Mesnevi

Mesnevi

Dschalaleddin Rumi

Aus dem Persischen übertragen von Georg Rosen

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Gleichnis von Salomo und den Vögeln 555

Den Salomo begrüßten einst, den Weisen,
Die Vögel allesamt auf seinen Reisen.
Den trauten Kenner ihrer Zungen,  ihn
Zu sehn, war aller eifriges Bemühn.
Entsagend dem Gekos’ und Zwitschern jeder,
Sprach mit dem König in beredter Red’ er.
Denn Sprachgenossen sind wie Anverwandte,
Nur Fremde sind bei Fremden wie Verbannte;
Doch oft sind Türk und Inder Sprachgenossen,
Oft wird der Türk vom Türken abgestoßen.
Denn ihre eigne Red’ die Lieb’ erfand, -
Besser als Sprachverband ist Geistverband;
Entsteigen doch dem Herzen tausendfache
Dolmetscher ohne Wink und Schrift und Sprache!

Und jeder Vogel zeigte sich beflissen,
Sein tief geheimes Können und sein Wissen
Vor Salomo, dem König, aufzuweisen
Und zur Empfehlung selber sich zu preisen;
Doch nicht um stolz sich selbst zu überheben,
Zutritt zum König war ihr einzig Streben.

Denn wünscht der Sklav’ sich einen Herrn, so weist er
Ihn hin auf jede Kunst, in der er Meister;
Doch schämt er des sich, der zu kaufen kam,
So stellt er sich ohnmächtig, taub und lahm.

Als es nun auch den Wiedehopf traf, sein Können
Und seine Einsicht vor dem Schah zu nennen,
Sprach er: „Von einer Kunst nur will ich künden,
Denn kurze Worte, heißt es, Beifall finden.“
Der König sprach: „Und diese ist? Sag’ an!“
Er Sprach: „Befahr’ ich hoch der Wolken Bahn,
dann schau’ ich sichern Auges aus den Lüften
des Wasser Schätze in der Erde Klüften,
Ich sehe seine Tiefe, seine Reine,
Ob es der Erd’ entquillt, ob dem Gesteine.
Drum lass, o König, mich auf deinen Zügen
Der Lagerstellen wegen mit dir fliegen!“ –
„Wohl,“ sprach der König, „magst du mich begleiten
Und in den Wüsten mich zum Wasser leiten!
Du sollst der Schenke sein auf meinen Reisen
Und meinem Heere stets die Quellen weisen.“ –
Da sprach zum großen König neidbetört
Die Krähe rasch: „Wie ist dies Wort verkehrt!
Hier, wo unschicklich ist der Reden jede,
Vor Salomo ein solches Truggerede!
Wär’ diese Klarheit in des Wiedehopf Blicken,
Wie könnte da das Netz ihn je berücken?
Doch in dem Garne wird auch er gefangen,
Und lässt im Käfig dann die Flügel hangen.“
Der König sprach: „O Hudhud, trübt in Wahrheit
Dergleichen Hefe deines Bechers Klarheit?
Wer Wolkenkrank genoss, ist doch nicht trunken!
Denkst du mit Truggeschwätz vor mir zu prunken?“
Er sprach: „Um Gott“ o König, traue nicht
Dem Wort, das gegen mich der Neider spricht.
Wenn unwahr ist, was ich gesagt, ich könn’ es, -
Hier ist mein Haupt, von meinem Rumpfe trenn’ es.
Ungläubig nenn’ ich sie, die kluge Krähe,
Wenn sie das Unglück leugnen will, das jähe.
Wohl seh’ ich in der Luft das Netz, wenn nicht
Das Unglück dunkel macht mein Augenlicht.“

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O selig, wer das Bessere sich erwählend
Dem Trotz entsagt, der Gnade sich befehlend.
Denn ob das Schicksal dich in Trauer kleide,
Doch kleidet es auch wieder dich in Freude;
Und ob es hundertmal dir droh’ den Tod,
Doch sendet dir’s auch Heilung in der Not;
Und lenkt es hundertmal dich ab vom Pfade,
Doch führt es dich zuletzt zum Thron der Gnade.
Denn Gott ist’s, der erbarmend Angst dir sendet,
Durch Angst zum Heimatsitz der Ruh’ dich wendet! –
Doch es ist spät! Drum sammle dein Seele,
Zu hören, was ich weiter dir erzähle.

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Als sie dem Brunnen nahten, sah der Leu,
Wie sein genoss zurückblieb bang und scheu;
Er sprach: „Was wendest, Hase, du den Blick?
Tritt vor und zieh’ nicht deinen Fuß zurück.“
Der Hase sprach: „Was redest du? Mit beben
Die Glieder all’, mein Herz ist ohne Leben!
Siehst du nicht gelb und bleib mein Angesicht?
Zeugt vor von meiner Angst die Farbe nicht?
Was mich betraf, es ist das Lähmende,
Das Kraft und Selbstbewusstsein Nehmende,
das jeden, den es trifft, Zerstörende,
Den Baum Entwurzelnde, Verheerende;
Was mich betraf, ist, was den Tod der ganzen
Schöpfung du nennst, der Steine, Tier’ und Pflanzen.
Denn bald ist dankerfüllt das All, bald leidend,
Im Feuerglanze auf die Sonne steigt,
Doch trauernd bald ihr Haupt sie niederneigt.
Und manches Sternlein glüht am Himmelzelt,
Das plötzlich dann verbrennt und niederfällt.
Der schöner als die Sterne strahlt, der milde
Vollmond, er schwindet hin zum Traumgebilde.
Die Erde selbst, die fromm und schweigsam ruht,
Sie zuckt zusammen, wie in Fieberglut.
Die Luft, dem Lebenshauch so eng verbunden,
Wird in der Heimsuchung als Pest befunden.
Die süße Flut, ob mit dem Lebenshauche
Verschwistert, wird getrübt und schal im Schlauche.
Und hebt sich auch die Flamme stolz und kühn,
Stirb! Spricht der Wind, und schau’, sie sinkt dahin.
Wenn Leid und Weh das Ganze so erfassen,
Soll da der Teil nicht beben und erblassen?
Und gar ein Teil, drin jene Gegner, Wind
Und Glut und Erd’ und Flut, verbunden sind?
Der Gegensätze Einheit ist das Leben,
Er ist der Tod ihr Zwist und Widerstreben.
Doch wie um Löwen und Gazellen, wand
Gott um den Gegensatz der Eintracht Band.“ –
So tat der Hase seines Zauderns Grund
Mit manchem weisen Wort dem Löwen kund.

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Der Leu sprach: „Aber sag’, weshalb dir bangte,
denn dies ist, was zu wissen ich verlangte.“
Er sprach: „In diesem Brunn haust jener Leu;
Der Brunn ist seine Burg, sein Sorgenfrei.“
Der Leu sprach: „Nun, so schau und sage mir,
Ob jetzt er drin, mich drängt die Kampfbegier.“
Er sprach: „Mich brennt das Feuer seiner Wut;
Lass weilen mich bei dir in sichrer Hut!
Vor jenem Brunn die Augen aufzuschlagen
Kann ich, o Leu, in deinem Arm nur wagen.“
Drauf nahm der Leu ihn zu sich und sie liefen
Selbander nach dem Brunnen hin, dem tiefen.
Und als sie nieder schauten auf den Quell,
da glänzte drin ihr Bildnis klar und hell.
Der Leu sah in dem Brunn sein eigen Bild,
 - Das feiste Häslein und den Löwen wild –
Sah seinen Feind und ließ den Hasen los
Und sprang hinunter in der wellen Schoß.
So fiel er in den selbstgegrabnen Bronnen,
Von seines eignen Unrechts Garn umsponnen!

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Erlöst vom Löwen, lief der Has’ alsbald
Zum Wild hin auf den Rasenplatz im Wald,
Lief hin zur Flur und schlug ein Rad vor Freude,
Dass in dem Brunn der Leu in Not und Leide;
Die Hände klatscht’ er froh, dem Tod entronnen,
Und tanzte, wie das Laub in Lenzeswonnen.
Denn wenn der Knosfenhaft das Laub entstiegen,
Um auf des Baumes Wipfel sich zu wiegen,
dann singt den dank für seines Schöpfers Güte
Besonders jedes Blatt und jede Blüte,
dass Lebenssaft Gott in den Keim gegossen.
Auch wenn der Geist, der an den Staubt gebunden,
Erlösung aus des Staubes Haft gefunden,
schwebt froh zur reinen Lieb’ er auf im Tanze,
Dem Vollmond gleich an fleckenlosem Glanze.

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Hin lief zum Wald und rief aus lautem Munde
Der Löwensieger: „Hört die frohe Kunde!
Die frohe Botschaft hört, ihr muntern Scharen!
Zur Höll’ ist jener Höllenhund gefahren!
Vernehmt mein freudig Wort: es ist den Schlägen
Des Zornes Gottes unser Feind erlegen!
Ihn, dessen Klau’ uns mordete, den Bösen,
Hat weggefegt wie Spreu des Todes Besen!“ –
Und es versammelten alsbald die Tiere
Vor Freude hüpfend sich im Waldreviere;
Gleich einer Kerze stand in ihrem Kreis er,
Sie aber sprachen tief verneigt: „O Weiser!
Du bist ein Engel, eine Fee! Doch nein,
Du bist der Asrael des grimmen Leun!
Sei was du willst! Dir weihn wir unser Leben,
Du hobst die Hand, und ihr ward Sieg gegeben!
Auf deinen Quell troff Gottes Gnadenregen,
Drum deinem Arm und deiner Hand sei Segen!
Doch sage, wie den Löwen du betörtest,
Durch welche List du ihn zu Boden kehrtest?
Balsam ist deine Red’ uns, drum erzähle,
Erzähle und erquicke unsre Seele!
Erzähle, denn mit hunderttausend Plagen
Hat jenes Argen Frevel und geschlagen!“ –
Er sprach: „Gott ist’s, der Beistand mir verliehn,
Denn was vermag ein Häslein ohne ihn!
Er gab die Kraft, Er gab mir den Verstand,
Durch des Verstandes Licht ward stark die Hand.
Von Gott stammt ja die Kraft, durch die wir siegen,
Von Gott der Wechsel auch, dem wir erliegen.
Es wird im Wechsel dem, des Auge klar,
Der Beistand Gottes allzeit offenbar.“

 

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