Divan der persischen Poesie
Rumi
Aus dem Divan - Der du einzig lebend bist
Der du einzig lebend bist und weise, Herr und Gott, wir
haben schwer gesündigt!
Uns begünstigst auf des Lebens Reise, Herr und Gott, wir haben
schwer gesündigt!
Ein'ger, huldvoll öffnest du die Hände, herrlich bist du,
heilig ohne Ende,
Und Erbarmen nur ist deine Spende; Herr und Gott, wir haben
schwer gesündigt!
Lüste sind's, die uns in Fesseln zwingen, Wünsche sind's, die
Sklaverei uns bringen,
Und wir forschen nach verborgnen Dingen; Herr und Gott, wir
haben schwer gesündigt!
Schwach und dürftig sind wir und voll Schande, irren sinnlos
durch entfernte Lande,
Sind gefesselt durch des Körpers Bande; Herr und Gott, wir
haben schwer gesündigt!
Die ihr Haupt an deine Schwelle legen, hört man, dir zum Lob,
die Zunge regen,
Laut und still dich preisen allerwegen; Herr und Gott, wir
haben schwer gesündigt!
Vor dir müssen alle Übel schwinden, du beseitigst huldvoll
alle Sünden,
Und gestattest Gnade uns zu finden; Herr und Gott, wir haben
schwer gesündigt!
Bald von Lüsten dieser Welt umstricket, bald vom Lohne jener
Welt entzücket,
Bleibt der Meister unserm Blick entrücket; Herr und Gott, wir
haben schwer gesündigt!
Gleich dem Morgensang der Nachtigallen, sollen immer deine
Klagen schallen,
Und in Schmerz und Sehnsucht sollst du lallen: Herr und Gott,
wir haben schwer gesündigt!
Fürst, der weise alles löst und bindet, sieh die Schar der
Diener, die erblindet,
Trost allein in deiner Gnade findet; Herr und Gott, wir haben
schwer gesündigt!
Du verhüllest deiner Diener Fehle, schmückest reich und
herrlich Geist und Seele;
Unumschränkt sind deine Machtbefehle; Herr und Gott, wir haben
schwer gesündigt!
Laß uns nicht in Sünden untergehen, die wir reuig um Vergebung
flehen;
Aber ach! im schwarzen Buche stehen; Herr und Gott, wir haben
schwer gesündigt!
Horch, allnächtig ruft Dschelal im Drange heißer Liebe, dich,
o Herr! und bange
Stimmt er zu des Cherubs heil'gem Sange: Herr und Gott, wir
haben schwer gesündigt!
Vinzenz Rosenzweig von Schwannau