5. Mein preußisches Beamtentum
Auf der Heimreise.
Das Hinscheiden König Friedrich Wilhelms IV. und die am 2.
Januar 1861 erfolgte Thronbesteigung des Prinzregenten von
Preußen als König Wilhelm I. hatte ich die Ehre dem Schah von
Persien mitzuteilen und damit die Anzeige von der Auflösung
der Mission in Persien zu verbinden. Die Abreise wurde
möglichst beschleunigt und auf verschiedenen Wegen tra ten die
übriggebliebenen Mitglieder derselben ihre Rückkehr nach der
Heimat an. Der hochbejahrte Dragoman Pietrazewski wählte die
weite, aber des langsameren Tempos wegen bequemere Straße
durch Kleinasien; Herr v. Grolmann und meine Wenigkeit
zauderten nicht, einen schnellen Kurierritt von Teheran nach
dem Araxes zurückzulegen, durchschnittlich zwanzig deutsche
Meilen an einem Tage, dann auf Kibitken und Tarantas Armenien
zu durcheilen und im Herzen Kaukasiens Halt zu machen. Von
Tiflis aus zogen wir gemeinschaftlich über die schneebedeckten
Höhen des Kaukasus und trennten uns am Fuße desselben auf
Wiedersehen in der Heimat. Mein militärischer Freund hatte die
Absicht, an den letzten Kämpfen gegen die Tscherkessen
teilzunehmen und sich das russische Kaukasus-Kreuz für
bewiesene Tapferkeit zu verdienen. Ich bemerke nachträglich,
daß mein liebenswürdiger Reisegefährte derselbe v. Grolmann
ist, der im deutsch-französischen Kriege sich durch seine
militärischen Eigenschaften auszeichnete und später als
kommandierender General in Erfurt dem Staate seine
hervorragenden Dienste leistete. Leider habe ich den Schmerz
erlebt, in diesem laufenden Jahre von seinem Abscheiden aus
dieser Welt in Kenntnis gesetzt zu werden.
Es war eine Art von Wasserscheu vor dem Schwarzen Meere,
die mich selber veranlaßt hatte, die Rückkehr nach Berlin auf
dem Landwege zu vollziehen. Vom Kaukasus an bis Moskau hin
durchraste mein Wagen das ganze südliche Rußland, bis mir erst
von Moskau aus die Gelegenheit zu teil wurde, auf den Flügeln
des Dampfrosses Petersburg zu erreichen, und mich unserm
damaligen Gesandten Herrn v. Bismarck-Schönhausen als
abgedankten Vizekonsul gehorsamst vorzustellen. Die Stunde ist
mir unvergeßlich geblieben. in der mir der Vorzug zu teil
wurde, dem Vertreter Preußens am russischen Hofe zum
erstenmale meine Aufwartung machen zu dürfen. Der heutige
Fürst stand damals in seiner vollsten Manneskraft, und seine
ernsten Züge, die auf mir ruhten, machten auf mich den
Eindruck einer Prüfung, die ich zu bestehen hatte. Die
amtliche Kälte, mit der er zu mir sprach, durchfröstelten mich
einigermaßen, aber seine Einladung, mich in seiner
Häuslichkeit einzufinden und mich seiner Familie vorzustellen,
ließ sofort den ersten Eindruck vergessen. Meine Wenigkeit
erfreute sich auch hier einer unverdient liebenswürdigen
Aufnahme. Die Gemahlin des Gesandten empfing mich mit
aufrichtigster Teilnahme für das Wanderleben eines preußischen
Gelehrten, beklagte meine Familie, von der das Schicksal mich
so unbarmherzig trennte, und ihre Worte trafen um so tiefer
die Gefühle meines eigenen Herzens als ihre beiden, damals im
Anfang des zweiten Dezenniums ihres Lebensalters stehenden
Söhne Herbert und Wilhelm das Gedächtnis an meine eigenen
Kinder wachriefen. Während der wenigen Tage meines
Aufenthaltes in Petersburg hatte ich das Glück, wie ein
Hausgenosse der Familie betrachtet zu werden, mich regelmäßig
zu Tisch einfinden zu dürfen, und das fast einfach bürgerliche
Leben im Hause des gestrengen Herrn Gesandten aufrichtig zu
bewundern. Die Unterhaltung des Ministers mit den
Tischgenossen besaß den Reiz der Urteile eines Weltmannes und
wurde durch den seinen Witz, der stets den Nagel auf den Kopf
traf, des Sprechenden gewürzt. Hätte ich damals eine Ahnung
besessen, welch eine große Rolle dem Gesandten für die
Geschicke Preußens und Deutschlands in der Zukunft beschieden
war, ich würde mich selbst beneidet, die Stunden meines
Aufenthaltes in dem Bismarckschen Hanse als die weihevollsten
meines Lebens betrachtet und über jede Minute ein genaues
Tagebuch geführt haben.
Neben dem Legationssekretär von Holstein, dem es kein
besonderes Vergnügen bereitete, nach der Aussprache des
russischen H durch G in der Petersburger Gesellschaft als »von
Golstein« bezeichnet zu werden, lernte ich in der Person des
Predigtamtskandidaten Braun, des vortrefflichen Lehrers und
Gouverneurs der beiden Söhne Bismarcks – er bekleidete später
eine Stelle als Gefängnisprediger in Görlitz – einen lieben
Freund kennen, mit dem ich in den folgenden Jahren im
herzlichsten Verkehr stand.
Meine Abreise von Petersburg, das damals mit der
preußischen Ostgrenze noch in keiner direkten Verbindung durch
einen Schienenweg stand, ging unter den günstigsten Umständen
vor sich nnd ich mußte bei meinem Überschreiten der Grenze
billig überrascht sein, als ich erfuhr, daß die preußischen
Zollbeamten bereits von meiner Ankunft unterrichtet waren.
Über Danzig erreichte ich endlich mein liebes Berlin und alle
persischen Erinnerungen erschienen mir bei dem Wiedersehen der
Meinigen wie ein langer düsterer Traum, den die Wirklichkeit
mich nur allmählich vergessen ließ.
Meine Freunde empfingen mich mit aufrichtigster
Herzlichkeit und die Straßen von Berlin, die ich fast täglich
durchwanderte, schienen mich wie einen Bekannten zu begrüßen
und mir von alten Geschichten immer wieder und wieder zu
erzählen. Mein seßhaftes Leben nahm von neuem seinen Anfang.
Ich arbeitete an einem Werke über die Reise der ersten
preußischen Mission nach Persien, das, wie schon gesagt,
später in zwei Bänden im Druck erschien, und fand meine
Erholung von der aufreibenden Thätigkeit in den Nebenstudien
altägyptischer Inschriften oder in der Erledigung brieflicher
Korrespondenz, die bereits einen gewaltigen Umfang angenommen
hatte. Ich bin noch heute stolz darauf, durch Mitteilungen von
der Hand des Gesandten von Bismarck und seiner Gemahlin beehrt
worden zu sein, die mir die dauernde Teilnahme beider bewiesen
und bis zur Stunde einen leuchtenden Schatz in der Sammlung
meiner Briefe bilden.
Fürst Pückler-Muskau war aufrichtig erfreut, mich nach
meiner glücklichen Heimkehr während seines Berliner
Aufenthaltes wieder in seiner Nähe zu wissen, und in jeder
Woche empfing ich seine Besuche, mit welchen eine Ausfahrt zu
seinen Freunden und Bekannten verbunden zu sein pflegte. Auch
seine reizenden Gastmahle in dem damaligen Hotel de Russie
nahmen wieder ihren Anfang, und seine geistvolle Unterhaltung
übte ihre volle anregende Wirkung, besonders nach meinem
wilden Leben unter den Persern, wie ehedem wieder auf mich
aus. Die Teilnahme des Fürsten für mein Schicksal war die alte
geblieben. Sie drückte sich vor allem in dem Wunsche aus, mich
in gesicherter Stellung und im Dienste des Staates dort zu
wissen, wo ich den ägyptischen Studien am nächsten stand und
gleichsam an der Quelle das Wasser der Belehrung schöpfen
könnte. Ohne mein Zuthun arbeitete mein edler Gönner im
stillen für mich, um meine Versetzung nach Ägypten in
konsularischer Eigenschaft zur Ausführung zu bringen. Seine
Bemühungen trugen einen glänzenden Erfolg davon, als im
September des Jahres 1862 Herr von Bismarck seinen Posten als
Botschafter in Paris verließ, um als Minister der Auswärtigen
Angelegenheiten an die Spitze eines neugebildeten Kabinetts zu
treten. Der Fürst war mit dem Minister und dessen Familie
befreundet und noch gegenwärtig erinnere ich mich mit
Vergnügen der trauten Abendgesellschaften, an denen ich die
Ehre hatte in der Amtswohnung oder in dem Garten dahinter in
so auserlesener Gesellschaft als bescheidenes Anhängsel meines
fürstlichen Gönners teilzunehmen.