Die Bettlerhochzeit
Hareth Ben Hemmam erzählt:
Ich reiste von der Stadt des Elmansur
Bagdad, erbaut von Elmansur, dem zweiten Kalifen vom Hause
Abbas.
nach dem Gefilde von Sur; (Tyrus).
und nachdem mich hier gehabt ein Wohlhabender
und
gelabt ein Gastlabender,
Reichbegabter, Gleichbegabender:
hatt' ich nicht Lust an längerer Weilung,
sondern sehnte
mich nach Kahiras Ereilung,
Kairo in Ägypten. Die gute Strecke
von Bagdad hervor bis Tyrus, und von da hinab bis Kairo, ist
nur ein Spaziergang für die arabische Wanderlust des
Erzählers.
wie sich ein Kranker sehnt nach der Heilung;
oder wie ein Freigebiger nach Spendeverteilung.
Als ich nun
abgeworfen hatte, was mich gesäumt,
und, was mich aufhielt,
aus dem Wege geräumt,
dann meine Sohle als Reittier gezäumt;
eilt' ich durch Busch und Strauß
mit schnellem Husch wie
ein Strauß.
Und als ich mit der Zeit und mit der Schwiele
war gelangt zu meinem Reiseziele,
erquickt' ich mich daran,
wie am Frührot ein Nachtverirrter,
oder am Frührausch ein
Sinnverwirrter.
Während ich nun dort schon weilte länger
und einst mich umtrieb im Getümmel der Straßendränger,
unter
mir einen stattlichen Passgänger;
erblickt' ich auf schönen
Stumpfschwänzen
einen Reiterzug, schimmernd gleich
Sternetänzen.
Da fragt' ich, begierig auf eine Vergnügung
das Volk nach dem Aufzug und dem Ort der Verfügung.
Man
sprach: Es sind geladene Zeugen des Tags,
die sich begeben
nach dem Ort eines Heiratsvertrags
und Hochzeitsgelags.
Da
trieb es mich, ihnen nachzureiten,
um miteinzunehmen des
Festes Süßigkeiten.
Und wir gelangten nach einem langen und
schweren Traben
hinaus zu einem Schlosse mit Wall und
Graben,
hoch und erhaben,
das Macht und Reichtum schienen
erbaut zu haben.
Als jene nun gestiegen vom Rosse
und
eingegangen waren zum Schlosse,
und ich im Begriffe stand
nachzugehn,
wollt' ich mir doch erst den Eingang besehn:
den fand ich, in seltner Verzierung
und wunderbarer
Staffierung,
von zerrissenen Mänteln umfangen
und von
Bettelsäcken umhangen.
Mich machte stutzen des Buches Titel,
und ich sah kein Mittel,
mir zu erklären die Säck' und die
Kittel;
bis daß ich dahinter einen Mann gewahrt,
der dasaß
nach Pförtnerart;
zu dem trat ich mit meinem Anliegen frei
und beschwor ihn bei dem, der den Vogel erschafft im Ei,
mir
zu sagen, wer der Herr des Hauses sei?
Er sprach: Der Herr
ist ungenannt
und der Gebieter ungekannt;
das Haus ist der
Port der unbehausten Hausierer,
der Ruhort der pausierenden
Hantierer.
Da sprach ich bei mir, wir stehn in Gottes Hand
auch im schlimmen Stand,
an des Abgrunds Rand.
Dann
gedacht' ich, dem Unheil auszuweichen
und das Feld zu räumen
vor den üblen Zeichen;
doch es schien mir schimpflich die
Umkehr vor den Schwellen
und mißlich die Rückkehr ohne
Gesellen:
und ich ging, doch es ward mir sauer,
ins Hans
wie der Vogel ins Bauer.
Siehe, da war drinnen geschmückt
ein Saal,
wie ein Frühlingsthal,
hell wie vom Paradies ein
Strahl,
von Vorhängen bunt umzirket,
von Tapeten reich
umwirket,
Polster umhergespreitet
und Thronsessel
bereitet.
Aber hereingewandelt kam
nun der Bräutigam;
in
wallenden Gewanden,
Aufwärter zu seinen Handen;
er sah
sich um
und siegprangte stumm:
so schritt er zu seinem
Sitz, und da saß er
als wie ein Sohn der Königin
Himmelswasser;
Himmelswasser ist der, höchste
Schönheit bezeichnende, Zuname der Mutter des älteren Mundher,
Königs von Hira.
gegenüber aber, ihn zu beaugenscheinigen,
saß der
Brautvater mit den Seinigen
und ringsumher mit Gepränge
aller Zeugen Gedränge.
Da rief vom Bräutigam und seinem Haus
ein Herold ans:
»Beim Frieden Sassans,
Hier
sehen wir nun den glänzenden Verein dieser weltbürgerlichen
Freileute, unter ihrem derzeitigen Oberhaupt oder Scheich bei
einer feierlichen Gelegenheit versammelt, und zwar in Kairo,
wo, nach den Reisebeschreibern, die Diebe wirklich ihren
eigenen Vorsteher haben, an den man sich um Zurückgabe des
Gestohlenen wenden kann; eine Einrichtung, die aber nicht von
islamischer Barbarei, sondern von altägyptischer
Kasteneinteilung herzuleiten sein möchte, denn Diodor (I, 91)
berichtet schon dasselbe.
des Gründers unseres Grundes,
des Bünders unseres Bundes!
An dieser Statt, der gefreiten,
und an diesem Tag, dem
geweihten,
hier vorm Antlitz der freien Wanderer,
soll
unsre Brautwerbung tun kein anderer,
als der Scheich, der
da gereist und gekreist
und im edlen Beruf ist ergreist.«
Der Antrag gefiel den Brautverwandten,
und sie bewilligten
Eintritt dem hohen Ungenannten.
Da schritt mit Preis
herein ein Greis,
dem gebogen hatten den Stamm die Jahre
und die Tage mit Blüten bestreut die Haare,
der trug den
Stab majestätisch
und die Tasche gravitätisch;
und die
Gemeinde jauchzte ihm entgegen
und drängte sich, zu
empfangen seinen Segen.
Als er nun sich gesetzt auf seinen
Thron
und vor seinem Ernste verstummt war der Jubelton,
legt' er die Hand an den Kober,
und die Stimm' erhob er:
Gepriesen sei Gott, der Geber, der Schenker,
der Gefallnen
Heber, der Verirrten Lenker,
der Erhörer der Bettler und
Beter,
der Unvertretnen Vertreter,
der Zertretnen Hilf'
und der Schrecken der Übertreter;
der erleuchtet die
schwächlich Sehenden
und leitet die gebrechlich Gehenden;
der eingesetzt hat den Almosenzehenten
Die
gesetzlich bestimmte Abgabe jedes Moslems von seinem Vermögen
zum Besten der Armen, deren sich der Koran überall aufs
nachdrücklichste gegen die Reichen annimmt; woraus denn hier
unsre Leute ihr eigenes Rechtsprinzip ableiten. Die ganze
obige Rede aber ist ein Gewebe von Anspielungen auf oder
Anwendungen von Stellen des Korans und der Überlieferung.
und verboten, abzuweisen den Flehenden;
der ermahnt
hat, den Lahmen und den Krummen kein Haar zu krümmen
und zu
speisen den Stummen und den Ungestümen.
Er hat seinen
Knechten, den gerechten,
in seinem Buche, dem echten,
gesagt, und er ist für die Fragenden
der Wahrste der
Wahrheitsagenden:
»Heil denen, die einen Teil ihrer Habe
verwandten
für die verstoßnen heimatlosen Verbannten.«
Ich
preis' ihn für der Güter verliehenen Nießbrauch
und bitt'
ihn, abzuwenden den Missbrauch;
ich fleh' ihn, zu behüten vor
dem Fehltritte
und zu bewahren vor der Fehlbitte,
und
bezeuge, dass kein Gott ist als er,
und keiner mehr,
ein
Gott, der belohnt die Almosenspendenden
und beschämt die ihr
Antlitz Wendenden,
die mit leerer Hand Entsendenden;
der
verpönt hat Zins und Wucher
und erlaubt das Gewerbe der
Wohlthatensucher.
Ich bezeuge, dass Mohammed ist sein werter
Bot',
in die Welt gesandt wie das Morgenrot,
um die
Finsternis durch das Licht zu scheuchen
und den Armen zu
helfen gegen die Reichen.
Er war (Gott sei ihm gnädig) den
Dürftigen mild
und der Unterdrückten Schild;
er hat die
Güter der Begüterten besteuert
und der Not der Notleidenden
gesteuert.
Gott stell' ihn höher als die Höchsten
und
näher dem Thron als die Nächsten!
Ihn speisen des Paradieses
Äste,
wie er einst gespeist aufs beste
die Leute der
Soffas, des Islams Gäste.
Die Leute des Soffas sind
die armen und verbindungslosen Fremdlinge, die sich in den
ersten Zeiten des Islams an Mohammed in Medina anschlossen,
und denen er ihren Unterhalt zukommen ließ, zum Teil aus dem
vorerwähnten Almosenzehnten und den eingehenden Geschenken,
zum Teil dadurch, dass er mehr oder weniger von ihnen seinen
einzelnen reicheren Gefährten wechselweise auf die Verpflegung
für einen Tag zuwies. Sie haben ihre Namen vom Soffa, einem
Gerüst oder Flechtwerk aus Palmzweigen, das der Prophet in der
Moschee ihnen zur Wohn- und Schlafstelle einrichtete.
Nun aber, Gott der höchste hat die Ehe eingesetzt zu
einer Zucht
und Heiles Frucht,
als Mittel zu des bösen
Triebes Gewältigung
und als Weg zu eurer Vervielfältigung.
Er sagt: O ihr Menschen, wir haben euch geschaffen Mann und
Weib, damit ihr einander überkleidet,
Ein
Koranausdruck zur bildlichen Bezeichnung der innigsten
Lebensgemeinschaft zwischen beiden Gatten.
und haben euch gemacht zu Stämmen und Geschlechtern, auf
daß ihr euch voneinander unterscheidet.
Hier nun ist Abu
Derradsch,
Welladsch Ben Cherradsch,
Fänger, Sohn des
Gängers,
Sohnes des Drängers;
Herr vom unverschämten
Gesicht,
Habegern von Fürchtenicht,
der preisliche,
freisliche,
unabweisliche, unabspeisliche,
mit allen
Wassern gewaschen
und Meister von allen Taschen;
der
begehrt die Zierde ihres Stamms,
die Begierde ihres
Bräutigams,
die Kambas,
Bint Ebi Ambas,
Krauselind,
Tochter von Brausewind,
wegen dessen, was er vernommen von
ihrer Übsamkeit
und unbetrübsamen Betriebsamkeit,
von
ihrer Abrüchtigkeit,
Gabsüchtigkeit und Trabflüchtigkeit;
und bestimmt ihr zum Mahlschatz einen Rock und eine Tasche
einen Stock und eine Flasche.
So gewähret denn dem Freier,
der freit nach seinem Stand,
und verschlinget dem seinigen
euer Band;
»und wenn ihr fürchtet die Armut, Gott wird euch
aufthun seine milde Hand.«
Der Koranspruch: und wenn
ihr fürchtet einen Mangel, so wird euch Gott versorgen mit
seiner Gnadenfülle, steht Sure 9, 28, doch ohne Bezug auf Ehe
und Ehesegen, vielmehr in Bezug auf ein eben ergangenes
göttliches Gebot, die Ungläubigen von dem Besuche der Kaaba
auszuschließen, wodurch die Vorteile, die aus deren bisherigem
Verkehr für die Stadt Mekka entsprangen, verloren gingen. Aber
Sure 24, 32 steht: Lasset heiraten die Ledigen unter euch, und
die Frommen von euren Knechten und Mägden; wenn sie arm sind,
wird sie Gott versorgen mit seiner Gnadenfülle. Und an einer
andern Stelle: Tötet eure Kinder nicht (der Gebrauch der
heidnischen Araber) aus Furcht der Armut; wir werden euch
ernähren und sie.
Und nun beug' ich mich vor Gott als sein demütiger
Knecht,
ihn bittend, daß er mehre in den Herbergen euer
Geschlecht
und wahre gegen die Schergen euer Recht.
Als
so der Scheich den Vortrag beschlossen
und der Bräutigam des
Jaworts genossen;
da ward ein Hochzeitsspenderegen
Die Verstreuung von Münzen, Flittern, etwa auch Süßigkeiten,
ein gewöhnlicher Gebrauch bei Hochzeit und anderen Festen.
ergossen,
dessen Strom die Wünsche der Begehrlichkeit
deckte
und im Geize Nacheiferung der Großmut weckte.
Darauf erhob sich der Scheich und wandelte hindannen mit
Schlendern
und zog alles Volk sich nach gleich seinen
Gewändern.
Hareth Ben Hemmam spricht: Um voll zu machen des
Tages Lustausbeute,
folgt' ich dem Rückzug der Leute.
Da
führte sie ihr Führer, um sie zu erfrischen,
in einen Saal
mit gedeckten Tischen,
auf denen hatten die Meister der
Küche
gleichmäßig verteilt die Gericht' und Gerüche.
Als
nun jeder gefasst seinen Posten
und bereit war, zu kauen und
zu kosten,
wollt' ich aus den Reihen der Schlacht entweichen
und fliehn, als man zum Angriff gab das Zeichen.
Da machte
der Alte nach mir eine Wendung,
und mein Auge traf von
seinem Blick eine Blendung;
er rief: wohin willst du,
Mucker?
und wo hin zielst du, Ducker?
bist du nicht hier
in Gesellschaft Schmucker?
Ich rief: Bei dem, der die
Sphären rollt
und die Himmel auslegt mit Gold!
keinen
Bissen werd' ich versuchen,
noch anrühren einen Kuchen,
du
sagest denn, woher du stammest,
woher du wehest, wohin du
flammest?
Da schnob sein Seufzer dem Himmel entgegen,
dann
stob nieder sein Thränenregen;
dann brach aus seiner Trübe
das Licht an,
er nahm ein mir bekanntes Gesicht an
und hub
so den Bericht an:
Mein Geburtsland ist Serug,
Wo mein Glück einst Wogen schlug;
Ein Gefild, in welchem du
Alles findest all genug;
Dessen Brunn' ist Selsebil,
Fülle, die erschöpft kein Krug.
Auf der Weide geht das Lamm,
Zwischen Blumen geht der Pflug.
Durch die Häuser wandeln Söhne,
Wie durch Lüft' ein Sternenzug.
O des Anblicks dieser Flur,
Deren Duft macht jung und klug;
O der Blüten, wann der Schnee
Schmilzt vom sanften Hügelbug!
Wer es sieht, der spricht: das Eden
Dieser Erden ist Serug;
Und des Grams versieget nie,
Den das Glück daraus verschlug;
Wie mir's ging, seit nackt von dort
Mich vertrieb das Volk Olug.
Olug, Barbaren, hier
die Griechen. Die Eroberung von Abu Seids Vaterstadt, Serug,
durch die Griechen, bildet die historische Grundlage des
Romans. Durch jene Eroberung ist er aus blühendem Wohlstand
vertrieben und zu dem unsteten Wanderleben gezwungen, dessen
einzelne Scenen nun die Makamen schildern; aber die Erinnerung
an seinen ursprünglichen Zustand begleitet ihn durch alle
seine Verwandlungen und bricht hier und dort, oft mitten aus
der possenhaftesten oder unwürdigsten Vermummung, in einem
Liede, wie das obige, rührend hervor. Ein andermal aber sehen
wir ihn diese seine wahre Geschichte selbst, mit Verleugnung
eines Gefühls, als eine Lüge benutzen.
Seitdem ungehemmet ging
Meines Seufzers Odemzug;
Und die Thräne fließt, wie mich
Heimwärts trägt Gedankenflug.
Trösten kann mich nicht für das,
Was mir raubte Schicksalstrug,
Dass ich seitdem vor der Welt
Bettlerkönigs Krone trug.
Der Erzähler spricht: Als nun sein Gedicht mir gegeben des
Rätsels Schlüssel,
begrüßt ich mit Lust den Bekannten und aß
mit ihm aus einer Schüssel.
Worauf ich, solang ich in Kahira
weilte,
beständig seine Gesellschaft teilte,
stets pochend
an seiner Geistesschatzkammern Pforte
und meines Ohres
Muschel füllend mit den Perlen seiner Worte;
bis daß der
Rabe der Trennung zwischen uns krächzte
und meine Seele beim
Abschied ächzte.