Die Vase
Hareth Ben Hemmam erzählt:
Ich zog ohne Gramm
mit der Karawane von Scham
Syrien
gegen die Stadt des Heils am großen Tiger,
Bagdad am Tigris.
unterm Geleite der Söhne vom kleinen Panther,
Des Stamms Benu Numeir
in Gesellschaft Guter, Begüterter,
durch Eintracht in
der Fremde Verbrüderter.
Und unser Trost im Leid,
unser
Lustgeschmeid,
unser gemeinschaftliches Ehrenkleid,
unser
wechselseitiger Neid
war der Seruger Abu Seid.
Als nun der
Zug in Singar rastete,
traf es sich, daß ein Kaufherr des
Ortes gastete,
der zu seinem Salz und Brot
ergehn ließ ein
allgemeines Aufgebot,
ohn' Unterschied des Standes,
an das
Volk der Stadt und des Landes;
sodaß sein Ruf auch an die
Karawane kam
und sie mit Haupt und Gliedern in Anspruch
nahm.
Als wir nun gefolgt seinen Boten
und betreten seinen
gastlichen Boden;
ließ er auftragen Gerichte mancherhand,
wozu man langt mit einer Hand,
Z. B. die Suppe.
und wozu mit beiden,
Z. B. der Braten.
was Gaumen zu laben dient und Augen zu weiden.
Dann
ließ er bringen eine Vase, wie aus Luft gesponnen,
oder aus
Licht geronnen,
die, mit ihrem Geheimnis nicht karg,
durchsichtig, den Schatz im Innern nicht verbarg,
zeigend
eine Fülle nasser
Konfekte, mit Zucker bestäubt und beträuft
mit Rosenwasser.
Und als nun vom Anblick die Gaumen sich zu
wässern
begannen den Süßessern;
als die Augen der
Erwartung starrten
und die Zähne der Ungeduld knarrten
und
harreten wie kampflustige Leute
des Losungsworts: Zum
Angriff und zur Beute.
da ergriff den Abu Seid ein Koller,
daß er aufsprang wie ein Toller
und, als ob ihm ein Unheil
träumte,
vor der Vase rückwärts bäumte
und weit das Feld
vor ihr räumte.
Wir ermahnten ihn zur Vernunft
und baten
ihn um Wiederkunft,
ihn beschwörend, er möge doch unter den
Gläubigen
nicht allein vorstellen den Sträubigen.
Doch er
vermaß sich: Bei dem, der das Gebein belebt, das verdorrt ist!
ich kehre nicht eh'r, bis die gläserne Vase fort ist.
Und
wir mussten schon, um ihn zu stillen
und um seines Schwures
willen,
den schönen Krystall wegräumen
samt allen unsern
süßen Träumen.
Und als er nun, seines Eids entledigt
und
eingetätigt,
zurückgekehrt war zu seiner Stelle,
befragten wir ihn in der Schnelle:
warum er denn also
aufgesprungen
und auf die Hinwegnahme des Glases gedrungen?
Er sprach: Weil Glas ein Verräter ist,
obgleich sein Kleid
von Äther ist,
ein Alleszeiger,
Nichtsverschweiger,
Allesoffenbarer,
Nichtsbewahrer,
dessen Schwatzsüchtigkeit
ist seine Durchsichtigkeit,
und dessen Untüchtigkeit
ist
seine Undichtigkeit;
und ich habe mich vor Jahren vermessen,
mit keinem Ausschwätzer zu sitzen noch zu essen;
weil ich
es noch nicht vergessen,
daß ich einst mit einem gesessen.
Wir sprachen: Berichte,
wie war die Geschichte? –Er sprach:
Ich hatte einst einen Nachbar,
den ich achtete, weil er
schien achtbar;
mit dem ich sorglos und arglos umging
und
nicht dachte, dass er mit Arg bloß umging;
den ich erkieste
und mit ihm koste
und dachte nicht, dass es mich meine Ruhe
koste.
Ich vertraute auf seine Treue
und glaubte nicht,
dass er mir Verderben dräue.
Ich wähnte nicht, noch argwohnte,
als ich mich an ihn gewöhnte und mit ihm wohnte.
Seine
Mienen schienen mir zu verbürgen,
dass unter ihnen sich keine
Minen verbürgen;
sein Lächeln war eine Himmelsmitgift,
doch sein Herz war geschwängert mit Gift;
sein Äussres war
gar nicht arm an Anmut,
doch nur zum Bösen war sein Innres
reich an Mut.
Sein Gefäß klang mit reinstem Tone,
doch war
es geformt aus unreinem Thone.
Ich hielt sein Herz für einen
lautern Palast,
doch es war ein Schiff mit lauter Ballast;
ich hielt seinen Sinn für eine Säule,
um die ich vertrauend
schlang meines Zeltes Seile,
doch was ich mir dachte zum
Heile,
schlug mir aus zum Geheule.
Aber in meinem Hause,
in meiner innersten Klause,
zu meiner Augen geheimstem
Schmause,
hatte ich eine Dirne,
die mit dem Glanz ihrer
Stirne
beschämte des Himmels Gestirne;
deren Augen
Schwärzen
alle brennenden Herzen
füllten mit dunklen
Schmerzen;
deren wallende Locken
dienten, die Morgenwinde
zum Spiel zu locken.
Sie taute, wo sie lächelte,
und
zertaute, wo ihr Odem fächelte.
Ihrer Zähne Blinken
und
ihrer Lippen Winken
machte Milchperlen vor Scham Blutröte
trinken
und Rubinen im Preise sinken.
Ihr Auge machte
Sonn' und Mond zur Fabel
und zur Wahrheit die Sage vom
Zauberbronnen zu Babel. [Fußnote] Der Zauberbronnen zu Babel,
mit dem die dunkle Tiefe des Auges schön verglichen wird, ist
der, worin die beiden gefallenen Engel Harut und Marut wohnen
und diejenigen, die sie dort befragen, Zauberei lehren.
Wenn sie rührte das Tambur,
oder führte das Sambur,
Zwei musikalische Instrumente.
war es wie das Lautenspiel Anahids
Anahid oder
Sore, der weibliche Genius des Abendsterns.
und wie das Saitenspiel Davids.
Sie war Nachtigall,
wenn sie flötete,
und Rose, wenn sie errötete.
Wenn sie
tanzte, zog sie die Seelen in den Wirbel
und riß dem Ernste
den Turban des Anstands vom Wirbel;
und über ihren Tanz
vergaß der Zecher
selbst den Tanz der Perlen im Becher.
Sie beseelte mich
und entseelte mich,
sie beseligte mich
und befehligte mich;
ich achtete zu ihrem Befehle
gering,
wie meine Seele,
mein rotes Gold und meine roten Kamele.
Ich verschleierte sie vor Mond und Sonne;
ich missgönnte der
Welt ihres Anblicks Wonne,
ja die Lust, ihren Namen zu
hören,
oder sie zu ahnden hinter ihren Flören.
Nicht der
Traum eines Wahrsagers
lüpfte den Vorhang ihres Lagers,
noch ein verräterischer Blitz
erspähte sie durch einen Ritz.
Doch an einem Tag, als mein Heil im Versiegen war,
als
mein Glückstern vom Himmel gestiegen war,
machte Rausch mich
zu meines Schweigens Verletzer
gegen meinen Nachbar, den
Schwätzer.
Und als der Pfeil vom Bogen war,
das Wort dem
Käfig entflogen war,
kam die Besinnung nach dem Wahn
und
ließ mich sehn, wie übel ich getan,
die Heimlichkeit meiner
Liebe
einzugießen einem Siebe.
Doch ich nahm vom Nachbar
ein heiliges Versprechen,
an meinem Vertrauen nicht zu
verbrechen;
und er gelobte, mein Geheimnis so zu sparen,
wie Geizige ihren Schatz verwahren.
So ging vorbei
ein Tag
oder zwei;
da ward der Emir jener Gegend,
der Fürst, jenes
Landes pflegend,
Sinnes, zur Pforte des Königes
zu führen
sein Heervolk, sein fröniges,
um zu gehorchen des Gebieters
Winken
und seiner Gnade Regen zu trinken;
und er sah sich
um nach rarem,
ausgesucht klarem
Geschenk für dessen
Harem,
Lohn verheißend dem, der ihm könne deuten,
wo er
ein solches möcht' erbeuten.
Da spitzte mein schlechter
Nachbar die Ohren,
die Lohnverheißung gab seiner Gier die
Sporen,
daß sie, von der Scham umsonst beschworen,
mit ihm
rannte davon zu der Schande Thoren.
Er veruntreute, weh mir,
mein anvertrautes Geheimnis an den Emir.
Und als ich
umsah, war der Harm mir da,
des Emirs Dienerschwarm mir nah.
Ich war betreten,
wie ich mich von ihm sah angetreten,
ihm mein Kleinod abzutreten.
Ich sollte das Unschätzbare
schätzen,
einen Preis auf das Unersetzbare setzen.
Da
bedeckte mich so viel Gram, als Meer
einst bedeckte Pharao
und sein Heer.
Ich bat vor, und es nützte nicht;
ich
schützte vor, und es schützte nicht.
Doch wie er sah meine
Beharrlichkeit,
meiner Weigerung Halsstarrigkeit,
loderte
er und brauste,
knirschte
Die Zähne.
er und krauste.
Die Augenbrauen.
Aber ich wollte meinen Mund von meinem Mond nicht
scheiden,
und nicht mein Herz aus meinem Busen schneiden,
bis endlich niederschmetterte,
was lange mich umwetterte
und ein Schlag den Ausschlag gab:
da zog ich mit dem Leben
ab
und gab meines Auges Schwärze
hin für seine gelben
Erze.
Doch ich gelobte des Tags beim Hochgelobten,
nach
meinem Schaden, dem erprobten,
nie künftig mit einem
Verschwätzer mich einzulassen
noch mit einem
Geheimnisverletzer mich zu befassen.
Das Glas ist aber als
solcher bekannt
und sprichwörtlich so genannt;
und weil
eben seine Treue so schwächlich,
ist sein Glück so
zerbrechlich.
Nun verzeiht, dass euch mein Schwur entzieht, worauf
Stand gerichtet eures Appetits Affekt.
Was ihr hört, entschuldigt mich; und gerne soll
Euch mein ganz Vermögen decken den Defekt.
Doch ich gab dafür zum besten euch den Scherz,
Der Verständ'gen süßer mundet als Konfekt.
Hareth Ben Hemmam erzählt: Wir verziehn ihm aus
Herzensgrund
und küßten seinen süßredenden Mund,
sprechend: Litt doch der Beste der Sterblichen
Muhammad
auch von der Verschwätzerei, der verderblichen;
daher
ihn Gott in seinem heiligen Buch
hat aussprechen lassen den
Fluch
gegen die falsche Klägerin,
die
Höllenbrennholzzuträgerin.
Gegen Abuleheb, Mohammeds
heftigsten Widersacher und nächsten Verwandten (er war sein
väterlicher Oheim, einer von den zwölf Söhnen des Abd
Elmutallib), und gegen dessen Weib, Mohammeds Verleumderin,
ist eine eigene von den letzen kleinen Suren des Korans
gerichtet; sie lautet:
Verdorben Abulehebs Hand, und er verdorben!
Nicht hilft ihm sein Gut und was er erworben.
Hinab in die Flamme des Feuers geht sein Stolz,
Und sein Weib ihm nach mit dem Holz,
Einen Strick von Palmenbast um den Hals.
Sie trägt hier das Holzbündel, um die Hölle für ihren Mann
zu heizen, weil sie dessen Haß gegen Mohammed gehetzt, oder
auch: sie trägt ein Bündel Dörner, weil sie ein solches einst
nächtlicher Weile dem Propheten soll in den Weg gelegt haben.
Dann fragten wir ihn: Und was that nun dein Nachbar, die
Schlange?
Er sprach: Er wand sich in Demut und Wehmut lange,
versuchte mich mit Windung und Wendung
und nachgesuchter
Freundesverwendung;
doch ich war geheilt von meiner
Verblendung.
Ich beharrte bei meiner Spröde
und wies den
Schnöden von mir schnöde.
Doch seine Entblödung war nicht zu
beschämen,
seine Erdreistung nicht zu lähmen.
Und nichts
befreite mich von seinem Zudrang
und sperrte zu mir ihm
endlich den Zugang,
als einige Verse, die mein Unmut hauchte
und mein Schmerz in Bitterkeit tauchte;
die zwangen ihn,
sich zu verbergen vor seiner Schmach,
seufzend weh und ach,
verzweifelnd an meiner Liebe Zurückerflehung,
wie
Gottesleugner an Totenauferstehung.
Da bestürmten wir ihn,
daß er ohne Weile
uns mit dem Genuss der Verse heile;
doch
er sprach mit Lächeln: »Ja. der Mensch ist erschaffen aus
Eile.«
Dann trug er vor Zeil' um Zeile:
Auch einen Nachbar hatt' ich, den mit Stetigkeit
Ich liebt' als Freund, weil er mir schien ein steter.
Doch abgesattelt jetzo steht und abgedankt
Der Gaul der Freundschaft, denn es war ein steter.
Ich war ihm zugetan mit Treue spät und früh;
Es war zu früh, drum kam die Reue später.
Ich spähte nur nach seines Auges Wunsch, das büßt
Mein Schatz nun, mein vom Diebesaug' erspähter.
Er war mir Auf- und Aushub aller Trefflichkeit,
Jetzt ist er mir ein Auswurf, ein verschmähter.
Was ich für einen Acker guter Saat ansprach,
War ein von Satans Unkraut angesäter.
Ein Vetter, der von fetter Weide mich vertreibt
Und mir das Haus verödet meiner Väter;
Ein Unheilbrüter unter Brüdern, der mein Brot
Vergiftet und mir bohnt die schwarzen Breter;
Der Bett und Bäder mir verleidet, gegen den
Geboten sei zu beten jedem Beter.
Er hat des Morgens Aufgang mir verhasst gemacht,
Weil ein Verräter ist der klare Äther;
Und hat die Nacht mir lieb gemacht, weil sie verschweigt,
Weil selbst ihr Dunkel nicht verrät Verräter.
Nicht wohl tut, wer auch den verrät, der übel tut;
Doch Unschuld nur verrät ein Übeltäter.
Hareth Ben Hemmam spricht:
Als nun der Herr des Hauses
und der Wirt unsres Schmauses
erkannte seines Gastes
verborgenen Adel,
die Feinheit und die Spitze seiner Nadel;
ließ er den Schöpfer vom nie leeren Witze
sitzen zu oberst
auf dem Ehrensitze.
Dann ließ er, gefüllt mit süßen Dingen,
vor ihn eine silberne Vase bringen
und sprach: Nicht
gleich ist das Los der Seligen und der Verdammten,
der
treuen und der ungetreuen Beamten.
Dieses Gefäßes
verschwiegnes Metall
ist nicht wie der verrätrische Krystall;
du wirst dich nicht seines Umgangs schämen
und gern aus
seiner Fülle nehmen.
Da hielt jener das Silber mit dem süßen
Kern
empor und zeigt' es uns von fern,
sprechend: Aller
Augen warten auf den Stern.
Danket Gott, der euch vor
Schaden behütet
und euch jeden Verlust vergütet;
der eurer
Sehnsucht Wunde heilet
und eurem Munde die Füll' erteilet.
Der Mensch klagt über ein Übel so leicht
und denkt nicht,
daß es ihm zum Besten gereicht.
Doch schnell dachte er sich
ein andres aus
und sprach zum Herrn vom Haus:
Gepriesen
ist der Wirt, von dessen Schmause
der satte Gast trägt sein
Gefäß mit nach Hause.
Der Herr sprach: Nimm und frage nicht!
Geh in Gottes Namen und klage nicht.
Und Abu Seid zog ab
mit seinem Volke
stumm dankend wie ein Garten der
Regenwolke.
Dann versammelte er uns ohne Verweilen
und
sprach: Nun lasset uns wie Brüder teilen.
Und dem gemäß
langt' er ins Gefäß
und verteilte den Inhalt, Stück für
Stück;
das Gefäß behielt er für sich zurück.
Dann sprach
er: Kein Unfall mög' eure Weiterfahrt hindern!
Ich kehre
jetzt um und sehe nach meinen Kindern.
Er bestieg sein Tier
und verschwand,
die Silbervas' in der Hand,
und wir
blieben zurück erblindet,
wie eine Nacht, deren Mond
verschwindet.