Vorwort
Der älteste uns bekannte Arabische Historiker, aus dessen
Schriften wir bei den späteren ausführliche Citate finden, ist
Abu Michnaf
Lût ben Jahja ben Sa'id ben Michnaf ben Suleim el-Azdi
el-Gâmidi, aus der Familie Gâmid vom Stamme Azd. Sein
Urgroßvater Michnaf ben Suleim (oder Sâlim) war ein jüngerer
Zeitgenosse und Begleiter Muhammeds und hat von ihm Aussprüche
überliefert; nach einigen war er bei der Gründung der Stadt
Kufa im J. 18—19 d.H. das Oberhaupt des Stammes Azd, nach
anderen lebte er in Baçra; er wurde von Ali ben Abu Tâlib zum
Statthalter von Ispahân ernannt und focht auf dessen Seite in
der Schlacht bei Siffin im J. 37 als Anführer und Fahnenträger
seines Stammes. Er soll hier mit seinen beiden Brüdern
el-Casim und Abdallah geblieben sein, wird indes später noch
einmal mit seinem Sohne Abd el-Rahman genannt.
Über Abu Michnaf Lût Ъеп Jahja ist weiter nichts bekannt,
als dass er der Verfasser von 32 Monographien war, deren Titel
Ibn el-Nadim in seinem Fihrist pag. 93 aufführt, in denen er
die Taten einzelner hervorragender Personen, einzelne
Feldzüge und Schlachten aus der älteren Arabischen und aus der
Muhammedanischen Geschichte beschrieben hat. Von diesen
benutzte Tabari sechs und gibt daraus längere Auszüge mit
Nennung des Namens des Verfassers und des Titels der
betreffenden Schrift, nämlich "Über den Tod des Hu'gr ben
'Adi", "das Buch über Mustaurid ben 'Ollafa", "Über den
Rebellen el-Dhahhak", "Über die Schlacht bei Çiffîn, "Über den
Tod Huseins" und "Das Buch über el-Muchtâr ben Abu 'Obeid".
Wenn von einigen die Glaubwürdigkeit des Abu Michnaf in
Zweifel gezogen ist, so hat dagegen Tabari ihn so fleißig
benutzt, dass er einen großen Teil des zweiten Bandes seiner
Chronik aus den Monographien des Abu Michnaf nach der Ausgabe
des Ibn Hischâm entlehnt hat, und auch Belâdsori, Jâcût und
Ibn el-Athir haben keinen Anstand genommen, ihn als ihre
Quellen anzuführen.
Nun finden sich in den Sammlungen zu Berlin, Leiden, Gotha
und St. Petersburg Handschriften mit den Titeln »Huseins Tod«
und »Muchtars Rache«, und den Angaben von Sprenger, Dozy,
Pertsch und Baron Rosen in ihren Katalogen folgend habe ich in
meiner Abhandlung über die Geschichtsschreiber der Araber Nr.
19 diese Schriften unter Abu Michnaf's Namen aufgeführt und
sie als die ältesten uns erhaltenen historischen Werke der
Araber bezeichnet und wirklich wird dieser darin durch »Abu
Michnaf sagt« überall als Verfasser oder Erzähler genannt. Es
ist möglich und selbst wahrscheinlich, dass er noch alte Leute
kannte, welche an dem Kampfe zwischen Husein und den Omeijaden
Teil genommen hatten, und er beruft sich auch auf solche
Zeitgenossen, auch wäre die Reihe der hier und da genannten
Überlieferer lang genug, um bis in die Zeit Huseins
hinaufzureichen. In der Tat stimmen auch mehrere Zitate bei
Tabari und Ibn el-Athir mit Stellen in diesen Handschriften
ziemlich genau überein, aber Abu Michnaf würde in die Klasse
der gewöhnlichsten Cafehaus-Erzähler hinabsinken und nicht
den mindesten Glauben verdienen, wenn man ihn für den
Verfasser unserer Geschichten halten wollte. Dieses Urteil
drängte sich mir auf, nachdem ich zuerst die Gothaer
Handschrift genauer geprüft hatte, und es wurde dann durch die
Vergleichung der anderen nur bestätigt; ich habe mir drei
derselben vollständig abgeschrieben und bezeichne in der
Folge die Gothaer Nr. 1838 mit G), die Berliner Sprenger 159
und 160 mit В und die Leidener Nr. 792 mit L; die Petersburger
P, welche nur den ersten Teil enthält, stimmt nach dem von
Baron Victor Bösen, Notices sommaires des Mss. Arabes du Musée
Asiatique Nr. 151 angegebenen Eingange und nach der
Vergleichung größerer Stellen, welche ich der zuvorkommenden
Gefälligkeit des Herrn Baron Rosen zu danken habe, am meisten
mit G überein. Derselbe Gelehrte setzte mich durch die
erbetene Mitteilung einer Kopie in den Stand, ein aus G
verloren gegangenes Blatt zu ergänzen. Vgl. S. 18.
Schon die Kette der Überlieferer im Anfange von G P В S. 2
ist verdächtig, wenn auch einige bekannte Namen darunter
vorkommen, geradezu unrichtig ist der Hauptname in P
el-Mundsir ben Hischâm von Muhammed ben el-Nâ'ïb, in В
el-Mundsir bon Hischâm ben el- Sâïb, und in G wird das
Verhältnis sogar umgekehrt: Abu Michnaf Lût ben Jahja erzählt
nach Abul-Mundsir ben Hischâm von Muhammed el-Sa'ib. In der
Übersetzung habe ich wenigstens diese offenbaren Fehler
berichtigt, denn es ist anderweitig z. B. aus Tabari H. 17 u.
28, Jâcut I. 173, Z. 5 V. u. bekannt, dass der berühmte
Genealog Abul-Mundsir Hischâm ben Muhammed ben el-Sâïb (gest.
204) ein Schüler des Abu Michnaf war und dessen Vorträge
aufzeichnete und herausgab.
Wenn man dann näher auf den Inhalt eingeht, so mag man etwa
die erste Hälfte des ersten Teiles bis zum Auszuge Huseins
aus Medina noch für historisch und stellenweise aus Abu
Michnaf entlehnt halten, da hier die Erzählung bis auf einige
untergeordnete Punkte noch glaubwürdig erscheint, das Folgende
enthält nur übertrieben Fabelhaftes, fast ohne allen
historischen Werth, und hier möchten nur wenige Zeilen
wirklich von Abu Michnaf herrühren, wenngleich auch hier das
gewöhnliche »Abu Michnaf sagt« überall vorkommt.
Nun entsteht die Frage, welche von unseren Handschriften in
dem ersten Theile den ursprünglichen Text des Abu Michnaf
enthält oder demselben am nächsten kommt, denn der Unterschied
im Wortlaut ist so groß, dass man sie nicht als Abschriften
ein und desselben Originals ansehen kann, an vielen Stellen
machen sie den Eindruck, als wenn jemand dieselbe Geschichte
drei- oder viermal erzählt und dabei mal verschiedene Wörter
und Wendungen gebraucht, welche dasselbe ausdrücken. Dabei
kommen Umstellungen in der Erzählung der einzelnen
Begebenheiten vor und der Text zeigt so grosse Abweichungen,
dass eine eigentliche Vergleichung mit Angabe von Varianten
nicht möglich ist. Wenn man von dem Codex G ausgeht, so steht
ihm P am nächsten, zeigt indes durch Auslassung von Worten
eine starke Kürzung, selten kleine Zusätze, aber auch
Veränderungen im Wortlaut. In einer kurzen Vorrede von L nennt
sich ein sonst unbekannter 'Ali ben Musa ben Ja'far ben
Muhammed ben Tawûs el-Hasani den »Sammler dieses Buches«, das
Ganze kommt aber G sehr nahe, einiges hat L weniger als G,
dagegen an anderen Stellen Zusätze. В weicht am meisten ab,
ist im Allgemeinen etwas wortreicher und umständlicher und
führt Einzelheiten zuweilen weiter aus. Es ist bekannt, dass
auch andere ältere Geschichtswerke verschiedene Umarbeitungen
ins Romanhafte fahren haben, unser Pseudo Abu Michnaf
übertrifft aber z.B. den oder die Pseudo Wâkidi bei weitem in
Übertreibungen und Erzählungen der unglaublichsten Dinge.
Um nun den vollen Beweis zu liefern, dass hier kein Werk,
sondern nur ein (teilweise historisch zu nennender) Roman
liegt, zu welchem die Schriften des Abu Michnaf die Grundlage
liefert haben, war kein Mittel geeigneter, als eine
vollständige Übersetzung zu geben, und ich habe mich um so
eher dazu entschlossen, als dieser Zweig der Arabischen
Literatur bisher nur wenig Beachtung gefunden hat.
Der zweite Hauptteil »die Rache« rundet die Erzählung zu
einem Ganzen ab; hier unterscheidet sich der Verfasser selbst
von Abu Michnaf, wir wissen aber hier noch viel weniger, wie
viel aus dessen Schrift über das Leben Muchtâr's genommen sein
mag, denn dass die angeblichen Zitate nicht wirklich von Abu
Michnaf herrühren, liegt auf der Hand, eine Verbindung der
beiden Schriften lag sicher nicht in der Absicht des letzteren
und der Titel »die Rache« ist ihm ganz fremd. Zudem ist
Muchtâr genau genommen nicht einmal der Hauptheld der
Erzählung, sondern sein Feldherr Ibrahim ben Malik el-Aschtar.
В hat noch einige Anhängsel bekommen über die Verfolgung
und Hinrichtung einzelner Personen aus der Armee des Ibn Zijâd,
welche sich bei der Ermordung Huseins besonders hervorgetan
hatten; L hat Zusätze anderer Art, und wenn in beiden die
Erzählung auf einigen Seiten noch bis zum Tode des Muchtâr
fortgeführt ist, so wird dadurch der Eindruck, welchen das
Ganze machen soll, abgeschwächt.
Die Übereinstimmung der Handschriften ist in diesem Teile
größer als im ersten, zumal zwischen G und B, allein die
Herstellung eines einheitlichen Textes mit Angabe von
Varianten würde auch hier große Schwierigkeiten haben.
Bei der großen Verschiedenheit der Texte konnte ich indes
nur einen derselben übersetzen, was aber auch genügt, und ich
habe dazu G gewählt, teils weil er mir unter den vorhandenen
die älteste Rezension zu enthalten scheint, teils weil der
Text am korrektesten ist, und hauptsächlich weil er in der
Reihenfolge der Begebenheiten an mehreren Stellen eine bessere
Anordnung hat als die anderen, aus denen ich dann einige
einzelne Züge noch in den Text eingeschoben oder in die Noten
gesetzt habe. Wo aus G hier und da einige Worte oder Sätze in
Klammem eingeschlossen sind, soll damit angedeutet werden,
dass in einer größeren Stelle, wo mehrere Handschriften in
der Erzählung übereinstimmen, das Eingeklammerte sich nur in G
findet.
Da die Einleitung in L in der Geschichte etwas weiter
zurückgeht, so habe ich diese noch vorangestellt, und dadurch
hat meine Übersetzung zwei Einleitungen erhalten.
In В ist noch eine andere kurze Geschichte (16 Blätter)
angehängt ^), welche ebenfalls dem Abu Michnaf zugeschrieben
wird. Der Anfang derselben ist etwas verworren, lässt aber
über ihren Charakter keinen Zweifel, er lautet:
Der Inhalt betrifft vorzugsweise den Dichter Sudeif zur
Zeit der Chalifen el-Saffâh und el-Mançûr und der Schluss ist:
[arabisches Original]
Diese Geschichte gehört also ebenfalls in den Sagenkreis
der 'Aliden oder Schiiten, indes kommt unter den im Fihrist
aufgeführten 32 Monographien des Abu Michnaf eine über den
Dichter Sudeif nicht vor, und die angebliche
Vorherverkündigung von 40 Abbasiden Kalifen weist deutlich
auf die Abfassungszeit dieser Erzählung hin. Nämlich bis zum
Untergange des Kalifenreiches von Bagdad im J. 656 hatten 37 Abbasiden auf dem Throne gesessen, man hat mithin die ersten
drei in Ägypten hinzuzunehmen, Mustançir (660), Hâkim (661 —
701) und Mustakii (701—704), um auf die Zeit dieses Verfassers
zu kommen, der Roman »Huseins Tod und die Rache« scheint mir
jedoch einer hehren Zeit anzugehören (Fußnote:
Nach einer allgemein verbreiteten Sage wurde der Kopf des
Husein von Kerbela weggeholt und lange vor dem J. 470 nach 'Ascalon
gebracht, wo für ihn im J. 490 der Bau einer mehrere Jahre
vorher angefangenen Kapelle vollendet wurde, und er blieb
hier, bis er im J. 548 wegen der Annäherung der Kreuzfahrer
nach Kâhira übergeführt und hier für ihn eine eigene Kapelle
erbaut wurde. Vergl. die Geschichte der Fatimiden-ChaUfen S.
275 u. 318. Hiervon findet sich in unserem Roman noch nicht
die leiseste Andeutung.) und er ist offenbar zum Zweck
der Aufreizung der Schiiten gegen die bestehende Regierung
geschrieben.
Dass dieser Zweck bis in die neueste Zeit verfolgt und
diese schichten über das Martyrium und die Verherrlichung
Huseins im Orient gern gelesen und weit verbreitet werden,
geht deutlich daraus hervor, dass eine neue Bearbeitung dieses
Romans, ebenfalls mit Zugrundelegung des Abu Michnaf oder
wahrscheinlich gleich eines unserer Texte in den letzten
Jahren in Kâhira gedruckt und mehrmals aufgelegt ist. Die
neueste Ausgabe ist vom Ende des Rabf L 1298 (Anfang März
1881) datiert ; der erste Teil mit dem Titel »Das licht über
das Martyrium Huseins« ist von Abu Ishâk el-Isfarâini; der
zweite Teil i: »Die Augenlust über die für Husein genommene
Rache« hat einen gewissen Abu Abdallah Abdallah ben Muhammed
zum Verfasser; beide Namen sind vermutlich nur erdichtet.
Besonders der zweite Teil stimmt etwas abgekürzt fast
wörtlich mit G überein.