Die Moderne Theologie

Die Moderne Theologie

Ayatollah Dschawadi-Amuli

Inhaltsverzeichnis

Der Maßstab der modernen Theologie

Worin besteht das "Moderne" in der Theologie? Wir wollen nicht über den Begriff streiten, sondern nur einen Vorschlag machen: Wenn sich der Maßstab "das Moderne gegenüber dem Früheren" oder "der Modernismus gegenüber der Tradition" auf die Zeit bezieht, kann es sein, dass es in naher oder ferner Zukunft eine "modernere" Theologie geben wird. Bis wann, bis zu welcher Periode, bis zu welchem Jahr nennen wir sie "modern"? Wenn der Maßstab fur das "Modern-Sein" drei andere Komponenten sein sollte: neue Inhalte, neue Grundlagen, neue Methoden, dann kann man nie sicher gehen, ob es nicht in der Zukunft neue Fragen, neue Grundlagen und neue Methoden geben kann, die dann mit "postmodern" bezeichnet wurden. Dies ist neu, jenes wird neu, anderes ist alt. Dies wird keine gute Grundlage sein. Angemessener wäre es, den Weg der Großen in der islamischen Rechtslehre (fiqh) und den Grundlagen zu beschreiten. Sie wissen, dass in der Rechtslehre nicht nur verschiedene Lehrmeinungen zwischen den herausragenden Persönlichkeiten und der Masse der Gelehrten existieren, was die Fundamente, Grundlagen und allgemeinen Regeln betrifft, sondern auch was die Auswahl der Quellen angeht. Wenn Sie eine rechtliche Abhandlung verfassen wollen, führen sie eine rechtliche Frage auf eine Grundlage, ein Gesetz und Fundament zurück (asl).

Wenn man Sie fragt: Woher haben Sie diese Grundlagen genommen, sagen Sie: ich habe sie den Quellen entnommen. Ihre Quellen jedoch sind: Der Koran, die Sunna, die Ratio und der Konsens (der Gelehrten). Weil der Konsens jedoch in den Bereich der Sunna fällt, stellt er keine eigene Quelle dar. Also kann man die Quellen der Rechtsfindung in drei Bereiche unterteilen: die Ratio, die Sunna und den Koran.

Die unterschiedlichen Lehrmeinungen der ersten Rechtsgelehrten (Spitze der Rechtsgelehrten) und ihrer Nachfahren beziehen sich nicht nur auf die verschiedenen Fragen, sondern auch auf die Grundlagen und hier wiederum bestehen die Meinungsverschiedenheiten nicht nur in den Grundlagen, sondern auch in den Quellen. Es ist nicht nur so, dass die Vorgänger viele Fragen nicht erörtert haben, sie setzten in ihren Methoden die Grundlagen (asl/usul) und die Indizien (amara) auf eine Stufe und verliehen beiden Beweiskraft. Große "Fundamentaltheologen" wie der verstorbene Scheich und Autor des "Kifaya" und andere sagten: Es ist nicht zu bezweifeln, dass Grundlagen und Indizien nicht gleich sind. Warum erwähnt ihr Grundlagen und Indizien nebeneinander? Sie trennten diese Dinge voneinander.

In den Quellen gelangte einer zu der Überzeugung, dass der ehrwürdige Koran - möge Gott dies verhüten - verändert wurde und lehnte ihn als Quelle der Rechtsfindung ab. Einer wie Ibn Idris war überzeugt, dass eine Tradition, die nur von einem glaubwürdigen Überlieferer verzeichnet wurde (habar wahid), keine Autorität besitzt. Er akzeptierte eine solch wichtige Quelle nicht. Außerdem erkannte er die Ratio, die eine reiche und starke Quelle darstellt, nicht als solche an. Also gibt es in der islamischen Rechtslehre sowohl in den Quellen als auch in den Grundlagen und den Nebenzweigen Meinungsverschiedenheiten. Niemand von den Gelehrten sagte jedoch, dass es eine alte, eine moderne oder eine postmoderne Theologie gäbe. Sie unterteilten nur die Rechtsgelehrten in die Frühesten, die Früheren, die Zeitgenössischen und die "Zeitgenossen unter den Zeitgenossen". Rechtslehre ist Rechtslehre und bleibt es auch. Vergleichen Sie die Grundlagen des Scheichs - Wohlgefallen Gottes auf ihm - mit denen des Scheich Tusi. Sie werden große Unterschiede finden. Wenn ich auf dem Kongress zum Gedenken des Scheich Mufid vorgeschlagen habe, man müsse ihn an den Theologischen Hochschulen als den ersten Lehrer der Theologie vorstellen, warum habe ich das getan? Weil er Bücher geschrieben hat? Nein! Das ist nicht wichtig. Er vermittelte die Themen so ausführlich, dass er in den Schulen alle Strömungen unter seinen Einfluss bringen konnte. Er war die Autorität (der Herr). So war Scheich Mufid. Schiiten wie Sunniten, Gelehrte von außen wie von innen brachten ihm Respekt entgegen. Nicht nur Sayyid Murtaza und Scheich Tusi verneigten sich vor ihm sondern sogar Fuzuli, ein sunnitischer Gelehrter akzeptierte seine Autorität, und das nicht nur in der Rechtslehre, sondern sogar in der spekulativen Theologie. Ein solch namhafter Gelehrter, der die Gegner am Ende in die Knie zwang, ist der erste Lehrer der Theologie.

Scheich Tusi (Gott erbarme sich seiner) gelangte zu einer Einsicht, die ihn in unseren Augen noch größer erscheinen lässt. Scheich Mufid (möge Gott ihm vergeben) schrieb ein Werk namens "Maqnaa", in dessen erstem Teil er sich mit spekulativer Theologie und in dessen zweitem Teil er sich mit Rechtslehre auseinandersetzt. Scheich Tusi sagte bezüglich dieses Werkes: "Den ersten Teil, der von der Theologie handelt, zu kommentieren, ist äußerst schwer. Ich werde nicht die nötige Zeit dazu haben." Er kommentierte den Teil über Rechtslehre, den er zu einem Buch machte, das er "tahzib"nannte. Er hatte Recht. Schauen Sie sich einmal den theologischen Teil des "Maqnaa" an. Scheich Mufid spricht hier mit undurchdringlicher Autorität. Scheich Tusi gestand sich dies ein und sagte. "Wenn ich den theologischen Teil kommentieren sollte, würde die Zeit nicht ausreichen." Deshalb begann er mit dem Kommentar des rechtlichen Teils. Das Ergebnis dieser Arbeit ist genau dieses Buch tazhîb, das zu unseren vier Hauptquellen gehört. Es steht irgendwo im "Schawàriq" - ich weiß nicht mehr wo - , dass man die Rechtsgelehrten zeitlich unterteilt und nicht die Rechtslehre selbst. Es empfiehlt sich mit der Theologie auch so zu verfahren. Theologie ist Theologie, nur ihre Fragen und Themen andern sich. Eine ganze Generation (von Gelehrten) - mit Ausnahme Muhammad Baschrawîs und seiner Schüler - blieb lange Jahre bei dem Urteil, dass Brunnenwasser rituell unrein (nadschis) sei und der Reinigung bedürfe bzw. dass dessen Reinigung obligatorisch (wadschib) sei. Später wurde diese Entscheidung völlig umgekehrt. All dies ist doch keine neue Rechtslehre, obwohl es eine tiefe Veränderung war.

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