Mein Leben und mein Wandern

Mein Leben und mein Wandern

von Heinrich Brugsch

Berlin, allgemeiner Verein für Deutsche Litteratur, 1894

 

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4. Kampf um das Dasein

Mein zweiter Aufenthalt in Ägypten.

In der Mitte des Monats Oktober befand ich mich bereits in Kairo. Die Residenz der modernen Pharaonen war seit meiner ersten Anwesenheit in Ägypten mit Alexandrien, der Hafenstadt, durch einen Schienenweg verbunden worden, wenn auch bei Kafr-Zeijad eine Brücke über den Rosette-Nilarm fehlte und die Verbindung zwischen den beiden Ufern des heiligen Stromes durch eine Dampffähre hergestellt wurde. In dem Bahnhofsgebäude von Kairo hatte ich die Freude, meinen lieben Freund Mariette zu umarmen und den preußischen Konsulatsverweser Bauernhorst nebst dem französischen Konsul Batissier zu begrüßen. Mariette war seelensvergnügt, drückte mir den Arm, daß ich hätte laut aufschreien mögen, nannte mich wiederholt seinen Prussien de mon cœur und erzählte mir auf dem Wege nach seiner Wohnstätte in Bulak die Hauptereignisse, welche die günstige Wendung seines Schicksales herbeigeführt hatte. Prinz Plonplon, der bekannte Vetter des Kaisers Napoleon, hatte den Wunsch geäußert, eine Reise nach Ägypten zu unternehmen und im oberen Lande die Wunder der Denkmälerwelt in Augenschein zu nehmen. Seinem kaum ausgesprochenen Wunsche folgte auf dem Fuße eine Einladung des Vizekönigs Sajid, der durch seine Erziehung und seine Neigungen und nebenher aus politischen Rücksichten ein halber Franzose war, und sich im eigenen Lande und mitten unter seinen Unterthanen durchaus keine Mühe gab, seine Vorliebe für die grande nation und ihren allmächtigen Empereur zu verbergen. Dem angemeldeten Prinzen sollten die höchsten nur denkbaren Ehrungen während seines Aufenthaltes in Ägypten erwiesen und seine antiquarischen Gelüste nach allen Richtungen hin befriedigt werden. An Mariette wurde die Bitte gerichtet, spornstreichs nach Ägypten zu eilen, um durch Ausgrabungen neue, unbekannte Denkmäler bloß zu legen, die vergrabenen, soweit die Zeit es gestattete, von dem sie umgebenden Schutte zu befreien und dem erwarteten Prinzen eine Auswahl wertvoller Antiken als Andenken an seinen ägyptischen Besuch zur Verfügung zu stellen. Mariette löste die ihm gestellte Aufgabe mit Aufgebot aller seiner Kräfte, aber Prinz Plonplon gab plötzlich seinen Reiseplan auf und dem Vizekönig blieb nichts übrig, als sich in das Unvermeidliche zu schicken und Seiner kaiserlichen Hoheit als Zeichen seiner Verehrung den größten Teil der für ihn gesammelten Denkmäler nach Paris befördern zu lassen. Sie blieben lange Zeit in dem Palais des Prinzen, bevor er sie als ewiges Eigentum dem Museum des Louvre übergab.

Mariette war eigentlich ein geborener Diplomat und vor allem verstand er es vortrefflich, die Abneigung der ägyptischen Vizekönige gegen die heidnischen Altertümer ihres Landes zu bekämpfen und ihre heilige Scheu vor dem alten Kram zu brechen. Wenngleich es ihm unsägliche Mühe und Zeit kostete, sein vorgestecktes Ziel zu erreichen, so gelang es ihm dennoch, allmählich den Vizekönig Sajid davon zu überzeugen, daß die Gründung eines altägyptischen Museums in Kairo nur dazu dienen würde, seinen vizeköniglichen Ruhm zu mehren und eine ungezählte Menge von Besuchern nach der Residenz zu locken. Er setzte es schließlich durch, daß sein Vorschlag gebilligt und ihm der notwendige Platz übergeben wurde, um für den beabsichtigten Museumsbau den erforderlichen Raum zu gewinnen.

In den vizeköniglichen Ministerien, in welchen damals das türkische Beamtentum die einflußreichsten Stellen besetzt hielt, sah man den Marietteschen Plan mit scheelen Augen an und bereitete der Ausführung desselben selbstverständlich die allergrößten Schwierigkeiten. Mit Mühe und Not verstand man sich endlich, dem eben ernannten »Generaldirektor der Museen und sämtlicher Ausgrabungen« ein am Nil und in der Vorstadt Bulak gelegenes Grundstück anzuweisen, welches ehedem als Einschissungs- und Landungsplatz für die auf den Postdampfern zwischen Kairo und Alexandrien Reisenden gedient hatte. Auf der südlichen Seite befand sich ein verfallenes Gebäude, welches die Kanzleien für den Postdienst in sich schloß, auf der Nordseite stand ein alter, verfallener Kohlenschuppen, aus welchem die Dampfer den notwendigen Vorrat zur Heizung der Kessel emvsingen. Der in der Mitte zwischen beiden Baulichkeiten gelegene freie Platz sah im höchsten Maße verwahrlost aus und bedurfte zunächst einer gründlichen Reinigung und Nivellierung.

In der kurzen Zeit weniger Monate hatte Mariette das Unglaubliche geleistet. Der Kohlenschuppen war in ein Museum mit einem altägyptischen Vorderbau verwandelt worden und die Säle im Innern leuchteten im Glanze buntfarbiger, altägyptischer Ornamente, welche die geschickte Hand des italienischen Malers und Antikenhändlers Vassalli mit stilistischer Treue ausgeführt hatte. Die letzten Funde aus dem Serapeum, die käuflich erworbenen Antiken des österreichischen Generalkonsuls v. Huber und ein großer Teil der für den Prinzen Plonplon ausgegrabenen Denkmäler füllten die vorhandenen Räumlichkeiten des Museums, dessen Inhalt sich von Jahr zu Jahr durch die kostbarsten Überreste der Vorzeit mehrte. Die Postkanzlei hatte Mariette zu seiner Dienstwohnung umgestaltet und auf dem leeren Platze davor einen hübschen Garten angelegt. Zu allen diesen Schöpfungen waren die Geldmittel nur in kleinen Posten bewilligt worden, aber Mariettes Geduld und Ausdauer überwand auch diese Schwierigkeiten und mit gerechtem Stolze zeigte er mir sein Zauberwerk bei meinem ersten Eintritt in das Reich der geretteten Antiken.

Mein erster Besuch, welchen ich die Ehre hatte dem regierenden Vizekönig in seinem am Nil gelegenen Schlosse abzustatten, wird mir unvergeßlich bleiben. Der äußerst wohlbeleibte Fürst mit seinem von einem rötlichblonden Vollbart umrahmten starken Gesichte und den zwickernden Augen darin war die Heiterkeit selber, die bisweilen zum vollsten Lachausbruch gelangte und von seiner Umgebung, der Mehrzahl nach Franzosen, im reichsten Maße erwidert wurde. Die Unterhaltung wurde in französischer Sprache geführt, deren sich Sajid Pascha mit unglaublicher Fertigkeit bediente. Die Gegenstände derselben berührten alles Mögliche. Aus einzelnen Äußerungen durfte ich den Schluß ziehen, daß Monseigneur aus mir unbekannten Gründen damals einen gewissen Groll gegen die Engländer hegte. Er war durchaus nicht gut auf sie zu sprechen.

Seine Fragen nach meinem königlichen Herrn beantwortete ich in angemessener Weise und es schien ihn im höchsten Maße zu befriedigen, daß Seine Majestät eine so ungewöhnliche Teilnahme für das alte Ägypten an den Tag legte. Er sprach mir von dem großen Denkmälerwerke, das auf Veranlassung des Königs veröffentlicht würde und versicherte mich, daß auch er den Entschluß gefaßt habe, durch Gründung eines Museums der Wissenschaft seine schwachen Dienste zu leisten. Von A. von Humboldt sprach er wie von einem Heros und es schien ihm unbegreiflich, wie ein einziger Mann, wenn anch während eines langen Lebens, eine so außerordentliche Thätigkeit habe entwickeln können. Er vereinige in seiner Person eine ganze Akademie und sei der Stolz des preußischen Volkes, um welchen die übrigen Nationen es mit vollstem Rechte beneiden.

Der günstige Augenblick war gekommen, dem Vizekönig das an ihn gerichtete und in französischer Sprache abgefaßte Schreiben des großen Gelehrten zu überreichen. Da ich eine Abschrift desselben besitze, so bin ich in der Lage, es wortgetreu meinen Lesern vorlegen zu können.

Monseigneur, La haute protection que Votre Altesse daigne accorder gracieusement à la culture des sciences et des arts, la noble munificence avec laquelle Elle a encouragé, depuis les premiers jours heureux de Son règne les progrès de la civilisation sur les bords du Nil, m'inspirent le courage de Lui adresser une humble prière. Affectueusement lié avec le jeune, mais déjà très renommé savant qui ambitionne l'honneur insigne d'être admis à la présence de Son Altesse le Vice-Roi, j'implore la faveur d'un généreux et puissant appui pour les travaux d'antiquité dont il est chargé. Le docteur Brugsch, un des conservateurs au Musée d'archéologie égyptienne du Roi à Berlin, chevalier de l'ordre Royal de l'Aigle-rouge, s'est rendu dans les ouvrages qu'il a publiés comme fruit de son premier voyage en Égypte, l'interprête des merveilles qui attirent l'admiration de l'Europe et dont Votre Altesse daigne faciliter la libre investigation. Je me sens d'autant plus le courage de solliciter votre généreuse protection que le jeune voyageur, aussi distingué par sa vaste érudition que par ses qualités morales, jouit très personnellement de la  bienveillance de Sa Majesté le Roi de Prusse. Ce Souverain à la cour duquel j'ai l'honneur d'appartenir, a reçu le docteur Brugsch au Château de Sanssouci, près de Potsdam, peu de jours avant son départ pour Alexandrie et l'a fait monter en grade dans ses ordres Royaux. Son nom est très avantageusement connu à l'étranger. Je suis avec le plus profond respect, Monseigneur, de votre Altesse le très humble, trés obéissant et très soumis serviteur Alexandre de Humboldt.

Eine so kräftige Empfehlung konnte nicht verfehlen ihre Wirkung auszuüben und thatsächlich übertraf der Erfolg meine höchsten Erwartungen. Wenige Tage waren seit meinem ersten Empfange vergangen, als mir auf vizeköniglichen Befehl zur Erleichterung meiner Forschungen auf meiner Reise nach Oberägypten die wahrlich nicht kleine Summe von 20000 Franes in blankem Golde ausgezahlt wurde. Ich kam mir wie ein Krösus vor, schwelgte im Vorgenuß meiner Arbeiten und befand mich zwei Wochen später auf dem wohl ausgerüsteten vizeköniglichen Dampfer, welcher Mariette und meine Wenigkeit in das denkmalreiche Oberland tragen sollte. Mein französischer Freund war mit den erforderlichen Papieren versehen worden, um nirgends Hindernissen von seiten der Behörden zu begegnen. Dazu gehörten in vorderster Reihe die Befehle an die damals türkischen Mudire oder Gouverneure der Provinzen, Leute zu den Ausgrabungen zu stellen und die zur Heizung des Dampfers erforderlichen Steinkohlen aus den Regierungs-Magazinen zu liefern. Ein braver türkischer Kawaß, welcher später als Unter-Inspektor in das Museum eintrat, diente als Polizei, einige Marinesoldaten der ägyptischen Flotte bildeten unsere Bedeckung und ein Korse, welcher seine Heimat aus dunklen Ursachen verlassen hatte – Mariette behauptete, er müsse seinen eigenen Vater vergiftet haben – leistete als Techniker ganz ausgezeichnete Dienste. Meister Floris, so hieß er, gehörte später zu den bekanntesten Personen in Ägypten, die durch ihre unfreiwillige Komik alle Welt ergötzte und für uns Reisende zu einer Quelle täglicher Erheiterung wurde. Er offenbarte die Eigenschaften eines Faktotums, denn wenn er auch allen Ernstes behauptete, seiner Anlage und seiner Neigung nach ein Dichter von Gottes Gnaden zu sein und nur seinen Beruf verfehlt zu haben, so leistete er in technischer Beziehung alles, was man von ihm verlangte. Würde man ihm den Auftrag gegeben haben, den Obelisken von Luxor nach Kairo zu transportieren, er würde sicherlich und ohne zu zögern mit glücklichem Erfolge diese schwierige Arbeit ausgeführt haben. Er war Bildhauer, Maler, Zimmermann, Tischler, Drechsler, Glaser, Uhrmacher, Schneider, Schuster u.s.w. in einer Person und seine geschickten Hände leisteten auf allen Gebieten der verschiedenartigsten Thätigkeit ganz Außerordentliches. Stolz ein Landsmann des großen Napoleon zu sein, besaß er den Ehrgeiz, die Welt dereinst durch eine großartige Erfindung in Staunen zu setzen, mit welcher er sich lange Jahre hindurch trug. Es handelt sich um die Herstellung eines Perpetuum mobile, das im stande sein sollte die Dampfkraft zu ersetzen. Wirklich hatte er später ein hölzernes Ungetüm mit einem verzwickten Räderwerk zu stande gebracht, das von 25 kg schweren Feldsteinen in Bewegung gesetzt werden sollte. Als aber bei der ersten Probe die Bewegung sich so unerwartet beschleunigte, daß ihm zwei Feldsteine gegen Brust und Kopf geschleudert wurden und ihn beinahe lebensgefährlich verwundeten, so gab er nach seiner endlichen Wiederherstellung seine wunderbare Erfindung auf und entschädigte sich dafür durch die Stiftung einer korsischen–Freimaurerloge in der Kalifenstadt Kairo. Er starb vor wenigen Jahren im Alter von beinahe achtzig Jahren, obgleich man der kleinen beweglichen Gestalt höchstens den Sechziger ansah. Meister Floris war ein Original wie es im Buche fleht, aber dennoch ein so nützliches Mitglied des Personals an dem soeben begründeten Museum, daß ich noch heute nicht anstehe zu behaupten, daß er geradezu als unentbehrlich erschien. Mariette gab den Kopf, Floris die Hand zur Gründung der weltberühmten Sammlung her. Das wußte er selber sehr genau und ließ es seinen Generaldirektor deutlich merken, den er gelegentlich mit einem höchst vertraulichen Mon, cher ami anredete, im Grunde genommen aber von ganzer Seele haßte. Er konnte es nicht verschmerzen, daß ihn sein Chef auf unserer gemeinsamen Reise, infolge seiner hartnäckigen Weigerung, einen verlangten Dienst zu leisten, eine ganze Woche lang als »gefährlichen Tollhäusler« in einer leeren oberägyptischen Kaserne unter Schloß und Riegel gesetzt hatte.

Unsere Fahrt in Oberägypten war die denkbar günstigste und erfolgreichste von der Welt, und ich hatte die Freude, in den von ihrem tausendjährigen Schutte bloßgelegten Denkmälern, an ihrer Spitze in Abydos und Theben, neue mir bisher unbekannte Quellen für die Erweiterung meines hieroglyphischen Lexikons und für die Kenntnis geschichtlicher, geographischer, astronomischer und mythologischer Überlieferungen geöffnet zu sehen. Das von Mariette und meiner Wenigkeit in französischer Sprache geführte Tagebuch, das ich bis auf den heutigen Tag als teures Andenken bewahrt habe, läßt an Genauigkeit und Reichtum des Inhalts wenig zu wünschen übrig, und wenn irgend etwas demselben einen besonderen Reiz spendet, so ist es der frohe Ton, mit welchem zwei glückliche, für ihre Studien begeisterte Menschen die Schilderung ihrer gemeinsamen Erlebnisse, Beobachtungen und Forschungen darin schriftlich niedergelegt hatten. Eine solche Zeit kehrt nicht zweimal wieder und behält deshalb für das ganze spätere Leben ihren dauernden Wert. Mit reichen Mitteln ausgestattet, mit den nachdrücklichsten Befehlen an die Ortsbehörde versehen und Herren unserer Zeit, ward uns beiden der beneidenswerte Vorzug zu teil, unserer Freundschaft und unseren Studien einträchtig zu leben. Wir lernten beide von einander und ergänzten die Lücken unseres Wissens durch den Austausch unserer Gedanken auf dem Gebiete der ägyptischen Sprache und Altertumskunde. Die Insel Philä, ganz im Süden der ägyptischen Grenze, bildete das Ziel unserer Reise, für welche wir eine Zeit von nahezu vier Monaten aufgewendet hatten.

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