Was ist die Wissenschaft der Theologie?
Obwohl wir über die Theologie unserer Vorfahren in der
Frühzeit des Islam nichts wissen, wurde von den Gefolgsleuten
des Propheten Muhammad berichtet, dass sie durch die Gnade der
Gefolgschaft des Propheten sowohl in den Nebenzweigen (furu)
wie auch in den Grundlagen der Religion keinerlei Bedürfnis
nach dem Verfassen eines offiziellen Buches hatten. Laut
Aussage des Autors der "Dschmi al-Maqasid" wussten sie über
das islamische Recht wie über die Theologie Bescheid, ohne
eine systematische Theologie oder Rechtslehre zu besitzen.
In der zweiten Periode wurden sie durch
Meinungsverschiedenheiten, neue Fragen und Antworten
gezwungen, diese Themen und Fragen niederzuschreiben. Sie
wissen darum, dass das Problem von Frage und Antwort in einer
sehr reizvollen Parabel des Schayh Bahai in seinem Werk "Kaschkul"
angesprochen wird. Er bezeichnet die Frage als "feminin" und
die Antwort als "maskulin".
Dies bedeutet: Frage und Antwort stellen die Grundlage für
die Entstehung einer neuen Wissenschaftsgeneration zur
Verfugung. Die segensreiche Ehe zwischen Frage und Antwort
dauert auch heute noch an. Es kommt selten vor, dass eine
Entdeckung oder eine Wissenschaft wie Jesus geboren wird (also
ohne die Vereinigung von Gegensätzen wie Frau und Mann). Es
passiert selten, dass ein Experte ohne erkennbaren Anlass,
ohne intensives Nachdenken plötzlich eine Eingebung hat.
Manchmal stößt jemand auf "messianische" Weise auf ein Thema,
ohne eine Frage gestellt zu haben. Dies geschieht jedoch in
den seltensten Fallen. Die Frage geht meistens allem voraus.
Aus diesem Grunde sollte man Fragen begrüßen.
Die zweite Periode, die man als Epoche der neu entstehenden
Fragen bezeichnen kann, ebnete den Boden für die Kodifizierung
der Themen. Es wurde sowohl etwas über praktische Themen wie
auch über Glaubensuberzeugungen geschrieben. Diese Ansammlung
von Themen wurde "fiqh"(tiefes Nachforschen und -denken)
genannt. Jedoch genauso wie die Theologie einen allgemeinen
und einen speziellen Teil besitzt, dessen speziellen Teil man
den "göttlichen" nennt, besitzt die Rechtslehre der zweiten
Periode einen allgemeinen und einen speziellen Teil, von denen
man den speziellen (die Theologie) "die große
Rechtswissenschaft" oder die "hohe Rechtswissenschaft" nennt.
Diese Bezeichnung der Theologie als "höheres Fiqh" finden wir
nicht nur bei Muhaqqiq-i Damad und anderen, sondern sogar bei
Masud b. Amr b. Abdallah Taftazanî, der zu Beginn des 8.
Jahrhunderts zur Welt kam und am Ende des gleichen
Jahrhunderts starb. Er erwähnt Vorgänger, die, als sie diese
Wissenschaft kodifizierten, die ganze Sammlung "Fiqh" nannten
und den theologischen Teil als "al-fiqh al-akbar" (hohere
Rechtswissenschaft) bezeichneten. Diese Meinung wurde laut
Aussage des Kommentatoren des Werkes Maqasid auch von manchen
Gelehrten der ahl millat (Er meint hier die Gelehrten der
eigenen mazhab) überliefert. Nach dieser Meinung ist fiqh die
Erkenntnis der Seele und dessen, was für und was gegen sie
spricht. Der Koranvers "sodass ihr tief über eure Religion
nachdenken möget" Tawba 122 bietet die Grundlage fur den
Aufbau theologischer Hochschulen (Hawza). Diese befassen sich
sowohl mit den Nebenzweigen (faruiat) und praktischen Fragen,
als auch mit Glaubensgrundlagen und Überzeugungen. Er fugt
hinzu, dass die Mehrheit der Gelehrten die beiden voneinander
trennte. Sie nannten den Bereich, der Nebenzweige und
praktische Fragen abdeckte "fiqh" und den Teil, der sich auf
die Glaubensuberzeugungen bezog "Wissenschaft der Einheit
Gottes (tawhid) und der Eigenschaften" sifat. Später
bezeichnete man diese Wissenschaft mit "Theologie" (kalàm).