Mahomet

Mahomet
Trauerspiel in fünf Aufzügen, nach Voltaire

Siehe: Mahomet der Prophet

Übersetzt von Johann Wolfgang von Goethe

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Erster Aufzug - Zweiter Auftritt

Sopir. Phanor.

Sopir

Wie segn' ich, edles Kind, das Glück des Kriegs,
Das dich, durch meinen Arm, zu uns geführt!
Nicht in Barbaren Hand bist du gefallen.
Ein jeder, so wie ich, ehrt dein Geschick,
Dein Alter, deiner Schönheit, deiner Jugend Reiz.
O sprich! und blieb mir, in dem Sturm der Zeit,
Bei meinem Volke, noch so viel Gewalt,
Um deine stillen Wünsche zu befried'gen;
So will ich meine letzten Tage segnen.

Palmire

Zwei Monden schon genieß' ich deinen Schutz,
Erhabner Mann, und dulde mein Geschick,
Das du erleichterst und die Tränen stillest,
Die eine harte Prüfung mir entlockt.
Wohltät'ger Mann! Du öffnest mir den Mund;
Von dir erwart' ich meines Lebens Glück.
Wie Mahomet begehrt von meinen Banden mich
Befreit zu sehn, so wünsch' ich's auch. Entlaß
Ein Mädchen, die des Krieges schwere Hand
Nicht fühlen sollte. Sei, nach dem Propheten,
Mein zweiter Vater, dem ich alles danke.

Sopir

Du sehnst dich nach den Fesseln Mahomets,
Dem Lärm des Lagers, nach der Wüste Schrecknis.
Ein wandelnd Vaterland, reizt es so sehr?

Palmire

Dort ist mein Herz, dort ist mein Vaterland;
Mein erst Gefühl hat Mahomet gebildet,
Von seinen Frauen ward ich auferzogen,
In ihrer Wohnung, einem Heiligtum,
Wo diese Schar, verehret und geliebt
Von ihrem Herrn, in ruhigen Gebeten
Und still beschäftigt, sel'ge Zeiten lebt.
Der einz'ge Tag war mir ein Tag des Grauens,
An dem der Krieg in unsre Wohnung drang,
Und unsrer Helden Kraft nur kurze Zeit
Den Streichen eines raschen Feindes wich.
O Herr! verzeihe meinen Schmerzgefühlen!
Du hältst mich hier; doch bin ich immer dort.

Sopir

Wohl, ich versteh'! die Hoffnung nährest du,
Des stolzen Mannes Herz und Hand zu teilen.

Palmire

Herr, ich verehr' ihn, ja ich glaube, bebend,
In Mahomet den Schreckensgott zu sehen.
Zu solchem Bunde strebt mein Herz nicht auf,
Aus solcher Niedrigkeit zu solchem Glanz.

Sopir

Wer du auch seist, ist denn wohl er geboren,
Dich als Gemahl, als Herr dich zu besitzen?
Das Blut aus dem du stammst scheint mir bestimmt,
Dem frechen Araber Gesetz zu geben,
Der über Könige sich nun erhebt.

Palmire

Ich weiß von keinem Stolze der Geburt;
Nicht Vaterland, nicht Eltern kannt' ich je;
Mein Los von Jugend auf war Sklaverei.
Die Knechtschaft macht mich vielen Andern gleich,
Und alles ist mir fremd, nur nicht mein Gott.

Sopir

Wie? dir ist alles fremd und dir gefällt
Ein solcher Zustand? Wie? du dienest einem Herrn
Und fühlst nach einem Vater keine Sehnsucht!
In meinem traurigen Palast allein
Und kinderlos, o fänd' ich solche Stütze!
Und wenn ich dir ein heiteres Geschick
Bereitet, wollt' ich in den letzten Stunden
Die Ungerechtigkeit des meinigen vergessen.
Doch ach! verhaßt bin ich, mein Vaterland
Und mein Gesetz, dem eingenommnen Herzen.

Palmire

Wie kann ich dein sein, bin ich doch nicht mein!
Ungern, o güt'ger Mann, verlass' ich dich;
Doch Mahomet, er ist und bleibt mein Vater.

Sopir

Ein Vater, solch ein trügrisch Ungeheuer!

Palmire

Welch unerhörte Reden gegen den,
Der, als Prophet auf Erden angebetet,
Vom Himmel uns die heil'ge Botschaft bringt!

Sopir

O wie verblendet sind die Sterblichen,
Wenn sie ein falscher Heuchelwahn betäubt!
Auch mich verläßt hier alles, ihm Altäre,
Dem Frevler, zu errichten, den ich einst
Sein Richter schonte, der, ein Missetäter,
Von hier entfloh und Kronen sich erlog.

Palmire

Mich schaudert! Gott! Sollt' ich in meinem Leben
So freche Reden hören! und von dir!
Die Dankbarkeit, die Neigung räumte schon
Gewalt auf dieses Herz dir ein. Von dir
Vernehm' ich diese Läst'rung auf den Mann,
Der mich beschützt, mit Schrecken und mit Abscheu.

Sopir

Ach! in des Aberglaubens festen Banden
Verliert dein schönes Herz die Menschlichkeit.
Wie jede Knechtschaft, raubt auch diese dir
Den freien Blick das Würdige zu schätzen.
Du jammerst mich, Palmire! deinen Irrtum,
Der dich umstrickt, bewein' ich wider Willen.

Palmire

Und meine Bitte willst du nicht gestatten?

Sopir

Nein! dem Tyrannen, der dein Herz betrog,
Das, zart und biegsam, sich ihm öffnete,
Geb' ich dich nicht zurück. Du bist ein Gut,
Durch das mir Mahomet verhaßter wird.

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