Divan der persischen Poesie
Divan der persischen Poesie

Blütenlese aus der persischen Poesie, mit einer litterarhistorischen Einleitung, biographischen Notizen und erläuternden Anmerkungen.

Herausgegeben von Julius Hart.

1887 n.Chr.

Inhaltsverzeichnis

Divan der persischen Poesie

Ferid-ed-dîn Attar

Aus dem Pend-nameh

1.

Vier Dinge sind, die, wenn sie fortgegangen,
Zurück nicht führt das sehnlichste Verlangen;
Das Wort, das unversehns der Zung' entflohn,
Der Pfeil, der fliegend fern vom Bogen schon;
Wie kann gesprochnes Wort zurückzubringen
Und Schicksalslauf zu wenden dir gelingen?
Führst du wohl je geschoss'nen Pfeil zurück?
Erlangst aufs neu entschwundnes Lebensglück?
Wer erst gesprochen, ohne zu bedenken,
Den wird hernach vielfache Reue kränken;
Sprachst du noch nicht, so steht's in deiner Macht;
Sprachst du, wie wird es ungeschehn gemacht?
Des Lebens Augenblick betracht' als Beute;
Ist es dahin, nie wird das Gestern Heute.
Den Schicksalsschluß trieb keiner von sich ab,
Am besten that, wer ruhig sich ergab.
Wer sicher will die Lebenszeit genießen,
Muß seinen Mund mit einem Siegel schließen.
Mit Recht muß dir das Leben teuer stehn:
Ist es dahin, nie wirst du's wiedersehn.

2.

Bei Kön'gen findet Freundschaft keinen Ort,
Die Weisen sagen's, glaube diesem Wort.

3.

Was du dem Feinde willst verhehlen,
Mußt du den Freunden nicht erzählen.

4.

Vier Dinge sind, o Bruder, voll Gefahr;
Wenn du's vermagst, nimm ja dein Bestes wahr!
Dem Sultan nahn, den Bösen viel vertrauen,
Nach Weltgut streben, umgehn mit den Frauen.
Dem Sultan nahn, ist wie des Feuers Brand,
Der Seele Tod ist Böser Freundschaftsband.
Im Innern ist die Welt voll Gift und Schlangen,
Mag auch ihr Äußres bunt mit Farben prangen.
Ob sie nur Putz und Schmuck dem Auge zeigt,
Verderben ist's, das ihrem Gift entsteigt.
Der bunten Schlange Gift sucht Todesbeute,
Fern halten sich von ihr verständ'ge Leute;
Nach Flitter strecken Kinder nur die Hand,
Nur Weiber freut Geruch und Farbentand.
Die Welt sucht stets als Braut sich neu zu schmücken,
Und immer neue Gatten zu berücken.
Glückselig, wer, einst von ihr festgebannt,
Auf immer ihr den Rücken hat gewandt.
Hold lächelt sie zu ihres Gatten Küssen,
Doch bald ist er von ihrem Zahn zerrissen.

5.

Der Dank kann erst die Wohlthat recht vollenden,
Dem Undank muß sie sich zur Strafe wenden.
Der Undank hemmt der Gnadengaben Lauf,
Dem Danke schließt sich ihre Fülle auf.

6.

Wem Gott vergönnt ein Wissender zu sein,
In dessen Herzen wohnt nur Gott allein;
Ihn kümmert nicht, was ihm die Welt auch schicke;
Ja auf sich selbst nicht wirft er seine Blicke.
In ihm vernichtet sein, heißt Wissen nur;
Nicht weiß, wem noch des eignen Daseins Spur.
Der Wissende strebt nicht nach Welten;
Nur Gott allein, sonst nichts kann für ihn gelten.
Auf Gottes Antlitz ruht des Geistes Blick,
Vom eignen Selbst bleibt kein Gefühl zurück.

7.

Der Sultan, der die Unterthanen quält,
Er glaube nicht, daß er sein Reich behält.

8.

Ist Gold in eines Unverständ'gen Händen,
So kann er's nur vergeuden und verschwenden.

9.

Viele Fehler sind, o Bruder, in der Welt,
Durch die ein König selbst in Schaden fällt.
Kann öffentlich er nicht das Lachen meiden,
So wird er an Ehrfurcht Abbruch leiden.
Wenn er mit Niedern sich zusammensetzt,
So wird der König auch gering geschätzt.
Bei Weibern viele Zeit allein verscherzen,
Zerstört des Königs Achtung in den Herzen.
Wer auf der Erde mächtig ist und frei,
Hat Hang zum Druck wohl und zur Tyrannei.
Dem König ziemt Gerechtigkeit und Treue,
Daß sich die Welt ob seinem Rechte freue.
Ist er ein Ungerechter und Tyrann,
So richtet er nichts aus mit Roß und Mann;
Ist er gerecht und freundlich beim Begegnen,
So wird auch Gott sein Reich mit Dauer segnen.
Übt der Sultan am Heere Edelmut,
Für ihn vergießt es hundertmal sein Blut.

10.

Wer wagt des Sultans Meinung zu bestreiten,
Kann nur sich selbst den Untergang bereiten.
Wer sich entgegensetzt des Königs Macht,
Sein Tag ist schwarz wie Finsternis der Nacht.

11.

Voll Schauer ist der Weg und Räuber lauern;
Nimm einen Führer, laß dich Müh' nicht dauern;
Die Herberg' ist entfernt, schwer ist die Last;
O bleibe nicht zurück, geh' ohne Rast.

12.

Bei wem sich Rat und That entsprechend finden,
An dessen Rat wird sich ein andrer binden.
Doch hält er selbst auf das nicht, was er spricht,
Gehorchen andre seinen Worten nicht.

13.

Magst du auch Geld und Gut endlos zusammentragen,
Du wirst doch nackt und bloß zuletzt ins Grab getragen.

14.

Die mit Verachtung auf den Feind nur blicken,
Sie werden einst zur Flucht vor ihm sich schicken.
Ein einz'ger Funke, wenn er angefacht,
Hat einer Welt oft Untergang gebracht.
Vor kleinen Übeln wahre dich zur Zeit,
Sonst bist du bald von aller Rettung weit.
Will man sich nicht um einen Kopfschmerz kümmern,
So wird sich bald der ganze Leib verschlimmern.

15.

O achte wohl auf eines Gegners Wort,
Sonst reißt er schnell dich ins Verderben fort.
Das Wasser kann ein kleines Feuer dampfen;
Ist es entflammt, wer will es dann bekämpfen?

16.

Leiht man den Worten, die du sagst, kein Ohr,
Hast du auch hundert, bringe keines vor.

17.

Wer das nicht handelnd übt, was er gelernt,
Hat sich vom wahren Wege weit entfernt.

18.

Wer nur gemächlich sucht den Leib zu pflegen,
Dem ist der Ochs und Esel überlegen.

Karl Heinr. Graf.

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