Das Eidformular
Hareth Ben Hemmam erzählt:
Nach Rahba, der Frühlingsros' an des Euphrats Wogen
ward
ich von einem Verlangen gezogen,
dem ich folgte mit
schnellem Tier
und rascher Begier.
Und als nun mein
Landschiff, gerudert von den Sporen,
war eingelaufen zu den
Thoren;
als ich Anker und Zeltplatz mir hatt' erkoren
und
trat aus einem Bade gesalbt und geschoren:
sah ich einen
Jüngling, gegossen in der Schönheit Form,
gegliedert nach
der Vollkommenheit Norm,
gehalten an seines Mantels Falten
von einem Alten,
der ihn beschuldigte mit Wut,
er habe
vergossen seines Sohnes Blut.
Der Jüngling aber, standhaft,
leugnete ab die Bekanntschaft
und führte mutig seine
Verteidigung
gegen solchen Vorwurfs Beleidigung.
Ihres
Streitfeuers Funken stoben,
und es hatte sich um des
Kampfplatzes Toben
das Gedränge der Menge zusammengeschoben;
bis beide zuletzt sich verständigten,
dass sie ihren
Streit, den sie nicht beendigten,
zur Entscheidung dem Wali
des Orts behändigten.
Der war aber einer, von dem man sagte,
dass Knabenschönheit ihm mehr als andre behagte.
Und als
sie nun mit beflügelten Hanken
waren gerannt in die
Schranken,
brachte der Greis an die Sache
und beschwor des
Richters Rache.
Dieser gebot dem Jüngling, zu sprechen,
und schon hatten begonnen ihn zu bestechen
die dunklen
Locken um die hellen Flächen.
Der sprach: Es ist eines
Lügners Lug
gegen einen, der keinen erschlug,
eine
meuchlerische Hinterlist
gegen einen, der kein Meuchler ist.
Der Wali sprach zum Alten,
ungehalten:
Hast du zur
Thatbescheinigung
zweier rechtgläubigen Zeugen Vereinigung?
wo nicht, so begnüge dich, ohne weitere Peinigung,
vom
Beklagten mit dem Eide der Reinigung.
Der Alte sprach: Er
hat schnöde
ihn erschlagen in der Öde,
wo ihm niemand hat
zugesehn;
wer soll mir Zeugnis zugestehn?
Die stumme Wüste
hat getrunken das Blut,
die es zu verraten nicht den Mund
aufthut;
und nun birgt er Sinnes Unhuld
hinter der Mienen
Unschuld.
Doch lass mir nur die Wahl des Eidformulares,
und
du sollst sehn, ob ich Falsches red' oder Wahres.
Der Wali
sprach: Das steht dir zu Gebot,
zum Trost um deines Sohnes
Tod.
Da sprach der Alte zum Jüngling: Sprich:
Bei dem, der die Stirne geschmückt mit dem Lockenkranz
und die Augen mit dem dunklen Glanz,
die Augenbrauen mit der
leisen Scheidung
und die Wimpern mit der Saumbekleidung,
die Augenlider mit der Schwere,
die Nasenwölbung mit der
Hehre,
die Wangen mit dem Tagesanbruch
und das Kinn mit
dem Jugendanflug,
die Knospe des Mundes mit dem Aufsprung,
die Säule des Halses mit dem Aufschwung,
die Haltung des
Hauptes mit dem Sinken
und das Lächeln mit dem Zahnblinken!
ich habe deinem Sohn nichts gethan zuleide,
noch seinen
Busen gemacht zu meines Schwertes Scheide.
Wo nicht, so
schlage Gott mein Auge mit Decken
und meine Wange mit
Flecken,
meine Schläfe mit der Kahlheit,
meine Rose mit
der Fahlheit,
meine süße Frucht mit der Schalheit,
meine
Stirne mit den Falten,
meine Zähne mit den Spalten,
meinen
Odem mit dem Dampfe,
meine Lippen mit dem Krampfe,
mein
Feuer mit dem Froste,
meinen Spiegel mit dem Roste,
meinen
Mond mit dem Schwinden,
meine Sonne mit dem Erblinden,
das Silber meines Kinns mit der Schwärze
Das Silber des
Kinns ist dessen jugendliche Glätte, und die Schwärze, womit
es geschlagen werden soll, der gefürchtete Bart.
und das Elfenbein meiner Hüfte mit dem Schmerze!
Da sprach der Jüngling: Eh'r alles Leid,
als diesen Eid!
eh'r das Leben verloren,
als schwören, wie noch kein
Mensch geschworen!
Doch der Alte bestand darauf, um seine
Unschuld zu verbürgen,
müss' er den Eid hinunterwürgen.
Das Ende des Streites war unabsehbar,
der Weg der
Vereinigung ward ungehbar.
Doch des Jünglings edle Weigerung
diente seiner Schönheit zur Steigerung
und zur Schürung
von des Richters Brunst,
der eine Rührung spürte ihm zu
Gunst.
Sein Ohr war erfüllt vom Eidformular,
das ein
Verzeichnis der Reize war,
und mit des Auges Geize
verschlang er noch einmal die Reize;
bis dass ihm der
Empfindung Flammen
schlugen über die Besinnung zusammen
und die Torheit ihm den Rat einflößte,
den Jüngling zu
gewinnen, indem er ihn löste.
Wenn er dem Alten ihn risse
aus den Krallen
würde er ihm in die Hände fallen.
Und er
sprach: Willst du hören, was die Menschenliebe rät,
und thun,
was der Frömmigkeit wohl ansteht?
Der Alte sprach: Und was
rietest du?
Ich gehorche, was gebietest du?
Der Wali
sprach: Mein Bescheid ist, das du diesen Jüngling scheidest
von der Qual
und dich bescheidest mit hundert Miskal,
die ich zum Teil werd' aus Eignem erschwingen,
zum Teil
von da und dort aufbringen.
Der Alte sprach: Du hast nur zu
walten
und Wort zu halten.
Da zählte der Wali zwanzig bar
auf
und wandte sich zu seiner dienenden Schar drauf,
von
welcher er noch zusammenbrachte,
was voll das halbe Hundert
machte.
Da hatte die Sonne sich verkrochen,
das Abendgebet
sollte sein gesprochen,
und die Geldernte ward unterbrochen.
Der Wali sprach: Nimm, was da ist,
und erwarte, was nah
ist;
morgen früh wollen wir zusehn,
dass dir zukomme, was
dir mag zustehn.
Der Alte sprach: Auf den Beding, daß diese
Nacht
dieser Jüngling bleib' in meiner Macht,
nur vom
Manne meines Auges
Der Mann des Auges, bei uns die
Pupille, das Kindchen des Auges.
bewacht;
und wenn ich morgen bin entschädigt,
sei er
der Haft entledigt,
frei
wie der junge Vogel vom Ei,
und
für mich unschuldig an Bös und Gut
wie der Wolf an Josephs
Blut.
Sprichwortlich der Wolf, der den von seinen
Brüdern verkauften Joseph zerrissen haben sollte.
Der Wali sprach: Du forderst Billiges,
und ich
bewillig' es.
Hareth Ben Hemmam erzählt: Als ich sah des Alten
Gewandtheit,
ging mir im Geist auf seine Bekanntheit.
Und
als nun die Nacht die Sterne geboren
und das Geräusch sich
hatte verloren,
durchschritt ich die Höfe des Wali und fand
den Alten
Wache über den Jungen halten.
Ich beschwor ihn
bei Gott: Bist du nicht Abu Seid?
Er sprach: Ja. beim Ordner
der Jagdzeit!
beim hellsehenden Wächter der Nachtzeit;
Ich
sprach: Und wer ist der Junge da,
dessen Locken ich heut im
Schwunge sah?
Er sprach: Er dient mir dem Geschlecht nach
zum Sohne
und dem Geschäfte nach zur Dohne.
Heute halfen
mir seine Locken
diese fünfzig ins Garn zu locken.
Ich
sprach: Und willst du nun den Morgen erpassen,
um die
übrigen fünfzig zu fassen?
Er sprach: Nein, ehe die Vögel
singen,
will ich mit diesem mich von hinnen schwingen.
Doch nun laß uns kosen bei der Sterne Kerzen,
um zu
verscherzen des Abschieds Schmerzen.
Da verbracht' ich die
Nacht mit ihm unter Reden,
köstlicher als Gewebe goldener
Fäden,
blühender als die Gartenhaine von Eden;
bis
dass nun
der Wolsschweif
Der Wolfschweif heißt der den Himmel
überfahrende erste falbe Morgenschimmer, der wieder
verschwindet und eine tiefere Finsternis hinterläßt, aus
welcher dann erst der zweite, oder der wahrhafte Morgen
hervorgeht, im Gegensatz zu welchem jener erste Schimmer auch
der lügende Morgen heißt.
über den Himmel strich,
da erhob er sich zum Strich
nach einem andern Himmelsstrich
und ließ an
Abschiedsgeschenkes Statt
in meiner Hand ein versiegeltes
Blatt,
sprechend: Das stelle du,
wenn es tagt, dem Wali zu
daß es ihm zum Trost möge frommen,
wenn unsre Flucht ihm
die Ruh' genommen.
Das sagt' ich ihm zu zum Abschied,
doch
er ging mit einem Blick, der mir's abriet.
Da achtet' ich es
kein Verbrechen,
den Mutelemmis-Brief
Der Brief des Mutelemmis ist, wie man ohne Not und Note errät, ein
Uriasbrief.
zu erbrechen,
und darin stand:
So sprich zum Wali, welchen mein Verschwinden
Geworfen in der Reue Feuerpein:
Der Alte nahm dein Geld, dein Herz der Junge,
Den doppelten Verlust, o streich ihn ein.
Du hast den Beutel aufgethan, weil Liebe
Dir zugehalten hat der Augen Schein.
O lauf nicht dem nach, was du laufen ließest;
Schleuß deinen Kummer in den leeren Schrein!
Und wardst du heute durch der Liebe Großmut
Ein größrer Märtyrer als einst Hoßein
Das Martyrtum des Hoßein, des jüngeren Sohnes des Ali und der
Fatime, der tragische Tod des Verdurstens, den er mit seinen
Waffengefährten bei Kerbela gefunden, steht zwar, wie wir eben
hier ein Beispiel sehen, auch bei den Sunniten in gutem
Andenken, doch lange nicht in so lebhaftem, wie bei den
Schiiten, die diesem ihrem Lieblingsheiligen ein jährliches
Totenfest feiern, das mit seinen öffentlichen Wehklagen und
ekstatischen Ausbrüchen der Trauer, mit der mimisch
dramatischen Darstellung des Kampfes, Leidens und Todes, im
offnen Widerstreit mit dem Geiste des Islams, einem
heidnischen Mysterium viel ähnlicher sieht.
Belehrung kauftest du dafür, die gerne
Der Weise kauft um Gold und Edelstein.
So stelle künftig ein die Jagd! Oft locket
Das Reh den Jäger in des Löwen Hain.
Ausritt schon mancher auf Erwerb und kehrte
Nach Hause mit den Schuhen des Honein.
Geschichte
des Sprichworts: Er kommt nach Hause mit den Schuhen des Honein: » Honein war der Name eines Schusters; zu dem kam ein
Araber aus der Wüste, um von ihm ein Paar Schuhe zu kaufen.
Doch sie wurden über den Handel uneins; der Araber schimpfte
den Honein und kaufte die Schuhe nicht. Als er nun wieder
heimreiten wollte, lief Honein ihm voraus auf den Weg, warf
einen Schuh hin, ging dann eine weite Strecke und warf den
andern Schuh hin; worauf er sich an der Stelle hinter einem
Strauch verbarg. Als nun der Araber an dem ersten Schuh
vorüber kam, sprach er: Wie sieht doch dieser Schuh den
Schuhen des Honein gleich! Wäre sein Kamerad auch dabei, so
höbe ich ihn auf. So ritt er weiter und kam zu der Stelle, wo
der andre Schuh lag. Da bereute er's, daß er den ersten nicht
aufgehoben; ließ sein Pferd bei dem zweiten stehen und kehrte
um, den ersten zu holen. Doch Honein kam hervor und ritt auf
dem Tiere des Arabers davon; und als dieser zurückkam, sah er
den Schuh, aber sein Tier nicht. Er nahm denn das Paar Schuhe
und ging zu Fuß nach Hause. Da fragte man ihn: Was bringst du
heim von deiner Reise? Er sprach: Die Schuhe des Honein; und
das ward zum Sprichwort.«
Hareth Ben Hemmam erzählt: Da zerriß ich das Blatt in
tausend Bitzchen und Fetzchen
und stellt' es dem Schicksal
heim, ob ein Spätzchen oder Mätzchen
dem Wali zutrüge das
Lied vom verlorenen Schätzchen.