Leben Mohammeds

Das Leben Mohammeds, des arabischen Propheten

deutsche Übersetzung des englischen Buches "Mahomet and His Successors"

von

Washington Irving

Inhaltsverzeichnis

Sechstes Capitel - Mohammeds Verhalten nach seiner Verheirathung – Denkt ernstlich an eine Religionsverbesserung – Seine Neigung zu einsiedlerischer Zurückgezogenheit – Die Vision (Gesicht) in der Höhle – Seine Ankündigung als Prophet

Die Vermählung mit Khadidschah stellte Mohammed unter die Reichsten seiner Geburtsstadt. Sein sittlicher Werth verlieh ihm auch großen Einfluß auf das Gemeinwesen. Allah, sagt der Geschichtsschreiber Abulfeda, hatte ihn mit jedem Talente ausgerüstet, welches zur Vollendung und zum Schmucke eines rechtschaffenen Mannes nothwendig ist; er war so unbescholten und aufrichtig, daß er allgemein unter dem Namen Al Amin, oder der Treue bekannt war.

Das in seinen Verstand und in seine Rechtschaffenheit gesetzte Vertrauen wurde die Veranlassung, daß er bei Streitigkeiten zwischen seinen Mitbürgern häufig zum Schiedsrichter aufgerufen ward. Eine Anekdote wird als Beleg seines Scharfsinnes bei dergleichen Vorfällen erzählt. Die Kaaba hatte durch Feuer Schaden gelitten und erfuhr eine Ausbesserung, in deren Verlauf der heilige schwarze Stein versetzt werden mußte. Unter den Häuptlingen der verschiedenen Stämme erhob sich darüber Streit, welchem von ihnen das Recht zustünde, eine so heilige Pflicht zu erfüllen, und sie beschlossen, die Entscheidung der ersten Person, welche durch das Thor Al Haram eintreten würde, abzuwarten. Diese Person war zufällig Mohammed. Nach Anhörung ihrer verschiedenen Ansprüche befahl er, daß ein großes Tuch auf dem Boden ausgebreitet und der Stein darauf gelegt werden, und daß ein Mann aus jedem Stamme den Rand des Tuches anfassen sollte. Auf diese Art wurde der heilige Stein gleichmäßig und zu derselben Zeit von ihnen Allen bis zu gleicher Höhe mit dem bestimmten Platze erhoben, an welchem ihn Mohammed mit seinen eigenen Händen befestigte.

Vier Töchter und ein Sohn waren die Frucht der Ehe mit Khadidschah. Der Sohn hieß Kasem, weshalb Mohammed, der arabischen Namenertheilung gemäß, öfters Abu Kasem, d. i. Vater Kasems, genannt wurde. Dieser Sohn starb jedoch in der Kindheit.

Nach seiner Verheirathung setzte er die Handelsgeschäfte noch mehrere Jahre fort, indem er die großen arabischen Märkte besuchte und mit den Karavanen weite Reisen machte. Seine Expeditionen waren nicht so gewinnreich wie in den Tagen, wo er als Geschäftsführer arbeitete, und der mit seiner Gattin erlangte Wohlstand verminderte sich im Verlaufe seiner Unternehmungen eher, als er sich mehrte. Dieser Wohlstand hatte ihn in der That der Nothwendigkeit überhoben, für sein Bestehen sich abzumühen, und ihm Muße verschafft, dem ursprünglichen Hange seines Geistes zu fröhnen, nämlich einer Neigung zur Grübelei und zur religiösen Betrachtung, welche er von seinen frühesten Jahren an gezeigt hatte. Diese war während seiner Reisen durch den Umgang mit Juden und Christen genährt worden; sie waren ursprünglich Flüchtlinge der Verfolgung halber, jetzt aber zu Stämmen vereinigt und bildeten einen Theil der Bevölkerung in den Städten. Die arabischen Wüsten zumal, reich, wie wir gezeigt haben, an phantastischem Aberglauben, hatten seiner schwärmerischen Grübelei Nahrung geliefert. Auch hatte er seit seiner Verehelichung mit Khadidschah ein häusliches Orakel, welches auf seine religiösen Ansichten einwirkte. Das war seiner Gattin Vetter Waraka, ein Mann nachdenkenden Geistes und biegsamen Glaubens; ursprünglich ein Jude, hernach ein Christ, und bei dem Allen ein Freund der Sterndeuterei. Er ist merkwürdig, weil er geschichtlich der Erste ist, welcher Theile des Alten und Neuen Testaments ins Arabische übersetzte. Von diesem hat Mohammed, wie vermuthet wird, Vieles von seiner, jene Schriften betreffenden Kenntniß und viele von den Ueberlieferungen der Mischna und des Talmud entnommen, auf welche er so häufig in dem Koran hinweist.

Diese so verschiedenartig erworbene und in einem ungemein treuen Gedächtnisse aufbewahrte Kenntniß stand in geradem Widerspruche mit dem groben Götzendienste, welcher in Arabien die Oberhand hatte und bei der Kaaba getrieben wurde. Dieses heilige Gebäude war mit Götterbildern, deren Zahl sich auf dreihundert und sechzig belief, so daß auf jeden Tag des arabischen Jahres Einer kam, allmälig angefüllt und umgeben worden. Hieher hatte man die Götzen aus verschiedenen Gegenden, die Götter anderer Nationen gebracht, unter denen der oberste, Hobal, aus Syrien stammte und angeblich die Macht hatte, Regen zu geben. Unter diesen Bildsäulen waren außerdem Abraham und Ismael, die ehemals als Propheten und Stammväter verehrt, jetzt mit den weissagenden Pfeilen, den Sinnbildern der Zauberei, in ihren Händen dargestellt wurden.

Mohammed wurde sich der Grobheit und Sinnlosigkeit dieser Abgötterei mehr und mehr in dem Verhältnisse bewußt, als sie sein denkender Geist mit den geistigen Religionen verglich, welche die Gegenstände seiner Forschungen gewesen waren. Verschiedene Stellen im Koran zeigen die herrschende Idee, welche allmälig in seinem Gemüthe aufkeimte, bis sie alle seine Gedanken befruchtete und auf alle seine Handlungen einwirkte. Diese Idee war eine religiöse Reform. Es war sein fester, aus Allem, was er gelernt und gedacht hatte, hervorgegangener Glaube geworden, daß dem Adam bei seiner Erschaffung die allein wahre Religion geoffenbart und in den Tagen der Unschuld bekannt gemacht und ausgeübt worden wäre. Diese Religion dränge auf die unmittelbare und geistige Verehrung Eines wahren und alleinigen Gottes, des Schöpfers des Weltalls.

Es war ferner seine Ueberzeugung, daß diese so erhabene und einfache Religion von den Menschen wiederholt verdorben und verfälscht, und vorzüglich durch Götzendienerei entstellt worden wäre; deshalb wäre eine Reihe Propheten, jeder von ihnen durch eine Offenbarung des Allerhöchsten erleuchtet, von Zeit zu Zeit und in weit von einander entfernten Zeiträumen gesendet worden, um dieselbe zu ihrer ursprünglichen Reinheit zurückzuführen. Ein solcher wäre Noah, ein solcher wäre Abraham, ein solcher wäre Moses, ein solcher wäre Jesus Christus. Durch Jeden von diesen wäre die wahre Religion auf der Erde hergestellt, aber von ihren Nachfolgern wieder verdorben worden. Der Glaube, wie ihn Abraham bei dem Auszuge aus Chaldäa lehrte und übte, scheint vorzüglich ein religiöses Musterbild in seinem Geiste geschaffen zu haben, zufolge seiner Ehrfurcht vor diesem Patriarchen als dem Vater Ismaels, des Ahnherrns seines Geschlechtes.

Die Zeit zu einer andern Reform schien Mohammed wieder herbeigekommen zu sein. Die Welt war noch einmal in blinde Abgötterei gefallen. Es war die Ankunft eines andern Propheten nöthig, welchen ein Auftrag aus der Höhe ermächtigte, die irrenden Menschenkinder auf den rechten Pfad zurückzuführen und den Gottesdienst der Kaaba wieder auf den Punkt zu erheben, auf welchem er in den Tagen Abrahams und der Patriarchen sich befunden hatte. Die Wahrscheinlichkeit einer solchen Ankunft mit den sie begleitenden Reformen scheint von seinem Geiste Besitz genommen und die mit dem Geräusche der Welt unverträgliche Gewohnheit, nachzusinnen und in tiefe Betrachtungen sich zu versenken, erzeugt zu haben. Es wird uns erzählt, daß er sich allmälig aus der Gesellschaft zurückzog und in einer Höhle des Berges Hara, ungefähr drei Stunden nördlich von Mekka, die Einsamkeit suchte, wo er im Wetteifer mit den christlichen Einsiedlern der Wüste, dem Gebet und Nachdenken hingegeben, Tage und Nächte hintereinander sich aufzuhalten pflegte. Auf diese Weise verlebte er den Monat Ramadan, den heiligen Monat der Araber. Solch angestrengte Beschäftigung des Geistes mit Einem Gegenstande, verbunden mit einer glühenden Begeisterung des Gemüths, mußte einen gewaltigen Eindruck auf sein Wesen ausüben. Er war Träumen und Entzückungen ausgesetzt. Sechs Monate nach einander hatte er, nach einem seiner Geschichtsschreiber, beständig Träume, welche den Inhalt seiner Gedanken im Wachen darstellten. Oft pflegte er alles Bewußtsein von den ihn umgebenden Gegenständen zu verlieren und auf dem Boden zu liegen, als wenn er empfindungslos wäre. Khadidschah, die bisweilen die treue Genossin seiner Einsamkeit war, sahe diese Anfälle mit ängstlicher Unruhe und suchte die Ursache zu erfahren; aber er wich ihren Nachforschungen aus oder beantwortete sie geheimnißvoll. Einige seiner Feinde haben dieselben der Epilepsie zugetheilt, allein fromme Moslemen erklären, daß sie Erscheinungen des Prophetenthums gewesen seien, denn die Eingebungen des Allerhöchsten, sagen sie, begannen, obschon noch unbestimmt, in seinem Geiste bereits zu dämmern, und sein Verstand mühte sich mit Begriffen ab, welche für die Denkkraft des Sterblichen zu groß sind. Endlich, sagen sie, wurde das, was bis hieher in Träumen dunkel angedeutet worden war, durch eine Engelerscheinung und eine göttliche Ankündigung offenbar und deutlich.

Es war in dem vierzigsten Jahre seines Alters, als diese berühmte Offenbarung statt fand. Von arabischen Schriftstellern werden darüber Erzählungen mitgetheilt, als wenn sie dieselben von seinen eigenen Lippen empfangen hätten, und es wird in gewissen Stellen des Korans darauf angespielt. Er verlebte, wie es seine Gewohnheit war, den Monat Ramadan in der Höhle des Berges Hara, indem er durch Fasten, Gebet und stilles Nachdenken die Gedanken zur Betrachtung der göttlichen Wahrheit zu erheben sich bemühte. Es war in der Nacht, welche von den Arabern Al Kader, d. i. der göttliche Rathschluß, genannt wird; eine Nacht, in welcher nach dem Koran Engel auf die Erde niedersteigen, und Gabriel die Rathschlüsse Gottes herabbringt. Während dieser Nacht ist Friede auf der Erde, und eine heilige Ruhe beherrscht die ganze Natur bis zum Anbruche des Morgens.

Als Mohammed, um die Nacht schweigend zu durchwachen, in den Mantel gehüllt dort lag, hörte er eine ihn rufende Stimme; er entblößte sein Haupt, und ihn überströmte eine Lichtfluth von so unerträglichem Glanze, daß er in Ohnmacht fiel. Bei Wiedergewinnung des Bewußtseins sahe er einen Engel in menschlicher Gestalt, welcher sich aus einer Entfernung nähernd ein mit Schriftzügen bedecktes Stück Seidenzeug entfaltete. »Lies!« sagte der Engel.

»Ich kann nicht lesen!« erwiderte Mohammed.

»Lies!« wiederholte der Engel, »in dem Namen des Herrn, welcher alle Dinge geschaffen hat, welcher den Menschen aus einem Blutklumpen erschuf. Lies im Namen des Allerhöchsten, welcher dem Menschen den Gebrauch der Feder lehrte, welcher in dessen Seele den Strahl der Erkenntniß fallen läßt und ihn lehrt, was er zuvor nicht wußte.«

Hierauf fühlte Mohammed sogleich die Erleuchtung seines Verstandes durch himmlisches Licht und las, was auf dem Seidenstoffe geschrieben stand; er enthielt die Rathschlüsse Gottes, die er nachher im Koran bekannt machte. Als er die Durchlesung beendigt hatte, rief der himmlische Bote: »O Mohammed, du bist in Wahrheit der Prophet Gottes und ich bin sein Engel Gabriel.«

Mohammed kam, wie uns erzählt wird, zitternd und erschüttert des Morgens zu Khadidschah, ohne zu wissen, ob das, was er gehört und gesehen hatte, wirklich in Wahrheit beruhte, sowie daß er ein Prophet wäre, berufen zur Ausführung der Reform, welche so lange der Gegenstand seines Nachdenkens gewesen war, oder ob es nicht eine bloße Vision, eine Täuschung der Sinne, oder etwas Schlimmeres als Alles, nämlich die Erscheinung eines bösen Geistes gewesen sein könnte.

Khadidschah jedoch sah jede Sache mit dem Auge des Glaubens an, mit dem Vertrauen eines liebenden Weibes. Sie erkannte in dem Vorgange die Erfüllung der Wünsche ihres Gatten, und das Ende seiner Verzückungen und Entbehrungen. »Erfreuliche Nachrichten bringst du!« rief sie aus. »Bei dem, in dessen Hand Khadidschahs Seele ist, ich will dich von nun an als den Propheten unsers Volkes betrachten. Freue dich,« fügte sie hinzu, als sie ihn noch am Boden liegen sah, »Allah will nicht dulden, daß du in Schande fallest. Hast du nicht deine Verwandtschaft geliebt, bist du nicht freundlich gegen deine Nachbarn, barmherzig gegen die Armen, gastfreundlich gegen die Fremden, treu deinem Worte und stets ein Vertheidiger der Wahrheit gewesen?«

Kadidschah eilte, das, was sie gehört hatte, ihrem Vetter Waraka, dem Uebersetzer der heiligen Schrift, mitzutheilen, der, wie wir gezeigt haben, Mohammeds Hausorakel in Religionssachen gewesen war. Dieser wurde sofort dafür gewonnen und mit Ungestüm rief er bei dieser wundervollen Ankündigung aus: »Bei dem, in dessen Hand Warakas Seele ist, du sprichst wahr, o Khadidschah. Der Engel, welcher deinem Gatten erschienen ist, ist derselbe, welcher in den Tagen der Vorzeit zu Moses, dem Sohne Amrams, gesendet wurde. Seine Verkündigung ist wahr. Dein Gatte ist in der That ein Prophet!«

Die eifrige Zusprache Warakas soll mächtig eingewirkt haben, Mohammeds zweifelvolles Gemüth zu stärken.

Anmerkung. Man hat vielfältig die Behauptung aufgestellt, daß Mohammed an Epilepsie (fallende Sucht) gelitten habe. Ein namhafter Schriftsteller der neuesten Zeit, Doctor Gustav Weil in Heidelberg, hat diese Angabe als Verleumdung der Feinde Mohammeds und christlicher Schriftsteller bezeichnet. Diese Krankheit scheint jedoch durch Mittheilungen der ältesten moslemischen Geschichtsschreiber, welche sich auf Erzählungen von glaubwürdigen Personen aus Mohammeds Umgebung berufen, hinlänglich bestätigt zu werden. Oefters wurde er, sagen sie, von einem heftigen Zittern ergriffen, dem eine Art Ohnmacht, oder richtiger Convulsion (Zusammenziehung der Muskeln) folgte, und in diesem Zustande strömte selbst im kältesten Winter Schweiß von seinem Gesichte; die Augen waren geschlossen, dem Munde entquoll Schaum, und er brüllte wie ein junges Kameel. Seine Lieblingsfrau Ayescha und sein treuer Anhänger Zeid werden unter den Personen aufgeführt, welche diese Erscheinung bezeugen. Sie waren der Meinung, daß er in diesem Zustande eine Offenbarung erhielte. Dergleichen Anfälle hatte er jedoch in Mekka, bevor ihm der Koran offenbart wurde. Khadidschah befürchtete, daß er von bösen Geistern besessen wäre, und würde, wenn er es ihr nicht verboten hätte, einen Beschwörer zu Hülfe gerufen haben, um sie auszutreiben. Er hatte es nicht gern, daß er während dieser Anfälle von Jemand gesehen wurde. Seinen Gesichten gingen jedoch nicht immer solche Anfälle voraus. Hareth Ibn Haschem fragte ihn einmal, wie erzählt wird, in welcher Weise die Offenbarungen geschähen. »Oft«, entgegnete er, »erscheint mir der Engel in menschlicher Gestalt und spricht mit mir. Bisweilen höre ich Töne wie das Geklingel einer Schelle, aber ich sehe Nichts. (Klingen in den Ohren ist ein Zeichen der Epilepsie.) Wenn der unsichtbare Engel sich entfernt hat, so bin ich von dem, was er geoffenbart hat, erfüllt.« Einige seiner Offenbarungen wollte er unmittelbar von Gott empfangen haben, andere in Träumen, denn die Träume der Propheten, pflegte er zu sagen, sind Offenbarungen.

Der Leser wird diese Anmerkung nützlich finden, indem sie einiges Licht auf die räthselhafte Laufbahn dieses außerordentlichen Mannes wirft.

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