (tariqät) Geltung zu
verschaffen mussten, weiter verzweigt und verästelt. In
Persien haben aber all diese Richtungen, die unter dem Namen
Sufismus zusammengefasst werden, dabei doch etwas Gemeinsames.
Sie haben die Form der Dichtung angenommen und erfüllten vom
zehnten Jahrhundert an immer mehr die ganze poetische
Literatur, so sehr, dass man wohl ohne Übertreibung sagen
kann, dass nunmehr jeder Dichter Mystiker war und fast jedes
Dichterwerk mehr oder minder mystisch gefärbt erschient oder
gedeutet werden kann. In dieser Literatur nun hat der Sufismus
der Welt einen kostbaren und unerschöpflichen Schatz von
Kunstwerken ersten Rangen beschert. Auf dem Boden keines
anderen Landes hat die Mystik so schöne und reiche Blüten
gezeigt, wie auf dem Persiens. Aus ihm hat seit Goethe die
deutsche Literatur in reichem Maße geschöpft und sich um neue
Gedanken und Kunstformen bereichert, so mangelhaft und oft
irreleitend zuerst die Übersetzungen von von persischen
Dichtwerken, so unvollkommen anfangs unsere Kenntnisse der
orientalischen Philosophie auch waren. Selten hat, wie dies
bei Rückert der Fall war, einem Dichter auch eine gründliche,
wissenschaftlich-orientalische Sprach- und Sachkenntnis zur
Verfügung gestanden. Vielfach hat dichterische Begabung sich
über die Tiefe der Gedankenwelt hinweggesetzt und uns mit
geschickter Benutzung orientalischer Formen und
Ausdrucksweisen nur die Schale gegeben, nicht den Kern
erschlossen. Und andererseits ist es auch unter den wirklichen
Gelehrten nur wenigen gegeben – und wenige haben auch das
Bedürfnis dazu empfunden - , das Schöne in den ihnen
zugänglichen Literaturen in gemeinverständlicher und
künstlerischer Form wiederzugeben.
In dem
vorliegenden Werke hatte sich Georg Rosen diese Aufgabe
gestellt. Er wollte das größte und bedeutendste Erzeugnis der
persischen Mystik, ein Werk, das fast dem Koran gleich
geachtet, noch heute, nach siebenhundert Jahren, die
Gedankenwelt des Islam vom Adriatischen Meer bis zum
Bengalischen Meerbusen, von Turkistan bis Jemen mehr oder
minder beherrscht, bei möglichster Wiedergabe der
dichterischen Form der gebildeten deutschen Leserwelt
zugänglich und verständlich zu machen. Dass Georg Rosens
Mesnevi-Übersetzung diese Aufgabe nur in beschränktem Maße
gelöst, lag wohl weniger an dem Werke selbst, als in äußeren
Umständen. Die vermutlich kleine Auflage des Jahres 1849 war
bald vergriffen, und zu einer Neuauflage fehlte es wohl dem
Verleger an Initiative und dem Autor an Ermutigung, zumal ihn
neuere und größere Aufgaben ganz in Anspruch nahmen. So ist
das Buch eine Seltenheit in den Gelehrten-Bibliotheken
geworden und fast auf dem Spezialgebiete der Mystik ed dins
scheinen es nicht zu kennen.
Es muss aber
doch schmerzlich bedauert werden, dass ein Werk von so
gediegender wissenschaftlicher Gründlichkeit und eine deutsche
Übersetzung von so vollendeter dichterischer Form eines so
bedeutenden Literaturdenkmals verloren gehen sollte.
Der Verlag
von Georg Müller in München und Leipzig hat sich nun die
schöne Aufgabe gestellt, den Geist des Orients in guten
Übertragungen nicht allein dem Fachgelehrten, sondern dem
ganzen gebildeten Deutschland zugänglich zu machen, und hat
mich aufgefordert, zu einer Neuauflage der Mesnevi-Übersetzung
meines Vaters die Hand zu leihen. Als ich diese Aufgabe
übernahm, glaubte ich anfangs, das Werk einer Umarbeitung
unterziehen zu müssen. Aber bei näherer Prüfung der seitdem
erschienenen Literatur finde ich, dass wesentlich neue
Gesichtspunkte zur Erklärung des Textes kaum zutage getreten
sind. Die beiden Quellen, aus denen Georg Rosen geschöpft
hatte, die orientalischen Kommentatoren und der noch im Orient
lebendige Sufismus, sind mehr oder minder auch die Quellen
seiner Nachfolger gewesen, nur dass ihm in dem Konstantinopel
der vierziger Jahre des vorigen Jahrhunderts die letztere
Quelle noch unmittelbar geflossen ist. Auch über den
Lebensgang des Dichters ist historisch Verbürgtes von Belang
nicht hinzugetreten. So habe ich denn schließlich bis auf
wenige Kleinigkeiten das Wer in seiner ursprünglichen Form
gelassen und zweifle nicht daran, dass es als eine
wissenschaftlich zuverlässige Erklärung und dabei in der Form
künstlerischer Übertragung der Gedanken des „größten Mystikers
des Morgenlandes und zugleich des größten pantheistischen
Dichters aller Zeiten“ eine freundliche Aufnahme
finden wird. Wenn etwas wissenschaftlich Neues über die Mystik
Dschelal ed dins gesagt werden sollte, so könnte dies wohl nur
dem Gesichtspunkt der allgemeinen Kenntnis der Philosophie und
der Religionsgedichte des Orients geschehen. Hier ist ein
Feld, das seit dem ersten Erscheinen von Georg Rosens
Mesnevi-Übersetzung fleißig bebaut worden ist und schöne
Früchte getragen hat. Auf philosophischem Gebiet hat besonders
Dieterich unsere Kenntnis der Gedankenwelt des Orients
vertieft. Aber wie wenigen unter den Philosophen ist es
vergönnt, die schwierigen orientalischen Texte zu lesen und zu
verwerten! - Und ähnlich ist es auf dem verwandten Gebiete der
Religionsgeschichte. Unter den Vertretern dieser neuen
Wissenschaft herrscht naturgemäß das Theologische über das
Orientalistische vor. Wenn auch sehr erfreulicherweise eine
der größten neueren Autoritäten auf diesem Gebiete da selbst
aus dem persischen Urtext Geschöpfe in künstlerischer
Gestaltung wiederzugeben in der Lage ist, so
bleiben doch noch große Schätze infolge der sprachlichen und
sachlichen Schwierigkeiten ungehoben. Dabei hat sich indessen
das allgemeine Interesse der Erforschung der Mystik in einem
so hohen Maße zugewendet, dass es näheren Kenntnis der Poesien
und der Philosophie Dschelal ed dins nicht mehr entraten kann.
Wenn ich es nun unternehme, hier eine kurze Skizze der
philosophieschen Ideen des Mewlana anzufügen, so muss ich
gleich bemerken, dass diese nicht den Anspruch erhebt, ein
erschöpfendes Bild seines Systems zu geben. Dazu fehlt es mir
vor allem an der nötigen Muße. Sie ist vielmehr ein
Niederschlag dessen, was ich in früheren Wanderjahren im
Orient durch Vertiefung in die Werke Dschelal ed dins und
anderer ähnlichen Dichter und nicht minder durch langjährigen
Verkehr mit vielen dem großen Mystiker verwandten Seelen
gewonnen hatte. Insbesondere verdanke ich dem Derwischorden,
der Sefi Ali Schahi in Teheran, seinem Gründer Hadschi Mirza
Hassan und besonders seinem jetzigen Oberhaupte Zehir ed Doule
– mit der Derwischtitel Sefi Ali Schah – desgleichen de
Prinzen 'Imad ed Doule und dem um ihn gescharten Kreis, ferner
Gr. Er. Hadschi Mirza Mahmud Khan Kadschar (zurzeit persichem
Botschafter in Konstantinopel) und endlich Gr. Er. Mirza Ali
Muhammad Khan Muaddil es Saltane aus Schiras die mannigfachste
Förderung und Belehrung. In den Kreisen der Gebildeten
herrschte damals in Persien der Sufismus vor, und mit Stolz
nahmen gerade die Höchstgestellten das Derwischtum für sich in
Anspruch.
„Das Sufitum
liegt nicht im wollnen Rocke; kleide
Dich wie du willst, es gibt auch Derwische in Seide.“
Dank den
vielfachen Anregungen und Aufschlüssen, die ich bei meinem
langjährigen Aufenthalte in Persien im Kreise dieser Männer
gewonnen hatte, konnten mir die an sich oft abstrusen Ideen
der Philosophie des Orients zur lebendigen Wirklichkeit
werden, und so darf ich hoffen, dass der Leser aus dieser
Skizze doch einen gewissen Einblick in die eigenartige
Ideenwelt unseres Mystikers gewinnen wird, wie er ihn
vielleicht aus der bloßen Bücherweisheit allein nicht hätte
schöpfen können. Unser Titelbild stellt eine Szene dar, wie
der Murschid (geistliche Führer) unsres Mewlana, dessen
kostbare Manuskripte ins Wasser wirft. Er wollte ihm damit
zeigen, dass nicht Bücher, sondern die Nachfolge auf dem
richtigen Wege das ist, was den Jünger leiten sollte.
„Der
Schreibrohrs schwarzer Spur folgt der Gelehrte,
Der Sufi folgt allein des Meisters Fährte.“
Ich will
versuchen, den Leser „auf des Meisters Fährte“ zu seinem
Verständnis zu führen, und will, soweit wie möglich, in seinen
eigenen Worten ein Bild von der Weltanschauung geben, die
seiner Philosophie als Grundlage dient. Ich will in dieser
kurzen Skizze auf literarische Hinweise verzichten. Für
diejenigen aber, welche sich eingehender mit dem Gegenstande
beschäftigen wollen, gebe ich am Schluss ein Verzeichnis der
neueren, d.h. nach 1850 erschienenen, bemerkenswerten Werke,
die für Dschelal ed din und seine Philosophie besonders in
Betracht kommen.