Divan der persischen Poesie
Divan der persischen Poesie

Blütenlese aus der persischen Poesie, mit einer litterarhistorischen Einleitung, biographischen Notizen und erläuternden Anmerkungen.

Herausgegeben von Julius Hart.

1887 n.Chr.

Inhaltsverzeichnis

Divan der persischen Poesie

Sadi

Aus dem Bostan. Erste Abteilung: Von der Gerechtigkeit und Regierungskunst.

Der Edle kennt keine Selbstsucht.

Der Herr, der von der Trommel Schall erwacht,
Was weiß er, wie dem Wächter war die Nacht?
Der Wandrer hat die eigne Last zu tragen,
Wird um des Esels Bürde sich nicht plagen;
Doch wenn du keiner der Gefallnen bist,
Was stehst du da, wenn du Gefallne siehst?
Darüber will ich etwas dir erzählen,
Denn unrecht wär' es, ließ ich dieses fehlen.

In Syrien war einst ein so dürres Jahr,
Daß Freundesliebe selbst vergessen war.
So karg erwies der Himmel sich der Erde,
Daß Palm' und Saat umsonst nach Naß begehrte.
Vertrocknet war des Wassers ew'ger Quell,
Nur aus der Waise Augen floß er hell;
Nur aus der Witwe Brust könnt' er entspringen,
Sah man noch Rauch aus einem Fenster dringen,
Die Bäume sah ich nackt, von Schmuck entblößt,
Des Starken Arm in Schwäche aufgelöst;
Kein Grün besaß der Berg, kein Gras die Wiese,
Heuschrecken fraßen es, und Menschen diese.
Damals bot meinem Blick ein Freund sich dar,
Auf dessen Knochen nur die Haut noch war.
Ich war erstaunt, er war sonst stark gebauet,
An Gütern reich, mit hohem Amt betrauet.
»O lautrer Freund,« sprach ich, »ich bitte dich,
Was für ein Unheil drückt dich nieder? sprich!«
Entrüstet rief er aus: »Bist du bei Sinnen?
Du weißt's und fragst! sündhaft ist dein Beginnen.
Siehst du nicht, daß beim Äußersten es steht,
Das Unheil über alle Grenzen geht?
Der Himmel will kein Naß herab uns bringen,
Des Jammers Rauch nicht auf zum Himmel dringen.«
Ich sprach: »Doch du, du fürchtest keine Not;
Wo Gegengift ist, bringt nicht Gift den Tod;
Mag den, der nichts hat, treffen das Verderben,
Du hast: wird in der Flut die Ente sterben?«
Er sah mich an mit kummervollem Mut,
Wie es der Weise bei den Thoren thut:
»Ist einer an dem Ufer auch geborgen,
Wird er nicht für den Freund im Wasser sorgen?
Nicht meine Not macht hager mein Gesicht,
Der andern Not ist's, die durchs Herz mir sticht.
Der Edle möchte Wunden nicht erblicken,
Ob andrer Leib, ob sie den eignen drücken.
Bin ich, gottlob, auch ohne Wunde noch,
Wenn eine Wund' ich sehe, schaudr' ich doch.
Verbittert ist die Freude des Gesunden,
Hat er zur Seite einen krank voll Wunden.
Seh' ich den Armen hungernd an der Thür,
So wird zu Gift im Hals der Bissen mir.
Wo meine Freunde im Gefängnis schmachten,
Kann ich der Freude nicht im Garten achten.«
Der Seufzer Rauch facht einst ein Feuer an,
Halb Bagdad brannte davon ab, sagt man.
»Gottlob!« rief einer, als die Stadt verheeret,
»Es blieb doch meine Bude unversehret.«
»O Mann der Selbstsucht,« sprach ein weiser Mann,
Dich kümmert nur, was dich selbst treffen kann!
Mag eine Stadt doch auf in Flammen gehen,
Bleibt unversehrt das eigne Haus nur stehen!«
Ein Herz von Stein nur ißt sich dick und satt,
Wenn auf dem Bauch den Stein ein andrer hat.
Wie kann der Reiche an das Essen denken,
Sieht Arme er mit blut'gem Gram sich tränken?
Gesund ist der nicht, der den Kranken pflegt,
Dem Kranken gleich, ist er von Schmerz erregt.
Ein Edler, der zum Rastort schnell getrieben,
Schläft nicht, wenn Freunde noch zurückgeblieben.
Der Kön'ge Herz fühlt selbst sich schwer gedrückt,
Sehn sie den Esel tief im Schlamm gebückt.
Ruht Glück und Heil auf eines Hauses Pforten,
Genüget eines ihm von Sadis Worten:
Genug ist's, wenn es dir zu Herzen geht,
Daß keinen Jasmin mäht, wer Dornen sät.

Karl Heinrich Graf

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