Vor vielen,
vielen Jahren lebte ein Kaiser mit dem Namen Kaptalis in der
Mittelwelt. Eigentlich war sein Name noch etwas länger, aber
er endete mit “mus“, und da ein Kaiser nie etwas muss, hat er
seinen Namen etwas kürzen lassen. Der Kaiser hielt so
ungeheuer viel von neuen Kleidern, insbesondere wenn er sie
verkaufen konnte, selbst wenn niemand sie brauchte! So gab er
sein ganzes Geld dafür aus, neue Kleider schneidern zu lassen,
die niemand brauchte, und er gab noch mehr Geld dafür aus, die
Leute zu überreden, dass sie diese unnützen Kleider kauften.
Und er selbst zog sie immer zuerst an, damit es Pflicht für
jeden Bürger wurde, solche Kleider zu kaufen. Seine Hofdiener
berichteten ihm zwar, dass die ganzen Wälder des Kaiserreiches
geschwind abgeholzt sein würden, weil seine Schneider so viel
kochendes Wasser brauchten beim Färben der Kleider, und dass
seine Flüsse alle verschmutzt waren durch die Farben, die er
nicht mehr brauchte. Sie berichteten ihm auch, dass seine
Schatzkammer bald bis auf die Spinnen leer sein würde, da er
mehr Kleider kaufte als er verkaufen konnte. Seine Bauern
hungerten schon. Aber der Kaiser schickte seine Soldaten, und
dann schwiegen sie wieder.
Und wenn es
kein Holz in seinem Kaiserreich gab, dann schickte er seine
Soldaten in andere Länder, und er hatte wieder genug Holz, und
seine Schatzkammern konnte er auch füllen. Manchmal blieben
seine Soldaten Jahrzehnte an einem fernen Ort, manchmal kamen
sie auch früher wieder und waren böse auf den Kaiser für die
unlösbaren Aufgaben, die er ihnen gab. Aber der Kaiser war so
mächtig und so stark, dass alle sich vor ihm fürchteten. Dabei
kümmerte sich der Kaiser nicht um seine Soldaten, kümmerte
sich nicht um den Wald oder die Flüsse und schon gar nicht um
die Bauern. Er brauchte sie nur, um ihnen seine neuen Kleider
zu zeigen, die sie dann kaufen sollten. Er hatte einen Rock
für jede Stunde des Tages, und ebenso wie man von einem König
sagte, er ist im Rat, so sagte man hier immer: „Der Kaiser
ist in der Garderobe!“ Damals benannte man die Garderobe
allerdings mit dem eigentümlichen Namen “Börse“.
Immer wieder
kamen viele Fremde in das Reich von Kaiser Kapitalis an, denn
sie dachten, dass es dort nicht nur Kleider gab, sondern noch
viel mehr. So ruhmreich war der Kaiser in der ganzen Welt. Und
eines Tages kamen auch zwei Betrüger, die gaben sich als Weber
aus und sagten, dass sie das schönste Kleid, was man sich
denken könne, zu weben verstünden. Es bestünde aus einem Zeug,
dass sie “Freihokratie“ nannten. Die Farben und das Muster
seien nicht allein ungewöhnlich schön, sondern die Kleider,
die aus dem Stoff genäht würden, sollten die wunderbare
Eigenschaft besitzen, dass sie für jeden Menschen unsichtbar
seien, der nicht für sein Amt tauge oder der unverzeihlich
dumm sei. „Das wären ja prächtige Kleider“, dachte der
Kaiser „wenn ich solche hätte, könnte ich ja dahinter
kommen, welche Männer in meinem Reiche zu dem Amte, das sie
haben, nicht taugen, ich könnte die Klugen von den Dummen
unterscheiden! Ja, das Zeug muss sogleich für mich gewebt
werden!“ Er gab den beiden Betrügern viele Schätze, damit
sie ihre Arbeit beginnen sollten. Sie stellten auch zwei
Webstühle auf, taten, als ob sie arbeiteten, aber sie hatten
nicht das Geringste auf dem Stuhle.
Trotzdem
verlangten sie die feinste Seide und das prächtigste Gold, das
steckten sie aber in ihre eigene Tasche und arbeiteten an den
leeren Stühlen bis spät in die Nacht hinein. Die Gauner
verlangten so viel, dass der Kaiser wieder seine Soldaten los
senden musste, um immer neue Schätze zu bringen.
„Nun möchte
ich doch wissen, wie weit sie mit dem Zeuge sind!“, dachte
der Kaiser, aber es war ihm beklommen zumute, wenn er daran
dachte, dass keiner, der dumm sei oder schlecht zu seinem Amte
tauge, es sehen könne. Er glaubte zwar, dass er für sich
selbst nichts zu fürchten brauche, aber er wollte doch erst
einen andern senden, um zu sehen, wie es damit stehe.
Alle Menschen
in der ganzen Stadt hatten inzwischen gehört, welche besondere
Kraft das Zeug habe, und alle waren begierig zu sehen, wie
schlecht oder dumm ihr Nachbar sei. „Ich will meinen alten,
eitlen Minister zu den Webern senden“, dachte der Kaiser,
„er kann am besten beurteilen, wie der Stoff sich ausnimmt,
denn er hat Verstand, und keiner versieht sein Amt besser als
er! Er hat an allen Universitäten des Landes gelehrt, kennt
alle Bibliotheken und alle Bücher, er ist der größte und beste
Gelehrte in meinem Hof, er ist zwar ein wenig eitel, aber er
wird es schon erkennen“. Nun ging der alte, eitle Minister
in den Saal hinein, wo die zwei Betrüger saßen und an den
leeren Webstühlen arbeiteten. „Gott behüte uns!“ dachte
der alte Minister und riss die Augen auf. „Ich kann ja
nichts erblicken!“ Aber das sagte er nicht. Beide Betrüger
baten ihn näher zu treten und fragten, ob es nicht ein
hübsches Muster und schöne Farben seien.
Dann zeigten
sie auf den leeren Stuhl, und der arme alte Minister fuhr
fort, die Augen aufzureißen, aber er konnte nichts sehen, denn
es war nichts da. “Herr Gott“, dachte er, „sollte ich dumm
sein? Das habe ich nie geglaubt, und das darf kein Mensch
wissen! Sollte ich nicht zu meinem Amte taugen? Nein, es geht
nicht an, dass ich erzähle, ich könne das Zeug nicht sehen!“
– „Nun, Sie sagen nichts dazu?“ fragte der eine der
Weber. „Oh, es ist niedlich, ganz allerliebst!“
antwortete der alte Minister und sah durch seine Brille.
„Dieses Muster und diese Farben! – Ja, ich werde dem Kaiser
sagen, dass es mir sehr gefällt!“ – „Nun, das freut
uns!“ sagten beide Weber, und darauf benannten sie die
Farben mit Namen und erklärten das seltsame Muster. Solcherart
war eben Freihokratie.
Der alte
Minister merkte gut auf, damit er dasselbe sagen könne, wenn
er zum Kaiser zurückkomme, und das tat er auch. Er lobt das
Zeug namens Freihokratie in den höchsten Tönen, um ja nicht
als “Dummkopf“ dazustehen. Nun verlangten die Betrüger mehr
Geld, mehr Seide und mehr Gold zum Weben. Sie steckten alles
in ihre eigenen Taschen, auf den Webstuhl kam kein Faden, aber
sie fuhren fort, wie bisher an den leeren Stühlen zu arbeiten.
Der Kaiser sandte bald wieder einen anderen tüchtigen
Staatsmann und großen Gelehrten hin, um zu sehen, wie es mit
dem Weben stehe und ob das Zeug bald fertig sei; es ging ihm
aber gerade wie dem ersten, er guckte und guckte; weil aber
außer dem Webstuhl nichts da war, so konnte er nichts sehen.
„Ist das nicht ein ganz besonders prächtiges und hübsches
Stück Zeug?“ fragten die beiden Betrüger und zeigten und
erklärten das prächtige Muster, das gar nicht da war. „Dumm
bin ich nicht“, dachte der Mann; „es ist also mein
dummes Amt, zu dem ich nicht tauge! Das wäre seltsam genug,
aber das muss man sich nicht merken lassen!“ Daher lobte
er das Zeug, das er nicht sah, und versicherte ihnen seine
Freude über die schönen Farben und das herrliche Muster.
„Ja, es ist ganz allerliebst!“ sagte er zum Kaiser. Alle
Menschen in der Stadt sprachen von dem prächtigen Zeuge.
Zuallerletzt
sandte der Kaiser einen besonders klugen alten Mann, der sein
Leibarzt war und als einziger ihm manchmal widersprach, wenn
es um die Arztkunst und die Medizin ging, mit der Kaiser
Kapitalis von seinen andauernden Krankheiten geheilt werden
sollte. Der alte Arzt stand im Brot des Kaisers, und der
Kaiser versorgte ihn immer sehr reichlich. Jener alte Arzt
erkannte sofort den Betrug der Betrüger. Aber er überlegte
sich, welche Konsequenzen es für ihn haben würde, wenn er die
Wahrheit aussprach. Und er dachte, dass niemand die Wahrheit
hören wollte. Er selbst wollte auch nicht derjenige sein, der
auf sein vergoldetes Brot verzichten musste. Also spielte auch
er das Spiel mit.
Nun wollte der
Kaiser es selbst sehen, während es noch auf dem Webstuhl sei.
Mit einer ganzen Schar auserwählter Männer, unter denen auch
die beiden ehrlichen Staatsmänner und sein Arzt waren, die
schon früher da gewesen, ging er zu den beiden listigen
Betrügern hin, die nun aus allen Kräften webten, aber ohne
Faser oder Faden. „Ja, ist das nicht prächtig?“ sagten
die beiden ersten Staatsmänner. „Wollen Eure Majestät
sehen, welches Muster, welche Farben?“ und dann zeigten
sie auf den leeren Webstuhl, denn sie glaubten, dass die
andern das Zeug wohl sehen könnten. Und der Arzt schwieg, aber
das war normal, denn er galt als besonders Weise. „Was!“
dachte der Kaiser; „ich sehe gar nichts! Das ist ja
erschrecklich! Bin ich dumm? Tauge ich nicht dazu, Kaiser zu
sein? Das wäre das Schrecklichste, was mir begegnen könnte.“
– „Oh, es ist sehr hübsch“, sagte er; „es hat meinen
allerhöchsten Beifall!“ und er nickte zufrieden und
betrachtete den leeren Webstuhl; er wollte nicht sagen, dass
er nichts sehen könne.
Das ganze
Gefolge, was er mit sich hatte, sah und sah, aber es bekam
nicht mehr heraus als alle die andern, aber sie sagten gleich
wie der Kaiser: „Oh, das ist hübsch!“, und sie rieten
ihm, diese neuen prächtigen Kleider aus dem Zeug Freihokratie
das erste Mal bei dem großen Feste, das bevorstand, zu tragen.
„Es ist herrlich, niedlich, ausgezeichnet!“ ging es von
Mund zu Mund, und man schien allerseits innig erfreut darüber.
Der Kaiser verlieh jedem der Betrüger ein Ritterkreuz, um es
in das Knopfloch zu hängen, und den Titel Hofweber. Die ganze
Nacht vor dem Morgen, an dem das Fest stattfinden sollte,
waren die Betrüger auf und hatten sechzehn Lichter angezündet,
damit man sie auch recht gut bei ihrer Arbeit beobachten
konnte. Überall in der Stadt ließen sie durch Hofschreier
verkünden, wie schön das Kleid sei. Die Leute kamen und
konnten sehen, dass sie stark beschäftigt waren, des Kaisers
neue Kleider fertig zu machen. Sie taten, als ob sie das Zeug
aus dem Webstuhl nähmen, sie schnitten in die Luft mit großen
Scheren, sie nähten mit Nähnadeln ohne Faden und sagten
zuletzt: „Sieh, nun sind die Kleider fertig!“ Der
Kaiser mit seinen vornehmsten Beamten kam selbst, und beide
Betrüger hoben den einen Arm in die Höhe, gerade, als ob sie
etwas hielten, und sagten: „Seht, hier sind die
Beinkleider, hier ist das Kleid, hier ist der Mantel!“ und
so weiter. „Es ist so leicht wie Spinnwebe; man sollte
glauben, man habe nichts auf dem Körper, aber das ist gerade
die Schönheit dabei!“ – „Ja!“ sagten alle Beamten,
aber sie konnten nichts sehen, denn es war nichts da.
„Belieben Eure Kaiserliche Majestät Ihre Kleider abzulegen“,
sagten die Betrüger, „so wollen wir Ihnen die neuen hier
vor dem großen Spiegel anziehen!“
Der Kaiser
legte seine Kleider ab, und die Betrüger stellten sich, als ob
sie ihm ein jedes Stück der neuen Kleider anzogen, die fertig
genäht sein sollten, und der Kaiser wendete und drehte sich
vor dem Spiegel. „Ei, wie gut sie kleiden, wie herrlich sie
sitzen!“ sagten alle. „Welches Muster, welche Farben!
Das ist ein kostbarer Anzug!“ – „Draußen stehen sie mit
dem Thronhimmel, der über Eurer Majestät getragen werden
soll!“ meldete der Oberzeremonienmeister. „Seht, ich
bin ja fertig!“ sagte der Kaiser. „Sitzt es nicht gut?“
und dann wendete er sich nochmals zu dem Spiegel; denn es
sollte scheinen, als ob er seine Kleider recht betrachte. Die
Kammerherren, die das Recht hatten, die Schleppe zu tragen,
griffen mit den Händen gegen den Fußboden, als ob sie die
Schleppe aufhöben, sie gingen und taten, als hielten sie etwas
in der Luft; sie wagten es nicht, es sich merken zu lassen,
dass sie nichts sehen konnten. So ging der Kaiser unter dem
prächtigen Thronhimmel, und alle Menschen auf der Straße und
in den Fenstern sprachen: „Wie sind des Kaisers neue
Kleider unvergleichlich! Welche Schleppe er am Kleide hat! Wie
schön sie sitzt!“ Keiner wollte es sich merken lassen,
dass er nichts sah; denn dann hätte er ja nicht zu seinem Amte
getaugt oder wäre sehr dumm gewesen. Keine Kleider des Kaisers
hatten solches Glück gemacht wie diese.
„Aber er
hat ja gar nichts an!“
schrie ein kleines Kind laut auf. Aber sein Vater schlug ihm
eine solch deftige Ohrfeige, dass sein Mund blutete. Der
kleine Junge war aber sehr, sehr mutig und schrie erneut:
„Er ist nackt“. Wieder verspürte er eine Ohrfeige, diese
Mal von seiner Mutter. Und als er beim dritten Mal laut
schrie: „Der Kaiser ist nackt“, stürzte sich die Horde
auf ihn und wollte ihn töten. Doch da hörte man vom anderen
Ende des Platzes einen anderen kleinen Jungen schreien:
„Der Kaiser ist nackt!“. Der Kaiser ließ seine Soldaten
rufen, doch auch unter den Soldaten rief einer: „Hört die
Stimme der Unschuld!“, und nun zischelte der eine dem
andern zu, was die Kinder gesagt hatten. „Aber er hat ja
gar nichts an!“ rief zuletzt das ganze Volk. Das ergriff
den Kaiser, denn das Volk schien recht zu haben und so lief er
weg. Und die Kammerherren liefen mit ihm und trugen die
Schleppe, die gar nicht da war. Und man hat nie wieder von dem
Kaiser Kapitalis mit dem Zeug Freihokratie gehört.
Danach lebte
das Volk in Freiheit, Gerechtigkeit und unter der Leitung
kundiger Menschen, die sie selbst unter sich auswählten und
die ihnen viele gute Dinge taten, die Wälder retteten, die
Flüsse reinigten, und fortan gab es viel Glück in dem Reich,
das zum Vorbild für die Menschheit wurde.
Und wenn sie
nicht gestorben sind, dann leben sie noch heute.