Der Islam im Dialog

Der Islam im Dialog - Aufsätze

Prof. Abdoldjavad Falaturi

Inhaltsverzeichnis

Islamische Christologie versus christliche Christologie

Dennoch zogen das koranische Verständnis vom Eingottglauben und das strenge Festhalten daran ein großes theologisches Problem nach sich, das direkt die christlich-islamischen Verhältnisse betrifft. Gemeint ist die sich daraus ergebende islamische Christologie, die völlig von der christlichen Christologie abweicht. Auf den Dialog zwischen Christen und Muslimen bezogen, bedeutet das eine Schwierigkeit, unter der die meisten Zwiegespräche leiden. Dieses Phänomen nämlich sorgte und sorgt weiterhin dafür, dass nicht selten die Christen und Muslime aneinander vorbeireden. Darauf bin ich in einem Aufsatz eingegangen.

(in: Gemeinsam vor Gott, Religionen im Gespräch, Buch für Interreligiöse Begegnungen, Bd. 1, 1990/91, S. 133 f.). Der Grund, warum die Anhänger beider Religionen aneinander vorbeireden, liegt in den unterschiedlichen Christologien, die christliche und islamische Glaubenssysteme zur Folge haben. Zur Erläuterung seien hier einige Abschnitte daraus mit Ergänzungen gebracht.

Von entscheidender Bedeutung für das islamische Glaubenssystem ist die feste Überzeugung, dass die offenbarte Rechtleitung (huda: der rechte Weg, der Weg zu dem einzigen Gott unter Ausschluss all dessen, was außer ihm verehrt wird) dem Licht derjenigen Gottesausgerichtetheit entspricht, die Gott dem Menschen als dem einzigen Träger des göttlichen Geistes (... Und wenn ich (Gott) ihn (den Adam) den ersten Menschen gebildet und ihm von meinem Geist eingehaucht habe... Koran: Sure 15, Vers 29) infolge seiner rechtschaffenen Natur (fixrah) mit auf den Weg gegeben hat (Koran: Sure 30, Vers 30) eine konsequente Übereinstimmung der Schöpfung und der Offenbarung ist. Die Rechtleitung ist somit nicht etwas, was dem Menschen von außen aufgezwungen wird.

Sie ist vielmehr im Rahmen der göttlichen Barmherzigkeit eine Notwendigkeit, ohne die der Mensch nicht allein in der Lage sein wird, das höchste Ziel: Nähe Gottes, zu erreichen; der Mensch ist ja (das wurde durch den Schöpfungsakt deutlich - Koran: Sure 2, Vers 30ff) parallel zu seiner engsten Verbindung mit dem Göttlichen seiner inneren Neigung und äußeren Irreführung ausgesetzt.

Rechtleitung als Barmherzigkeit Gottes (z. B. Koran: Sure 16, Vers 89), bzw., seine Barmherzigkeit in Form von Rechtleitung, bilden das Herz des islamischen Religions- und Glaubenssystems, ähnlich wie Liebe, Erlösung und Heil das Herz des christlichen.

Keines von beiden ist auf das andere übertragbar. Grundsätzliche Unterschiede wirken dahin, dass (von der völlig unterschiedlichen, nie überbrückbaren islamischen und christlichen Christologie abgesehen) auch andere, sogar zentrale Begriffe, wie Schrift, Glaube, Religion, Prophet, Gesandte je einen anderen Sinngehalt erhalten. Während z. B. die Schrift in der christlichen Theologie, im Schatten von Jesus, weitgehend an Bedeutung verliert, bildet sie im Islam, als Ausdruck der von der Barmherzigkeit begleiteten, offenbarten Rechtleitung für jeden Menschen, die Möglichkeit, direkt von Gott angesprochen zu werden, und sie somit von neuem (d.h. zusätzlich zu der ihm angeborenen Verbindung zu Gott) bewusst zu erfahren.

Die Schrift muss aber (in Folge der islamischen Sichtweise) konsequenterweise unfehlbar und unantastbar sein, sonst ist sie unglaubwürdig und verfehlt ihr Ziel. Das gleiche gilt im Islam für die Überbringer der Rechtleitung (die Gesandten und Propheten). Während diese im Rahmen des zwingenden Erlösungsglaubens erlösungsbedürftig und mit der Last der Sünde behaftet sind bzw. sein müssen, verwahrt sich der Koran entschieden gegen solche Anschuldigungen. - Andernfalls wären diese nicht mehr glaubwürdig und hätten weder etwas verbindliches verkünden noch selbst als Vorbilder für ihre Anhänger gelten können. Die grundsätzliche Zurückweisung der biblischen Prophetendarstellungen seitens des Korans sollte einem apologetischen Drang befreiten Historiker Anlass dazu geben, die aus historischem Grunde pauschal wohl unreflektierte These, der Koran sei von der Bibel abgeschrieben, zu revidieren.

Der Koran bestätigt wiederholt seine Verbindung mit der Thora und dem Evangelium; allerdings nur über die Offenbarung. Die Folge ist eine grundsätzliche Änderung, welche die koranische Christologie rechtfertigen und Anlass zu folgenden Fragen geben:

Wo kommen diese grundsätzlichen und keineswegs zufälligen Modifikationen der biblischen Texte her, die nur in das islamische Glaubensgebäude konsequent hineinpassen, den biblischen Darstellungen völlig widersprechen, ohne welche jedoch seinerseits das von der christlichen Theologie vorgetragene Glaubenssystem nicht bestehen kann. Konsequent ist der Koran eher in seiner Überzeugung, dass das nur die „Gottesausgerichtetheit" ist, die als Inhalt der offenbarten Rechtleitung – und das nennt der Koran „Islam" - jeden Menschen immer und überall mit seinem Gott verbinden kann, eine Überzeugung also, der die christliche Theologie nicht zustimmen kann, weil sie sich sonst aufheben wird, eine Überzeugung ferner, worauf der Koran nicht verzichten kann, weil das von ihm gebrachte Glaubenssystem damit steht und fällt.

Mit anderen Worten geht es im Koran nicht um die Sünde-Erlösung-Überzeugung, sondern um eine Überzeugung, die von der unmittelbaren Sünde-Reue-Vergebung bestimmt ist, wie dies anhand der Geschichte Adams im Koran demonstriert wird (Sure 2, Vers 30 ff.). Wir haben also mit zwei verschiedenen Glaubensmodellen, je mit einem anderen anthropologischen Ansatz, zu tun, von denen jede in sich konsequent abgeschlossen ist.

Das christliche Modell geht, anthropologisch gesehen, von einer permanenten Sündhaftigkeit des Menschen als dessen Wesensmoment aus; das koranische hingegen geht von der durchaus positiven Anlage des Menschen, nämlich seiner gottesausgerichtet geschaffenen Natur, als von einem nach dem Koran evidenten Wesensmoment, aus.

Weder kann die christliche Theologie ihre strukturierte Christologie aufgeben, noch wird der Koran von seiner im Wesen des Phänomens „Islam" begründeten Christologie abrücken. Darin können wir nun am klarsten die unterschiedlichen Wesensmerkmale und Grenzen zwischen Christentum und Islam sehen. Es sind - zumindest theologisch gesehen, unüberbrückbare Grenzen; kein Kompromiss kann überzeugend die Kluft aufheben, weil diese jeweils das gesamttheologische Gebäude bis in den letzten Baustein erfassen. Nur ein Dialog im eingangs genannten Sinne, nämlich „der Versuch, den anderen annähernd so zu verstehen, wie jener sich selbst versteht, und das Bemühen von den anderen so verstanden zu werden, wie man sich selbst begreift", kann ein gegenseitiges Verständnis unter Bewahrung der eigenen Identität ermöglichen.

Die eigentliche Schwierigkeit - meines Erachtens - rührt von den Theologien her, die man um beide heilige Texte, Bibel und Koran, entwickelt hat und auch in der dazu jeweils notwendigen Sprache. Ich habe z.B. gestern Abend mit Wonne und Interesse die Ausführungen von Herrn Kollegen Otte über das Thema „Dialektik zwischen Kreuz und Auferstehung" gehört und versucht, das nachzuvollziehen. Als eine intellektuelle, spekulative Interpretation hat die gesamte Ausführung meine volle Bewunderung gehabt. So sehr, dass ich mir aber Mühe gegeben habe, gefühlsmäßig die Feinheiten, die darin steckten, nachzuvollziehen, um so weniger habe ich Erfolg gehabt.

Die Theologie und die theologischen Ausführungen bauen auf Prinzipien und Voraussetzungen auf, die jeweils in der Gefühlswelt der Gläubigen tief verankert sind. Aus der Sicht der jeweilig betroffenen reale Grundlage, verleihen diese den entsprechenden Spekulationen Sinn und Gehalt. Wenn man nicht im Besitz dieser emotionalen Grundlage ist, wirken die klügsten Spekulationen wie ein leeres und hohles Gebäude. Ich bin sicher, dass einem Christen das Gleiche widerfährt, wenn er mit subtilen Spekulationen z.B. um das Wesen der Gesandtschaft und des Prophetentums - was wie oben erwähnt eine zentrale Bedeutung für den islamischen Glauben hat - konfrontiert wird, weil ihm von Anfang an die emotionalen Kanäle zu diesem Phänomen fehlen.

Auch die Religionsphänomenologie, die im abendländisch-christlichen Raum einen beachtlichen Erfolg erzielt hatte, konnte hier bislang keine Brücke bauen. Sie geht nämlich hauptsächlich - anders konnte es auch nicht zu erwarten sein - von christlicher Begrifflichkeit aus und versucht die anderen Religionen zu begreifen. Möglicherweise hat sie im Falle der anderen Religionen mehr Erfolg erzielt als im Hinblick auf den Islam. Das Übersehen von zweierlei Christologien und zweierlei Glaubensmodellen dürfte hier von entscheidender Bedeutung gewesen sein. Eins könnte höchstwahrscheinlich hilfreich sein: die Gründung einer neuen Theologie auf beiden Seiten auf der Grundlage des gegenseitigen Selbstverständnisses. Langfristig kommen weder die Christen noch die Muslime darum herum, wenn sie es mit dem Dialog - im genannten Sinne - ernst nehmen.

Es gibt aber für Christen und Muslime jenseits ihrer spekulativen Theologien einen anderen, einfacheren Weg, sich als Gläubige näher zu kommen; einen Weg, den die heiligen Schriften beider Religionen vorgezeichnet haben. Ich meine - meine Damen und Herren - den Weg, worauf oben hingewiesen wurde: Das ganze christliche Glaubenssystem steht und fällt mit der Maxime „Liebe". Parallel dazu haben wir gesehen, dass das islamische Glaubenssystem mit der Maxime „Barmherzigkeit" steht und fällt. Denn - um das noch einmal zu betonen - nur Gottes Hilfe und Gottes Gnade und Barmherzigkeit ist es, die nach der koranischen Überzeugung dem Menschen helfen kann, die Nähe Gottes zu erreichen und nicht seine eigene Leistung, keineswegs sein eigenes Werk.

So gesehen, werden die Christen und Muslime, sofern sie es mit einem Dialog ernst meinen, gut daran tun, wenn sie in ihren Begegnungen und Gesprächen auf jeder Ebene und in jeder Situation von der gemeinsamen, funktionsgleichen Wurzel, d.h. Liebe und Barmherzigkeit ausgehen würden, um die sich die Mensch-Gott und Gott-Mensch-Beziehung dreht, und von dieser Basis aus, für einander Gefühle zu entwickeln, die mit dem Ziel ihrer gemeinsamen Verantwortung für die Welt und für alle Menschen in der Gegenwart und der Zukunft, im Einklang stehen und Frieden und Eintracht zu verwirklichen.

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