Gleichnis von Salomo und den
Vögeln 555
Den Salomo
begrüßten einst, den Weisen,
Die Vögel allesamt auf seinen Reisen.
Den trauten
Kenner ihrer Zungen, ihn
Zu sehn, war
aller eifriges Bemühn.
Entsagend dem
Gekos’ und Zwitschern jeder,
Sprach mit
dem König in beredter Red’ er.
Denn
Sprachgenossen sind wie Anverwandte,
Nur Fremde sind bei Fremden wie Verbannte;
Doch oft sind Türk und Inder Sprachgenossen,
Oft wird der
Türk vom Türken abgestoßen.
Denn ihre
eigne Red’ die Lieb’ erfand, -
Besser als
Sprachverband ist Geistverband;
Entsteigen
doch dem Herzen tausendfache
Dolmetscher ohne Wink und Schrift und Sprache!
Und jeder Vogel zeigte sich beflissen,
Sein tief
geheimes Können und sein Wissen
Vor Salomo,
dem König, aufzuweisen
Und zur
Empfehlung selber sich zu preisen;
Doch nicht um
stolz sich selbst zu überheben,
Zutritt zum
König war ihr einzig Streben.
Denn wünscht der Sklav’ sich einen Herrn, so weist er
Ihn hin auf
jede Kunst, in der er Meister;
Doch schämt er des sich, der zu kaufen kam,
So stellt er
sich ohnmächtig, taub und lahm.
Als es nun auch den Wiedehopf traf, sein Können
Und seine
Einsicht vor dem Schah zu nennen,
Sprach er:
„Von einer Kunst nur will ich künden,
Denn kurze
Worte, heißt es, Beifall finden.“
Der König
sprach: „Und diese ist? Sag’ an!“
Er Sprach:
„Befahr’ ich hoch der Wolken Bahn,
dann schau’
ich sichern Auges aus den Lüften
des Wasser Schätze in der Erde Klüften,
Ich sehe
seine Tiefe, seine Reine,
Ob es der
Erd’ entquillt, ob dem Gesteine.
Drum lass, o
König, mich auf deinen Zügen
Der
Lagerstellen wegen mit dir fliegen!“ –
„Wohl,“
sprach der König, „magst du mich begleiten
Und in den
Wüsten mich zum Wasser leiten!
Du sollst der
Schenke sein auf meinen Reisen
Und meinem
Heere stets die Quellen weisen.“ –
Da sprach zum
großen König neidbetört
Die Krähe
rasch: „Wie ist dies Wort verkehrt!
Hier, wo
unschicklich ist der Reden jede,
Vor Salomo
ein solches Truggerede!
Wär’ diese
Klarheit in des Wiedehopf Blicken,
Wie könnte da
das Netz ihn je berücken?
Doch in dem
Garne wird auch er gefangen,
Und lässt im
Käfig dann die Flügel hangen.“
Der König
sprach: „O Hudhud, trübt in Wahrheit
Dergleichen
Hefe deines Bechers Klarheit?
Wer
Wolkenkrank genoss, ist doch nicht trunken!
Denkst du mit
Truggeschwätz vor mir zu prunken?“
Er sprach:
„Um Gott“ o König, traue nicht
Dem Wort, das
gegen mich der Neider spricht.
Wenn unwahr
ist, was ich gesagt, ich könn’ es, -
Hier ist mein
Haupt, von meinem Rumpfe trenn’ es.
Ungläubig
nenn’ ich sie, die kluge Krähe,
Wenn sie das Unglück leugnen will, das jähe.
Wohl seh’ ich
in der Luft das Netz, wenn nicht
Das Unglück
dunkel macht mein Augenlicht.“
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O selig, wer das Bessere sich erwählend
Dem Trotz entsagt, der Gnade sich befehlend.
Denn ob das
Schicksal dich in Trauer kleide,
Doch kleidet
es auch wieder dich in Freude;
Und ob es
hundertmal dir droh’ den Tod,
Doch sendet
dir’s auch Heilung in der Not;
Und lenkt es
hundertmal dich ab vom Pfade,
Doch führt es
dich zuletzt zum Thron der Gnade.
Denn Gott
ist’s, der erbarmend Angst dir sendet,
Durch Angst zum Heimatsitz der Ruh’ dich wendet! –
Doch es ist spät! Drum sammle dein Seele,
Zu hören, was
ich weiter dir erzähle.
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Als sie dem Brunnen nahten, sah der Leu,
Wie sein
genoss zurückblieb bang und scheu;
Er sprach:
„Was wendest, Hase, du den Blick?
Tritt vor und
zieh’ nicht deinen Fuß zurück.“
Der Hase
sprach: „Was redest du? Mit beben
Die Glieder
all’, mein Herz ist ohne Leben!
Siehst du
nicht gelb und bleib mein Angesicht?
Zeugt vor von
meiner Angst die Farbe nicht?
Was mich betraf, es ist das Lähmende,
Das Kraft und
Selbstbewusstsein Nehmende,
das jeden,
den es trifft, Zerstörende,
Den Baum
Entwurzelnde, Verheerende;
Was mich
betraf, ist, was den Tod der ganzen
Schöpfung du
nennst, der Steine, Tier’ und Pflanzen.
Denn bald ist dankerfüllt das All, bald leidend,
Im
Feuerglanze auf die Sonne steigt,
Doch trauernd
bald ihr Haupt sie niederneigt.
Und manches
Sternlein glüht am Himmelzelt,
Das plötzlich
dann verbrennt und niederfällt.
Der schöner
als die Sterne strahlt, der milde
Vollmond, er
schwindet hin zum Traumgebilde.
Die Erde
selbst, die fromm und schweigsam ruht,
Sie zuckt zusammen, wie in Fieberglut.
Die Luft, dem
Lebenshauch so eng verbunden,
Wird in der
Heimsuchung als Pest befunden.
Die süße
Flut, ob mit dem Lebenshauche
Verschwistert, wird getrübt und schal im Schlauche.
Und hebt sich
auch die Flamme stolz und kühn,
Stirb!
Spricht der Wind, und schau’, sie sinkt dahin.
Wenn Leid und Weh das Ganze so erfassen,
Soll da der
Teil nicht beben und erblassen?
Und gar ein
Teil, drin jene Gegner, Wind
Und Glut und Erd’ und Flut, verbunden sind?
Der
Gegensätze Einheit ist das Leben,
Er ist der
Tod ihr Zwist und Widerstreben.
Doch wie um
Löwen und Gazellen, wand
Gott um den
Gegensatz der Eintracht Band.“ –
So tat der
Hase seines Zauderns Grund
Mit manchem
weisen Wort dem Löwen kund.
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Der Leu sprach: „Aber sag’, weshalb dir bangte,
denn dies
ist, was zu wissen ich verlangte.“
Er sprach:
„In diesem Brunn haust jener Leu;
Der Brunn ist seine Burg, sein Sorgenfrei.“
Der Leu
sprach: „Nun, so schau und sage mir,
Ob jetzt er
drin, mich drängt die Kampfbegier.“
Er sprach:
„Mich brennt das Feuer seiner Wut;
Lass weilen
mich bei dir in sichrer Hut!
Vor jenem
Brunn die Augen aufzuschlagen
Kann ich, o
Leu, in deinem Arm nur wagen.“
Drauf nahm der Leu ihn zu sich und sie liefen
Selbander
nach dem Brunnen hin, dem tiefen.
Und als sie
nieder schauten auf den Quell,
da glänzte
drin ihr Bildnis klar und hell.
Der Leu sah
in dem Brunn sein eigen Bild,
- Das feiste
Häslein und den Löwen wild –
Sah seinen
Feind und ließ den Hasen los
Und sprang
hinunter in der wellen Schoß.
So fiel er in
den selbstgegrabnen Bronnen,
Von seines
eignen Unrechts Garn umsponnen!
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Erlöst vom Löwen, lief der Has’ alsbald
Zum Wild hin
auf den Rasenplatz im Wald,
Lief hin zur
Flur und schlug ein Rad vor Freude,
Dass in dem
Brunn der Leu in Not und Leide;
Die Hände
klatscht’ er froh, dem Tod entronnen,
Und tanzte,
wie das Laub in Lenzeswonnen.
Denn wenn der
Knosfenhaft das Laub entstiegen,
Um auf des
Baumes Wipfel sich zu wiegen,
dann singt
den dank für seines Schöpfers Güte
Besonders
jedes Blatt und jede Blüte,
dass
Lebenssaft Gott in den Keim gegossen.
Auch wenn der
Geist, der an den Staubt gebunden,
Erlösung aus
des Staubes Haft gefunden,
schwebt froh
zur reinen Lieb’ er auf im Tanze,
Dem Vollmond
gleich an fleckenlosem Glanze.
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Hin lief zum Wald und rief aus lautem Munde
Der
Löwensieger: „Hört die frohe Kunde!
Die frohe
Botschaft hört, ihr muntern Scharen!
Zur Höll’ ist
jener Höllenhund gefahren!
Vernehmt mein
freudig Wort: es ist den Schlägen
Des Zornes
Gottes unser Feind erlegen!
Ihn, dessen
Klau’ uns mordete, den Bösen,
Hat weggefegt
wie Spreu des Todes Besen!“ –
Und es versammelten alsbald die Tiere
Vor Freude
hüpfend sich im Waldreviere;
Gleich einer
Kerze stand in ihrem Kreis er,
Sie aber
sprachen tief verneigt: „O Weiser!
Du bist ein
Engel, eine Fee! Doch nein,
Du bist der
Asrael des grimmen Leun!
Sei was du
willst! Dir weihn wir unser Leben,
Du hobst die
Hand, und ihr ward Sieg gegeben!
Auf deinen
Quell troff Gottes Gnadenregen,
Drum deinem
Arm und deiner Hand sei Segen!
Doch sage,
wie den Löwen du betörtest,
Durch welche
List du ihn zu Boden kehrtest?
Balsam ist
deine Red’ uns, drum erzähle,
Erzähle und
erquicke unsre Seele!
Erzähle, denn
mit hunderttausend Plagen
Hat jenes
Argen Frevel und geschlagen!“ –
Er sprach:
„Gott ist’s, der Beistand mir verliehn,
Denn was
vermag ein Häslein ohne ihn!
Er gab die
Kraft, Er gab mir den Verstand,
Durch des
Verstandes Licht ward stark die Hand.
Von Gott
stammt ja die Kraft, durch die wir siegen,
Von Gott der
Wechsel auch, dem wir erliegen.
Es wird im
Wechsel dem, des Auge klar,
Der Beistand
Gottes allzeit offenbar.“