Divan der persischen Poesie
Divan der persischen Poesie

Blütenlese aus der persischen Poesie, mit einer litterarhistorischen Einleitung, biographischen Notizen und erläuternden Anmerkungen.

Herausgegeben von Julius Hart.

1887 n.Chr.

Inhaltsverzeichnis

Divan der persischen Poesie

Sadi

Aus dem Bostan. Dritte Abteilung: Von der Liebe.

Der Falter und die Kerze.

Als nachts einst meine Augen schlaflos lagen,
Hört' ich den Falter zu der Kerze sagen:
»Ich liebe, brenne drum mit Recht, allein
Warum du weinst und brennst, seh' ich nicht ein.«
»O Armer,« sprach sie, »sehnend mir verbunden,
Das Wachs, der süße Freund ist mir entschwunden;
Wie eine Schirin wird es mir geraubt,
Wie Ferhad flammt vom Feuer auf mein Haupt.«
Sie sprach's und stets aus schmerzensvollem Sehnen
Floß auf die blasse Wang' ein Strom von Thränen.
»Was weißt von wahrer Liebe, Eitler, du?
Nicht fern, nicht nahe hältst du aus in Ruh':
Du fliehst, wenn nur die Flamme dich versehret,
Ich stehe, bis sie ganz mich aufgezehret;
Dir sengt die Liebesglut des Flügels Rand,
Vom Kopf zum Fuß werd' ich von ihr verbrannt.«
Ein kleiner Teil der Nacht war erst zu Ende,
Da löschten aus die Kerzen Perihände.
Sie sprach und aus dem Haupte stieg der Rauch:
»So ist, mein Sohn, der Liebe Ausgang auch;
Des Brennens Qual wird sich, das magst du lernen,
Nur wenn das Lebenslicht erlischt, entfernen.«
O weine nicht, hat dir der Tod entrückt
Den Freund, nein, freue dich, daß er beglückt.
Nicht wasche ab vom Haupte, was dich peinigt,
Wie Sadi, sei vom Schmutz die Hand gereinigt!
Aufs Ziel geht unverwandt der Tapfre los,
Liebt Pfeilen auch und Steinen er sich bloß.
Du bist gewarnt, magst fern vom Meer du bleiben,
Doch gehst du hin, laß von der Flut dich treiben.

Karl Heinrich Graf

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