6. Meine Thaten als ägyptischer Beamter
Meine Rückkehr von der Wiener Weltausstellung.
Mit Ehren überhäuft, traf ich in Kairo am Anfang des Jahres
1874 wieder ein und mein erster Gang galt der Person des
Khedive, der durch meine Ernennung zum Generalkommissar das
höchste Vertrauen in mich gesetzt hatte. Ich konnte mir das
Zeugnis geben, nach besten Kräften gearbeitet zu haben, um
dieses Vertrauen zu rechtfertigen, und mit frohem Herzen
betrat ich das Palais von Abdin, um mich meinem hohen
morgenländischen Beschützer vorzustellen und zunächst mündlich
meinen Generalbericht abzustatten. Der Zeremonienmeister, mein
alter Freund Tonino Salomone, allen Reisenden aus jener Zeit
durch sein liebenswürdiges Wesen wohlbekannt, teilte mir mit,
daß der Vizekönig mich sofort empfangen wolle. Bei meinem
Aufstieg zur Treppenhöhe hatte ich die Überraschung, die
Stimme des Vizekönigs mit aller Deutlichkeit aus nächster Nähe
zu hören. Gegen alle morgenländische Hofsitte war mir der
Khedive bis zum Balkongeländer entgegengekommen, streckte an
der obersten Stufe seine beiden Hände nach mir aus und rief
mir die Worte zu: »Seien Sie willkommen, mein teurer Bey, und
empfangen Sie meinen herzlichsten Dank. Sie haben mir und
meinem Lande einen großen Dienst geleistet, denn die Goldminen
sind trotz meines Unglaubens wahrhaftig aufgefunden worden.«
Ich war verblüfft, wie es nur einer sein kann, weil mir der
Zusammenhang zwischen dem Erfolg der ägyptischen Ausstellung
in Wien und der Auffindung von Goldminen in keiner Weise
verständlich war. Bei dem Eingang in das Empfangsgemach
erhielt ich durch das weitere Gespräch des Khedive die mir bis
dahin fehlende Aufklärung. Um sie auch meinen Lesern nicht
vorzuenthalten, muß ich etwa anderthalb Jahre zurückgreifen.
Vor meiner Abreise nach Wien, wie auch später nach meiner
Rückkehr nach Ägypten, wurde ich nicht selten für mein vier-
und fünfstündiges Warten im Audienzzimmer durch die Ciuladung
belohnt, an dem Frühstück des Vizekönigs teilnehmen zu wollen.
Gewöhnlich waren außer ihm selber fünf Personen anwesend, die
sich sämtlich seines fürstlichen Wohlwollens erfreuten,
darunter sein ägyptischer Adjutant, sein französischer
Leibarzt, der türkische Pascha und Artillerie-General a. D.
Sefer-Pascha, ein ehemaliger preußischer Offizier aus der
Provinz Posen, der quasi die Stelle eines Maitre-de-plaisir
bei Hofe einnahm, oder sonstige Gäste, wie es dem hohen Herrn
eben beliebte. Die Tischgespräche pflegten äußerst munter zu
sein, der steife Hofton war durchaus verbannt und
Tagesgespräche oder Urteile über Persönlichkeiten und Dinge
gaben den Stoff für die Unterhaltung her. Der Khedive konnte
sehr ernst, aber bisweilen auch ausgelassen heiter sein, wobei
es ihm nicht an feinen witzigen Einfällen und kleinen
Nadelstichen fehlte.
An einem Tage kurz vor meiner Abreise nach Wien befand ich
mich an der Frühstückstafel und der Vizekönig legte mir die
bedenkliche Frage vor, welchen Nutzen eigentlich meine
hieroglyphische Wissenschaft der Welt darbiete; er begreife
es, daß die ägyptische Geschichte, die Götterlehre und
sonstige theoretische Dinge diesem und jenem ein besonderes
Vergnügen bereiten, aber für die Praxis sei mein ganzes Wissen
etwas Totes. »Ja, so fügte er wörtlich hinzu, wenn man dadurch
erfahren könnte, an welchen Stellen sich vergrabene
Goldschätze befänden oder woher die alten Ägypter ihr vieles
Gold hergeholt hätten, das wäre freilich etwas anderes.«
Lächelnd erwiderte ich ihm, daß ich seinem Verlangen nach der
Kenntnis der ehemaligen Goldminen im Ägyptenlande Genüge
leisten würde, wenn er sich entschließen könnte, eine
Expedition, an der auch wirkliche Bergleute teilnehmen müßten,
nach der näher von mir zu bezeichnenden Gegend zu senden. Der
Khedive schien ungläubig zu sein, gab aber seine Zusage, und
so schilderte ich ihm mit aller Genauigkeit die von mir selber
in früheren Jahren besuchte goldhaltige Region des sogenannten
Thales von Hammamat, zwischen dem Nile und den Küsten des
Roten Meeres gelegen, aus welchen nach Aussage
hieroglyphischer Inschriften von den ältesten Zeiten her die
Ägypter Gold herausgezogen hatten. Ich fügte hinzu, daß auf
dem langen Wege bis zum Meere sich eine Reihe artesischer
Brunnen mit klarem Trinkwasser befinden müßten, die freilich
heutzutage zugeschüttlet seien, so daß sich die Karawanen fast
sieben Tage lang auf einem beinahe wasserlosen Wege bewegen.
Der Khedive schien meinen Worten durchaus keinen Glauben zu
schenken, denn, wie er bemerkte, ich könnte mich ja bei dem
Lesen der Texte geirrt haben und er zweifele überhaupt daran,
daß solche Dinge von den Alten überliefert worden
seien.»Indessen«, so meinte er, »übergeben Sie dem General
Stone eine kurze Denkschrift, die alle Daten enthält, um einer
Expedition als Führer und Leiter zu dienen.«
Während meiner Abwesenheit in Wien wurde thatsächlich die
Erforschung des Wüstenthales in Angriff genommen. Man
entdeckte die verlassenen Goldminen und fand die Brunnen auf,
die damals noch vom Sande der Wüste ausgefüllt waren, aber
sofort gereinigt wurden und helles trinkbares Wasser auf ihrem
Boden zeigten. Dem Khedive schien die gelöste Wasserfrage so
bedeutungsvoll, daß er den Befehl gab, die Stadt Koffer an der
Mündung des Goldthales nach der Küste des Roten Meeres hin zu
befestigen und mit Geschützen zu armieren, um eine mögliche
Landung der Engländer von Indien her zu verhindern, nachdem
der frühere wasserleere Wüstenweg seine Ungastlichkeit für ein
größeres Heer verloren hatte.
Das war es, wofür sich der Khedive bei meinem ersten
Empfang bedankt hatte. Wenn ihm auch später im Drange der
Geschäfte und des anstürmenden Unheils der Gedanke entfallen
war, den Versuch einer Ausbeute der Minen zu wagen, so hatte
er dennoch die Überzeugung gewonnen, daß die Entzifferung der
hieroglyphischen Texte auf einer richtigen Grundlage beruhte.
Im übrigen zeichnete mich der Vizekönig für die guten Dienste
in Wien durch Rangerhöhungen und Ordensverleihungen aus, indem
er sich selber höchlichst wunderte, nicht schon früher daran
gedacht zu haben. Ich blieb in der Folge im Hause Pharaos ein
gern gesehener Gast, der bei jeder Gelegenheit an seinen Tisch
gezogen wurde und häufig »akademische« Gespräche mit ihm
austauschte.
Der Khedive hatte einen scharfen Verstand und besaß eine
nicht gewöhnliche Bildung nach europäischen Anschauungen. Er
selber behauptete, ein großer Menschenkenner zu sein, gab
aber, und gewöhnlich zu seinem größten Schaden, stets dem
letzten Sprecher in einer Unterhaltung Recht.
Wie sehr er es – leider zu spät – bereute, auf Kosten
seiner Ägypter die Europäer und insonderheit die Franzosen an
seinem Hofe und an den Regierungsstellen bevorzugt zu haben,
dafür liefert die bittere Klage den Beweis, welche er mir an
der Neige seiner Herrschaft während eines meiner Besuche
auszudrücken sich gedrungen fühlte.
Ich fand ihn zur Zeit desselben in der Ecke eines kleinen
europäischen Sofa sitzen, in trübe Stimmung versenkt und die
Augen auf ein Bündel Spargel gerichtet, das er in seiner
rechten Hand krampfhaft festhielt. Nach minutenlangem
Stillschweigen wandte er sich an mich mit den Worten: »Sehen
Sie, dieses Bündel Spargel macht mich auf einen Fehler
aufmerksam, den ich meinen Ägyptern gegenüber begangen habe
und der kaum wieder gut zu machen ist. Es ist eben zu spät!
Meinem französischen Hofgärtner hatte ich mein Befremden
darüber bezeugt, trotz der hohen Ausgaben für meine Gärten
noch nicht einmal am Ende des Monats Februar daraus frischen
Spargel beziehen zu können, während die Enropäer denselben
schon lange vorher aus Europa erhalten hätten. Der Hofgärtner
gab mir zur Antwort, die Sache sei leicht zu machen, nur müsse
erst ein Treibhaus für die Spargelzucht erbaut werden, um
meinen Wunsch zu erfüllen. Das Glas hans wurde im vergangenen
Jahre mit einem Aufwand von 80000 Franken erbaut, natürlich zu
dem Zwecke, um mir die Spargel am Ende des Monats Februar zu
liefern. Wir stehen erst am Anfang desselben und schon bringt
nicht mein französischer Hofgärtner, sondern ein armer
arabischer Gärtnergehilfe mir heute dieses Spargelbund, da er
gehört habe, daß ich ihn in dieser Jahreszeit zu essen
wünsche. Ich befragte ihn. wie er es angefangen habe, so
ausgezeichnete Stücke zu ziehen. Effendina, antwortete er mir,
ich habe Spargel eingesteckt ganz heimlich in einer Ecke des
Gartens, sie mit Palmzweigen bedeckt, sobald rauher Wind
eintrat und Kälte herrschte, aber die Zweige jedesmal
gelüftet, wenn die helle warme Sonne schien. Diese Spargel
sind das Erzeugnis meiner Pflege.« – »Sie begreifen«, so
wandte sich der Vizekönig an mich, »daß diese Thatsache mir zu
denken giebt, denn ich habe die guten Eigenschaften meiner
Unterthanen verkannt, ihre Kraft unterschätzt und nur dem
Europäer Vertrauen geschenkt. Jener liefert mir kostenlos im
Anfang des Monats Februar den besten Spargel, dieser hat ein
kostspieliges Treibhaus erbauen lassen mit dem Versprechen,
mir den Spargel am Ende des Monats zu übergeben. Das ist das
Bild meines Schicksals, dem ich verfallen bin.«
Im Morgenlande hält es nicht leicht, auf dem Wege der
Presse sich gegen den regierenden Herrscher abfällig zu
äußern, denn es handelt sich dabei um Kopf und Kragen für den
Urheber. Wenn auch in Ägypten nach dem Wunsche des ersten
Khedive ein Parlament geschaffen wurde, in dem die
Schech-el-Beled oder Dorfschulzen die Mehrzahl der
Abgeordneten bildeten, so kam es dem hohen Hause niemals in
den Sinn, der Regierung gegenüber sich in Opposition zu
setzen. Die Vertreter des Volkes fanden es ungeziemend, die
Weisheit der Leiter der Staatsgeschäfte auch nur in den
kleinsten Stücken anzuzweifeln. Außerhalb der Kammer fehlte es
freilich nicht an räudigen Schafen, die auf dem Umwege über
Paris sich gedrungen fühlten, rebellische Ansichten sogar dem
Drucke zu überliefern. Dazu gehörte ein von Freiheit,
Gleichheit und Brüderlichkeit angekränkelter Ägypter, der von
Kairo aus regelmäßige Korrespondenzen anonym und in arabischer
Sprache dem Oppositionsblatte an der Seine einsandte und auf
die Handlungen des Khedive die trübsten Schatten fallen ließ.
Eines Tages befand ich mich bei Monseigneur, als die in
Rede stehende Person, ein junger Ägypter, von einem Kawassen
vorgeführt wurde, nachdem man ihm auf die Spur gekommen war.
Bleichen Angesichtes und zitternd am ganzen Körper stand er
seinem Fürsten gegenüber, der ihm die Frage vorlegte, ob er
sich zur Urheberschaft der gehässigen Artikel bekenne. »Ich
habe Brugsch-Bey ersucht,« so fiel er ein, »Zeuge unserer
Unterredung zu sein. Antworte deshalb ohne Scheu auf meine
Fragen. Ich versichere dich meines Schutzes«. Der Unglückliche
stammelte einige Entschuldigungen, die jedoch seine Schuld nur
vergrößerten.
»Du hast meine Regierung schlecht gemacht und meine
Maßregeln als tyrannisch bezeichnet. Sind deine Behauptungen
wahr, so hast du nur deine Pflicht gethan. Doch den Beweis
bist du mir schuldig geblieben. Ich fordere dich deshalb auf,
mir anzugeben, was ich als Regent Ägyptens zu thun und zu
lassen habe, um nach deiner Meinung den Namen eines gerechten
und weisen Fürsten zu verdienen. Überzeugst du mich von der
Richtigkeit deiner Ratschläge, so verspreche ich dir in
Gegenwart des Bey, sie zu befolgen. Ich bestrafe dich nicht
für deine Kühnheit. Verlaß mich jetzt und erinnere dich stets
daran, daß es leichter ist, vom Hinterhalte aus einen andern
zu bemäkeln und zu tadeln, als selber eine schwere Aufgabe zu
lösen und es dabei jedem recht zu machen.«
Wie von einem Alp befreit, verbeugte sich der ägyptische
Kritiker in tiefster Demut vor seinem Herrn und ich habe
später niemals etwas von seinen Angriffen vernommen.