Der Sieg des Islam

Der Sieg des Islam

von Edward Gibbon

 
bullet Inhaltsverzeichnis

Zehntes Kapitel - Die Barbaren Osteuropas

(Anmerkung der Enzyklopädie des Islam: Die hier erfolgenden Schilderungen sind in keinster weise authentisch und können daher nicht als Quelle für die Geschichte des Islam angesehen werden. Die Wiedergabe dient nur dazu, um darzulegen, wie in der Westlichen Welt auf den Islam geblickt worden ist.)

Die Bulgaren. – Ursprung, Wanderungen und Niederlassung der Ungarn. – Ihre Eroberungszüge nach Osten und Westen. – Die Monarchie Rußland. – Geographie und Handel. – Kriege der Russen gegen das griechische Reich. – Bekehrung der Barbaren

Unter der Regierung Konstantins, des Enkels des Heraklius, wurde die alte, so oft verletzte und wiederhergestellte Donaugrenze durch eine neue barbarische Sintflut unwiederbringlich zerbrochen. Die Fortschritte, die die Barbaren machten, wurden ihnen durch die Kalifen, ihre unbekannten und zufälligen Bundesgenossen, erleichtert; die römischen Legionen waren in Asien beschäftigt, und die Kaiser waren nach dem Verlust von Syrien, Ägypten und Afrika zu ihrer Schmach genötigt, ihre Hauptstadt gegen die Sarazenen verteidigen zu müssen. Wenn ich bei der Schilderung der Sarazenen von meinem ursprünglichen Konzept abgewichen bin, so macht der interessante Gegenstand diese Abschweifung verständlich. Im Osten, im Westen, im Kriege, in Religion und Wissenschaft, in ihrem Glücke wie in ihrem Verfall interessieren uns die Araber; sie verursachten die erste Erschütterung der Kirche und des morgenländischen Reiches, und die Anhänger Mohammeds beherrschen noch immer den Orient. Die Schwärme von Wilden, die vom siebenten bis zwölften Jahrhundert aus den Hochebenen Skythiens hervorbrechen, verdienen eine so ausführliche Beschreibung nicht. Ihre Namen sind ungeschlacht, ihr Ursprung zweifelhaft, ihre Taten dunkel; sie waren in blindem Aberglauben befangen und von tierischer Tapferkeit; ihr gleichförmiges öffentliches und häusliches Leben war nicht von Politik geleitet und nicht verfeinert. Die byzantinischen Monarchen wiesen ihre Angriffe zurück und überlebten sie. Der größte Teil dieser Barbaren ist verschwunden, ohne ein Denkmal ihres Daseins hinterlassen zu haben, und die Reste leiden unter fremden Tyrannen und werden dies wohl noch lange tun. Ich werde mich begnügen, von der Geschichte I. der Bulgaren, II. der Ungarn, III. der Russen diejenigen Teile zu erzählen, die es verdienen, erhalten zu bleiben. Die Eroberungen IV. der Normannen und V. die türkische Monarchie werden in Verbindung mit den denkwürdigen Kreuzzügen in das heilige Land und dem Sturz der Stadt und des Reiches Konstantins erzählt werden.

I. Auf seinem Zuge nach Italien hatte Theoderich der Ostgote die Bulgaren geschlagen. Nach dieser Niederlage hörte man während eineinhalb Jahrhunderten nichts mehr von diesem Volke, und es läßt sich annehmen, daß ihr Name erst wieder durch fremde Kolonisten vom Borysthenes, Tanais oder der Wolga aufgefrischt wurde. Ein König des alten Bulgarien gab seinen fünf Söhnen bei seinem Tode eine letzte Lehre über Mäßigung und Eintracht. Sie wurde aufgenommen wie die Jugend stets Ratschläge Älterer und Erfahrener aufnimmt. Die fünf Fürsten begruben ihren Vater, teilten seine Untertanen und Herden unter sich, vergaßen seinen Rat, trennten sich und wanderten, dem Glücke nachjagend, umher. Die abenteuerlichsten finden wir im Herzen Italiens unter dem Schutze des Exarchen von Ravenna wieder. Aber der Hauptstrom der Auswanderer richtete sich gegen die Hauptstadt. Das neuere Bulgarien erhielt den Namen und das Gepräge, das es noch bis zur Stunde trägt; die neueren Eroberer erhielten nacheinander durch Kriege oder Verträge die römischen Provinzen Dardania, Thessalien und die beiden Epirus. In der geringen Stadt Lychnidus oder Achrida stand in glücklichen Zeiten der Thron ihres Königs und sie beherbergte einen Patriarchen. Die Sprache der Bulgaren beweist deren Abstammung von einem slawischen Stamme. Die verwandten Scharen der Serben, Bosniaken, Raizen, Kroaten, Walachen folgten der Fahne oder dem Beispiele der tonangebenden Horde. Vom Schwarzen bis zum Adriatischen Meere waren sie als Gefangene oder Untertanen, als Bundesgenossen oder Feinde des griechischen Reiches über das Land verbreitet, und der Name Slawen wurde aus Zufall oder Bosheit von seiner ursprünglichen Bedeutung Ruhm in Knechtschaft verwandelt. Die Kroaten sind die Nachkommen eines mächtigen Volkes, der Eroberer und Souveräne von Dalmatien. Die Seestädte, insbesondere die junge Republik Ragusa, flehten den byzantinischen Hof um Beistand und Verhaltungsmaßregeln an; der großmütige Basilius riet ihnen, die unwiderstehlichen Barbaren durch einen jährlichen Tribut zu besänftigen. Das Königreich Kroatien war unter zwölf Zupane oder Lehensherren geteilt, und ihre vereinten Streitkräfte beliefen sich auf sechzigtausend Reiter und hunderttausend Mann Fußvolk. Eine lange, durch Inseln gedeckte, mit geräumigen Häfen versehene Küste, die der italienischen gegenüber lag, begünstigte die Schiffahrt. Die Boote oder Brigantinen der Kroaten waren nach Art der alten Liburnier gebaut; die hundertachtzig Kriegsschiffe, die als beträchtliche Seemacht gelten könnten, hatten jedoch bloß je zehn, zwanzig oder höchstens vierzig Mann Besatzung. Sie wurden allmählich hauptsächlich zum Handel verwendet. Dennoch gab es viele slawische Seeräuber, die gefürchtet waren. Erst gegen Ende des zehnten Jahrhunderts gelang es der Republik Venedig, die Freiheit des Golfes zu sichern. Die Altvorderen dieser dalmatinischen Könige waren weit davon entfernt, tüchtige Seeleute oder gar Seeräuber zu sein; sie wohnten in Weißkroatien, im Inneren Schlesiens und Kleinpolens.

Auch in der Glanzperiode, die nur kurz währte, waren die Bulgaren auf enge Grenzen beschränkt. Im neunten und zehnten Jahrhundert herrschten sie südlich der Donau; aber die mächtigeren Völker, die ihnen bei ihrer Auswanderung gefolgt waren, vereitelten jede Rückkehr nach Norden, sowie alle Ausdehnungsversuche nach Westen. Sie konnten sich, außer verschiedenen dunklen Taten, rühmen, daß sie, was bisher nur den Goten geglückt war, in der Schlacht einen Nachfolger Augustus' und Konstantins getötet hatten. Der Kaiser Nikephorus hatte seinen Ruhm im arabischen Kriege eingebüßt, er verlor sein Leben im bulgarischen Krieg. Bei seinen ersten Unternehmungen rückte er kühn und mit Erfolg bis in das Herz Bulgariens vor und verbrannte den Königshof, der wahrscheinlich bloß ein hölzernes Gebäude inmitten eines Dorfes war. Während er aber nach Beute forschte und alle Friedensanträge verwarf, sammelten sich seine Feinde, besetzten die Pässe in seinem Rücken, und man hörte den bebenden Nikephorus ausrufen: »Ach, ach! wir können nicht hoffen zu entkommen, außer auf Vogelfittichen.« Zwei Tage verharrte er verzweifelt in Untätigkeit; am Morgen des dritten Tages aber überrumpelten die Bulgaren das Lager und metzelten den römischen Fürsten und die Großwürdenträger des Reiches in ihren Zelten nieder. Die Leiche des Valens wurde wenigstens vor Beschimpfungen gerettet, aber der Kopf des Nikephorus wurde auf einem Speer zur Schau gestellt und sein später mit Gold eingefaßter Schädel bei Siegesschmäusen als Trinkgefäß verwendet. Die Griechen weinten über die Entehrung des Thrones, sahen aber darin die Strafe für Grausamkeit und Habsucht. Dieser gräßliche Becher entsprach den Sitten der Skythen; aber noch vor Ende des Jahrhunderts wurden die Bulgaren besänftigt. Sie waren im Besitze eines wohlhabenden Landes, pflegten friedlichen Verkehr mit den Griechen, und das Christentum wurde verbreitet. Die bulgarischen Großen wurden in den Schulen und im Palaste von Konstantinopel erzogen und Simeon, ein Jüngling aus königlichem Geschlecht, in der Rhetorik des Demosthenes und der Logik des Aristoteles unterrichtet. Er verließ das Kloster um König und Krieger zu werden, und unter seiner mehr als vierzigjährigen Regierung nahm Bulgarien einen Rang unter den zivilisierten Mächten der Erde ein. Die Griechen, die von ihm wiederholt angegriffen wurden, warfen ihm Treulosigkeit und Gottesfrevel vor. Sie erkauften den Beistand der heidnischen Türken; Simeon, der die erste Schlacht verloren hatte, gewann überlegen die zweite. Es galt damals schon für einen Sieg, wenn man den Kriegern dieser furchtbaren Nation auszuweichen verstand. Die Serben wurden geschlagen, gefangen, zerstreut, und nur fünfzig Familien blieben anfänglich im Lande, die ihr Leben durch die Jagd mühsam fristeten. Auf klassischem Boden, an den Ufern des Achelous, wurden die Griechen geschlagen. Simeon schritt zur Belagerung von Konstantinopel und diktierte in einer persönlichen Unterredung mit dem Kaiser die Friedensbedingungen. Sie kamen unter besonderen Vorsichtsmaßregeln zusammen: die königliche Galeere legte sich an eine künstliche, wohl befestigte Plattform, und die feindlichen Könige wetteiferten miteinander an Prachtentfaltung. »Bist du ein Christ«, sagte der demütige Romanus, »dann ist es deine Pflicht, deine Mitchristen zu schonen. Hat dich der Durst nach Reichtümern dem Frieden entfremdet? Stecke dein Schwert ein, öffne deine Hand, und ich will alle deine Wünsche erfüllen.« Die Versöhnung wurde durch ein Familienbündnis besiegelt, die Freiheit des Handels wieder hergestellt, den Freunden der Bulgaren die ersten Ehren am Hofe vor den Gesandten anderer Nationen eingeräumt und ihre Fürsten mit dem hohen und gefälligen Titel Basileus oder Kaiser geschmückt. Aber diese Freundschaft blieb nicht lange ohne Störung. Nach dem Tode Simeons griffen die Nationen wieder zu den Waffen; seine schwachen Nachkommen wurden besiegt und vernichtet. Im Anfang des elften Jahrhunderts erwarb sich Basilius der Zweite Porphyrogenitus den Titel eines Bezwingers der Bulgaren. Seine Habsucht wurde durch einen Schatz von vierhunderttausend Pfund Sterling (zehntausend Pfund Gold), den man im Palaste von Lychnidus fand, einigermaßen befriedigt. Er übte kalte, wohlausgesonnene grausame Rache an fünfzehntausend Gefangenen, die ihr Vaterland verteidigt hatten. Sie wurden des Augenlichtes beraubt und nur je einem von hundert ein Auge gelassen, damit er seine blinden Zenturionen ihrem Könige vorführen könne. Der König, wird gemeldet, starb vor Schmerz und Entsetzen. Die Nation wurde durch dieses furchtbare Exempel eingeschüchtert, die Bulgaren aus ihren Niederlassungen verjagt und auf eine kleine Provinz beschränkt. Die überlebenden Häuptlinge lehrten ihre Kinder Geduld zu haben und den Gedanken an Rache zu nähren.

II. Als die Ungarn, ungefähr neunhundert Jahre nach dem Beginn der christlichen Zeitrechnung, Europa zuerst überfluteten, glaubten sie an den Gog und Magog der heiligen Schrift, als Zeichen und Vorläufer des Weltendes. Seit Einführung der heiligen Schrift bei ihnen erforschten sie mit starker und patriotischer Wißbegierde ihre Vergangenheit. Sie führen ihren Stammbaum weit über Attila und die Hunnen hinaus, aber sie klagen, daß ihre ältesten Urkunden im Tartarenkriege verloren gingen, daß ferner ihre wahren Volksgesänge nicht geglaubt werden und daß die rohen Bruchstücke ihrer Chronik nur mit Mühe mit den Berichten der kaiserlichen Geographen in Übereinstimmung gebracht werden können. Magyar ist der einheimische und orientalische Name der Ungarn. Die Griechen gaben ihnen jedoch zum Unterschied von den skythischen Stämmen den Namen Türken, Abkömmlinge jenes mächtigen Volkes, das von China bis an die Wolga geherrscht hatte. Die pannonischen Kolonisten pflegten weiter Verkehr, Handel und Freundschaft mit den orientalischen Türken an den Grenzen Persiens, und nach einer Trennung von dreihundertfünfzig Jahren entdeckten und besuchten die Boten des Königs von Ungarn ihr altes Vaterland an den Ufern der Wolga. Sie wurden gastfrei von einem Volke von Wilden und Heiden aufgenommen, die immer den Namen Ungarn geführt hatten und sich mit ihnen in ihrer Muttersprache verständigen konnten, sich an die Sage von den längst verlorenen Brüdern erinnerten und mit Staunen die Wundererzählung von ihrem neuen Königreiche und Glauben vernahmen. Ihre Stammverwandten suchten sie eifrigst zu bekehren, und einer ihrer hochherzigsten Fürsten hatte den schönen, aber nicht zur Ausführung gekommenen Plan gefaßt, das öde Pannonien mit ihren Verwandten aus der Tartarei zu bevölkern. Aus diesem Urvaterlande wurden sie durch Krieg und Völkerwanderung, durch das Nachdrängen ferner Stämme, die zugleich Flüchtlinge und Eroberer waren, nach dem Westen getrieben. Sie wandten sich gegen die Grenzen des römischen Reiches, machten an den Ufern der großen Flüsse halt, und man kann in den Gebieten von Moskau, Kiew und der Moldau Spuren ihrer ehemaligen kurzzeitigen Wohnsitze entdecken. Auf dieser langen Wanderung erlitten sie durch Stärkere öfter Niederlagen, und ihr Blut wird durch Beimischung des Blutes fremder Horden veredelt oder verunreinigt. Aus irgendeinem Grunde, wahrscheinlich aus Notwendigkeit, scharten sich mehrere Stämme Chozaren unter der Fahne ihrer alten Vasallen zusammen, führten eine zweite Sprache ein und erlangten den ehrenvollsten Posten in der Schlacht. Das Heer der Türken und ihrer Bundesgenossen zog in sieben gleich starken Abteilungen; jede derselben bestand aus dreitausendachthundertsiebenundfünfzig Kriegern, was, wenn man Weiber, Kinder und Knechte rechnet, mindestens eine Million Auswanderer ergibt. Sie wurden von sieben Waywoden oder erblichen Häuptlingen geleitet, aber deren Fehden und Schwäche begünstigte die Herrschaft einer einzelnen Person. Das Zepter, das von dem bescheidenen Lebedius abgelehnt worden war, wurde Almus und seinem Sohne Arpad angeboten. Die obersten Herrscher nannten sich Khan und legten die gegenseitigen Verpflichtungen zwischen Herrscher und Volk fest: das Volk hat den Fürsten zu gehorchen und der Fürst für das Glück und den Ruhm des Volkes zu sorgen!

Mit dieser Darstellung könnten wir uns füglich begnügen. Die scharfsinnigen neueren Gelehrten haben jedoch weitere Kenntnisse über die Frühzeit der Nation gesammelt. Die ungarische Sprache steht allein und gleichsam isoliert von den slawischen Mundarten da, ist aber mit dem Idiom der finnischen Rasse nahe verwandt. Die Finnen sind ein alter und wilder Stamm, der einst die nördlichen Gegenden von Europa und Asien bewohnte. Die Benennung Ugri oder Iguren findet man an den westlichen Grenzen Chinas; ihre Wanderungen nach den Ufern des Irtisch werden durch tartarische Zeugnisse bestätigt. Einen ähnlichen Namen und eine verwandte Sprache trifft man bei den Völkern des südlichen Sibirien, und die Reste der finnischen Stämme sind, wenn auch dünn, von den Quellen des Obi bis zu den Gestaden von Lappland verbreitet. Wenn die Ungarn und die Lappländer wirklich verwandt sind, so würde sich in ihrer Verschiedenheit der Einfluß des Klimas auf die Nationen zeigen; die Abenteurer an der Donau waren kühn und berauschten sich an dem Weine, der an ihren Ufern wächst, während die Finnen elende Flüchtlinge waren, die sich in den Eiswüsten bargen. Kampf und Freiheit waren seit jeher, oft zu ihrem Unglück, die herrschenden Leidenschaften der Ungarn, die die Natur an Seele und Leib mit Kraft begabt hatte. Die große Kälte ihres Landes veranlaßte, daß die Lappländer klein blieben; die arktischen Stämme allein wissen von Krieg und Blutvergießen nichts; eine glückliche Unwissenheit, wenn sie der Vernunft und Tugend entspränge.

Der kaiserliche Verfasser der Taktik hat die Bemerkung gemacht, daß alle skythischen Heiden einander in ihrem Hirten- und Kriegsleben glichen, alle auf gleiche Weise für ihren Lebensunterhalt sorgten und sich der gleichen Waffen bedienten. Er fügt jedoch hinzu, daß die Bulgaren und Ungarn ihren Brüdern überlegen und bezüglich ihrer Regierungen und der Heereszucht ähnlich sind. Ihre Ähnlichkeit verleitete Leo dazu, Freund und Feind gemeinsam zu beschreiben, und die Schilderung kann durch einige Züge, die ihre Zeitgenossen des zehnten Jahrhunderts überliefert haben, bereichert werden. Die angeborene Wildheit dieser Barbaren wird durch ihren Freiheitsdrang und das Bewußtsein ihrer großen Zahl gesteigert; sie verachteten außer kriegerischer Tapferkeit, alle Tugenden, die sonst von den Menschen hochgeachtet werden. Die Zelte der Ungarn waren aus Leder, ihre Kleidung aus Pelz, sie schoren ihr Haar, machten narbenzurücklassende Schnitte in ihr Gesicht, waren langsam in der Rede, schnell in ihren Taten, hielten Verträge nicht und hatten die übrigen Mängel der Barbaren: zu große Unwissenheit, um die Wichtigkeit der Wahrheit zu erkennen, zu großen Stolz, um den Bruch der feierlichsten Verpflichtungen zu leugnen oder zu beschönigen. Ihre Einfachheit ist gepriesen worden; sie enthielten sich aber nur des Luxus', den sie nicht kannten. Was sie sahen, danach begehrten sie, und ihre Begierden waren unersättlich; sie kannten nichts als Gewalttaten und Streit. Indem ich sie als Hirtenvolk bezeichnete, habe ich ihre Wirtschaft, Regierung und die Art ihrer Kriegsführung gekennzeichnet; ich füge hinzu, daß die Ungarn auch von den Erträgnissen der Jagd und Fischerei lebten. Sie mußten, obwohl sie nur selten die Erde bebauten, in ihren neuen Niederlassungen zuweilen eine auf niederer Stufe stehende Landwirtschaft betrieben haben. Auf den Wanderungen, wohl auch auf den Feldzügen, wurden ihre Scharen von Tausenden von Schafen und Rindern begleitet, die ständig Fleisch und Milch lieferten und furchtbare Staubwolken aufwirbelten. Die erste Sorge des Anführers war ein ausgedehnter Futterbereich für die Lämmer- und Rinderherden, und war dieser gefunden, so kehrten sich die abgehärteten Krieger weder an Gefahren noch Strapazen. Die Vermengung von Tieren und Menschen, die das Land überfluteten, hätte ihr jeweiliges Lager nächtlichen Überfällen preisgegeben, wenn ihre leichte Reiterei, die stets in Bewegung war, sie nicht in großem Kreis umschwärmt hätte, um den sich nähernden Feind zu melden und aufzuhalten. Nachdem die Ungarn die Taktik der Römer gelernt hatten, bewaffneten sie sich mit Schwert, Lanze und Helm und deckten sich und ihre Pferde mit Harnischen. Die ihnen vertraute und von ihnen meisterhaft gehandhabte Waffe war der Bogen der Tartaren. Von frühester Kindheit an übten sich ihre Kinder und Sklaven im Bogenschießen und Reiten. Ihr Arm war stark, ihr Auge scharf und sie waren gewöhnt, auch im schärfsten Ritt kehrt zu machen und eine Wolke von Pfeilen zu entsenden. Im offenen Kampfe, im Hinterhalt, auf der Flucht und bei der Verfolgung waren sie gleich furchtbar. Ihre vorderen Reihen bewahrten einen Schein von Ordnung, und im Angriff wurden diese durch die nachdrängenden Scharen vorwärtsgetrieben. Sie verfolgten den fliehenden Feind blitzschnell, mit hängenden Zügeln und schrien dabei schrecklich; wenn sie sich dagegen auf wirklicher oder verstellter Flucht befanden, wurde der verfolgende Feind durch plötzliches Standhalten und Schwenkungen in Verwirrung gebracht und aufgehalten. Während ihrer Siege setzten sie Europa, das noch von den Wunden, die es von den Sarazenen und Dänen erhalten hatte, blutete, in Bestürzung; Barmherzigkeit verlangten sie selten, gewährten sie noch seltener. Beide Geschlechter waren dem Mitleid gleich unzugänglich, und durch ihre Gier nach rohem Fleische wurde die Sage gestützt, daß sie das Blut der Erschlagenen tränken und deren Herzen aßen. Es fehlte jedoch den Ungarn keineswegs an Gerechtigkeit und Menschlichkeit. Sie hatten Gesetze und Strafen, und es gab viele unter ihnen, die von Haus aus tugendhaft waren, durch die die Sitten verbessert wurden und welche die Pflichten des geselligen Lebens erfüllten.

Nach einer langen Wanderung, flüchtend oder siegend, näherten sich die türkischen Horden den Grenzen des byzantinischen und fränkischen Reiches. Ihre ersten Eroberungen und endlichen Niederlassungen dehnten sie auf beiden Seiten der Donau über Wien und Belgrad weit über die römische Provinz Pannonien oder des heutigen Ungarn aus. Dieses große Land war dünn von Mährern, einem slawischen Stamm, besiedelt, die von den neu eingedrungenen Horden zusammengedrängt wurden. Karl der Große besaß ein riesiges Reich, das nominell bis an die Grenzen Siebenbürgens reichte. Nach Aussterben seiner rechtmäßigen Nachfolger vergaßen die Herzöge von Mähren den Monarchen des östlichen Frankreich Tribut zu zahlen. Der Bastard Arnulf fand sich unklugerweise bewogen, die Türken zu rufen; sie leisteten dem Rufe Folge, und man hat mit Recht den König von Deutschland als einen Verräter an der bürgerlichen und kirchlichen Gesellschaft der Christen gebrandmarkt. So lange Arnulf lebte, blieben die Türken aus Furcht oder Dankbarkeit ruhig; aber während der Kindheit seines Sohnes Ludwig fielen sie in Baiern ein und plünderten und verheerten an einem einzigen Tage ein Bereich mit einem Umfang von fünfzig (engl.) Meilen. In der Schlacht bei Augsburg waren die Christen bis zur siebenten Stunde des Tages im Vorteil, sie wurden aber durch die scheinbare Flucht der türkischen Reiterei getäuscht und schließlich besiegt. Der Brand breitete sich über Baiern, Franken und Schwaben aus, und die Ungarn förderten die Anarchie im Lande, indem sie die mächtigsten Barone zwangen, ihre Vasallen zu Kriegsdiensten anzuhalten und ihre Schlösser zu befestigen. Der Ursprung der ummauerten Städte wird dieser Zeit zugeschrieben; keine Entfernung konnte gegen einen Feind sichern, der zu gleicher Zeit das schweizerische Kloster St. Gallen und die Stadt Bremen an der Nordsee in Asche legte. Über dreißig Jahre mußten die deutschen Kaiser oder Könige Tribut zahlen. Jeder Widerstand wurde durch die wirksame Drohung niedergeschlagen, Weiber und Kinder in Gefangenschaft zu schleppen und alle männlichen Einwohner über zehn Jahren niederzumetzeln. Ich werde die Eroberungen der Ungarn jenseits des Rheins nicht näher beschreiben, aber ich muß erwähnen, daß die Südprovinzen Frankreichs von ihnen verheert wurden und Spanien jenseits der Pyrenäen durch die Annäherung dieser furchtbaren Fremdlinge in Bestürzung versetzt wurde. Italien hatte sie schon öfter zu Einfällen verlockt, aber sie fürchteten in ihrem Lager an der Brenta die scheinbar große Volksmenge und Stärke des neuentdeckten Landes. Sie baten, unbelästigt ihren Rückzug antreten zu dürfen; stolz verweigerte ihnen dies der König von Italien. Zwanzigtausend Christen büßten seine Hartnäckigkeit und Unbesonnenheit. Unter den Städten des Westens zeichnete sich das königliche Pavia durch Ruhm und Glanz aus, selbst Rom verdankte seinen Vorrang nur den Reliquien der Apostel. Die Ungarn erschienen, dreiundvierzig Kirchen verbrannten und nur ungefähr zweihundert Edle wurden verschont, die aus den Trümmern einige Scheffel Gold und Silber (wohl eine Übertreibung) gerettet hatten. Bei diesen jährlichen Streifzügen bis in die Nähe Roms und Capuas widerhallten die Kirchen, die noch standen, von kläglichen Litaneien: »O rette und befreie uns von den Ungarn!« Aber die Heiligen waren taub oder unerbittlich, der Strom rollte vorwärts bis zur äußersten Landspitze von Kalabrien. Ein Lösegeld wurde für den Kopf jedes italienischen Untertanen angeboten und angenommen: zehn Scheffel Silber wurde in das türkische Lager gebracht, die Räuber jedoch sowohl bei der Kopfzahl betrogen wie beim Silbergehalte des Metalls. Im Osten widerstanden den Ungarn anfangs die Bulgaren, deren Glaube ein Bündnis mit den Heiden verbot. Sie bildeten durch die Lage ihres Landes das Bollwerk des byzantinischen Reiches. Das Bollwerk wurde durchbrochen, der Kaiser erblickte die wogenden Banner der Türken, und einer ihrer kühnsten Krieger wagte es, seine Streitaxt in das goldene Tor einzuhauen. Die reichen und schlauen Griechen konnten den Angriff ablenken, aber die Ungarn konnten sich rühmen, daß sie von den Bulgaren und Griechen Tribut erhielten. Die große Zahl der Kriegsschauplätze und deren große Entfernung während des Feldzuges erweckte den Eindruck, daß die Zahl der Türken außerordentlich groß sei. Das höchste Lob gebührt ihrem Mute: ein kleiner Trupp von drei- bis vierhundert Reitern machte oft die kühnsten Streifzüge bis an die Tore von Tessalonika und Konstantinopel. Während dieser unglücklichen Periode im neunten und zehnten Jahrhundert schwebte über Europa eine dreifache Geißel: die Normannen aus dem Norden, die Ungarn aus dem Osten und die Sarazenen aus dem Süden kommend, verwüsteten immer wieder dieselben Landstriche, und Homer hätte sie mit Löwen verglichen, die an der verstümmelten Leiche eines Hirsches zerrten.

Die Befreiung Deutschlands und der Christenheit wurde von zwei sächsischen Fürsten, Heinrich dem Städtegründer und Otto dem Großen, die in zwei denkwürdigen Schlachten für immer die Macht der Ungarn brachen, bewerkstelligt. Der tapfere Heinrich erhob sich auf den Ruf seines Vaterlandes vom Krankenlager, aber er war guten Mutes und sein Feldzug von Erfolg gekrönt. »Meine Gefährten«, sprach er am Morgen des Schlachttages, »bleibet in Reih und Glied, fanget die ersten Pfeile der Heiden mit euern Schilden auf und kommt dem zweiten Pfeilregen durch einen schnellen Vorstoß mit euren Lanzen zuvor.«. Sie gehorchten und siegten. Das historische Gemälde von Merseburg zeigt die Züge Heinrichs, der in einem unwissenden Zeitalter die Verewigung seines Namens Künstlern anvertraute. Nach zwanzig Jahren fielen die Kinder, der durch sein Schwert gefallenen Türken in das Reich seines Sohnes ein; ihre Heeresmacht wird mit mindestens hunderttausend Reitern angegeben. Sie wurden von einer einheimischen Partei gerufen, ihr Zug von den Verrätern vorbereitet, und sie drangen weit über den Rhein und die Maas bis ins Herz von Flandern. Aber der tatkräftige und kluge Otto warf die Verschwörer nieder; die Fürsten sahen ein, daß, wenn sie nicht zusammenhielten, ihre Religion und ihr Vaterland unwiederbringlich verloren seien. Die Streitkräfte der Nation sammelten sich in den Ebenen von Augsburg. Sie marschierten und kämpften in acht Gruppen, je nach Provinzen und Stämmen; die erste, zweite und dritte bestand aus Baiern, die vierte aus Franken, die fünfte aus Sachsen, unter dem unmittelbaren Befehle des Monarchen, die sechste und siebente aus Schwaben, und die achte, tausend Böhmen, schloß den Zug. Heereszucht und Tapferkeit wurden durch den Glauben erhöht. Die Soldaten fasteten und führten die Reliquien von Heiligen und Märtyrern mit sich. Der christliche Held gürtete sich mit dem Schwerte Konstantins, faßte den unbezwinglichen Speer Karls des Großen und schwang das Banner des heiligen Mauritius, des Präfekten der thebaischen Legion. Das größte Vertrauen aber setzte er in die heilige Lanze, deren Spitze aus den echten Nägeln des Kreuzes Christi geschmiedet war, und die sein Vater dem König von Burgund durch Kriegsdrohung und durch Überlassung einer Provinz abgerungen hatte. Die Ungarn wurden von vorn erwartet; sie gingen insgeheim über den Lech, einem Fluß Baierns, der sich in die Donau ergießt, kamen dem christlichen Heer in den Rücken, plünderten und brachten die böhmischen und schwäbischen Heerhaufen in Unordnung. Die Schlacht wurde durch die Franken wiederhergestellt, ihr tapferer Herzog Konrad aber, während er von seinen Anstrengungen ausruhte, von einem Pfeile durchbohrt und so getötet. Die Sachsen fochten tapfer unter den Augen ihres Königs, und der von ihm errungene Sieg war verdienstvoller und wichtiger als die Triumphe der letzten zwei Jahrhunderte. Die Verluste, die die Ungarn auf der Flucht erlitten, waren noch größer als jene in der Schlacht. Sie kamen zwischen den Flüssen Baierns in die Klemme und hatten, wegen ihrer früher verübten Grausamkeiten, keine Hoffnung auf Barmherzigkeit. Drei gefangene Fürsten wurden zu Regensburg gehängt, unzählige Gefangene erschlagen oder verstümmelt. Die Flüchtlinge, die es wagten in ihr Vaterland zurückzukehren, wurden von ihren Stammesgenossen zu ewiger Armut und Schmach verdammt. Der Geist der Nation war aber nicht gebrochen, und die zugänglichsten Punkte Ungarns wurden mit Gräben und Wällen befestigt. Im Unglück wurden die Ungarn mäßig und friedvoll; die Räuber des Westens gewöhnten sich an ein seßhaftes Leben, und ein einsichtsvoller Fürst lehrte das folgende Geschlecht, daß mehr durch Vervielfältigung und Austausch der Erzeugnisse eines fruchtbaren Landes gewonnen werden könne, als durch Beraubung fremder Länder. Der ursprüngliche Stamm, mit türkischem oder finnischem Blut, mengte sich mit neuen Kolonisten skythischen oder slawischen Ursprungs. Viele tausend starke und fleißige Gefangene waren aus allen Ländern Europas zusammengeschleppt worden und gereichten nun dem Land zum Nutzen. Nachdem sich Geisa mit einer Baiernfürstin vermählt hatte, verlieh er an deutsche Edle Würden und Ländereien. Der Sohn Geisas erhielt den Königstitel, und das Haus Arpad herrschte dreihundert Jahre über das Königreich Ungarn. Aber die freigeborenen Barbaren ließen sich durch den Glanz des Diadems nicht blenden, und das Volk behauptete weiter sein Recht, den Herrscher zu wählen, abzusetzen und zu bestrafen.

III. Der Name der Russen wurde zuerst im neunten Jahrhundert durch eine Gesandtschaft Theophilus', Kaisers des Morgenlandes, an den Kaiser des Abendlandes, Ludwig, Sohn Karls des Großen, verbreitet. Die Griechen waren von den Gesandten des Großfürsten oder Chagans oder Zars der Russen begleitet. Auf ihrer Reise nach Konstantinopel waren sie durch viele feindliche Völkerschaften gezogen, und sie hofften den Gefahren des Rückzuges zu entgehen, indem sie den fränkischen Monarchen baten, sie zur See nach ihrem Vaterland zu schaffen. Bei näherer Prüfung entdeckte man ihren Ursprung; es waren Brüder der Schweden und Normannen, die sich in Frankreich bereits verhaßt gemacht hatten und gefürchtet waren, und man besorgte mit Recht, daß diese russischen Fremden nicht Boten des Friedens, sondern solche des Krieges sein möchten. Man entließ die Griechen, hielt die Russen fest, und Ludwig wartete auf einen genaueren Bericht, um entweder nach den Gesetzen der Gastfreundschaft oder denjenigen der Klugheit vorzugehen. Die skandinavische Abkunft des Volkes oder wenigstens der Fürsten von Rußland wird durch ihre Annalen und die allgemeine Geschichte des Nordens bestätigt. Die Normannen, von denen man so lange nichts gewußt hatte, brachen auf einmal zu seemännischen und kriegerischen Unternehmungen hervor. Die ausgedehnten und angeblich volkreichen Länder Dänemark, Schweden und Norwegen besaßen viele unabhängige Häuptlinge und verzweifelte Abenteurer, die im Frieden vor Langeweile seufzen und bei Schmerzen und im Todeskampfe lächelten. Seeräuberei war das Gewerbe der skandinavischen Jugend, das ruhmsüchtig mit Lust betrieben ward. Ihres rauhen Klimas und der engen Grenzen überdrüssig, bestiegen sie ihre Schiffe und durchforschten jede Küste, wo sie entweder Beute machen oder Ansiedlungen gründen konnten. Die Ostsee war der erste Schauplatz ihrer Taten zu Wasser; sie besuchten die östlichen Küsten, an denen finnische und slawische Stämme ruhig lebten. Die Urrussen am Ladogasee zahlten diesen Fremden, die sie Waräger oder Seeräuber nannten, einen Tribut, der aus Fellen weißer Eichhörnchen bestand. Ihre Überlegenheit im Gebrauch der Waffen, in der Heereszucht und ihr Ruhm erweckte die Scheu und Ehrfurcht der Eingeborenen. Die Waräger ließen sich herab, ihnen bei ihren Kriegen gegen die tiefer im Lande wohnenden Wilden als Freunde und Bundesgenossen beizustehen und errangen allmählich durch Siege oder Wahl, die Herrschaft über ein Volk, das sie zu schützen wußten. Sie wurden wegen ihrer Tyrannei vertrieben, ihrer Tapferkeit wegen zurückgerufen, bis endlich (862) Rurik, ein skandinavischer Häuptling, der Ahnherr einer Dynastie wurde, die über siebenhundert Jahre herrschte. Seine Brüder dehnten ihren Einfluß aus, die Gefährten im südlichen Rußland folgten seinem Beispiel, und durch Krieg und Mord wurde eine mächtige Monarchie geschaffen.

So lange die Nachkommen Ruriks als Freunde und Eroberer betrachtet wurden, regierten sie mit Hilfe der Waräger, verteilten an ihre treuen Hauptleute Ländereien und Untertanen und ersetzten ihre Scharen durch Abenteurer von den Küsten des Baltischen Meeres. Nachdem jedoch die skandinavischen Häuptlinge feste Wurzeln geschlagen hatten, vermengten sie sich mit den Russen, nahmen ihre Religion und Sprache an. Der erste Wladimir hat das Verdienst, Rußland von den fremden Söldnern befreit zu haben. Sie hatten ihn auf den Thron gesetzt, seine Reichtümer genügten jedoch nicht, um ihre Forderungen zu befriedigen, aber sie folgten seinem Rat, sich einen reicheren Gebieter zu suchen und nach Griechenland zu schiffen, wo sie Gold und Silber statt Eichhörnchenfelle als Sold erhalten würden. Gleichzeitig forderte der russische Fürst seine byzantinischen Genossen auf, die ungestümen Söhne des Nordens in ihre Dienste zu nehmen, sie voneinander zu trennen, im Kriege zu verwenden, zu belohnen und zu zähmen. Zeitgenössische Schriftsteller haben den Empfang der Waräger zu Konstantinopel erwähnt und ihren Charakter beschrieben; sie stiegen täglich im Vertrauen und in der Achtung, die ganze Schar war in Konstantinopel versammelt und tat Dienste bei der Leibwache. Ihre Anzahl wurde bald durch eine beträchtliche Menge ihrer Landsleute von der Insel Thule ergänzt. In diesem Falle hat Thule wohl England zu bedeuten, denn die neuen Waräger waren Engländer und Dänen, die vor den Normannen geflohen waren. Die Wallfahrten und Seeräuberfahrten hatten einander ferne Nationen miteinander in Kontakt gebracht; der byzantinische Hof nahm die Einwanderer auf. Sie bewahrten dem Reich bis zum Untergang Treue und behielten ihre eigenen Sprachen bei. Mit ihren breiten, zweischneidigen Streitäxten, die auf den Schultern getragen wurden, begleiteten sie den Kaiser zur Kirche, in den Senat und das Hippodrom; sie umgaben ihn beim Schlafe und an der Tafel und erhielten die Schlüssel des Palastes, des Schatzes und der Hauptstadt zur Aufbewahrung.

Im zehnten Jahrhundert wußte man weit mehr über die nördlichen Gegenden Skythiens als die Alten, und das russische Reich erhielt auf der Karte Konstantins einen großen und ausgezeichneten Platz. Die Söhne Ruriks waren Herren der großen Provinz Wladimir oder Moskau, und wenn sie auch im Osten von Horden bedrängt wurden, schoben sie in jenen frühen Zeiten ihre Westgrenze bis an die Ostsee und Preußen vor. Im Norden erstreckte sich ihr Reich bis über den sechzigsten Breitegrad, sie beherrschten die hyperboräischen Länder, von denen man geglaubt hatte, daß sie in ewiger Finsternis lägen und von Ungeheuern bevölkert seien. Im Süden folgten sie dem Lauf des Borysthenes und näherten sich mit diesem Flusse dem Schwarzen Meer. Die Stämme, die in diesen ausgedehnten Landstrichen wohnten oder über sie wanderten, gehorchten einem Eroberer und verschmolzen allmählich zu einer Nation. Die russische Sprache ist eine Mundart der slawischen, aber im zehnten Jahrhundert waren die beiden verschieden, und da die slawische im Süden vorherrschte, kann man vermuten, daß die ursprünglichen Russen des Nordens, die ersten Untertanen des Anführers der Waräger, ein Teil der finnischen Rasse gewesen sind. Durch die Wanderungen, Vereinigungen und Trennungen der Nomadenstämme wurde das Bild, das die skythische Wüste bot, ständig verändert. Die älteste Karte Rußlands zeigte jedoch einige Plätze, die noch bis heute ihren Namen und ihre Lage beibehalten haben. Die beiden Hauptstädte Nowgorod und Kiew stammen aus dem ersten Jahrhundert der Monarchie; Nowgorod verdiente damals noch nicht den Beinamen groß und war des Bundes mit der Hansa, durch den Reichtum und Freiheitsideale in die Stadt gelangten, noch nicht würdig. Kiew konnte sich noch nicht rühmen, dreihundert Kirchen, unzählige Bewohner und solchen Glanz und Größe zu besitzen, daß es mit Konstantinopel, allerdings nur von jenen, die die Residenz des Kaisers nie gesehen hatten, verglichen werden konnte. Die beiden Städte waren ursprünglich bloß Lager oder Märkte, günstig gelegene Sammelpunkte, wo die Barbaren zum Handel oder zu Kriegsberatungen zusammenkamen. Aber selbst solche Versammlungen zeigen Fortschritte an. Eine neue Rinderrasse wurde aus den südlichen Provinzen eingeführt und Handel zu Lande und Wasser, vom Baltischen bis zum Schwarzen Meer, von der Mündung der Oder bis Konstantinopel getrieben. In den Zeiten des Götzendienstes wurde die slavische Stadt Julin von den Normannen, die sich klug einen freien Markt gesichert hatten, zu Handelszwecken besucht. Von diesem Hafen an der Mündung der Oder segelte der Korsar oder Kaufmann nach dem östlichen Ufer des Baltischen Meeres, die fernsten Nationen traten miteinander in Verbindung, und die heiligen Haine von Kurland sollen mit Gold aus Griechenland und Spanien geschmückt gewesen sein. Zwischen dem Meere und Nowgorod war eine bequeme Verbindung entdeckt worden, im Sommer über einen Golf, einen See und einen schiffbaren Fluß, im Winter über die harte ebene Schneedecke. Die Russen jener Stadt fuhren auf Strömen, die in den Borysthenes mündeten, mit ihren aus einem Baumstamme gezimmerten Kähnen hinab, führten Sklaven jeden Alters, Felle jeder Art, Honig und Rinderhäute mit und legten die gesamten Waren in den Vorratshäusern von Kiew nieder. Im Monat Juni fuhr die Flotte gewöhnlich ab; die Barken wurden in größere und festere Boote umgezimmert, und die Kaufleute fuhren ohne Hindernis den Borysthenes hinab, bis sie zu den sieben oder dreizehn Felsenriffen kamen, die das Bett durchziehen und Stromschnellen bilden. Bei den kleineren Fällen genügte es, die Schiffe zu erleichtern, die größeren Katarakte waren aber nicht schiffbar, und die Schiffer mußten ihre Schiffe, Sklaven und Waren sechs Meilen über das Land schleppen, wobei sie räuberischen Überfällen ausgesetzt waren. Gelangten sie unbehindert wieder zum Strom, so feierten die Russen auf der ersten Insel unterhalb der Wasserfälle ein Fest, auf einer zweiten, nahe der Mündung des Flusses, besserten sie ihre Boote aus, um mit ihnen die längere und gefährlichere Reise auf dem Schwarzen Meere anzutreten. Steuerten sie längs der Küste hin, so erreichten sie bald die Mündung der schiffbaren Donau, mit einem günstigen Winde konnten sie aber in sechsunddreißig bis vierzig Tagen das gegenüberliegende Gestade von Anatolien erreichen und ihre Waren auf dem Markte von Konstantinopel verkaufen. Sie kehrten mit Öl, Wein, Korn, den Industrieerzeugnissen Griechenlands und den Gewürzen Indiens zurück. Einige ihrer Landsleute hielten sich ständig in der Hauptstadt und den Provinzen auf; es bestanden zu ihrem Schutze und zum Schutze ihrer Habe Verträge, die ihnen Vorrechte einräumten.

Aber diese Verbindung, die zum Besten des Menschengeschlechtes diente, wurde bald zu seinem Nachteile. Während hundertneunzig Jahren machten die Russen Versuche, Konstantinopel zu plündern; der Erfolg dieser Seezüge war verschieden, aber Beweggründe, Mittel und Zweck gleich. Die russischen Kaufleute hatten die Pracht und die Üppigkeit der Kaiserstadt gesehen und schilderten die Wunder in den glühendsten Farben. Die mitgebrachten Waren erregten die Gier ihrer Landsleute, sie beneideten die Griechen um die Geschenke der Natur, die ihren Himmelsstrichen versagt geblieben waren, um die Erzeugnisse der Kunst, zu deren Nachahmung sie zu träge waren und die sie aus Armut nicht kaufen konnten. Die Warägerfürsten entfalteten die Fahne, schifften sich mit den tapfersten Kriegern der nördlichen Inseln des Ozeans ein und wurden Seeräuber. Im siebenten Jahrhundert ahmten ihnen die Kosaken nach, indem sie mit ihren Flotten den Borysthenes und das Schwarze Meer zu demselben Zwecke befuhren. Die Griechen nannten die Böden ihrer Schiffe mit Recht Monoxyla, Einzelhölzer. Eine Buche oder Weide wurde ausgehöhlt und das so erlangte flache schmale Boot auf beiden Seiten durch Planken erhöht, bis es eine Höhe von zwölf Fuß und eine Länge von sechzig erreichte. Die Boote hatten kein Verdeck, aber zwei Steuerruder und einen Mast; sie bewegten sich mittels Ruder und Segel und trugen vierzig bis sechzig bewaffnete Krieger, einen Vorrat von Wasser und eingesalzenen Fischen. Der erste Versuch der Russen wurde mit zweihundert solchen Fahrzeugen gemacht; wie sie aber ihre gesamte Heeresmacht aufgeboten hätten, wären tausend bis zwölfhundert Schiffe gegen Konstantinopel ausgezogen. Ihre Flotte stand der Agamemnons nicht nach, wurde aber von den Furchtsamen zehn- bis fünfzehnmal vergrößert. Wenn die griechischen Kaiser verständig, vorsichtig und vorausschauend gewesen wären, wären sie vielleicht mit einer Flotte an die Mündung des Borysthenes gesegelt. Sie gaben aber die Küste von Anatolien den Seeräubern preis, die nach sechshundert Jahren die Küsten des Schwarzen Meeres abermals unsicher machten; solange jedoch die Hauptstadt geschont wurde, kümmerten sich die Fürsten und Geschichtschreiber nicht um die Leiden einer fernen Provinz. Der Sturm, der über Phasis und Trebisond hingebraust war, brach endlich auch über den thrakischen Bosporus los, eine fünfzehn Meilen breite Meerenge, in der die rohen Schiffe der Russen durch einen geschickten Gegner aufgehalten und vernichtet hätten werden können. Bei ihrer ersten Unternehmung unter dem Fürsten von Kiew passierten sie ungehindert die Meerenge und besetzten den Hafen von Konstantinopel in Abwesenheit des Kaisers Michael, dem Sohn des Theophilus. Nach zahllosen Gefahren landete er an der Treppe des Palastes und verfügte sich sogleich in die Kirche der Jungfrau Maria. Auf den Rat der Patriarchen wurde ihr Mantel, eine kostbare Reliquie, aus dem Heiligtum genommen und in das Meer getaucht; der sich rechtzeitig erhebende Sturm, der die Russen zur Rückkehr zwang, wurde hierauf frommer Weise der Mutter Gottes zugeschrieben. Da die griechischen Geschichtschreiber über den zweiten Einfall durch Oleg, dem Vormund der Söhne Ruriks, schweigen, ist man versucht an ihm oder seiner Wichtigkeit zu zweifeln. Der Bosporus war von starken Bollwerken und Verteidigungswaffen geschützt; er wurde gewöhnlich umgangen, indem man die Boote über die Landenge zog, und die Nationalchroniken beschreiben diese Handlung der Russen, als ob ihre Boote mit einem frischen Winde über das Land gesegelt wären. Der Anführer der dritten Armada, Igor, Ruriks Sohn, hatte für seinen Einfall einen Zeitpunkt gewählt, in dem die griechische Flotte gegen die Sarazenen kämpfte. Wenn es aber an Mut nicht fehlt, mangeln selten die Verteidigungswaffen. Fünfzehn im Dock befindliche und schadhafte Galeeren wurden bemannt und segelten kühn gegen den Feind; statt eines einzigen Rohres für griechisches Feuer, war aber jedes Schiff mit mehreren bewaffnet. Die Ingenieure waren gewandt und das Wetter günstig; mehrere tausend Russen, die lieber ertrinken als verbrennen wollten, sprangen ins Meer, und die wenigen, die nach dem thrakischen Gestade entkamen, wurden von den Bauern in unmenschlicher Weise niedergemetzelt. Ein Drittel der Boote floh jedoch in seichtes Wasser, und im nächsten Frühjahr war Igor wieder gerüstet die Schmach abzuwaschen und Rache zu nehmen. Nach langer Zeit nahm Jaroslaus, Igors Enkel, den alten Plan eines Einbruchs zur See wieder auf. Eine Flotte, unter dem Befehle seines Sohnes, wurde abermals durch das griechische Feuer am Eingange des Bosporus zurückgetrieben. Aber bei der übereilten Verfolgung wurde die Vorhut der Griechen von einer großen Menge von Booten mit Bewaffneten umzingelt, ihr Feuervorrat war wahrscheinlich erschöpft, und vierundzwanzig Galeeren wurden genommen, versenkt oder zerstört.

Russische Kriege wurden jedoch weit häufiger durch Verträge abgewendet als durch Waffen. Bei diesen Seekriegen waren alle Nachteile auf Seiten der Griechen: ihr wilder Feind gewährte keine Schonung, bei ihm war keine Beute zu machen, seine unerreichbaren Zufluchtsorte machten den Griechen Rache unmöglich, und im Reiche war man der Meinung, daß im Verkehr mit Barbaren weder Ehre gewonnen noch verloren werden konnte. Anfangs waren ihre Forderungen unzulässig hoch. Sie forderten drei Pfund Gold für jeden Krieger oder Seemann; die russische Jugend dürstete weiter nach Eroberungen oder Ruhm, die weisen Greise aber empfahlen Mäßigung. »Begnügt euch mit dem freigebig gestellten Antrag des Kaisers«, sagten sie. »Ist es nicht besser, daß ihr ohne Kampf in den Besitz von Gold, Silber, Seide, kurz aller Gegenstände eurer Wünsche gelangt? Sind wir des Sieges sicher? Können wir einen Vertrag mit dem Meere schließen? Wir kämpfen nicht auf festem Boden, wir kämpfen auf schwankendem, abgrundtiefem Wasser und der Tod hängt über unseren Häuptern.« Diese nordischen Flotten, die vom Polarkreise zu kommen schienen, hinterließen tiefen Schrecken in der kaiserlichen Hauptstadt. Der Pöbel behauptete und glaubte, daß auf einer Reiterstatue auf dem Taurusplatze eine Prophezeiung eingegraben wäre, daß die Russen endlich Herren von Konstantinopel werden würden. Im achtzehnten Jahrhundert hat eine russische Flotte, statt vom Borysthenes auszusegeln, Europa umschifft, und die türkische Hauptstadt ist von einer Flotte starker Kriegsschiffe bedroht worden, von denen jedes mit seiner Artillerie hundert russische Kähne früherer Zeiten versenken oder zerstören hätte können.

Zu Lande waren die Russen minder furchtbar als zur See, und da sie meist zu Fuß fochten, mußten ihre regellosen Scharen oft von der Reiterei der skythischen Horden durchbrochen und überritten worden sein. Aber ihre wachsenden Städte, so schwach und unvollkommen befestigt sie auch sein mochten, boten doch den Untertanen Schutz und setzten dem Feinde Schranken entgegen. Die Monarchen von Kiew besaßen bis zu einer verderblichen Teilung die Länder des Nordens, und die Nationen von der Wolga bis zur Donau wurden von Swätoslaus, dem Sohne Igors, des Sohnes Olegs, des Sohnes Ruriks, unterjocht oder zurückgedrängt. Er führte ein kriegerisches und wildes Leben; in ein Bärenfell gehüllt, schlief Swätoslaus gewöhnlich auf der Erde, das Haupt an seinen Sattel gelehnt, er aß mäßig und nur geringe Kost, gleich den Helden Homers briet und röstete er das Fleisch (es war häufig das der Pferde) auf Kohlen. Sein im Kampfe geübtes Heer besaß Festigkeit und Zucht, und man muß annehmen, daß kein Krieger ein anderes Leben führen durfte, als sein Anführer. Eine Gesandtschaft des Kaisers Nikephorus bewog ihn, in Bulgarien einzufallen; er erhielt ein Geschenk von fünfzehnhundert Pfund Gold zur Bestreitung der Kosten des Feldzuges oder zur Belohnung. Ein Heer von sechzigtausend Mann wurde gesammelt und eingeschifft; die Russen segelten vom Borysthenes zur Donau, landeten an der Küste von Mösien und siegten nach einem heftigen Kampfe über die Reiterei der Bulgaren. Der besiegte König starb, seine Kinder wurden zu Gefangenen gemacht und seine Gebiete bis zum Hämusgebirge von den Fremden des Nordens unterjocht oder verheert. Statt aber seine Beute fahren zu lassen und seine Verpflichtungen zu erfüllen, war der Warägerfürst eher geneigt weiter vorzudringen als zurückzugehen. Wären seine Pläne von Erfolg begleitet gewesen, so wäre der Sitz der Regierung des russischen Reiches schon in jener frühen Zeit in ein gemäßigteres und fruchtbareres Klima verlegt worden. Swätoslaus erkannte und genoß die Vorzüge des neuen Landes, wo er durch Tausch oder Raub alle Erzeugnisse der Erde vereinigen konnte. Mittels leichter Schiffe bezog er aus Rußland Felle, Wachs und Honig, Ungarn versah ihn mit Pferden und den Erzeugnissen des Westens und Griechenland hatte Überfluß an Gold, Silber und Luxusgegenständen. Scharen von Patzinaciten (Petschenegen), Chozaren und Türken (Ungarn) strömten zu seinen Fahnen, und der Gesandte des Nikephorus verriet seinen Gebieter, nahm den Purpur an und versprach mit seinem neuen Bundesgenossen die Schätze der morgenländischen Welt zu teilen. Der Fürst zog von den Ufern der Donau bis Adrianopel; seine feierliche Aufforderung, die römische Provinz zu räumen, wurde mit Verachtung zurückgewiesen und Swätoslaus erwiderte grimmig, Konstantinopel habe bald die Anwesenheit eines Feindes und eines neuen Gebieters zu gewärtigen.

Nikephorus konnte dem Unheil nicht mehr steuern, das er verursacht hatte; Thron und Gattin gingen jedoch bald auf Johann Zimisces über, der trotz seinen kleinen Körpers den Mut und die Talente eines Helden besaß. Der erste Sieg seiner Unterbefehlshaber beraubte die Russen ihrer Bundesgenossen; zwanzigtausend von ihnen fielen entweder durch das Schwert oder empörten sich und wurden heeresflüchtig. Thrakien war befreit, aber siebzigtausend Barbaren standen noch unter Waffen. Die Legionen, die aus Syrien zurückgerufen worden waren, rüsteten sich im kommenden Frühling unter der Fahne eines kriegerischen Fürsten zu dienen, der sich zum Rächer der mißhandelten Bulgaren erklärt hatte. Die Pässe des Hämusgebirges waren nicht bewacht, sie wurden sogleich besetzt; die römische Vorhut bestand aus den Unsterblichen (eine aus dem Persischen übernommene Bezeichnung). Der Kaiser führte das Hauptheer von zehntausend Mann Fußvolk, und der Rest seiner Streitkräfte folgte langsam und vorsichtig mit Gepäck und Kriegsmaschinen. Die erste Tat des Zimisces war die Niederwerfung von Marcianopolis oder Peristhlaba in zwei Tagen. Die Drommeten schmetterten, die Wälle wurden erstürmt, achttausendfünfhundert Russen getötet, die Söhne des Königs von Bulgarien aus dem Gefängnisse befreit und mit einem nominellen Diadem geschmückt. Nach diesen Verlusten zog sich Swätoslaus nach dem starken Dristra an den Ufern der Donau zurück und wurde vom Feinde verfolgt. Die byzantinischen Galeeren fuhren stromaufwärts, belagerten die Stadt von der Flußseite, und die Legionen warfen am Rande rings um die Stadt eine Verschanzungslinie auf. Der Fürst der Russen wurde in der Stadt eingeschlossen, angegriffen und ausgehungert. Manche tapfere Tat wurde ausgeführt, mancher verzweifelte Ausfall versucht, und erst nach fünfundsechzigtägiger Belagerung wich Swätoslaus dem widrigen Geschicke. Die guten Bedingungen, die er erhielt, beweisen die Klugheit des Siegers, der Tapferkeit ehrte und Verzweiflung fürchtete. Der Großfürst von Rußland verpflichtete sich durch die feierlichsten Eide, alle feindlichen Absichten aufzugeben; er erhielt freien Rückzug zugesichert, die Freiheit des Handels und der Schiffahrt wurde wieder hergestellt und jeder seiner Soldaten erhielt ein Maß Korn. Zweiundzwanzigtausend Maß wurden verteilt, woraus die großen Verluste ersichtlich sind, die die Russen erlitten hatten. Nach einer mühseligen Fahrt erreichten sie wieder die Mündung des Borysthenes; aber ihre Vorräte waren erschöpft, die Jahreszeit ungünstig, sie waren gezwungen, den Winter auf dem Eise zuzubringen, und bevor sie ihren Zug fortsetzen konnten, wurde Swätoslaus von den benachbarten Stämmen, die mit den Griechen in dauerndem Verkehr standen, umzingelt und erdrückt. Ganz anders war Zimisces Rückkehr, der in der Hauptstadt wie Camillus oder Marius, die Retter des alten Rom, empfangen wurde. Der fromme Kaiser schrieb den Sieg der Mutter Gottes zu; das Bild der Jungfrau Maria mit Jesus in den Armen wurde auf einen Triumphwagen gehoben, der die Kriegsbeute führte und auf dem die Abzeichen der Königswürde der Bulgaren lagen. Zimisces hielt seinen feierlichen Einzug zu Pferde, das Diadem schmückte sein Haupt, er trug einen Lorbeerkranz in der Hand, und Konstantinopel staunte über sich selbst, daß es seinem kriegerischen Souverän zujubelte. Photius von Konstantinopel, ein Patriarch, der sehr wißbegierig und ehrgeizig war, wünschte sich und der griechischen Kirche zur Bekehrung der Russen Glück. Er dachte, daß diese blutdürstigen Barbaren überredet worden waren, Jesus als ihren Gott, die christlichen Glaubensboten als ihre Lehrer und die Römer als ihre Freunde anzuerkennen. Sein Triumph war vorschnell und von kurzer Dauer. Bei manchen ihrer mit wechselndem Glück durchgeführten Seeabenteuer mochten einige Anführer eingewilligt haben, sich taufen zu lassen, und ein griechischer Bischof, Metropolit genannt, spendete in der Kirche zu Kiew einer Gemeinde von Sklaven und Eingeborenen die Sakramente. Aber der Same des Evangeliums war auf einen unfruchtbaren Boden gefallen, es gab viele Abtrünnige, wenig neu Bekehrte, und erst die Taufe Olgas kann als Beginn der allgemeinen Bekehrung betrachtet werden. Sie war vielleicht niedrigster Herkunft und war, da sie den Tod ihres Gemahls Igor rächte und das Zepter übernahm, mit besonderer Tatkraft begabt, wodurch sie sich den Gehorsam der Barbaren sichern konnte. Zu einer Zeit, in der im Reiche innerer und äußerer Friede herrschte, segelte sie von Kiew nach Konstantinopel. Der Kaiser Konstantin Porphyrogenitus beschrieb umständlich das Zeremoniell bei ihrer Ankunft in seiner Hauptstadt und den Empfang im Palaste. Die Schritte, die sie zu machen hatte, die Titel, mit denen sie angesprochen wurde, die Begrüßungen, das Bankett, die Geschenke, alles war genau vorherbestimmt worden, um der Fremden zu schmeicheln, jedoch die höhere Majestät der Kaiser zu betonen. Bei der Taufe empfing sie den Namen Helena; gleichzeitig mit ihr ließen sich zwei ihrer Oheime, zwei Dolmetscher, sechzehn Frauen höheren, achtzehn geringeren Ranges, zweiundzwanzig Diener oder Beamte und vierundvierzig russische Kaufleute, die das Gefolge der Großfürstin Olga bildeten, taufen. Nach ihrer Rückkehr nach Rußland blieb sie dem Christentum treu, ihre Anstrengungen zur Verbreitung des Evangeliums waren jedoch nicht von Erfolg begleitet. Ihre Familie und ihr Volk blieb hartnäckig bei der Verehrung der Götter ihrer Väter. Ihr Sohn Swätoslaus fürchtete den Hohn und die Verachtung seiner Gefährten, und ihr Enkel Wladimir widmete sich der Ausschmückung der Denkmäler der alten Götter. Den Gottheiten des Nordens wurden noch Menschenopfer dargebracht, bei der Wahl des Opfers zog man den Eingeborenen dem Fremden, den Christen dem Götzendiener vor, ja der Vater, der seinen Sohn, der zum Opfer auserkoren war, verteidigte, wurde von der fanatischen Menge gleichfalls getötet. Trotzdem hatten die Lehren und das Beispiel der frommen Olga einen tiefen, wenn auch geheimgehaltenen Eindruck auf die Fürsten und das Volk gemacht. Die griechischen Glaubensboten fuhren fort zu predigen, zu disputieren, zu taufen. Die Gesandten oder Kaufleute Rußlands, die nach Konstantinopel kamen, verglichen die Religion der Griechen mit ihrer eigenen. Sie betrachteten mit Entzücken den Sankt Sophiendom, die ergreifenden Bilder der Heiligen und Märtyrer, die herrlichen Altäre, die Zahl und Gewänder der Priester und die feierlichen Zeremonien. Die andächtige Stille und der harmonische Gesang in den Kirchen erbaute sie, und es hielt nicht schwer, sie zu dem Glauben zu bringen, daß jeden Tag ein Engelchor vom Himmel niederschwebe, um bei der Andacht gegenwärtig zu sein. Die Bekehrung Wladimirs wurde dadurch entschieden oder beschleunigt, daß er nach einer römischen Braut begehrte. In der Stadt Cherson wurde er nach erfolgter Taufe von dem christlichen Bischof getraut; die Stadt wurde dem Kaiser Basilius, seinem Schwager, zurückgegeben, die ehernen Tore aber, wie berichtet wird, nach Nowgorod geschafft und vor der ersten Kirche als Denkmal seines Sieges und Glaubens aufgestellt. Auf seinen Befehl wurde Perun, der Gott des Donners, den er solange angebetet hatte, durch die Straßen der Stadt geschleppt, zwölf stämmige Barbaren schlugen mit Keulen auf die häßliche Figur los und warfen sie dann voll Verachtung in den Borysthenes. Das Edikt Wladimirs verkündete, daß alle, die sich weigern würden, sich taufen zu lassen, als Feinde Gottes und ihres Fürsten behandelt werden würden. Bald sammelten sich die gehorsamen Russen zur Taufe an den Flüssen, da sie von der Wahrheit und Vortrefflichkeit einer Religion überzeugt waren, die von dem Großfürsten und den Bojaren angenommen worden war. Die Reste der Barbarei waren bereits beim folgenden Geschlecht ausgerottet. Die beiden Brüder Wladimirs waren ohne Taufe gestorben; daher wurden ihre Gebeine aus dem Grabe genommen und nachträglich durch ein Sakrament geheiligt.

Im neunten, zehnten und elften Jahrhundert der christlichen Zeitrechnung wurde das Evangelium allmählich über Bulgarien, Ungarn, Böhmen, Sachsen, Dänemark, Norwegen, Schweden, Polen und Rußland verbreitet. Lobenswerter Ehrgeiz feuerte sowohl deutsche als griechische Mönche an, die Barbaren in ihren Zelten zu besuchen. Armut, Drangsale und Gefahren waren das Los der ersten Glaubensboten; sie waren mutig und leidgestählt, ihre Beweggründe rein und verdienstlich, ihr Lohn bestand lediglich in ihrem reinen Gewissen und in der Achtung eines dankbaren Volkes. Die Früchte ihrer Mühen wurden jedoch von den stolzen und reichen Prälaten späterer Zeit geerntet. Die ersten Bekehrungen erfolgten freiwillig; ein frommer Lebenswandel und eine beredte Zunge waren die einzigen Waffen der Glaubensboten. Die heimischen Fabeln der Heiden wurden durch die Wunder und Gesichte der Fremden zum Schweigen gebracht und die Geneigtheit der Häuptlinge erworben, indem man ihnen schmeichelte und sie bestach. Die Führer der Völker, die man als Könige oder Heilige grüßte, erachteten es für recht und fromm, ihren Untertanen und Nachbarn den katholischen Glauben aufzuzwingen. Die Völker an der Küste der Ostsee, von Holstein bis zum Finnischen Meerbusen wurden aus religiösen Gründen bekriegt. Die Bekehrung der Völker des Nordens verschaffte den alten und neuen Christen viele zeitliche Wohltaten; der Hang zum Kriege, der den Menschen innewohnt, konnte durch das Christentum aber nicht zum Verschwinden gebracht werden, und die katholischen Fürsten haben zu jeder Zeit Feindseligkeiten begonnen. Durch die Bekehrung der Barbaren hörten jedoch die Raubzüge der Normannen, Ungarn und Russen zu Wasser und Land auf. Sie lernten ihre Brüder schonen und ihre Besitzungen bebauen. Die Geistlichkeit förderte die Einführung der Gesetze und der Ordnung, führte Künste und Wissenschaft in die Länder der Barbaren ein. Die frommen russischen Fürsten nahmen die geschicktesten Griechen in ihre Dienste, um die Städte zu schmücken und die Einwohner zu unterrichten. Die Sophienkirche wurde in Kiew und Nowgorod roh nachgeahmt, die Schriften der Väter in die slawische Sprache übersetzt, und dreihundert Jünglinge eingeladen oder gezwungen, dem Unterricht in der Schule des Jaroslaus beizuwohnen. Man sollte meinen, daß Rußland durch die enge Verbindung mit der Kirche und dem Staate der Griechen, die die unwissenden Lateiner mit Recht so verachteten, schnell zur Bildung gelangte. Die byzantinische Nation war jedoch knechtisch veranlagt und eilte schnell dem Verfalle zu. Nach dem Sturze Kiews wurde der Borysthenes nur mehr selten befahren; die Großfürsten, die in Wladimir und Moskau residierten, waren dem Meere und der Christenheit fern. Sie wurden schließlich von den Tartaren versklavt. Die slawischen und skandinavischen Königreiche, die durch lateinische Glaubensboten bekehrt worden waren, standen unter der geistlichen Herrschaft der Päpste, denen sie Steuer zahlten; aber sie blieben durch Sprache und Gottesdienst untereinander und mit Rom verbunden, sogen den Geist der freien europäischen Republik ein und beteiligten sich allmählich an der Aufklärung der abendländischen Welt.

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