4. Kampf um das Dasein
Mein zweiter Aufenthalt in Ägypten.
In der Mitte des Monats Oktober befand ich mich bereits in
Kairo. Die Residenz der modernen Pharaonen war seit meiner
ersten Anwesenheit in Ägypten mit Alexandrien, der Hafenstadt,
durch einen Schienenweg verbunden worden, wenn auch bei
Kafr-Zeijad eine Brücke über den Rosette-Nilarm fehlte und die
Verbindung zwischen den beiden Ufern des heiligen Stromes
durch eine Dampffähre hergestellt wurde. In dem
Bahnhofsgebäude von Kairo hatte ich die Freude, meinen lieben
Freund Mariette zu umarmen und den preußischen
Konsulatsverweser Bauernhorst nebst dem französischen Konsul
Batissier zu begrüßen. Mariette war seelensvergnügt, drückte
mir den Arm, daß ich hätte laut aufschreien mögen, nannte mich
wiederholt seinen Prussien de mon cœur und erzählte mir auf
dem Wege nach seiner Wohnstätte in Bulak die Hauptereignisse,
welche die günstige Wendung seines Schicksales herbeigeführt
hatte. Prinz Plonplon, der bekannte Vetter des Kaisers
Napoleon, hatte den Wunsch geäußert, eine Reise nach Ägypten
zu unternehmen und im oberen Lande die Wunder der
Denkmälerwelt in Augenschein zu nehmen. Seinem kaum
ausgesprochenen Wunsche folgte auf dem Fuße eine Einladung des
Vizekönigs Sajid, der durch seine Erziehung und seine
Neigungen und nebenher aus politischen Rücksichten ein halber
Franzose war, und sich im eigenen Lande und mitten unter
seinen Unterthanen durchaus keine Mühe gab, seine Vorliebe für
die grande nation und ihren allmächtigen Empereur zu
verbergen. Dem angemeldeten Prinzen sollten die höchsten nur
denkbaren Ehrungen während seines Aufenthaltes in Ägypten
erwiesen und seine antiquarischen Gelüste nach allen
Richtungen hin befriedigt werden. An Mariette wurde die Bitte
gerichtet, spornstreichs nach Ägypten zu eilen, um durch
Ausgrabungen neue, unbekannte Denkmäler bloß zu legen, die
vergrabenen, soweit die Zeit es gestattete, von dem sie
umgebenden Schutte zu befreien und dem erwarteten Prinzen eine
Auswahl wertvoller Antiken als Andenken an seinen ägyptischen
Besuch zur Verfügung zu stellen. Mariette löste die ihm
gestellte Aufgabe mit Aufgebot aller seiner Kräfte, aber Prinz
Plonplon gab plötzlich seinen Reiseplan auf und dem Vizekönig
blieb nichts übrig, als sich in das Unvermeidliche zu schicken
und Seiner kaiserlichen Hoheit als Zeichen seiner Verehrung
den größten Teil der für ihn gesammelten Denkmäler nach Paris
befördern zu lassen. Sie blieben lange Zeit in dem Palais des
Prinzen, bevor er sie als ewiges Eigentum dem Museum des
Louvre übergab.
Mariette war eigentlich ein geborener Diplomat und vor
allem verstand er es vortrefflich, die Abneigung der
ägyptischen Vizekönige gegen die heidnischen Altertümer ihres
Landes zu bekämpfen und ihre heilige Scheu vor dem alten Kram
zu brechen. Wenngleich es ihm unsägliche Mühe und Zeit
kostete, sein vorgestecktes Ziel zu erreichen, so gelang es
ihm dennoch, allmählich den Vizekönig Sajid davon zu
überzeugen, daß die Gründung eines altägyptischen Museums in
Kairo nur dazu dienen würde, seinen vizeköniglichen Ruhm zu
mehren und eine ungezählte Menge von Besuchern nach der
Residenz zu locken. Er setzte es schließlich durch, daß sein
Vorschlag gebilligt und ihm der notwendige Platz übergeben
wurde, um für den beabsichtigten Museumsbau den erforderlichen
Raum zu gewinnen.
In den vizeköniglichen Ministerien, in welchen damals das
türkische Beamtentum die einflußreichsten Stellen besetzt
hielt, sah man den Marietteschen Plan mit scheelen Augen an
und bereitete der Ausführung desselben selbstverständlich die
allergrößten Schwierigkeiten. Mit Mühe und Not verstand man
sich endlich, dem eben ernannten »Generaldirektor der Museen
und sämtlicher Ausgrabungen« ein am Nil und in der Vorstadt
Bulak gelegenes Grundstück anzuweisen, welches ehedem als
Einschissungs- und Landungsplatz für die auf den Postdampfern
zwischen Kairo und Alexandrien Reisenden gedient hatte. Auf
der südlichen Seite befand sich ein verfallenes Gebäude,
welches die Kanzleien für den Postdienst in sich schloß, auf
der Nordseite stand ein alter, verfallener Kohlenschuppen, aus
welchem die Dampfer den notwendigen Vorrat zur Heizung der
Kessel emvsingen. Der in der Mitte zwischen beiden
Baulichkeiten gelegene freie Platz sah im höchsten Maße
verwahrlost aus und bedurfte zunächst einer gründlichen
Reinigung und Nivellierung.
In der kurzen Zeit weniger Monate hatte Mariette das
Unglaubliche geleistet. Der Kohlenschuppen war in ein Museum
mit einem altägyptischen Vorderbau verwandelt worden und die
Säle im Innern leuchteten im Glanze buntfarbiger,
altägyptischer Ornamente, welche die geschickte Hand des
italienischen Malers und Antikenhändlers Vassalli mit
stilistischer Treue ausgeführt hatte. Die letzten Funde aus
dem Serapeum, die käuflich erworbenen Antiken des
österreichischen Generalkonsuls v. Huber und ein großer Teil
der für den Prinzen Plonplon ausgegrabenen Denkmäler füllten
die vorhandenen Räumlichkeiten des Museums, dessen Inhalt sich
von Jahr zu Jahr durch die kostbarsten Überreste der Vorzeit
mehrte. Die Postkanzlei hatte Mariette zu seiner Dienstwohnung
umgestaltet und auf dem leeren Platze davor einen hübschen
Garten angelegt. Zu allen diesen Schöpfungen waren die
Geldmittel nur in kleinen Posten bewilligt worden, aber
Mariettes Geduld und Ausdauer überwand auch diese
Schwierigkeiten und mit gerechtem Stolze zeigte er mir sein
Zauberwerk bei meinem ersten Eintritt in das Reich der
geretteten Antiken.
Mein erster Besuch, welchen ich die Ehre hatte dem
regierenden Vizekönig in seinem am Nil gelegenen Schlosse
abzustatten, wird mir unvergeßlich bleiben. Der äußerst
wohlbeleibte Fürst mit seinem von einem rötlichblonden
Vollbart umrahmten starken Gesichte und den zwickernden Augen
darin war die Heiterkeit selber, die bisweilen zum vollsten
Lachausbruch gelangte und von seiner Umgebung, der Mehrzahl
nach Franzosen, im reichsten Maße erwidert wurde. Die
Unterhaltung wurde in französischer Sprache geführt, deren
sich Sajid Pascha mit unglaublicher Fertigkeit bediente. Die
Gegenstände derselben berührten alles Mögliche. Aus einzelnen
Äußerungen durfte ich den Schluß ziehen, daß Monseigneur aus
mir unbekannten Gründen damals einen gewissen Groll gegen die
Engländer hegte. Er war durchaus nicht gut auf sie zu
sprechen.
Seine Fragen nach meinem königlichen Herrn beantwortete ich
in angemessener Weise und es schien ihn im höchsten Maße zu
befriedigen, daß Seine Majestät eine so ungewöhnliche
Teilnahme für das alte Ägypten an den Tag legte. Er sprach mir
von dem großen Denkmälerwerke, das auf Veranlassung des Königs
veröffentlicht würde und versicherte mich, daß auch er den
Entschluß gefaßt habe, durch Gründung eines Museums der
Wissenschaft seine schwachen Dienste zu leisten. Von A. von
Humboldt sprach er wie von einem Heros und es schien ihm
unbegreiflich, wie ein einziger Mann, wenn anch während eines
langen Lebens, eine so außerordentliche Thätigkeit habe
entwickeln können. Er vereinige in seiner Person eine ganze
Akademie und sei der Stolz des preußischen Volkes, um welchen
die übrigen Nationen es mit vollstem Rechte beneiden.
Der günstige Augenblick war gekommen, dem Vizekönig das an
ihn gerichtete und in französischer Sprache abgefaßte
Schreiben des großen Gelehrten zu überreichen. Da ich eine
Abschrift desselben besitze, so bin ich in der Lage, es
wortgetreu meinen Lesern vorlegen zu können.
Monseigneur, La haute protection que Votre Altesse daigne
accorder gracieusement à la culture des sciences et des arts,
la noble munificence avec laquelle Elle a encouragé, depuis
les premiers jours heureux de Son règne les progrès de la
civilisation sur les bords du Nil, m'inspirent le courage de
Lui adresser une humble prière. Affectueusement lié avec le
jeune, mais déjà très renommé savant qui ambitionne l'honneur
insigne d'être admis à la présence de Son Altesse le Vice-Roi,
j'implore la faveur d'un généreux et puissant appui pour les
travaux d'antiquité dont il est chargé. Le docteur Brugsch, un
des conservateurs au Musée d'archéologie égyptienne du Roi à
Berlin, chevalier de l'ordre Royal de l'Aigle-rouge, s'est
rendu dans les ouvrages qu'il a publiés comme fruit de son
premier voyage en Égypte, l'interprête des merveilles qui
attirent l'admiration de l'Europe et dont Votre Altesse daigne
faciliter la libre investigation. Je me sens d'autant plus le
courage de solliciter votre généreuse protection que le jeune
voyageur, aussi distingué par sa vaste érudition que par ses
qualités morales, jouit très personnellement de la
bienveillance de Sa Majesté le Roi de Prusse. Ce Souverain à
la cour duquel j'ai l'honneur d'appartenir, a reçu le docteur
Brugsch au Château de Sanssouci, près de Potsdam, peu de jours
avant son départ pour Alexandrie et l'a fait monter en grade
dans ses ordres Royaux. Son nom est très avantageusement connu
à l'étranger. Je suis avec le plus profond respect,
Monseigneur, de votre Altesse le très humble, trés obéissant
et très soumis serviteur Alexandre de Humboldt.
Eine so kräftige Empfehlung konnte nicht verfehlen ihre
Wirkung auszuüben und thatsächlich übertraf der Erfolg meine
höchsten Erwartungen. Wenige Tage waren seit meinem ersten
Empfange vergangen, als mir auf vizeköniglichen Befehl zur
Erleichterung meiner Forschungen auf meiner Reise nach
Oberägypten die wahrlich nicht kleine Summe von 20000 Franes
in blankem Golde ausgezahlt wurde. Ich kam mir wie ein Krösus
vor, schwelgte im Vorgenuß meiner Arbeiten und befand mich
zwei Wochen später auf dem wohl ausgerüsteten vizeköniglichen
Dampfer, welcher Mariette und meine Wenigkeit in das
denkmalreiche Oberland tragen sollte. Mein französischer
Freund war mit den erforderlichen Papieren versehen worden, um
nirgends Hindernissen von seiten der Behörden zu begegnen.
Dazu gehörten in vorderster Reihe die Befehle an die damals
türkischen Mudire oder Gouverneure der Provinzen, Leute zu den
Ausgrabungen zu stellen und die zur Heizung des Dampfers
erforderlichen Steinkohlen aus den Regierungs-Magazinen zu
liefern. Ein braver türkischer Kawaß, welcher später als
Unter-Inspektor in das Museum eintrat, diente als Polizei,
einige Marinesoldaten der ägyptischen Flotte bildeten unsere
Bedeckung und ein Korse, welcher seine Heimat aus dunklen
Ursachen verlassen hatte – Mariette behauptete, er müsse
seinen eigenen Vater vergiftet haben – leistete als Techniker
ganz ausgezeichnete Dienste. Meister Floris, so hieß er,
gehörte später zu den bekanntesten Personen in Ägypten, die
durch ihre unfreiwillige Komik alle Welt ergötzte und für uns
Reisende zu einer Quelle täglicher Erheiterung wurde. Er
offenbarte die Eigenschaften eines Faktotums, denn wenn er
auch allen Ernstes behauptete, seiner Anlage und seiner
Neigung nach ein Dichter von Gottes Gnaden zu sein und nur
seinen Beruf verfehlt zu haben, so leistete er in technischer
Beziehung alles, was man von ihm verlangte. Würde man ihm den
Auftrag gegeben haben, den Obelisken von Luxor nach Kairo zu
transportieren, er würde sicherlich und ohne zu zögern mit
glücklichem Erfolge diese schwierige Arbeit ausgeführt haben.
Er war Bildhauer, Maler, Zimmermann, Tischler, Drechsler,
Glaser, Uhrmacher, Schneider, Schuster u.s.w. in einer Person
und seine geschickten Hände leisteten auf allen Gebieten der
verschiedenartigsten Thätigkeit ganz Außerordentliches. Stolz
ein Landsmann des großen Napoleon zu sein, besaß er den
Ehrgeiz, die Welt dereinst durch eine großartige Erfindung in
Staunen zu setzen, mit welcher er sich lange Jahre hindurch
trug. Es handelt sich um die Herstellung eines Perpetuum
mobile, das im stande sein sollte die Dampfkraft zu ersetzen.
Wirklich hatte er später ein hölzernes Ungetüm mit einem
verzwickten Räderwerk zu stande gebracht, das von 25 kg
schweren Feldsteinen in Bewegung gesetzt werden sollte. Als
aber bei der ersten Probe die Bewegung sich so unerwartet
beschleunigte, daß ihm zwei Feldsteine gegen Brust und Kopf
geschleudert wurden und ihn beinahe lebensgefährlich
verwundeten, so gab er nach seiner endlichen Wiederherstellung
seine wunderbare Erfindung auf und entschädigte sich dafür
durch die Stiftung einer korsischen–Freimaurerloge in der
Kalifenstadt Kairo. Er starb vor wenigen Jahren im Alter von
beinahe achtzig Jahren, obgleich man der kleinen beweglichen
Gestalt höchstens den Sechziger ansah. Meister Floris war ein
Original wie es im Buche fleht, aber dennoch ein so nützliches
Mitglied des Personals an dem soeben begründeten Museum, daß
ich noch heute nicht anstehe zu behaupten, daß er geradezu als
unentbehrlich erschien. Mariette gab den Kopf, Floris die Hand
zur Gründung der weltberühmten Sammlung her. Das wußte er
selber sehr genau und ließ es seinen Generaldirektor deutlich
merken, den er gelegentlich mit einem höchst vertraulichen Mon,
cher ami anredete, im Grunde genommen aber von ganzer Seele
haßte. Er konnte es nicht verschmerzen, daß ihn sein Chef auf
unserer gemeinsamen Reise, infolge seiner hartnäckigen
Weigerung, einen verlangten Dienst zu leisten, eine ganze
Woche lang als »gefährlichen Tollhäusler« in einer leeren
oberägyptischen Kaserne unter Schloß und Riegel gesetzt hatte.
Unsere Fahrt in Oberägypten war die denkbar günstigste und
erfolgreichste von der Welt, und ich hatte die Freude, in den
von ihrem tausendjährigen Schutte bloßgelegten Denkmälern, an
ihrer Spitze in Abydos und Theben, neue mir bisher unbekannte
Quellen für die Erweiterung meines hieroglyphischen Lexikons
und für die Kenntnis geschichtlicher, geographischer,
astronomischer und mythologischer Überlieferungen geöffnet zu
sehen. Das von Mariette und meiner Wenigkeit in französischer
Sprache geführte Tagebuch, das ich bis auf den heutigen Tag
als teures Andenken bewahrt habe, läßt an Genauigkeit und
Reichtum des Inhalts wenig zu wünschen übrig, und wenn irgend
etwas demselben einen besonderen Reiz spendet, so ist es der
frohe Ton, mit welchem zwei glückliche, für ihre Studien
begeisterte Menschen die Schilderung ihrer gemeinsamen
Erlebnisse, Beobachtungen und Forschungen darin schriftlich
niedergelegt hatten. Eine solche Zeit kehrt nicht zweimal
wieder und behält deshalb für das ganze spätere Leben ihren
dauernden Wert. Mit reichen Mitteln ausgestattet, mit den
nachdrücklichsten Befehlen an die Ortsbehörde versehen und
Herren unserer Zeit, ward uns beiden der beneidenswerte Vorzug
zu teil, unserer Freundschaft und unseren Studien einträchtig
zu leben. Wir lernten beide von einander und ergänzten die
Lücken unseres Wissens durch den Austausch unserer Gedanken
auf dem Gebiete der ägyptischen Sprache und Altertumskunde.
Die Insel Philä, ganz im Süden der ägyptischen Grenze, bildete
das Ziel unserer Reise, für welche wir eine Zeit von nahezu
vier Monaten aufgewendet hatten.