Das gestohlne Gedicht
Hareth Ben Hemmam berichtet:
Ich war noch ins Gewand meiner Jugend gekleidet,
als mir
der Aufenthalt in der Heimat ward verleidet
durch einen
Handel, der mich schreckte,
und eine Furcht, die mich
bedeckte;
so dass ich die Schale des Schlummers ausgoss
und
zum Nacht-Ritt spornte mein Grauross.
Ich drang darauf durch
ein wüstes Moor,
das kein Fußtritt hatte bezeichnet zuvor,
worin selbst der Kiebitz den Weg verlor;
bis daß ich nun
gelangte zu der Glaubensherrschaft Pforte,
Bagdad, dem
Friedensporte,
aller Bedrängten Zufluchtsorte.
Da legt'
ich ab der Bekümmernis Schleier
und nahm das Gewand der Ruh'
und Feier,
indem ich der Lust des Herzens nachhing
und dem
Pfade des Scherzens nachging.
Da sah ich nun eines Tags auf
dem Walle Reiter, die sprengten,
und Fußgänger, die sich
drängten
um einen Scheich, der im Getümmel
sich zerrte mit
einem jungen Lümmel,
den er am zerrissenen Kragen packte
und ihn scharf mit Worten zwackte.
Doch ich folgte dem
Zuschauertrosse,
bis wir gelangten zu des Stadtpflegers
Schlosse.
Da saß der Schirmherr breit auf seinem Sitze
mit
ehrfurchtgebietendem Antlitze;
und der Scheich trat auf in
der Rolle des Klägers
und sprach: Gott erhöhe den Knöchel
des Landpflegers.
Hier dieser Jüngling, den ich erzog,
weil meine Zärtlichkeit mich betrog;
der von der Mutter
Schoß zu mir kam,
den ich als vaterlos zu mir nahm;
den
ich gut hielt und ihn zum Bessern anhielt
und ihm mein
Bestes nicht vorenthielt;
er nun, nachdem die Federn ihm
gekielt,
ist's, der gegen mich den Meister spielt,
der
nach mir mit meinen eignen Waffen zielt,
mein Brot und meine
Kunst mir stiehlt.
Ich hoffte nicht, daß es so mir
fruchtete,
als ich mit meiner Weisheit ihn befruchtete.
Der Jüngling sprach: Was that ich, woran du dich stießest,
daß du solche Schmach über mich ausgießest?
Bei Gottes
Gewissen und meinem Gewissen!
nie hab' ich den Vorhang der
Ehrfurcht zerrissen,
noch das Antlitz der Dankbarkeit
verhüllt
und dein Gebot gelassen unerfüllt.
Wann hab' ich
das Siegel deines Hehls erbrochen,
oder den Stab deines
Befehls zerbrochen?
Der Alte sprach: Weh dir! Welches
Vergehn ist hässlicher,
welches Versehn ist grässlicher,
welche Sünd' ist unerlässlicher,
als dass du mir tratest auf
die Ferse,
dass du mir stahlest meine Verse?
Wer einem
einen Gedanken stiehlt, stiehlt ihm die Seele;
das ist
ärger, als ob man Gold und Silber stehle.
Ein Dichter hegt
auf seine Frucht
eine noch stärkere Eifersucht,
als ein
Mann auf seines Weibes Zucht.
Der Landpfleger sprach: Wie
hat er gestohlen?
verhohlen oder unverhohlen?
die Blüten
oder die Pflanze,
das Halbe oder das Ganze?
Der Alte
sprach: Bei dem, der Liedesruhm
gemacht hat zu
Arabereigentum!
er hat ein Drittel weggestutzt
und das
übrige für sich genutzt.
Der Landpfleger sprach: Sag deine
Verse her mit Stumpf und Stiel,
daß wir sehn, wie er stahl
und wie viel.
Und der Alte hub an:
O Welt, du böser Zauberwald, wo jedes Wild
Ein Netz umgarnt; weh dem, der dich berühret.
O Antlitz, das mit Lächeln heut, und morgen an
Mit Weinen schaut, und dessen Herz nichts rühret.
O Truggewölk, das Sommerau'n nur überfliegt
Und nicht erlabt, nur Durstes Flammen schüret.
O Kerker, des Gefangener viel tausendmal
Vorm Tod erschrak, eh' man zum Tod ihn führet.
Wie mancher Mann ward schwindlig, weil ihm deine Gunst
Das Kleid gewirkt, und that, was nicht gebühret,
Dann wandtest du den Spieß im Nu, und plötzlich lag
Sein Stolz gefällt, und seine Kraft geschnüret.
Schad' um dein bessres Leben, Herz, wenn es im Dampf
Der Wüst' erliegt, wo keine Spur man spüret.
O geh nicht diesem Irrschein nach. Der Herr hat dir
Geleit' gesandt; wohl dem, der es erküret.
Und traue doch dem Feinde nicht; er wacht, ob auch
Sein Auge zwinkt, bis er den Streich dir führet.
Du bist das außen grüne Holz, in dem der Wurm
Von innen nagt, und bleibst du ungerühret?
Darauf sprach der Landpfleger: Her da!
was tat nun der
da?
Der Scheich sprach: Er hat ungeschliffen
meine
sechstaktigen Verse angegriffen
und jedem einen Doppeltakt
abgezwackt,
dass meine Ehre ward fasernackt.
Der
Landpfleger sprach: Erkläre dich deutlicher, was hast du
gelitten?
und was hat er dir abgeschnitten?
Er sprach:
Neige mir dein Ohr
und verschließe nicht deiner
Aufmerksamkeit Thor;
ich trage dir nun sein Machwerk vor,
dass du sehest, wie er mit mir gewandelt,
und ermessest, wie
er an mir gehandelt!
Worauf er anhob,
indes sein Seufzer
himmelan schnob:
O Welt, du arger Zauberwald,
Wo jedes Wild ein Netz umstrickt.
O Antlitz, das mit Lächeln heut
Und morgen an mit Weinen blickt.
O Truggewölk, das Sommerau'n
Nur überfliegt, und nicht erquickt.
O Kerker, des Gefangener
Viel tausendmal vorm Tod erschrickt.
Wie mancher Mann wird schwindlig, weil
Ihm deine Gunst das Kleid gestickt.
Dann wandtest du den Spieß im Nu,
Und plötzlich lag sein Stolz geknickt.
Schad' um dein bessres Leben, Herz,
Wenn es im Dampf der Wüst' erstickt.
O geh nicht diesem Irrschein nach;
Der Herr hat dir Geleit' geschickt.
Und traue doch dem Feinde nicht;
Er wacht, ob auch sein Auge nickt.
Du bist das außen grüne Holz,
In dem der Wurm des Todes pickt.
Da sprach der Landpfleger zum Knaben:
Du undankbarster
der Raben.
bestiehlst du die Hände, die dir Futter gaben?
Der Jüngling sprach: Sei ich ausgestoßen
vom Schoß der Kunst
und ihren Genossen
und gezählt zu den Rotten,
die des
Heiligtums spotten,
wenn sein Gedicht mir bekannt war,
eh
mein eigenes Licht entbrannt war:
sondern durch Zufall
trafen die Geister zusammen,
wie zwei Rosse auf einer Bahn,
die aus verschiedenen Ställen stammen,
oder wie zwei
wandernde Stämme
zu einer Tränke und Schwemme.
Er sprach
es, und der Landpfleger,
der Gegenbehauptungen Abwäger,
sann, wie er zur Klarheit
möchte bringen Falschheit und
Wahrheit.
Da wusst' er keinen Rat, als beide Reimer
wettziehen zu lassen an einem Eimer;
er sprach: Wenn ihr
wollt, dass der Würdige sei gekrönt,
und der Unebenbürtige
verhöhnt;
so bereitet euch zu einem Wechselkampf,
auf der
Taktbahn des Gedichts zu einem Wettgestampf,
daß, wer
unterliege, lieg' offen dar,
und wer obsiege, sieg'
offenbar.
Da sprachen sie mit einer Zunge,
der Alte und
der Junge:
Wir sind die Probe zufrieden,
sei dein Befehl
uns beschieden.
Er sprach: Ich halte das Wortspiel
für den
Gipfel der Kunst und ihr höchstes Ziel;
daran mögt ihr euch
mir in zehn Doppelzeilen erproben,
ganz mit solchem Schmucke
der Rede durchwoben,
und in anmutigen Bildern
sollet ihr
darin schildern
die feurige Liebe, die ich trage
zu einer,
die meine Lust und meine Plage,
dunkelrot von Lippe,
hart
wie eine Klippe,
gerade wie ein Bolz,
überschwenglich an
Stolz,
im Versprechen vergesslich,
im Gehorchen lässlich,
und ich ihr ergeben unermesslich.
Er sprach's, und hervor der
Alte brach,
und der Junge drängte ihm nach;
so wettrannten
sie in Eile,
Zeile um Zeile:
Das Haar um ihre Schläfe nahm den Schlaf von meinem Auge;
Ich schmachte, weil sie mich verließ, in dem Verließ des
Leides.
Aus ihrem Wuchs erwächst mein Tod, mein Blut fließt um die
Blüte
Der Wang', ihr Auge weidet sich am Brand des Eingeweides.
Mein Los ist hoffnungslos, bis mich die Mängellose löset;
Doch ist mein hoffnungsloser Stand ein Gegenstand des
Neides.
Dem Gleichgewicht der Glieder war mein Auge gleich gewogen,
Doch eben maß das Ebenmaß des Leibs mein Herz voll Leides.
Es bindet sie kein Bund noch Band, doch soll mich nichts
entbinden,
Geschmeidig zu umschmiegen sie statt eines Halsgeschmeides.
Sie schmäht den, der sie lobt, und sie verschmäht den, der
sie liebet;
Ich bitte und ich bet' um sie, doch sie verbeut mir beides.
Ihr weih' ich mich, wie sich dem Weih die Taube, zum
Zerfleischen;
Und wenn sie mir mit Hohn vergilt, gilt mir für Gold und
Seid' es.
Sie meinet, einen Meineid wohl beschönige die Schönheit;
Nicht bricht, was treulos sie verbricht, die Treue meines
Eides:
Und winde sie sich wie der Wind, und schlinge sich wie
Schlangen;
Doch sie umwind', umschling' ich, sie verleid' es oder
leid' es.
Bescheidentlich bescheid' ich mich mit dem, was sie
beschieden;
Von ihr nicht scheid' ich; ob ich soll verscheiden, sie
entscheid' es!
Wie die beiden dieses vorgetragen mit Brunst
staunte der
Landpfleger ob ihrer Kunst
und sprach: »Ich bezeug es bei
Gott, ihr seid des Himmels Zwillinge
und gleichet einer dem
andern als wie ein Schilling dem Schillinge.
Der Jüngling
hier giebt aus, was Gott ihm gegeben;
sollt' er betteln oder
stehlen, da er hat zu leben?
Drum du, o Scheich, schlage
deinen Argwohn nieder
und nimm ihn auf in deine Liebe
wieder.
Der Alte sprach: Wie könnt' ich ihm noch trauen,
oder auf ihn mein Zutraun bauen,
da ich erfahren musste seine
Treulosigkeit
und gewahren seine sündliche Scheulosigkeit?
Der Jüngling entgegnete ihm und sprach: O du! ist nicht
Schmollen schimpflich
und Grollen unglimpflich?
nicht
Argwohnhegen ungerecht
und Unschuld verleumden schlecht?
Und gesetzt, ich habe mich vergangen
und ein Verbrechen
gegen dich begangen;
erinnere dich, was du damals sprachst
an dein eignes Gemüte,
als unsere Freundschaft stand in
Blüte:
Sei gegen deinen Bruder mild,
Wenn gegen dich er selbst ist wild.
Und dämpf in Demut deinen Sinn,
Wenn ihm die Brust von Hochmut schwillt.
Tu Gutes ihm und frage nicht,
Ob er's mit Bösem dir vergilt.
Und ward er gegen dich ein Schwert,
Doch bleibe du für ihn ein Schild.
Wer nicht, geschlagen, wieder schlägt
Und nicht, gescholten, wieder schilt;
Wer seine Macht nicht gelten macht,
Gilt einst, wo keine Macht mehr gilt.
Sieh deine Fehl'! Und deine Klag'
Um fremde Fehler ist gestillt.
Wenn du Vollkommnes suchen willst,
Was suchst du es im Staubgefild?
Kein Mensch ist, und du selber nicht,
Ein reinbewahrtes Gottesbild.
Du siehst, wie trüb im Tümpfel wird
Die Flut, die rein dem Fels entquillt;
Und am Gedörne stichst du dich,
Wenn du die Datteln sammeln willt.
So sprach er, und der Alte züngelte wie eine Schlange
und
äugelte wie ein Falk zum Fange;
dann sprach er: Bei dem, der
den Himmel besetzt mit Gestirnen
und den Tau lässt träufen
von Wolkenstirnen.
ich neige mich nicht ab der Versöhnung,
als nur aus Furcht der Verhöhnung.
Denn diesem Knaben gab
ich sonst die Kost,
er fand bei mir seinen Rat und Trost;
damals floß mir reichlich die Nahrung,
und ich dachte nicht
an Sparung.
Jetzt aber sind die Zeiten arg,
und die Fülle
des Lebens karg;
mein Kleid hier ist aus fremdem Schatze,
und in meinem Haus blieb weder Maus noch Katze.
So sprach
er, und die Rede der beiden
rührte des Landpflegers
Mitleiden;
er wollt' ihrer Armut greifen unter die Arme,
und sich zu entfernen gebot er dem Zuschauerschwarme.
Es
spricht der Berichter dieser Geschichte:
Ich spähte schon
längst nach des Alten Gesichte,
ob ich ihn nicht erkennte
bei näherem Lichte?
doch er war mir durch das Gedräng
entnommen,
und ich fand nicht Raum an ihn zu kommen.
Als
sich nun getrennt die Haufen
und das Volk sich hatte
verlaufen;
fasste ich ihn ins Aug', und sieh, es war Abu Seid
und sein Knabe;
da merkte ich wohl, was er im Schilde habe.
Fast wollt' ich an ihn rennen
und mich ihm geben zu
erkennen;
doch er wehrte mir mit einem Augenblink
und wies
mich zur Ruhe mit einem Wink.
Da sprach der Landpfleger zu
mir: Was ist dein Begehr,
dass du allein dich noch stellest
hierher?
Schnell sprach der Alte: »Er ist mein Freund seit
langem,
und er ist es, von dem ich dieses Kleid empfangen.«
Da wollte jener mich nicht beschämen
und erlaubte mir
Platz zu nehmen.
Dann gab er jedem der beiden ein
Ehrengewand,
drückte jedem ein Stück Geld in die Hand
und
vermahnte sie, friedlich sich zu vertragen
bis zu dem
jüngsten von den Tagen.
Da verließen sie die Sitzung eilig
und priesen ihren Wohltäter heilig.
Ich folgte, denn ich
wollte gern ihre Wohnung wissen,
um mich zu nähren von ihrer
Gespräche Leckerbissen.
Doch als wir nun aus dem Schlossgeheg
gekommen waren auf den freien Weg,
kam ein dienstbarer
Geist des Landpflegers nach,
der mich zurückrief in des
Herrn Gemach.
Ich sprach zu Abu Seid: Er läßt gewiß mich
holen,
um über dich mich auszuholen?
Auf welche Seite soll
ich mich neigen?
was soll ich zeigen und was verschweigen?
Er sprach: Sag es ihm, wie seiner Weisheit ward mitgespielt,
und was seine Weisheit für eine Schlapp' erhielt;
daß er
merke, sein Wind sei in des Sturmes Krallen
und sein
Bächlein ins Meer gefallen.
Ich fürchte, Feuer fängt sein
Stroh,
und dich erreicht die Loh',
oder sein Zorn zerreißt
das Band,
und dich trifft die schwere Hand.
Er sprach:
Stehenden Fußes geh ich ab nach Ruha,
Ruha, eine
Stadt in Mesopotamien.
und wie kämen zusammen Suheil und Suha?
Suheil,
ein südlicher großer Stern (der Kanopus), Suha ein sehr
kleiner, nördlicher Stern (im großen Bären).
Ein gespielter Betrug ist wenig wert,
wenn ihn nicht
der Betrogne erfährt;
ich mag, wo es geht ohne Schaden,
nicht am Braten die Würz' entraten.
Als ich nun vor dem
Landpfleger erschienen,
der allein war und abgelegt hatte
die Amtesmienen,
fing er an, zu rühmen des Scheiches Kunst
und zu schelten seines Schicksals Missgunst.
Er sprach: Sage,
bist du's, der ihn versorgt,
der ihm jenes Kleid hat
geborgt?
Ich sprach: Bei deines Thronsitzes Prangen!
Er
hat keinen Fetzen von mir empfangen;
du hast dich in einer
Schlinge gefangen.
Da begann sein Auge zu funkeln,
seine
Wange vor Zorn zu dunkeln;
er rief: Bei Gott! mir blieb noch
kein Schelm versteckt
und kein Bösewicht unentdeckt;
doch
nie hört' ich, dass betrüg' im Handel
ein Scheich in seinem
Ordensmantel.
Weißt du, in welche Schluft
sich verkrochen
hat der Schuft?
Ich sprach: Besorgt um seinen Unfug,
entwich er aus Bagdad ohne Verzug.
Er sprach: Gott gebe ihm
keine gute Statt
und, wo er weidet, kein grünes Blatt!
Doch ich will nicht, daß hier es werde ruchbar;
die Welt ist
an übler Nachrede fruchtbar;
dass mir's nicht schade beim
geistlichen Oberhaupt
und ich werd' ein Gelächter überhaupt.
Er forderte mir
ab ein Versprechen,
davon, solang ich in Bagdad sei, nicht
zu sprechen;
das sagt' ich ihm zu mit gutem Mute
und hielt
ihm Wort, wie Samel, der Jude.